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Feingeistiges am Freitag: Prosa, Lyrik, Kürzestgeschichten, Gedanken, aktuelle Themen, zeitlose Texte.
31 Dezember 2021
Der ungeliebte Besuch (Jahreswechsel)
24 Dezember 2021
Weihnachten: So oder so ähnlich vor rund 2000 Jahren
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17 Dezember 2021
Brief-Fremde Signale
*Plop* Wie selten das heute geworden ist. In einer Zeit, in einem Alter und einer Lebensphase, die so ganz anders ist. Pausenlos kommen E-Mails, WhatsApp-Nachrichten, Sprachmemos, Anrufe bei mir an. Keine wohlüberlegten Zeilen, mit gewissem Aufwand auf ausgewähltes Briefpapier gebracht, sondern schnell dahingeworfene autokorrigierte Statements. Ich habe kaum Zeit dafür, auch nur die Inhalte zu erfassen, von Genuss oder Innehalten kann keine Rede sein.
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10 Dezember 2021
Von Dir
03 Dezember 2021
Du meine Schneeflocke
26 November 2021
Das Ende der Kindheit
19 November 2021
Wenn ich 70 bin
12 November 2021
Ich schreibe, also bin ich.
05 November 2021
Aufbruch
Herbstkalte Luft. Ich sehe den Lufthauch vor meinem Gesicht, Schwaden meines Atems stehen in der Luft, kühl, unbewegt. Ob es dämmert oder den ganzen Tag schon so lichtarm war, kann ich nicht sagen, Straßenlaternen verbreiten ihr organgefarbenes Licht, tapfer durchdringt ihr Leuchten die Nebelschwaden.
Zum Berg hin ist der Weg matschig, der Regen der letzten
Tage hat die Erde durchfeuchtet, das schüttere Gras ist glitschig und bietet
den Schritten wenig Halt. Zur oberen Weide hin höre ich das Weidezaungerät,
sein Klicken scheint das einzige Geräusch in diesem Stillleben. Ein ganz
verhaltenes Gluckern mischt sich noch damit, kaum wahrnehmbares Abfließen des
Wassers.
Talseits eine ruhige Idylle, postkartenkitschige Landschaft
mit Kirche, die dem Zuschauer eine irreale Harmonie vorgaukelt. Dort wo ein
paar Häuser zusammenstehen, geduckt seit Jahrzehnten unter der Last ihrer
Dächer, der Erwartung an ihre Haltbarkeit, an den Schutz für die darin
lebenden, auch ein Dorfplatz mit Baum, altmodischer Bank, ohne Blätter jetzt .
Noch mal ein tiefer Atemzug, vor meinem Gesicht eine
Nebelbank, windstill schon den ganzen Tag muss ich mich bewegen, um wieder
sehen zu können, was am Waldrand vor sich geht, denn unübersehbar traut sich
gerade ein Rudel Rehe aus der Deckung. Sie haben mich nicht gesehen, können
mich nicht sehen, scheu wie sie sind würden sie sonst im Dickicht bleiben,
meinen neugierigen Blicken entgehend.
Ich schaue den Tieren zu, nicht bewegen jetzt, fast schon tastend suchen sich die Rehe den Weg entlang der Koppel, der Elektrozaun klickt, nicht für die Rehe, oh wehe, wenn sie daran kämen. Jetzt scheinen sie eine gute Stelle gefunden zu haben, lautlos die Verständigung zu bleiben und die Gräser des Feldes zu zupfen.
Ich fröstele, ziehe die Jacke vorne noch fester zu, neben
dem Reisverschluss schlage ich noch den Gürtel über den Umschlag, stelle den
Kragen hoch. Auf der anderen Seite der Szene kommt nun auch Bewegung ins Spiel,
in der nun deutlich hereinbrechenden Dunkelheit ein Zehnender, kapitaler
Bursche mit stolz erhobenem Kopf. Sorgfältig schaut er sich um, entdeckt die
Rehe und zögert in der Bewegung bis offensichtlich eines der Rehe ihn entdeckt.
Das ganze Rudel hat es nun mitbekommen, die Köpfe drehen sich zum Hirsch,
Stillleben für den unbeteiligten Betrachter.
Doch jetzt Leben, sehr vorsichtig, der Hirsch senkt kaum
merklich das Geweih, ist da vielleicht noch Leben hinter ihm, für mich nicht zu
erraten, aber möglich wäre es, doch dann setzt er sich in Bewegung, ob die Rehe
begrüßen oder vertreiben will erschließt sich weder mir noch dem Rudel, aber
nach kurzem Abwarten drehen sich die Rehe, ruhig wenden sie sich von ihrer
Weide ab und machen Anstalten, in den Wald zu verschwinden.
Der Hirsch beschleunigt den Gang, nein, hinter ihm kann ich
keine weiteren Artgenossen erkennen, er ist allein und springt jetzt graziös
über den Elektrozaun, um so den Rehen den Weg abzuschneiden, die wiederum auch
vom gemütlichen Gang zu zunehmend weiten Sprüngen wechseln und auf den Wald
zueilen.
Es sind nur Sekunden und die dunkle Wand hat zuerst die
Rehe, dann den Hirsch verschluckt, Knacken des Unterholzes höre ich noch,
zuerst recht vernehmlich, dann nur noch vereinzelt, schließlich gar nicht mehr.
Einen Moment bleibe ich noch stehen, dann ist alles still, jetzt wage ich
wieder zu atmen, die ferne Straßenlaterne versinkt vor meinen Augen im
Atemnebel, es wird Zeit für den Heimweg.
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29 Oktober 2021
Dolce Vita
Eigentlich war es gar nicht Julias Gitarre. Sie hat sie von
Klaus-Peter ausgeliehen. Wir haben gar nicht verstanden, warum er dieses
Instrument mitgenommen hat, denn er kann es gelinde gesagt nicht wirklich bedienen.
Klaus-Peter ist der Inbegriff von verklemmt. Vermutlich zieht er die Unterhosen
an, die ihm seine Mutter in den Koffer gepackt hat. Und die Gitarre hat er sich
umgeschnallt, weil er sich in seinen Träumen ausmalt, wie er damit ein Mädchen
flachlegt.
Das ist bei Kathrin anders, die hat das Liederbuch in der
Hand, das sie gar nicht braucht, weil sie alle Texte und Melodien ohnehin
kennt. Es ist mehr als Anregung oder zum Weiterreichen an die anderen Sänger,
hier um das Lagerfeuer herum. Die stimmliche Qualität ist überschaubar, aber
ein paar ganz passable Töne bringt die Runde denn doch hervor. Und im Grunde
ist es auch egal, Hauptsache die Melodie stimmt und der Rhythmus und die
Stimmung.
Am Abend ist das Feuerholz zusammen gekommen, im
nahegelegenen Wald gesammelt, an den Strand gebracht, jetzt Stück für Stück
verheizt. Wie weit weg ist nun der Sonnentag, in der Badehose am Strand, ein
kleiner Ausflug in die Berge, wo wir Wein geholt haben. Jetzt macht der
Kanister die Runde, schon sehr rustikal das Ganze, aber ein schmackhafter
Rotwein, der die Zungen lockert.
Ja, hat der Winzer uns erklärt, schon sein ganzes Leben hat
er hier verbracht. Sein Cousin ist nach Deutschland gegangen, in den
Sommermonaten dort, eine Pizzeria in „Nurnberg“, wie er sagt. Und mit dem Weingut
hat er so sein Auskommen, reich wird er nicht, aber was soll er mit Geld, davon
kann er sich die Sonne nicht kaufen, Dolce Vita in Deutschland für ihn
undenkbar. Und schmunzelnd lässt er uns noch wissen, sein Wein sei gut für
Amore.
Wahrscheinlich hat er Recht, die Flammen des Lagerfeuers
schaffen eine romantische Atmosphäre, im Hintergrund rauscht das Meer, im
Vordergrund schrammelt Julia auf der Gitarre. Wir arbeiten uns durch das
Liederbuch, hier und da ergibt sich ein Händchenhalten, auf allen Gesichtern
liegt ein Strahlen.
Der Morgen ist noch fern.
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22 Oktober 2021
Hey, Du!
15 Oktober 2021
Lass die Sonne in dein Herz
Lass die Sonne in dein Herz
Schick die Sehnsucht himmelwärts
Gib dem Traum ein bisschen Freiheit
Lass die Sonne in dein Herz
Covid-19 bricht mein Herz
Quarantäne noch bis März
Nein, wir brauchen nichts zu hoffen
Covid-19 bricht mein Herz
Sommersonne scheint ins Haus
Füße aus dem Fenster raus
Müßiggang und gute Laune
Sommersonne scheint ins Haus
Wie es läuft entscheiden wir
Emotionen sind in mir
Was draus wird ist völlig offen
Wie es läuft entscheiden wir.
Überall ne gute Zeit
Von den Sorgen ganz befreit
Selters, Sekt und helles Lachen
Überall ne gute Zeit
Lass die Sonne in dein Herz
Denn hier ist kein Platz für Schmerz
Träum mit mir ein bisschen weiter
Lass die Sonne in dein Herz
Genieß das Leben voll und ganz
Jeder Tag hat seinen Glanz
Irgendwann ist es zu Ende
Genieß das Leben voll und ganz
08 Oktober 2021
Ängste und Sorgen… über den Wolken
Vor mir sitzt Werner, 60, Ingenieur und Hobbypilot. Er hat
mich am Büdchen neben dem Tower abgeholt, wir haben kurz mit Peter gesprochen,
der heute Dienst hat und für die Abläufe auf diesem kleinen Amateurflughafen
verantwortlich ist.
Werner hat jetzt ein Klemmbrett auf den Knien, tauscht über
Funk irgendwelche englischen Codewörter mit Peter aus. Schließlich ist die
Vorbereitung abgeschlossen, er zieht den einen oder anderen Hebel, drückt auf den Startknopf und tuckernd
springt der Motor an, beginnt zu brummen, immer vernehmlicher und jetzt setzt
sich unser kleines Flugzeug tatsächlich holpernd in Richtung Startbahn in
Bewegung.
Wie schwerfällig am Boden, wie leicht in der Luft, werden
meine Gedanken gefesselt, während die Maschine allmählich schneller wird, auf
der Hälfte der Bahn gibt Werner Gas, das Rumpeln wird schwächer und dann
schweben wir. Der Motor wummert, aber sonst ist es still, wir gleiten geruhsam
in die Höhe, ganz anders als im Ferienflieger ist alles so betulich und direkt.
Ich schaue hinunter auf die Erde, sehe die Häuser wie auf einer Modelleisenbahn, Autos als bewegte Rechtecke und Menschen wie Ameisen.
Muss die Freiheit wohl grenzenlos sein
Alle Ängste, alle Sorgen
Sagt man
Blieben darunter verborgen
Und dann
Würde was uns groß und wichtig erscheint
Plötzlich nichtig und klein
Meine Gedanken verlieren sich, ich schaue aus der Kabine nach draußen, wie unscheinbar die ganzen menschlichen Werke von hier oben aussehen. Brücken, die in jahrelanger Arbeit erbaut wurden, sind aus dieser Perspektive läppische Kleinigkeiten in den riesigen Formen der Natur. Ein kleiner Erdrutsch, ein Unwetter, Sturm, Erdbeben oder sonstige Ereignisse und man erfährt, was wirkliche Macht ist.
Tand, Tand, ist das Gebilde von Menschenhand
Ein wenig in Trance geraten schaue ich wieder nach vorne, es ist still geworden und jetzt weiß ich auch warum. Werner hat sich nach vorne gebeugt, betätigt Knöpfe, funkt mit Peter und jetzt hat er einen Strang Drähte aus einem Kabelbaum in der Hand, wo er wohl einen Stecker wieder festdrücken will. Der Motor schweigt, ich überlege, ob ich die Stille genießen oder Angst vor einem Absturz haben soll.
Gerade noch erhabener König der Lüfte, jetzt ängstliche
Kreatur mit der Sorge vor einem kurz bevorstehenden Unfall oder gar Tod. Schluss
mit Reinhard May, nein, meine Ängste und Sorgen sind nicht unter Wolken
verborgen, nur der Fallschirm auf meinem Rücken und die geradezu lethargische
Ruhe meines Piloten lassen mich hoffen, dass der Ausflug ein gutes Ende nimmt.
Und tatsächlich, vorne zuckt der Rotor kurz, bleibt dann
allerdings wieder stehen. Wir gleiten weiter, noch in ausreichender Höhe und
beschreiben jetzt einen weiten Bogen, der uns in Richtung Flughafen bringen
soll. Wieder zuckt der Rotor, diesmal schon länger, nein, sogar dauerhafte
Bewegung, es tuckert, brummt, wummert, wir gewinnen wieder an Höhe.
Werner bedeutet mir, mich zurückzulehnen und gibt zu
verstehen, dass alles in Ordnung ist, kein Grund, sich Sorgen zu machen. Als er
dann allerdings nach einem zweiten kurzen Aussetzer unseres Motors wissen will,
ob wir noch mal eine Runde dranhängen sollen, erkläre ich ihm meine Vorfreude
auf ein Bier an der kleinen Theke neben dem Tower.
Jedenfalls bin ich dankbar, als wir sanft aufsetzen, über
die Landebahn zum Hangar rumpeln und wenige Augenblicke später von Peter in
Empfang genommen werden, als sei das ein ganz normaler Flug gewesen, die
ungeplanten Gleitflugphasen kaum der Rede wert.
Und dann wird mir klar, dass ich meine Ängste und Sorgen
nicht über den Wolken verliere, sondern besser schon auf der Erde dafür sorge,
dass sie nichtig und klein bleiben.
01 Oktober 2021
Dies ist keine Liebesgeschichte
Ich sitze in einer dreckigen, kleinen Bar unten an der südlichen Ostküste. Östlicher das Meer, südlicher das Meer. Sonst nichts mehr. Der Barkeeper – unrasiert seit Tagen oder sogar Wochen – steht mit dem Rücken zu mir und poliert Gläser. Als ich reinkam stand er auch so da und war mit Krügen und dergleichen beschäftigt. Ohne sich umzudrehen nahm er meine Bestellung entgegen: Whiskey-cola, aber mit viel Eis. Ich weiß nicht, wie es machte, den Drink vor mich zu stellen, ohne sich umzudrehen, nur mit einem beiläufigen „Prost Fremder!“. Ich nippte an dem Getränk, wälze einen Eiswürfel im Mund, spüle Whiskey darüber, fühle, wie er mir durch den heißen Hals läuft, im Magen ankommt, im Hals einen beißenden Nachgeschmack hinterlassend, der mich würgen lässt.
Es ist staubig hier, für den Barkeeper Gottseidank, denn sonst müsste er seine Gläser nicht ohne Unterbrechung putzen, denn das tut er: er putzt und poliert unaufhörlich. Der Staub dringt durch alle Ritzen, vor allem durch die Saloontür, die aus einem dieser Cowboyfilme stammen könnte. Geht draußen jemand vorbei, was zu dieser Tageszeit selten genug vorkommt, prasselt der Sand leise auf die Holzbohlen. Alles ist hier aus Holz, verwittert und grau, von der Sonne ausgetrocknet, das Salz aus der Meerluft tut ein Übriges.
Wenn man sich sandig fühlt und die Krümel abstreifen will, merkt man: Alles Salz, was einen schon zerfressen hätte, wenn es feucht genug wäre. Hier ist alles durstig, sogar die Wüste, die am Ende der Siedlung liegt und erst recht die Luft, die mir den letzten Whiskey aus dem Glas klaut, nachdem sie meine Eiswürfel verzehrt hat.
Ich bestelle mir noch einen. Juan – so heißt er bestimmt, jeder heißt hier Juan oder Fillipo – dreht sich um, als würde er sich wundern, dass ich noch lebe. Er sieht mich lange schläfrig an, fast denke ich, hier kriege ich keinen Drink mehr, da nimmt er langsam ganz behutsam mein Glas, als könnte es zerbrechen oder als müsste er es wieder vorsichtig seinem Besitz einverleiben. Ich bleibe sitzen und warte. Wortlos dreht er das Glas in der Hand, spült es aus. Mit einem fast verächtlichen „Da, Fremder“ reicht er mir das gefüllte Glas zurück, starrt mich dabei an, während ich ein Geldstück – irgendeines, denn ich kenne mich mit der Währung noch nicht aus – aus der Tasche hole und über die Theke schiebe. Es scheint ein größerer Wert zu sein, denn sein Gesicht hellt sich auf und so etwas wie „Gracias“ tropft von seinen Lippen.
Ich halte den Augenblick für günstig, ein Gespräch anzufangen und frage ihn, ob man hier irgendwo übernachten könnte. „Si Senor“, er entpuppt sich als nicht sehr beredsam und erst nach mehreren Anfragen errate ich, dass er außer Wirt auch Hotelier ist, sofern man in einem Kotten wie hier jemand so nennen kann. Jedenfalls kann ich hier die Nacht verbringen, falls es nötig ist, bedeutet mir mein Gegenüber, der mir jetzt wieder den Rücken zugekehrt hat. Dann murmelt er irgendwas von Siesta und ohne noch einmal mein tauendes Eis eines Blickes zu würdigen schlappt er durch einen Vorhang davon, wonach sich auch seine schlurfenden Schritte irgendwo im Haus verlieren. Da sitze ich nun allein, meinen Whiskey muss ich bald trinken, sonst wird er lauwarm und beginnt womöglich zu kochen, es gibt nichts, womit ich an diesem Zipfel der Welt nicht rechnen würde.
Irgendwo hier musst du auch gewohnt haben, unter all diesen unrasiert-dreckigen, schläfrigen Lumpen, die dir bestimmt Nachtlager und mehr gewährt haben, wenn sie abends aufwachen. Irgendwo hier Station gemacht, weitergereist – getrampt – mit dem nächstbesten Auto in eine Stadt gefahren, die genauso staubig ist wie hier und wo man dich genauso gemustert und fremd angesehen hat. Dann die erste Vergewaltigung, deine Flucht und Mord. Es ging auf einmal alles so schnell. Ich hätte dir gerne gesagt, dass es mir leid tut und dass wir es nochmal versuchen wollen.
24 September 2021
Wer wollte was
Wollte was er will
Was andere auch wollen
Wollen wir bekommen
Wovon alle träumen
Wären es Wünsche
Woran wir denken
Würden sie erfüllt
Willenskraft pur.
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17 September 2021
Sohn und Tochter
ES MUSS DOCH GEREGNET HABEN,
als sich der Sohn mit der Tochter traf. Sie waren ein wunderschönes Paar, sie war groß und schlank, während er kräftig und breit war. Wenn Leute vorbeikamen, stießen sie sich an und zeigten bewundernd auf die beiden. Und wenn sie erst einmal ihr rotes Kleid anzog, dann beneidete man ihn um seine schöne Dame und machte ihr Komplimente.
03 September 2021
Wellen am Strand
Heute ist wieder ein windiger Tag, über Nacht scheinen sich die Wolken formiert zu haben, der Wind greift immer wieder hinein und wirbelt sie durcheinander. Der Wetterhahn dreht sich auf dem Dach, die Ziegel auf der Scheune ächzen und fast scheinen sie ein wenig im Fauchen der Luft zu flattern. Jules ist hinausgegangen, kräftige Jacke an, stemmt sich gegen den Sturm. Erst mal ein Rundgang ums Haus. Ist alles dicht, keine schlagenden Fensterläden, keine losen Dinge, kein morscher Ast.
Dann den Weg hinauf zur Düne, dünnes Gras links und rechts, vom Regen der letzten Tage durchfeuchtet, etwas glitschig, von seinen Gummistiefeln niedergedrückt. Der Weidezaun singt im Wind, die Leitungen zirpen dazu, „klick-klack“ macht der Stromautomat. Ängstlich haben sich die Schafe zusammengerottet, ihnen scheint das Pfeifen in der alten Linde unheimlich. Überhaupt sieht der Baum furchtbar alt aus, reckt seine überwiegend kahlen Äste in den Himmel, scheint dem zum Sturm anwachsenden Wind ein hämisches Grinsen entgegenzusetzen – komm ruhig, ich habe schon viele von deiner Sorte erlebt.
Jules hat jetzt den Deich erreicht, klettert auf der landseitigen Böschung hoch, der rechte Fuß glitscht kurz weg, macht aber nichts, damit hat er gerechnet. Ein Blick zurück zum Haus, zum Hofgarten, über den Deich nach rechts und nach links… alles in Ordnung. Vor ihm liegt das Wasser, überraschend ruhig, der zu erwartende Wellengang wird sich erst mit Verzögerung aufbauen, derzeit ist es noch recht gemäßigt. Unbeirrt vom Blasen des Windes rollen die Wellen an den Strand, bahnen sich gewohnt und unbeirrt ihren Weg um die Felsen herum.
Der Fels steht da, unbeeindruckt vom Wind, unbeeindruckt vom Wasser, ja auch unbeeindruckt von der Welt und deren Zeit. Für ihn scheinen andere Gesetze zu gelten, er liegt da, lässt geduldig mit sich spielen, souverän, in der Gewissheit der Unverwundbarkeit weit über menschliche Zeitrechnung hinaus. Jules setzt sich darauf, es ist ein Moment der Elemente, das Zerren des Sturms an seiner Jacke, das Klatschen des bewegten Wassers und unter ihm die Ruhe des Steins. Fundament für ihn, während die Wellen immer und immer wieder an ihm lecken, fast meint er, sie versuchten seine Schuhe zu erreichen, vor der Durchnässung schützt ihn die Höhe seiner Warte.
Eine Weile sitzt er da, schaut den Wellen zu, die immer lebhafter werden, in Zusammenarbeit mit der aufkommenden Flut erst zaghaft, dann immer energischer an seinem Sitzstein und dann auch an seinen Stiefeln zu lecken beginnen. Was für eine Kraft hier steckt, im Wind, der ihn wegpusten kann, in den Wellen, die den Deich auflösen und sein Haus wegspülen können, im Stein, der einmal ins Rollen gebracht alles niederrollen kann. Bliebe er jetzt sitzen, dann könnte er aber auch das Abflauen erleben, das Nachlassen der Bewegung, der Gefahr.
Sehr, sehr langsam, als könne er sonst etwas kaputt machen, steht Jules auf. Er dreht sich in Zeitlupentempo um, richtet sich auf und wird vom auflandigen Wind nun in Richtung Deichhang hinaufgedrückt. Aber jetzt sehen wir es, es war gar nicht die Vorsicht, es war eine Schwäche, jetzt stolpert er, der Wind schubst ihn, die Wellen lecken jetzt nicht mehr vorsichtig, vielmehr greifen sie mit langen Wasserarmen nach ihm. Er torkelt kurz, verliert das Gleichgewicht. Wieder ein ungestümer Windstoß, gerade als er sich aufrichten will, jetzt sieht er schemenhaft oben auf dem Deich seine Frau, mit rudernden Armen „komm rein bei dem Wetter“ scheint sie zu gestikulieren. Er will nicken, was ihm aber nicht gelingt, weil er just in dem Moment mit dem linken Stiefel wegknickt und rückwärts statt vorwärts läuft, von den gerade noch so harmlosen Wellen ins offene Wasser hinausgezogen. Eben will er sich wieder aufrichten, als ein Ast der alten Linde geflogen kommt. Wohl doch morscher als bislang eingeschätzt schlägt ihm der Knüppel gegen den Bauch, kurz geht ihm die Puste aus. Unbarmherzig nutzt der Wind sein verlorenes Gleichgewicht aus, drückt ihn seitwärts und er fühlt noch, wie er mit dem Kopf gegen den Stein stößt. Dann wird es dunkel.
Seine Frau eilt den Deich hinunter, oh mein Gott, mein Jules, mein Liebster, was mache ich denn nur, lebst Du noch, so sag doch was. Kein Ton, aber er lebt noch, jetzt alle Kraft sammeln, ihn aus der Gefahr herausholen, schwer ist er, ein Mann in gutem Alter und sie zerrt an ihm, vom Wind sabotiert und zieht und muss auch noch den Berg hoch, um ihn in Sicherheit zu bringen. Zum Glück schlägt er jetzt die Augen wieder auf, benommen noch, aber wieder bei Bewusstsein, die Beine gehorchen ihm wieder, seit er aus dem Wasser ist, unbeholfen setzt er sich in Bewegung.
Eine kleine Ewigkeit später und nach Wiederkehr der Kräfte halten die Beiden sich an der Hand, wanken auf das schützende Haus zu, wo der Wasserkessel ein einsames Lied pfeift und den Segen eines heißen Tees ankündigt.
27 August 2021
Bist du da?
Da vorne eine Gabelung.
Wohin geht es rechts?
Wohin geht es links?
Einfach probieren.
Es geht bergauf.
Es geht bergab.
Um die Kurve.
Im weiten Bogen.
Zurück zum Anfang.
Der Kreis geschlossen.
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20 August 2021
Liebe unter dem Dach (5)
[Vorgeschichte und Kennenlernen] [Besuch und Gegenbesuch]
5. Rock my Soul
Irgendwie ergibt es sich, dass wir uns immer mal wieder
besuchen. Mal hat sie eine Frage zu ihrem ungeliebten Nebenfach Mathematik, mal
bin ich neugierig, was sie gerade über die Evolution gelernt hat.
Heute sitzen wir bei mir, es ist Herbst geworden und durch
das kleine Fenster wird es schon am Nachmittag recht schummrig. Ich freue mich
über ihren Besuch, irgendwie war die Vorlesung heute nicht so gut, ich war wohl
zu unkonzentriert. Auch das Lernen wollte nicht so recht klappen. Da kommt mir
ein Klön mit Eva gerade recht. Eben ist sie aufgestanden, steht am Fenster und
schaut in die untergehende Sonne. Wieso ist mir ihr schöner Po eigentlich
vorher nie aufgefallen? Heute dafür umso mehr. Ich starre sie von hinten an,
ist heute irgendetwas besonders an ihr? Jedenfalls stehe ich vom Bett auf,
stelle mich neben sie und gemeinsam schauen wir hinaus zu den ersten fallenden
Blättern. Ich lege meine Hand auf ihren Rücken und streichle an ihm hinunter.
Sie dreht sich zu mir, gibt mir einen Klapps und weicht zurück. Sicher wird
mein Gesicht dunkelrot, mir ist das total unangenehm und ich murmele eine Entschuldigung.
Aber die peinliche Situation dauert nur einen kurzen
Augenblick. Sie kommt auf mich zu und im nächsten Moment spüre ich ihre Lippen
auf meinen, ihre Zunge. Wir torkeln zum Bett, in Zeitlupe, wie in einem
Drehbuch. Sie hat einen schönen Körper unter ihrem gebatikten T-Shirt. Und dann
lieben wir uns, liegen prustend nebeneinander, lachen und lieben uns noch mal.
Ein wenig erschöpft sitzen wir dann im Bett, beide nackt,
eine unwirklich Szene. „Rock my Soul“, schießt es mir durch den Kopf und fange
ich an zu summen. Und sie summt mit, wir fangen an zu singen, immer abwechselnd
„Rock my Soul“ – „In the bosom of Abraham“, immer lauter, bis Martin von unten
klopft.
13 August 2021
Liebe unter dem Dach (3+4)
3. Besuch
4. Gegenbesuch
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06 August 2021
Liebe unter dem Dach (1+2)
1. Vorgeschichte
Es war Semesterbeginn. Die ohnehin schon angespannte
Wohnungssituation entwickelte sich dramatisch weiter. Der Wohnungsmarkt
schwankte zwischen komatöser Leblosigkeit und chaotischer Hektik. Ein Zimmer zu
bekommen war mehr oder weniger Zufall, und ich konnte mich glücklich schätzen,
im vierten Stock untergekommen zu sein.
Der Hausbesitzer hatte das Haus schon immer etagenweise
vermietet, dieses Jahr hatte er auch noch den Dachboden ausgeräumt und noch mal
ein Zimmer freigemacht. Ein bisschen Dämmwolle zwischen die Sparren,
Spanplatten drauf und gestrichen. Mein Zimmer.
Bis zum dritten Stock gab es eine normale Treppe und immer
rechts und links Wohnungen mit drei oder vier Studenten, alles
Wohngemeinschaften mit einer Küche und einem Badezimmer. Zum Spitzboden führte
dann eine schmale Stiege, linkerhand ein Speicher, rechts meine Studentenbude.
Ein wenig karg war es schon, ein Bett, ein Tisch, Stuhl und ein kleines
Bücherregal mussten sich den Platz unter der Dachschräge teilen. Immerhin hatte
ich an der einzigen senkrechten Wand ein Waschbecken neben der Tür, so dass ich
mich waschen konnte. Für die Benutzung der Toilette oder eine Dusche musste ich
in die WG unter mir laufen.
2. Kennenlernen
Es war ein sonniger Tag im September, an dem ich mein Zimmer
bezog. Der Vermieter hatte mir noch ein paar Tipps gegeben und feierlich den
Schlüssel übergeben. Es wäre ihm sehr recht, wenn ich pünktlich zahlte und ihn
ansonsten nicht behelligte. Ein wenig aufgeregt lief ich im Zimmer umher,
packte meine Bücher auf den klapprigen Nierentisch, den mir der Hausherr
vermacht hatte. Auch einen ausrangierten Teppich hatte ich noch aus dem Keller
hochgeschleppt, der Geruch würde im Laufe der Zeit schon verschwinden.
Ich legte mich auf das Bett, müde und von den vielen neuen
Eindrücken erschöpft schlief ich ein. Früh am Morgen wachte ich auf, die Blase
drückte und mir wurde bewusst, dass ich in die WG runter musste. Ich warf mir
ein Handtuch über den Rücken, schlüpfte in Sandalen und stieg die steile Treppe
hinunter in die Zivilisation. Doch oh weh, die Wohnungstür war zu und ich hatte
keinen Schlüssel. Trotz der frühen Uhrzeit musste ich klingeln. Nichts
passierte. Mein Harndrang wurde immer stärker, aber ich wollte mich nicht
direkt durch Sturmklingeln unbeliebt machen. Nach einer kleinen Ewigkeit
drückte ich noch mal den Klingelknopf. Und tatsächlich, jetzt hörte ich Bewegung.
Die Tür ging auf, eine junge Frau stand vor mir, Haare zerzaust, aus dem Bett gefallen. „Ja?“ – „Ich wohne über euch.“ – „Und?“ – „Ich muss mal.“ Sie brauchte einen Moment, um zu verstehen. „Komm rein!“. Ich schlüpfte an ihr vorbei und durch den Flur auf die angelehnte Tür zu, die nach WC aussah. Ich tastete nach dem Lichtschalter und bahnte mir einen Weg zwischen Handtüchern und Wäsche zur Toilette. Als ich wieder herauskam, war die Studentin verschwunden. Vermutlich schlief sie schon wieder. Ich zog die Tür leise hinter mir zu und machte mich wieder in mein Zimmer. [Fortsetzung folgt.]
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30 Juli 2021
Du bist gegangen
Sie haben dir nicht geglaubt.
Du warst noch jung, ein Mädchen mit Träumen, mit Phantasie.
Sie haben dir nicht geglaubt.
Das passiert irgendwo anders, nur nicht hier.
Sie haben dir nicht geglaubt.
So ein netter Mann, selbst vier Kinder und immer freundlich.
Sie haben dir nicht geglaubt.
Dich zu missbrauchen, immer wieder.
Ich habe dir geglaubt.
Jetzt liegst du da, auf dem Teppich.
Da gibt es nichts mehr zu glauben.
Du bist tot.
20 Juli 2021
Zum Geburtstag meiner Tochter (2021)
Lustig ist die Fahrt und zwischendurch kommt von hinten Lachen und Gejohle, jetzt ist Kinder an die Macht zu hören, gebt den Kindern das Kommando tönt es dreistimmig.
Überhaupt, warum nicht auch mal tauschen? Die Drei beginnt zu quengeln, will auch mal vorne sitzen und lenken, sehr zum Verdruss der Zwei. Das Lachen verebbt, die Atmosphäre wird gespannt. Dann hat die Zwei eine Idee, „wir drehen das Auto einfach um, dann sitzt Du vorne, aber ich lenke immer noch“, versucht sie einen Kompromiss zu finden.
Nach kurzem Nachdenken willigt die Drei ein, denn egal wie die Führungssache ist, damit sind die beiden Zweiunddreißig und das kann sich doch sehen lassen.
Nun hat die Drei auch noch einen guten Einfall: „Wir suchen uns ein anderes Pärchen, koppeln die beiden Autos und dann geht richtig die Post ab.“ Eine Dreiundzwanzig zusammen mit einer Zweiunddreißig: Das ist die Schnappszahl auf fünf.
„Juchhu,“ jodelt die jetzt wieder fröhliche Drei, „wir rocken das Leben“. Und ein wenig nachdenklich setzt sie hinterher: „Denk Dir nur, hätten wir das letztes Jahr gemacht, dann hätten wir auch eine Schnappszahl erreicht, aber nur die auf vier.“
„Mega,“ schließt die Zwei das Gespräch, „und das auch noch gerade im Jahr 2021, in dem unser Vater der Zahlen auch gerade fünfundfünfzig geworden ist - wenn das kein glücklicher Zufall ist.“
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16 Juli 2021
In der Traumwelt
Es ist schon spät, müde schlendere ich zum Bett, lege mich behutsam auf die weiche Matratze, die kuschelige Bettdecke und lösche das Licht. Du liegst neben mir, auch müde und im Halbschlaf tastest du nach meiner Hand, hältst sie und wir machen uns auf den Weg in eine andere Welt, die wir jede Nacht besuchen.
Noch sind die Gedanken nicht bereit, mich aus der Alltagswelt zu entlassen, der vergangene Tag geht mir genauso durch den Kopf wie der folgende; sind die Überlegungen am Anfang noch strukturiert, so kommen sie mehr und mehr durcheinander, bilden ein zunehmend chaotisches Durcheinander.
Gerade höre ich dich langsamer und gleichmäßiger atmen, du bist schon in der Traumwelt angekommen, „ich komme gleich“, möchte ich dir zurufen, aber das würde unsere Wanderung stören und so nehme ich deine Hand nur etwas fester und sehe jetzt den hellen Weg durch ein sonniges Feld vor mir, durch das wir spazieren gehen. Am Waldrand wird es dunkler, der Weg jetzt etwas saftiger bewachsen, nicht mehr so deutlich als Weg zu erkennen, dann noch etwas dunkler und die Geräusche ändern sich vom Zirpen der Grillen zu waldruhigem Knacken von Ästen, begleitet vom Wechsel der Gerüche hin zu einem feuchten, geradezu moderigen Waldpilzaroma.
Wir laufen weiter, immer tiefer in den Wald hinein und eine tiefe Entspannung legt sich über mich, jetzt wird auch mein Atem langsamer, die Gedanken entlassen die Verarbeitung der Vergangenheit und der Zukunft, nur du bist noch bei mir, im Wegdämmern spüre ich noch mal bewusst deine Hand, bevor ich eins werde mit dir und dem Wald und dem Boden.
09 Juli 2021
Die Fahrkarte
Ich habe sie in der Hand. Ganz fest. Ich kann sie in die Tasche stecken. Ich bin noch einige Kilometer vom Bahnhof entfernt. Es wäre kein Problem, den Zug einfach fahren zu lassen. Nennen Sie es Bequemlichkeit. In meiner Hosentasche drückt mich etwas. Ein kleines Stück harter Pappe drängt mich hin. Zu meinem Bahnhof.
Noch zwanzig Minuten.
Ein Bier, und er ist weg. Aber sie ist nicht weg. Ich könnte
sie natürlich auch einfach vergessen.
Verlieren. So einfach geht es nicht. Mein Zug wird nicht
ohne mich fahren. Ich stehe auf der Straße. Auf irgendeiner Straße in
irgendeinem Viertel irgendeiner großen Stadt. Die Stadt mag mich nicht. Ich mag
sie nicht.
Nein, ich mag sie wirklich nicht, und nur noch fünfzehn
Minuten.
Irgendwoher kommt eine kleine Träne. Die Fahrkarte ist mehr
als die Bezahlung für ein Transportmittel. Sie ist das Siegel unserer Trennung.
Ich und die Stadt. Die Stadt und ich. Wir waren kein Traumpaar. Ein paar schöne
Tage, gerade schön genug für eine Träne. Mehr wäre Verschwendung.
Noch zehn Minuten.
Noch kann ich umkehren. Mir fällt alles wieder ein, das Eis,
das mir runtergefallen ist, das Kino, ganz dunkel in der letzten Reihe, die
Spaziergänge und die unzähligen Fotos. Und immer warst du da.
Noch fünf Minuten.
Gewiss sind die Weichen schon gestellt. Nur noch einsteigen
und alles vergessen. Nur sie, sie darf ich nicht vergessen. Wie ich das Bett
gemacht habe, und das Licht, ja, das Licht habe ich angezündet. Nur ein paar
Kerzen. Aber das Telefon hat nicht geklingelt und ich war einsam.
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02 Juli 2021
Der wahre Grund für mein Schreiben von Blogs
Der wahre Grund ist viel simpler. Da ich für einen
Freizeitautor ziemlich fleißig schreibe, kommt einiges an Material zusammen.
Das könnte ich nehmen und abheften, was mir aber nicht sicher genug ist. Dann
gibt es die Alternative, es in eine Datencloud zu laden. Da bin ich skeptisch,
denn die Wolken können auch mal regnen und weg ist das ganze Geschreibsel.
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18 Juni 2021
Urlaubsgruß
Hallo, ich bin der oberste Stein am Ende der Brücke.
Ich bin so alt und stehe in der Mitte des Nichts
Und frage mich, wo ich anfangen soll.
Ich bin verloren, man hat mich verloren.
Irgendwann zwischen gestern und morgen, zwischen jetzt und gleich.
Irgendwann bin ich nicht mehr der Letzte.
Dann bin ich wieder da, wo ich angefangen habe.
Besuch mich doch mal.
[Brücke von Avignon, 2/1986]
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11 Juni 2021
Zeit
04 Juni 2021
Lingerie when wet
Jedenfalls sitzen wir so gut es geht zu dritt auf dem Zweisitzer, Thomas ist weitgehend im Sitzsack eben der Couch versunken. Er erzählt gerade ein Erlebnis aus der Schule, eine lustige Panne beim Sportunterricht heute. Der Referendar hat den Fosbury-Flop vorgemacht und zum Entzücken aller Mädchen ist sein T-Shirt dabei über seinen Sixpack hochgerutscht.
Judith weiß nicht so recht, was sie dazu sagen soll, eine Mischung aus Begeisterung und Verlegenheit lässt ihr das Blut in die Wangen schießen. Oder waren die Wangen schon vor der Geschichte gerötet? Sie beugt sich zu meinem Schwarm herüber, flüstert der Freundin was ins Ohr und schon springen die zwei auf und lassen Thomas und mich alleine zurück. Männerrunde. Wir schauen uns etwas überrascht an, Thomas wechselt zu mir auf die Couch und wir nutzen die Gelegenheit, um über die neuesten Schallplatten zu diskutieren.
Dann stehen die beiden Mädchen wieder genauso unvermittelt im Zimmer, wie sie verschwunden waren. Nur dass zwischendurch ziemlich viel passiert sein muss. Sie sind geschminkt, tragen Lippenstift und haben sich die offenen Haare zusammengemacht. Aber noch viel bemerkenswerter ist die Kleidung, denn nun haben sie nur noch leichte Strandkleidchen an und darunter – unübersehbar und geradezu aufreizend – hübsche Unterwäsche.
Die Überraschung ist den beiden geglückt, wir starren sie an wie von einem anderen Stern, mir schießen Begriffe wie Reizwäsche und Spitzenhöschen durch den Kopf. Stille, endlich durchbrechen die Mädchen die unangenehme Spannung, indem sie sich bei den Händen fassen und anfangen zu kichern. Jetzt müssen alle lachen, die Stimmung wird ausgelassen, Thomas und ich feuern das Paar an, das nun auf der anderen Seite des Couchtischs Polonaise macht, mit Drehungen und Posen.
Und dann seid ihr wieder weg. Als wäre es reine Einbildung gewesen, ist der Raum wieder leer. Ein zarter Duft von Parfüm liegt noch in der Luft, sonst keine Hinweise auf eure Anwesenheit. Wir warten noch einen Moment, ob die Tür wieder aufspringt und ihr zurückkommt, mit der nächsten Überraschung vielleicht? Aber sie bleibt zu, wir sind ein wenig enttäuscht, aber im Moment passiert einfach nichts mehr.
Es vergeht einige Zeit, bis Steffi wieder herein kommt, auch Judith ist dabei, ein Tablett in der Hand. Auf den Lippen sieht man noch Reste vom Lippenstift, auch die Mascara ist nur halbwegs verschwunden. Aber die Kleidung ist wieder alltäglich, kein Hinweis auf die Lingerie. Und mit Unschuldsmiene verteilt ihr Gläser mit Limonade und feiert vermutlich innerlich euren Mut und die gelungene Wirkung auf die beiden hin- und hergerissenen Jungs.
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28 Mai 2021
Menschliche Begegnung
Der Duft nach gemähtem Gras. Gerade habe ich mit dem Bauern gesprochen. Vierzig Stück Vieh hat er, droben auf der Weide. (Schon eine einzige Kuh wäre zu viel in meiner Stadtwohnung.)
Und ob die glücklich wären, will ich wissen. – Glücklich?
Jo, mei. Bin i a Kua? Mir lebens davon.
Ein anderes Verständnis von Tierliebe. Von Miteinander und
Schlachtung.
Nein, Urlaub mache er nicht. Warum auch, er ist doch hier.
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21 Mai 2021
private number
Es war gerade wie eine kleine Liebe am Rande. Aus dem Bilderbuch. Sie saß an der Bar und er hatte sich an einen Nachbartisch gesetzt. Zunächst war nichts passiert, aber dann hatte sie ihre Puderdose hausgeholt und ihn im Spiegel angeschaut. Sie hatte gelächelt. Er hatte ihr zugezwinkert, und als der Kellner weg war, setzte er sich zu ihr.
Sie unterhielten sich gut miteinander und er lud sie zum
Essen ein. Sie sagte, sie könne leider nicht und gab ihm ihre Telefonnummer.
Danach ging sie.
Er sitzt jetzt also da, alleine, und denkt über das Mädchen
nach. Sie sieht gut aus, und er wird sie morgen anrufen, um sich mit ihr in einem
kleinen Café zu treffen, in einem Séparée zu sitzen und dann mit ihr nach Hause
zu gehen.
Sie hat ihm die falsche Telefonnummer gegeben. Seine kleine Königin wird sich nicht mit ihm treffen, sie wird nicht mit ihm nach Hause gehen. Sie wird ihm ein paar Tage den Kopf verdrehen und wird ihn in ein paar Wochen noch nicht einmal mehr interessieren. [02/1985]
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