09 Juli 2021

Die Fahrkarte


Ich habe sie in der Hand. Ganz fest. Ich kann sie in die Tasche stecken. Ich bin noch einige Kilometer vom Bahnhof entfernt. Es wäre kein Problem, den Zug einfach fahren zu lassen. Nennen Sie es Bequemlichkeit. In meiner Hosentasche drückt mich etwas. Ein kleines Stück harter Pappe drängt mich hin. Zu meinem Bahnhof.

Noch zwanzig Minuten.

Ein Bier, und er ist weg. Aber sie ist nicht weg. Ich könnte sie natürlich auch einfach vergessen.

Verlieren. So einfach geht es nicht. Mein Zug wird nicht ohne mich fahren. Ich stehe auf der Straße. Auf irgendeiner Straße in irgendeinem Viertel irgendeiner großen Stadt. Die Stadt mag mich nicht. Ich mag sie nicht.

Nein, ich mag sie wirklich nicht, und nur noch fünfzehn Minuten.

Irgendwoher kommt eine kleine Träne. Die Fahrkarte ist mehr als die Bezahlung für ein Transportmittel. Sie ist das Siegel unserer Trennung. Ich und die Stadt. Die Stadt und ich. Wir waren kein Traumpaar. Ein paar schöne Tage, gerade schön genug für eine Träne. Mehr wäre Verschwendung.

Noch zehn Minuten.

Noch kann ich umkehren. Mir fällt alles wieder ein, das Eis, das mir runtergefallen ist, das Kino, ganz dunkel in der letzten Reihe, die Spaziergänge und die unzähligen Fotos. Und immer warst du da.

Noch fünf Minuten.

Gewiss sind die Weichen schon gestellt. Nur noch einsteigen und alles vergessen. Nur sie, sie darf ich nicht vergessen. Wie ich das Bett gemacht habe, und das Licht, ja, das Licht habe ich angezündet. Nur ein paar Kerzen. Aber das Telefon hat nicht geklingelt und ich war einsam.

Ich steige ein. Ich weiß nicht, wohin erfährt, und ich glaube nicht, dass es einen Schaffner gibt, der dich sehen will. Der Zug rollt an. Du hast mich verlassen.
[02/1985]

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