Es war alles ganz anders. Könnte ich mir vorstellen. Oder alles so, wie wir es immer in der Christmette vorgelesen bekommen. Eine Mischung aus Geschichte und Fiktion.
Es war eine beschwerliche Reise, die unser Josef da auf sich nimmt. Irgendwelche Bürokraten haben ihn mit seiner Frau gezwungen, zu einer Erfassung aufzubrechen. Internet und Steuer-ID gab es noch nicht, persönliches Erscheinen unabdingbar. Also weg von der Baustelle als Zimmermann, und mit der schwangeren Frau auf eine mühsame Tour durchs Land.
Heute war wieder eine anstrengende Etappe, Maria wird immer schwerfälliger, kaum kann sie den Tag durchhalten, die Niederkunft steht kurz bevor. Und auch in diesem Zustand fällt es täglich schwerer, eine Unterkunft, was sage ich: eine Bleibe für die Nacht zu finden. Angekommen in einem Ort, ich glaube Bethlehem, läuft es heute extrem schlecht. Keine Herberge aufzutreiben, für das Hineinschlüpfen in einen Schober voller Tiere müssen sie noch dankbar sein. Und das sind sie, denn kaum hineingekrochen in das aufgehäufte Stroh, argwöhnisch beäugt von einer Kuh und einem Esel, beginnen bei Maria die Wehen. Oh mein Gott, keine Hebamme weit und breit, der hilflose Josef – ein Zimmermann als Geburtshelfer – und das in Dunkelheit, Dreck, umringt von Tieren.
Die angehende Mutter, schluchzend, in Schmerzen, leidend, der arme Josef, und endlich, endlich die Erlösung, als der kleine Bub auf die Welt kommt, strampelnd, mit einem Schrei. Sie haben das in den letzten Tagen immer wieder besprochen, ein kleiner Fetzen Stoff muss für den Säugling reichen, mit Zimmermanns-Werkzeug wird die Nabelschnur durchtrennt. Nicht die feine englische Art, Not macht erfinderisch.
Derweil ist auch draußen Bewegung. In einiger Entfernung lagern ein paar Hirten, es ist recht kühl und zur Nacht sitzen sie noch um das verglimmende Feuer. Sie reden nicht viel, aber ein Rauchwerk macht die Runde, verschiedene Gräser lassen den Tag in milde Erinnerung versinken und begleiten die Männer in den Schlaf. Einer sitzt etwas abseits, hält ein Auge auf die zur Ruhe gekommene Schafherde, sie muss morgen wieder auf die Weide, heute Abend ist erst mal Pause, nur Diebe und tierische Feinde machen dem Wachmann vielleicht auch in dieser Nacht wieder Arbeit. Es ist eine ungeliebte Arbeit, oft erzählen sich die anderen phantasievolle Geschichten, die er als einziger ohne einen Zug an der Pfeife nicht so recht nachvollziehen kann.
Heute Abend beschließen sie, zu dem Stall drüben zu laufen, da ist irgendwas los, immer wieder hören sie Frauenschreie, das schürt die Phantasie und die Neugierde wächst mit jedem Laut, der aus der Richtung kommt. So wird einer bestimmt, der mutig die schwankende Truppe anführt, am Stall klopft und eine nur unzureichend bekleidete Frau vorfindet, die einen Neugeborenen im Arm hält. Was für ein seltener Anblick, werden die Hirten als Männer doch traditionell von Geburt und Entbindung ferngehalten. Und so erzählt der Anführer den ungehaltenen jungen Eltern, die in ihrem Stress nicht auch noch Schaulustige erwarten, eine Geschichte von einer Person, die vom Himmel herabgeschwebt ist. Ein Engel, wie er sich ausdrückt, der ihnen eine Botschaft mitgegeben habe und sie nun hier seien, die Nachricht noch mal mit ihren Hirtenaugen nachzuprüfen.
Josef ist das alles zu viel, auch Maria ist völlig am Ende, körperlich erschöpft, einfach nur noch müde und froh, wenn das schreiende Bündel in ihren Armen endlich Ruhe gibt. Sie nimmt ihre Kraft zusammen, bedankt sich für den Besuch und bedeutet der Meute, ihre Geschichte zu nehmen, für das Lagerfeuer zu behalten, ansonsten aber den Stall zu verlassen und ihr die unabdingbar erforderliche Erholung von den Strapazen zu gönnen.
Erst zögern die einfachen Männer, ist es doch ein Erlebnis in ihrem sonst so eintönigen Leben, aber dann trollen sie sich doch, nicht ohne noch mal einen Blick auf die Szene zu werfen, Eindrücke zu sammeln, die sie sich in den nächsten Tagen in immer wilder ausgemalten Bildern erzählen werden. Jeder kann ein Stückchen dazu beitragen, der Beginn einer großen Geschichte, der Weihnachtsgeschichte, wie wir sie kennen.
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