17 Dezember 2021

Brief-Fremde Signale

Ich habe schon immer gerne geschrieben. Schon als Jugendlicher saß mir der Stift locker und ich pflegte eine ganze Reihe Brieffreundschaften. Das war immer eine spannende Aufgabe, die Randbedingungen waren ja deutlich anders damals: In irgendwelchen Zeitschriften das Interesse an Briefaustausch inserieren oder darauf antworten, gespannt, wie das Gegenüber beim ersten Kontakt reagiert. Naja, bevorzugt natürlich das andere Geschlecht, irgendwie prickelnder, obwohl es nur in seltenen Fällen überhaupt zu einem Treffen kam.
Sehr unterschiedlich war die Zeit, die bis zur Antwort verging. Und vielfältig die Inhalte, die Häufigkeit, die innere Distanz. In den weniger attraktiven Austauschen ging es um die Freizeit, die Schule, irgendwelche Erlebnisse. Viel spannender das Seelenleben, Sorgen mit den Eltern und die Hakeleien mit Freunden. In seltenen Fällen auch Berichte von Verliebtsein und Andeutung erster Erfahrungen.

So oder so: Wenn mal wieder ein Brief für mich kam war das immer eine Aufhellung im Alltag. Meine Mutter pflegte diese Privatpost unter mein Kopfkissen zu legen und wenn ich ein Schreiben erwartete fuhr meine Hand täglich nach der Schule erst mal unter das Bettzeug, und ich war enttäuscht, wenn dort nur Stoff zu spüren war. Aber wenn nicht, dann zog ich vorsichtig den Umschlag hervor, als könnte er bei ruckartiger Bewegung Schaden nehmen. Und ohne den Absender zu lesen versuchte ich herauszufinden, wer mir geschrieben hatte. War es Susanne, an der eine Künstlerin verloren gegangen war, oder Steffi, die mit festem Druck des Kugelschreibers fast das Papier durchdrückte? Oder Lucy, bei der die inhaltlich trockenen Texte durch ein exquisites Parfum konterkariert wurden?

Nach der Ratestunde schaute ich nach der Auflösung, aha, also doch von Angela. Was hatte ich ihr als letztes geschrieben, wo nahm sie den Faden ihres Textes oder meiner Antwort wieder auf? In Vorfreude auf das Lesen steckte ich den Brief in die Tasche, einfach nur Aufreißen und schnell konsumieren wäre schade gewesen. Abends dann das Eröffnen, geradezu zeremonielle Aufschneiden und Betrachten des Schriftbildes. Dann das Durchlesen, Innehalten, nochmaliges Lesen und Hineinsinken in die Ausführungen.

*Plop* Wie selten das heute geworden ist. In einer Zeit, in einem Alter und einer Lebensphase, die so ganz anders ist. Pausenlos kommen E-Mails, WhatsApp-Nachrichten, Sprachmemos, Anrufe bei mir an. Keine wohlüberlegten Zeilen, mit gewissem Aufwand auf ausgewähltes Briefpapier gebracht, sondern schnell dahingeworfene autokorrigierte Statements. Ich habe kaum Zeit dafür, auch nur die Inhalte zu erfassen, von Genuss oder Innehalten kann keine Rede sein.

Doch jetzt hatte ich doch noch mal so ein Erlebnis. Ich hatte mich in Gedanken mit einem Nachbarn beschäftigt, den ich eine Weile nicht gesehen hatte, nur mal im Vorbeilaufen zugewunken. Ob er auch langsam den Corona-Blues bekäme, wollte ich per Kurznachricht von ihm wissen. Und zu meiner freudigen Überraschung schickte er mir als Antwort eine wundervolle Sprachnachricht, seine Freude über meine Kontaktaufnahme und die Herzlichkeit waren nicht zu überhören. Ich setzte in der Aufnahme zurück, spielte sie nochmal ab und genoss die freundliche Botschaft. Deutlich später ging das Memo immer noch durch meinen Kopf, aber jetzt fand ich auch die Worte, ebenso herzlich zu antworten.

Abschluss der Geschichte war noch einmal eine Erwiderung und wie zu Zeiten der Brieffreundschaft registrierte ich den Eingang, freute mich und zögerte das Abhören noch ein wenig hinaus. Wie schön, dachte ich mir, wie emotional erhebend ein liebevolles Signal sein kann.

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