08 Oktober 2021

Ängste und Sorgen… über den Wolken

Vor mir sitzt Werner, 60, Ingenieur und Hobbypilot. Er hat mich am Büdchen neben dem Tower abgeholt, wir haben kurz mit Peter gesprochen, der heute Dienst hat und für die Abläufe auf diesem kleinen Amateurflughafen verantwortlich ist.

Werner hat jetzt ein Klemmbrett auf den Knien, tauscht über Funk irgendwelche englischen Codewörter mit Peter aus. Schließlich ist die Vorbereitung abgeschlossen, er zieht den einen oder anderen  Hebel, drückt auf den Startknopf und tuckernd springt der Motor an, beginnt zu brummen, immer vernehmlicher und jetzt setzt sich unser kleines Flugzeug tatsächlich holpernd in Richtung Startbahn in Bewegung.

Wie schwerfällig am Boden, wie leicht in der Luft, werden meine Gedanken gefesselt, während die Maschine allmählich schneller wird, auf der Hälfte der Bahn gibt Werner Gas, das Rumpeln wird schwächer und dann schweben wir. Der Motor wummert, aber sonst ist es still, wir gleiten geruhsam in die Höhe, ganz anders als im Ferienflieger ist alles so betulich und direkt.

Ich schaue hinunter auf die Erde, sehe die Häuser wie auf einer Modelleisenbahn, Autos als bewegte Rechtecke und Menschen wie Ameisen.

Über den Wolken
Muss die Freiheit wohl grenzenlos sein
Alle Ängste, alle Sorgen
Sagt man
Blieben darunter verborgen
Und dann
Würde was uns groß und wichtig erscheint
Plötzlich nichtig und klein

Meine Gedanken verlieren sich, ich schaue aus der Kabine nach draußen, wie unscheinbar die ganzen menschlichen Werke von hier oben aussehen. Brücken, die in jahrelanger Arbeit erbaut wurden, sind aus dieser Perspektive läppische Kleinigkeiten in den riesigen Formen der Natur. Ein kleiner Erdrutsch, ein Unwetter, Sturm, Erdbeben oder sonstige Ereignisse und man erfährt, was wirkliche Macht ist.

Tand, Tand, ist das Gebilde von Menschenhand

Ein wenig in Trance geraten schaue ich wieder nach vorne, es ist still geworden und jetzt weiß ich auch warum. Werner hat sich nach vorne gebeugt, betätigt Knöpfe, funkt mit Peter und jetzt hat er einen Strang Drähte aus einem Kabelbaum in der Hand, wo er wohl einen Stecker wieder festdrücken will. Der Motor schweigt, ich überlege, ob ich die Stille genießen oder Angst vor einem Absturz haben soll.

Gerade noch erhabener König der Lüfte, jetzt ängstliche Kreatur mit der Sorge vor einem kurz bevorstehenden Unfall oder gar Tod. Schluss mit Reinhard May, nein, meine Ängste und Sorgen sind nicht unter Wolken verborgen, nur der Fallschirm auf meinem Rücken und die geradezu lethargische Ruhe meines Piloten lassen mich hoffen, dass der Ausflug ein gutes Ende nimmt.

Und tatsächlich, vorne zuckt der Rotor kurz, bleibt dann allerdings wieder stehen. Wir gleiten weiter, noch in ausreichender Höhe und beschreiben jetzt einen weiten Bogen, der uns in Richtung Flughafen bringen soll. Wieder zuckt der Rotor, diesmal schon länger, nein, sogar dauerhafte Bewegung, es tuckert, brummt, wummert, wir gewinnen wieder an Höhe.

Werner bedeutet mir, mich zurückzulehnen und gibt zu verstehen, dass alles in Ordnung ist, kein Grund, sich Sorgen zu machen. Als er dann allerdings nach einem zweiten kurzen Aussetzer unseres Motors wissen will, ob wir noch mal eine Runde dranhängen sollen, erkläre ich ihm meine Vorfreude auf ein Bier an der kleinen Theke neben dem Tower.

Jedenfalls bin ich dankbar, als wir sanft aufsetzen, über die Landebahn zum Hangar rumpeln und wenige Augenblicke später von Peter in Empfang genommen werden, als sei das ein ganz normaler Flug gewesen, die ungeplanten Gleitflugphasen kaum der Rede wert.

Und dann wird mir klar, dass ich meine Ängste und Sorgen nicht über den Wolken verliere, sondern besser schon auf der Erde dafür sorge, dass sie nichtig und klein bleiben.

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