04 April 2025

Nerds Diary: Frühstück ist fertig (S2/F1)

Frühstück ist fertig (S2/F1)

Nerds Diary Frühstück ist fertig
„Frühstück ist fertig. Wo bleibst du? Walter!“ Auf dem Küchentisch steht ein Korb mit Brötchen, Marmelade, Obst und Quark. Die Kaffeemaschine blubbert leise, nur die Pfütze auf der Arbeitsfläche lässt vermuten, dass auch die Kaffeezubereitung nicht ohne Panne verlaufen ist. Ich übersehe die zerquetschten Trauben auf dem Fußboden und setze mich an den Tisch. „Jetzt sag doch mal was! So gesund hast du doch seit deiner Kindheit nicht gefrühstückt.“ – „Danke.“ Sie tritt mich fest gegen das Bein: „Ist das alles?“ – „Danke. Sieht lecker aus.“ – „Na, das ist noch ausbaufähig. Was machst du heute?“

„Ich muss arbeiten. Eigentlich müsste ich schon am Computer sitzen.“ – „Das Wort 'eigentlich' ist ein Weichmacher. Eigentlich musst du gar nicht arbeiten. Du willst es.“ – „Nein, ich muss.“ – „Quatsch, jetzt wird erst mal gefrühstückt.“  Wir sitzen da, Brötchen um Brötchen verschwindet aus dem Brotkorb, die kurze Nacht und der Rotwein sind vergessen.

„Jetzt machen wir Morgengymnastik.“ – „Ich muss jetzt wirklich arbeiten.“ – „Erst Sport. Dein Körper braucht das.“ – „Das habe ich noch nie gemacht. Wenn überhaupt, dann abends.“ – „Falsch, völlig falsch. Du musst sportlich in den Tag starten, das ist gut für Körper und Geist.“ – „Und wenn ich keine Lust habe?“

Sie muss meine Wohnung auf den Kopf gestellt haben und hat dabei auch die Isomatten entdeckt, die jetzt neben dem Bücherberg auf dem Boden liegen. Wir machen den Berg, den Baum, Vorbeuge und den herabschauenden Hund. Es macht nichts, dass dabei meine Stehlampe umfällt und die Glühbirne mit leisem Klimpern zerbricht.

Dann sitzen wir uns im Schneidersitz gegenüber, schließen die Augen und meditieren. Der Computer ist immer noch nicht eingeschaltet. Immer wenn ich die Augen öffnen will, erwischt sie mich dabei, mahnt zur Ruhe und Entspannung. „Du bist nicht im hier und jetzt.“ – „Ich bin in Gedanken schon auf der Arbeit, ich verpasse gerade mein erstes Meeting.“

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01 April 2025

Autobahn-Anbindung für Baumarkt in Taunusstein-Neuhof

Autobahn-Anbindung für Baumarkt in Taunusstein-Neuhof
Aus der Pressemitteilung der Stadt Taunusstein vom 25.11.24 geht hervor, dass am Ortsrand von Taunusstein-Neuhof ein Bau- und Gartenmarkt der Firma Globus sowie weiteres Gewerbe angesiedelt werden soll. Die Planung bezieht sich auf den Bebauungsplan „Tiergarten“, also ein Gelände zwischen den Bundesstraßen B417, B275 und der Landesstraße Richtung Niedernhausen.

Bereits im Vorfeld erhitzt diese Planung die Gemüter, nicht nur in den politischen Gremien und Ausschüssen, sondern auch in teils öffentlich geführten Debatten werden zahlreiche Bedenken bezüglich der erhöhten Verkehrsbelastung aller umliegenden Ortschaften laut. Dies betrifft neben Taunusstein insbesondere Orte wie Niedernhausen mit seinen Ortsteilen Niederseelbach, Königshofen und Engenhahn.

Die Gemeinde Niedernhausen nimmt die Ängste der Bevölkerung sehr ernst und spricht von einer unabsehbaren Mehrbelastung, die die Bürgerinnen und Bürger deutlich strapazieren würde. Schon in früher Planungsphase sei es unabdingbar, hier konzeptionelle Abhilfe zu schaffen. Dies wurde sowohl dem Fernstraßen-Bundesamt (FBA) als auch Hessen Mobil vorgetragen.

Autobahn-Anbindung für Baumarkt in Taunusstein-Neuhof
Tatsächlich konnte auf massiven Druck vom Idsteiner Land hier eine Initiative gestartet werden, die das Problem erheblich entschärft und dabei auch noch einen Mehrwert für andere Mobilitätsanforderungen bietet. Vorgesehen sind zwei weitere Abfahrten von der A3 mit direktem Zubringer zum neuen Gewerbegebiet. Ähnlich einer Klammer lässt sich das neue Gebiet damit sowohl von Norden als auch von Süden auf direktem Weg erreichen.

Der besondere Vorteil der Planung besteht darin, dass hierdurch zwei lange ersehnte Ortsumgehungen realisiert werden können: Die Anschlussstelle Neuhof-Nord umfährt Idstein-Eschenhahn, während Neuhof-Süd die Situation in Niedernhausen-Engenhahn verbessert. Dabei fungiert die B275 als Ergänzung, während die L3273 (durch Engenhahn) ausgebaut und um den alten Ortskern verschwenkt wird.

Autobahn-Anbindung für Baumarkt in Taunusstein-Neuhof
„Der Ausbau ist mit vergleichsweise geringem Aufwand verbunden“, freuen sich die beteiligten Verkehrsplaner, „der bereits vorhandene Anschluss der A3 in Idstein und die Behelfsauffahrt an der Brücke zwischen Engenhahn und Niederseelbach können als Basis verwendet werden.“

Einem bereits angefertigten Gutachten zufolge ist auch der Eingriff in den Bebauungsplan Wildpark eher gering. Nur wenige Häuser an der Trompeterstraße werden der neuen Strecke weichen müssen und eine Lärmschutzwand soll den Rest des Wohngebietes gegen Geräuschentwicklung abschirmen. Erste Gespräche mit dem Wildparkverein fanden große Zustimmung. In diesem Zusammenhang wurde für eine zweite Ausbaustufe die Pilotierung einer Gated Community hinter der Lärmschutzwand  ins Spiel gebracht.

Autobahn-Anbindung für Baumarkt in Taunusstein-Neuhof
Selbst die Finanzierung scheint gesichert zu sein. „Wir haben uns auch in diesem Punkt um innovative Lösungen bemüht. Nach einem Kreativitätsworkshop in der Theißtalschule wollen wir den neuen Kreisverkehr als Round Robin bauen, für den man bei Nutzung Geld einwirft, dafür aber so lange im Kreis fahren kann, wie man möchte.“

Die langfristige Finanzierung wird zusätzlich durch die Verlagerung einer Sehenswürdigkeit sichergestellt. So soll in die Mitte des Kreisverkehrs der renovierte Dorfbrunnen Oberjosbach installiert werden, der nach Aufbereitung des Wassers durch Filter der Firma Brita für das Abfüllen hochwertigen Tafelwassers gegen Entgelt genutzt werden kann.

Die Bürgerbeteiligung endet laut Auskunft der Behörden am 01. April.

28 März 2025

Nerds Diary: Was machen Sie hier (S1/F7)

Was machen Sie hier (S1/F7)

Nerds Diary: Was machen Sie hier (S1/F7)
„Was machen Sie hier?“ – „Sei still!“ – „Können Sie nicht bitte langsam mal nach Hause gehen.“ Sie zieht an der Decke, bis es auf meiner Seite kalt wird. Ich drehe mich weg, spüre jetzt aber ihren Atem in meinem Nacken. Und ein paar kalte Füße, die sich unter meine Decke strecken. „Lassen Sie das, ich möchte jetzt wirklich meine Ruhe haben.“

Den kalten Füßen folgen jetzt noch kalte Beine, irgendwas zerrt an meinem Kopfkissen. „Gemütlich hast du es hier. Nur ein bisschen kalt.“ Pause. „Bist du wirklich so müde oder hast du was gegen mich?“ – „Müde.“ Pause. „Na gut, machen wir Pause. Weck mich um acht, ich mag Kaffee am Bett und Mohnbrötchen, frische Mohnbrötchen gehören für mich dazu.“

Ich halte die Luft an, aber es passiert nichts weiter, die Decke verschwindet immer weiter zu ihrer Seite, die Atemzüge werden gleichmäßiger. Eine leichte Rotweinfahne in der Luft, die Spannung in den kalten Füßen nimmt ab, ich kann mich ein wenig befreien.

Als ich um sieben Uhr aufwache ist sie verschwunden. Das Kissen neben mir ist verdrückt, die Bettdecke fast komplett auf der anderen Seite. Vorsichtig schaue ich mich um, ich bin allein, auch im Rest der Wohnung ist keine weitere Person. Der Bücherberg steht noch unverändert, der Rotwein auf den Bestsellern ist eingetrocknet. Das Badezimmer leer.

Ich gehe ins Bad, noch ziemlich müde nach der kurzen Nacht, ein bisschen Kopfschmerzen vom Rotwein. Zähneputzen und dann ab unter die Dusche. Das warme Wasser über meinem Körper tut gut, kaltes Wasser über den Kopf lässt meine Kopfschmerzen verschwinden. Gerade habe ich angefangen, mich abzutrocknen als die Badezimmertür aufgeht.

Sie steht in der Tür, schaut mich neugierig an. „Da ist ja mein Nerd.“ – „Wo kommen Sie denn jetzt schon wieder her?“ – „Durch die Tür. Ich habe Brötchen geholt. Auf dich ist ja kein Verlass.“ – „Ich habe nicht gesagt, dass ich Brötchen holen gehe. Würden Sie bitte im Wohnzimmer auf mich warten?“ Sie schließt die Badezimmertür hinter sich und kommt auf mich zu. „Hast du dich schon rasiert?“ – „Nein.“ – „Ich mag dich nicht küssen, wenn du nicht rasiert bist.“ – „Wer spricht denn von küssen?“

Nachdem sie mir das Handtuch heruntergezogen hat und mich vor das Waschbecken gedrängt hat bekomme ich einen heftigen Kuss in den Nacken. Ich nehme den Rasierapparat und fange an, meinen Hals und die Wangen zu rasieren. Währenddessen rubbelt sie meinen Rücken trocken, dann mit dem Handtuch auch an den Beinen herunter.

„Du erkältest dich noch, wenn du hier so herumstehst.“ Ich möchte mich nicht zu ihr umdrehen, stehe da wie Gott mich schuf und rasiere mich weiter. „Das reicht jetzt, lass noch ein paar Haare für morgen stehen.“ – „Machen Sie doch schon mal Kaffee.“ - „Sag mal, du stehst nackt vor mir und bist immer noch beim Sie. Mach dich doch mal locker.“

Ich drehe mich zu ihr um, strecke ihr die Hand hin: „Walter.“ Sie fängt an zu lachen. „Du bist so trocken und so lustig, weißt du das?“ – „Nein.“ – „Wie geht es denn dem kleinen Nerd?“ Ich schaue an mir herunter. „Kannst du jetzt bitte Kaffee machen gehen. Ich komme gleich nach.“ Mit ausschweifender Handbewegung wirft sie das Handtuch auf den Rand der Badewanne, fegt dabei drei Parfumspender in die Wanne.

Dann ist sie verschwunden. Eilig schnappe ich mir eine Unterhose, aber sie kommt tatsächlich nicht mehr herein.

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21 März 2025

Nerds Diary: Ich atme tief durch (S1/F6)

 Ich atme tief durch (S1/F6)

Ich atme tief durch
Ich atme tief durch. Vor dem Schlafengehen muss ich noch Eiermatsch und Rotweinfleck wegmachen, das Backblech saubermachen und das Geschirr spülen. Ich laufe ins Bad, mein Deo steht auf dem Waschbecken und der Badezimmerschrank ist geöffnet.

Noch in Gedanken ziehe ich mich aus, putze die Zähne, noch ein Blick in die Küche, alles wieder einigermaßen sortiert. Nur der Pizzakarton liegt noch als Zeuge der komischen Begegnung auf dem Küchentisch. Mein Kopf ist gerade auf dem Kissen angekommen, als es klingelt.

Ich ignoriere das Gebimmel. Es klingelt wieder, zu hören, obwohl ich meinen Kopf tiefunter das Kissen eingrabe. Das Klingeln hört auf. Kurze Stille, dann höre ich einen Schlüssel im Schloss und im nächsten Moment das Geräusch einer sich öffnenden Wohnungstür. Ich stehe auf, aus dem Schlafzimmer und zur Tür.

Sie steht im Türrahmen. „Ich hatte was vergessen.“ – „Was?“ – „Den Schlüssel.“ – „Welchen Schlüssel?“ – „Meinen. Ich hab den Schlüsselbund vertauscht.“ – „Komm erst mal rein.“ Das hätte ich nicht sagen sollen, schon steht sie im Flur, macht hinter sich die Tür zu, wirft meinen Schlüssel auf die Garderobe. „Bist du schon im Bett?“ – „Wonach sieht es denn aus?“

„Ich habe eine Flasche Rotwein mitgebracht. Die Nacht ist noch jung.“ – „Ich will keinen Rotwein und ich muss schlafen.“ Sie läuft in die Küche, ich höre das Wühlen in den Schubladen auf der Suche nach einem Korkenzieher. Dann das leise Klimpern von Gläsern. „Wo bleibst du?“

Wir sitzen wieder im Wohnzimmer, jeder ein Glas Rotwein in der Hand. „Prost. Hast du Spiele im Schrank?“ – „Nein.“ – „Schade, dann denken wir uns was aus.“ – „Ich habe jetzt keine Lust zu spielen.“ - „Wo sind die Zahnstocher?“ Auf dem Weg in die Küche macht sie wieder Musik an, diesmal lauter „zum Aufwachen“.

Während ich im Schlafanzug dabeisitze, schüttet sie den gesamten Inhalt des Zahnstocher-Behälters auf den Couchtisch. „Das ist jetzt Mikado. Du bist dran.“ Abwechselnd versuchen wir, aus dem Berg an Holzstäbchen etwas herauszuziehen, ohne dass der Rest sich in Bewegung setzt. „Immer, wenn sich was bewegt, darf man den anderen kneifen.“ – „Ich glaube nicht, dass ich das möchte.“

Mein Bein ist schon ziemlich rot vom Gekniffen-werden. Sie hat mehr Glück beim Mikado und ich muss sie nur selten in den Arm kneifen. Etwas enttäuscht sammelt sie die Holzspieße wieder ein. „Prost. Wir spielen was anderes. Wir bauen aus Vorratsdosen einen Jenga-Turm.“ – „So viele Dosen habe ich nicht.“

Es dauert eine ganze Weile und die Rotweinflasche leert sich langsam. Aber dann ist ein beeindruckender Turm aus allen Büchern meines Bücherschranks entstanden. „Der größte Jenga-Turm aller Zeiten. Los fang an.“ Ich schaue das wacklige Gebilde an und ziehe an einem Roman von John Grisham. „Sehr gut, jetzt ich.“ Sie torkelt auf den Bücherberg zu, zieht an einem Stephen King.

Wieder Glück gehabt, nichts stürzt ein. Noch ein paar Bücher lassen sich ohne Probleme herausziehen und in den Bücherschrank zurückstellen. „Langweilig. Wir machen jetzt Yoga.“ Schon ist sie in einen Schneidersitz gegangen, hat dabei aber nicht an ihr Glas gedacht, das jetzt seinen Inhalt über den Bücherstapel verteilt. „Macht nichts, das macht die Bücher viel individueller.“

„Ehrlich gesagt habe ich keine Lust auf Yoga. Ich gehe jetzt ins Bett.“ Ich bin einfach zu müde, um noch irgendwas zu machen. Im Flur das Licht aus und ich krabble in mein Bett, drücke meinen Kopf fest ins Kissen und warte auf das Geräusch der Wohnungstür. Nichts zu hören. Statt dessen ein leises Rascheln und ein Zupfen an der Decke.

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14 März 2025

Nerds Diary: Wie lange noch? (S1/F5)

Wie lange noch? (S1/F5)

Nerds Diary: Wie lange noch? (S1/F5)
„Wie lange noch? Ich meine, die Backzeit.“ – „Keine Ahnung, ich habe nicht auf die Uhr geschaut.“ Wir schalten den Backofen aus, holen den Kuchen heraus und stechen mit einem Zahnstocher vorsichtig hinein. „Großartig, großartig, großartig. Aber wir müssen schauen, ob er wirklich durch und durch gebacken ist.“ Sie nimmt eine Handvoll weiterer Zahnstocher, sticht sie von allen Seiten hinein bis der Kuchen aussieht wie ein Igel.

„Viel besser, jetzt.“ Und mit Schwung lässt sie das Backblech auf die Arbeitsplatte rutschen. „Mach mal die Zahnstocher raus.“ Während ich vorsichtig um den Eierfleck von der Jonglierpanne herumlaufe und nacheinander die Zahnstocher aus dem Blechkuchen hole, hat sie ihren Pullover abgestreift und die Ärmel hochgekrempelt. „Die Pizza“ – „Was ist damit?“ – „Sie muss in den Ofen.“ – „Mach ich nachher.“

Wir sitzen wieder vor dem Backofen und schauen durch das Glas der bräunenden Pizza zu. Sie erzählt irgendwelche Geschichten von Hunden, von Fernsehen. Die Frauenverachtung im Bachelor, der Qualität von Sendung mit der Maus und warum die Wahlsendungen sie langweilen.

„Wir brauchen Sahne.“ – „Hab ich nicht.“ – „Dann hol welche.“ Die Geschäfte sind zu und ich habe keine Lust, zur Tankstelle zu gehen. „Brauchen wir nicht.“ - „Mandarinenkuchen ohne Sahne geht nicht.“ Sie läuft zur Garderobe, schnappt meine Jacke und drückt mich hinein. Mit ihren Schlüsseln bewaffnet mache ich mich auf den Weg.

Treppe runter, durch den Park, zu ihrer Wohnung. Ich schließe auf, die Tür klemmt. Ich drücke fester, aber sie will nicht aufgehen. Dann sehe ich das zweite Schloss, nehme den anderen Schlüssel am Bund und nun geht sie auch auf. Ich mache das Licht an, schaue mich um. Zur Küche, die kenne ich ja schon, aber ich muss alles durchsuchen, bis ich die H-Sahne finde.

Ich durchforste die Küche, werfe dann entgegen meinem Willen ein Blick in das Schlafzimmer. Auch zwei Kissen. Sahne in der Hand, Licht aus, Tür auf und einen gemurmelten Gruß zum Nachbarn, der gerade herauskommt. „Ach, sind Sie der Neue?“ – „Wie bitte?“ – „Ob Sie der Neue sind?“ – „Nein.“ – „Sieht aber so aus. Naja, die Dame ist ja nicht wählerisch.“

Zurück an meiner Wohnung merke ich, dass ich meinen eigenen Schlüssel gar nicht eingepackt habe. Ich drücke den Klingelknopf. Von drinnen tönt laute Musik, irgendwas zwischen ACDC und Nickelback. Sie hat ihre Musik mitgebracht. Ich klingele wieder, keine Reaktion. Auch nicht, als ich auf die Tür trommele.

In der nächsten Musikpause trommel-klingele ich wieder. „Die Pizza ist längst fertig. Wo bleibst du?“ – „Diskussion mit deinem Nachbarn.“ – „Hat gefragt, ob du der Neue bist?“ – „Ja.“ – „Macht er immer, ist eine Überwachungskamera mit zwei Beinen.“ Sie hat ein Glas in der Hand, Rotwein.

„Ich habe schon mal angefangen, Pizza muss man frisch essen.“ Nur noch ein kümmerlicher Rest ist übrig. Ich hole einen Teller aus dem Schrank, teile was noch da ist gleichmäßig auf und setze mich an den Küchentisch. „Nachher können wir den Mandarinenkuchen essen. Oder du holst noch was, wenn du noch Hunger hast.“

Ein knappes Viertel Pizza muss reichen, ich will nicht noch mal aus dem Haus. „Es wäre mir sehr Recht, wenn Sie langsam gehen würden. Ich bin müde.“ Sie nimmt das Rotweinglas, hält es gegen das Licht, schwenkt es ziemlich dynamisch, so dass Rotwein aus dem Glas auf dem Boden landet. „Macht nichts, das kannst du nachher einfach wegwischen.“

Die Flasche ist inzwischen leer, sie sucht im Vorrat nach Nachschub. „Hast du irgendwo noch mehr?“ – „Nein.“ – „Morgen ist auch noch ein Tag, da kannst du ja wieder einkaufen.“ – „Ich trinke so gut wie nie.“ – „Natürlich nicht. Aber zu Pizza kann man ja nicht immer nur Cola trinken. Und ein Glas Wein am Tag hält gesund.“ – „Hab ich schon anders gehört.“ 

„Gut, dann eben für heute Selters statt Sekt.“ Sie forscht noch mal in allen Schränken, ob ich nicht doch noch irgendwo Alkohol habe. Dann schlägt sie mir auf die Schulter, verfrachtet den Mandarinenkuchen im Kühlschrank und tritt mit einem schmatzenden Geräusch in die antrocknende Eierpampe auf dem Fußboden.

„Ich geh dann mal.“ Sie stimmt ein Lied an Arrivederci ciao Amor und sucht umständlich nach ihrer Jacke.  Endlich steht sie an der Tür, auf, zu. Es wird still.

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07 März 2025

Nerds Diary: Es klingelt (S1/F4)

Es klingelt (S1/F4)

Nerds Diary: Es klingelt
Es klingelt. Der Umluftherd ist gestartet, gerade will ich mir ein Glas für die Cola aus dem Sideboard holen. Es klingelt wieder, diesmal länger. Unterstützt von einem zaghaften Klopfen. Ich nehme das Glas, schenke ein, nehme einen großen Schluck und mache die Verpackung um die Tiefkühlpizza weg.

Heftiges Klopfen, klingeln, klopfen. Ich schlürfe langsam zur Tür, schaue durch den Türspion. Sie steht vor meiner Tür. Ich öffne. „Ja?“ – „Du hast was vergessen.“ – „Ich wüsste nicht, was.“ – „Das Rezept.“ – „Was für ein Rezept?“ – „Das Rezept für den Mandarinenkuchen.“ – „Welcher Mandarinenkuchen?“ – „Zufälligerweise habe ich ein paar Zutaten dabei.“

Sie räumt die Pizza zur Seite, beginnt in meiner Küche nach notwendigen Zutaten und Backwerkzeug zu suchen. Jede Schublade und jeder Schrank wird inspiziert, nach und nach versammeln sich Backblech, Rührgerät und Messer auf dem Küchentisch. Daneben Butter, Mehl, Quark und was sie sonst noch mitgebracht hat.

„Hast du Eier zum Backen?“ – „Nein. Ich backe nie.“ Sie entdeckt meine Frühstückseier im Kühlschrank, wirft mir einen triumphierenden Blick zu und beginnt, mit drei Eiern zu jonglieren. Ein Ei macht sich selbständig und landet auf dem Boden. „Macht nichts, es sind noch genug da.“ Fröhlich läuft sie um das zerplatzte Ei herum.

Etwa später habe ich unter ihrer Anleitung den Teig zusammengerührt und auf dem Blech verteilt. „Ist das nicht großartig, jetzt haben wir einen Kuchen.“ – „Ich wollte gar keinen Kuchen.“ Wir sitzen nebeneinander auf zwei Küchenstühlen und schauen dem Kuchen durch das Fenster im Backofen beim Aufgehen zu.

„Großartig, das wird großartig. Ich muss mal, wo ist die Toilette?“ Sie verschwindet, ich bin jetzt alleine bei der Beobachtung des Kuchens. Hinter mir höre ich sie durch die Wohnung laufen, die Badezimmertür geht auf und zu, aber das Laufen geht weiter. Ich stehe auf und komme dazu, wie sie mein Arbeitszimmer begutachtet.

„So sieht es also bei einem An-wen-dungs-manager aus? So ein großer Bildschirm auf so einem kleinen Schreibtisch. Gerade genug Platz für die Pizza.“ Sie hebt die Tastatur hoch, dreht sie um. „Kein Passwort. Alle Nerds haben das Passwort unter der Tastatur.“ – „Ich nicht.“ – „Brauchst du sonst nichts? Keine Bücher?“ – „Nein. Geht alles mit dem Computer.“ Pause. „Wollten Sie nicht meine Toilette besuchen?“

„Ach ja, richtig, und du musst den Kuchen im Auge behalten.“ Wir trennen uns, ich trabe zur Küche, die Badezimmertür geht auf und zu, aber ich höre immer noch Schritte. Diesmal treffen wir uns im Schlafzimmer wieder. „Das ist ja ein richtiges Single-Schlafzimmer.“ – „Ja.“ – „Wozu brauchst du zwei Kissen, wenn du alleine hier schläfst? Oder bist du nicht allein?“ – „Doch, nein. Das geht Sie nun wirklich nichts an.“ – „Fehlt dir das nicht?“

Ich seufze, drehe mich um und gehe wieder in die Küche, um dem Kuchen beim Backen zuzuschauen.

[Das gibt es seit 14.02.25 als kleine Serie jede Woche]

03 März 2025

Rusemondach

Leev Lück, upjepass, ich sach et klor:
Hück fiere mer Fastelovend wie et wor!
Drusse lach de Sunn, et Wedder es jot,
Drum dummer danze, met Freud im Blood!

Et Kölsche Hätz dat schläch huh und laut,
Op Stroß un Plätz – hück is alles us Freud jebaut.
Ob Clown, ob Piraat, ob Prinz oder Fee,
Hück sin alle jood drop – Alaaf un olé!

Un wenn och in Berlin wor ne komische Wahl,
Mer fiere jetz trotzdem, et is uns ejal!
Denn, et es, wie et es – dat es doch klor,
Mer fiere su lang et noch jeht jedes Johr!

"Et hätt noch immer jot jejange!"
Loss mer nit lang drüvver bange,
Met Musik, met Kölsch un nem bunten Kostüm,
Fühle mer uns wie en Paradiesjeblüm!

"Wat fott es, es fott", dat jilt och hück,
Sorje uch fott, wat kümmerts, ihr Lück!
Et Levve es bunt, et Levve es schrill,
Un fiere dat künne mer und drinke uch vill!

Mir rufe Alaaf, et weet jebützt und jedanzt
Mir fiere et Levve, met Freud un met Jlanz!
Leev Fründe, lommer höppe un springe
Un luure, dat mir unser Jlöck darin finge

E dreimol Kölle alaaf in die Rund
Et jrüst euch der Narr zum iwije Bund
Un bin ich uch wick fott vum hillije Kölle
Mir treffe uns widder, zur Nuut in der Hölle.

28 Februar 2025

Nerds Diary: Was machst du? (S1/F3)

Was machst du? (S1/F3)

Nerds Diary: Was machst du
„Was machst du?“ will sie als nächstes von mir wissen. Es dämmert langsam, draußen geht die Straßenbeleuchtung an. Ich schaue aus dem Fenster, schaue auf den Wohnzimmertisch, schaue sie an. „Geheimauftrag?“

„Nein, Anwendungsmanager.“ – „Oh, wie cool. Und was macht man so als An-wen-dungs-manager?“ – „Langweiligen Kram.“ – „Du bist ein Nerd, wusste ich es doch.“ – „Also, Nerd ist vielleicht nicht so ganz richtig.“ – „Was ist denn richtig?“ – „Anwendungsmanager. Hab ich Ihnen doch gesagt.“ Das könnte jetzt so weitergehen, ich greife zu meiner Fenchelteetasse.

„Und Sie?“ – „Was?“ - „Was Sie machen“ – „Ach so, ja, ich bin singende und tanzende Hausfrau.“ Pause. „Und männervernaschender Vamp.“ Pause. „Und bei Vollmond bin ich Werwolf.“ Sie springt auf, wirft die Arme in die Luft, legt den Kopf in den Nacken und fängt an, wie ein Wolf zu heulen.

„Bitte!“ sage ich. Sie heult weiter, in etwas höheren Tönen, jetzt noch höher. Ich warte, dass die Gläser im Schrank anfangen zu klirren, aber es passiert nichts. Sie holt Luft, beugt sich vor und unterstützt das nächste Heulen noch durch ein Zucken ihres Körpers.

„Mach mit, das entspannt.“ – „Bloß nicht.“ Sie zerrt mich vom Sofa, der Fencheltee spritzt durch die Gegend. „Dein Kraftzentrum, denk an dein Kraftzentrum.“ – „Hab ich nicht.“ Ihre Arme sind um mich verschlungen, alles rüttelt und schüttelt, dazu wieder dieses Heulen.

Unvermittelt lässt sie mich wieder los, ich lande auf dem Couchtisch während sie weiterzappelt. „Zeit für Musik, was willst du hören?“ Ein wenig atemlos lässt sie sich neben mir auf den Couchtisch fallen, das Holz knirscht, aber er hält uns beide aus. „Was machst du noch mal?“ – „Anwendungsmanager.“

„Ach ja, stimmt. An-wen-dungs-manager. Ein Nerd im Geheimdienst ihrer Majestät.“ Sie schiebt sich wieder vom Tisch auf den Boden, läuft auf allen Vieren zum Sideboard und drückt dort auf einer Musikanlage herum. „Mozart für Babys.“ Es ertönt irgendeine Mucke zwischen ACDC und Nickelback. 

„Ich studiere Design.“ – „Ah, interessant. Übrigens wollte ich gerade gehen. Vielen Dank für alles.“ Schon sitzt sie wieder neben mir auf dem Tisch, drückt meine Hand auf die Tischplatte und dirigiert mit der anderen Hand die unsichtbare Rockband. „Gut, nicht?“ – „Nicht so ganz mein Geschmack.“

Tatsächlich gelingt es mir, meine Hand unter ihrer zu befreien, mit ungewohntem Tempo schaffe ich es bis zur Wohnungstür. „Dein Rucksack!“ – „Oh, Danke, ja, den hätte ich fast vergessen. Auf Wiedersehen dann.“ – „Servus, und komm gut heim.“

Fast im Laufschritt mache ich mich auf den Heimweg. Treppe runter, ein paar Schritte durch einen kleinen Park, Treppe hoch, Wohnungstür. Uff. Ich atme tief aus, was war das für ein Nachmittag, entleere meinen Rucksack und schalte den Backofen für meine Pizza an.

[Das gibt es seit 14.02.25 als kleine Serie jede Woche]

27 Februar 2025

Homeoffice – Helau und Alaaf!

In Gedenken an Jürgen Dietz, den „Boten vom Bundestag“ aus der Mainzer Fastnacht.

Narrhalla Marsch! Helau und Alaaf, ihr Narren und Jecken!

Ich bring’ euch Neuigkeiten aus der modernen Arbeitswelt – früher hießen wir Arbeitnehmer, heute heißen wir "Remote-Experten mit flexibler Einsatzbereitschaft". Klingt schick, oder? Heißt aber: Du arbeitest immer und überall.

Früher hattest du ein Büro. Mit Wänden! Mit Türen! Mit Kollegen! Heute? Homeoffice. Dein Schreibtisch steht zwischen der Wäsche und dem Esstisch. Und dein Kollege ist der Paketbote, der dreimal am Tag klingelt!

Und wehe, du bist mal nicht erreichbar. Da fragt der Chef: "Wo waren Sie um 14:32 Uhr?" Ja, Chef, ich habe mal etwas ganz Revolutionäres getan: Ich habe mein Mittagessen nicht mit ins Meeting genommen!

Apropos Meetings – früher haben sich Manager in Konferenzräumen getroffen, um Kaffee zu trinken und Strategien zu besprechen. Heute? Heute sind wir ALLE Manager – und verbringen 90 Prozent unserer Arbeitszeit in Online-Meetings. "Wir müssen das nochmal besprechen!" Warum? Damit keiner merkt, dass nichts passiert!

Und dann dieses Homeoffice-Equipment. "Für ergonomisches Arbeiten stellen wir Ihnen alles bereit!" Klar doch! Einen Klappstuhl, einen Laptop, der heißer wird als meine Heizung – ach nee, die läuft ja nicht mehr, weil der Strompreis explodiert ist!

Aber Hauptsache, wir haben "Work-Life-Balance". Früher hast du um 17 Uhr das Büro verlassen. Heute klappst du den Laptop zu – und 30 Sekunden später wieder auf, weil dein Chef noch eine "kurze Frage" hat.

Die Zukunft der Arbeit? Noch mehr Homeoffice, noch mehr Meetings, noch weniger Lohn, aber Hauptsache, das Unternehmen spart sich die Bürofläche. Und wir? Wir sparen uns die Rente, weil wir irgendwann einfach vom Stuhl kippen.

In diesem Sinne: Ein dreifach donnerndes Helau und Alaaf!

21 Februar 2025

Nerds Diary: Ich atme auf (S1/F2)

Ich atme auf (S1/F2)

Ich atme auf (S1/F2)
Ich atme auf. Aber im nächsten Moment ist sie wieder da, ein vollgestopfter Einkaufswagen jetzt vor ihr und mit erwartungsvollem Blick schaut sie mich an: „Fertig?“ Wortlos rolle ich meinen spärlichen Einkauf zur Kasse, hinter mir höre ich fröhlich die Unbekannte irgendeinen Hit aus den Charts summen und weiß auch ohne mich umzudrehen, dass sie noch da ist.

Wir stellen uns an, das Kassenband rattert langsam voran, meine paar Teile sind schnell gescannt und ich stopfe eilig alles in meinen Rucksack. „Willst du mir nicht ein bisschen helfen?“ – „Ja, also gut, was soll ich denn helfen?“ – „Einladen und tragen“ lässt mich die Frau ungerührt wissen. Ich werfe einen Blick auf ihren Einkauf, ja, den kann man wirklich nicht alleine transportieren.

„Okay“, sage ich, helfe die Lebensmittel sowie Putzzeug und einen Getränke-Sixpack hinter der Kasse wieder in ihren Wagen zu hieven. Während sie bezahlt schiebe ich meinen Wagen zurück in die Wagenschlange, nehme meinen Chip und will mich unbemerkt entfernen.

Leider hat sie mich entdeckt, winkt mir zu. „Es ist so lieb, dass du mir hilfst, es ist auch gar nicht weit von hier.“ – „Sie haben kein Auto?“ – „Nein, aber es ist nicht weit.“ – „Nicht weit?“ – „Nein.“ Das könnte jetzt so weitergehen, ich werfe mir meinen Rucksack über den Rücken und greife nach dem Sixpack.

Wie aus dem Nichts taucht ein Ikeabeutel auf, Stück für Stück verschwindet der ganze Einkauf darin, nur das Waschpulver passt nicht mehr. „Kannst du das vielleicht noch in deinen Rucksack nehmen, dann können wir besser tragen.“ – Wortlos nehme ich meinen Rucksack wieder ab, schiebe vorsichtig die Mandarinen und den Salat zur Seite und stopfe das Waschpulver dazu.

„Herrlich, jetzt ist alles bereit für die Reise.“ Wir setzen uns in Bewegung, die Frau erzählt von der vergessenen Einkaufsliste und dass man dann immer mehr kauft, als man eigentlich geplant hat. „Immer der Nase nach“ weist sie den Weg, da ich den einen Tragriemen des Beutels in der Hand habe, kann ich auch gar nicht anders, als ihr zu folgen.

Nach zehn Minuten Fußmarsch frage ich zaghaft nach dem Ziel. „Gar nicht weit, sollen wir mal die Seiten tauschen? Bei der Gelegenheit könntest du noch den Sixpack übernehmen, der schneidet mir etwas in die Hand.“

Immerhin liegt der Weg in derselben Richtung wie meine Wohnung, so dass ich nachher nicht so weit zurücklaufen muss. Langsam schneidet mir der Sixpack auch in die Hand, aber da vorne sehe ich schon den Balkon meiner Wohnung und würde mich an dieser Stelle auch von ihr verabschieden.

„Nein, das ist doch nicht möglich. Dann sind wir ja fast Nachbarn“, freut sich die Frau. Mit freudigem Strahlen übergibt sie mir noch den anderen Tragriemen und während ich Sixpack und Ikea die Treppe raufschleppe sucht sie in ihrer Jacke nach den Wohnungsschlüsseln.

„Komm doch auf einen Kaffee mit rein.“ – „Nein danke.“ – „Stimmt was nicht?“ – „Doch, doch alles gut. Ich gehe jetzt.“ – „Aber noch einen Kaffee, du willst mich doch nicht einfach stehenlassen, nachdem ich den ganzen Einkauf bis hierher gebracht habe.“

Doch, genau das will ich. Ich will jetzt heim, meine Pizza in den Backofen schieben und mir mit der Cola einen gemütlichen Nachmittag machen.

Wenige Minuten später sitze ich bei ihr auf dem Sofa, habe mit ihr den Einkauf in den Kühlschrank sortiert und das Waschpulver ins Bad gebracht. Sie rumort in der Küche herum und hat Wasser aufgesetzt. „Tee oder Kaffee?“ – „Ja.“

„Was jetzt?“ – „Kaffee, wenn Sie unbedingt wollen.“ – „Habe ich leider nicht, aber ich kann dir einen Fencheltee machen. Ist gesünder.“ Es zischt in der Küche, ich schaue mich um. Im Bücherschrank verschiedene Bücher mit Lebensratgebern, ein paar Hefte Psychologie heute. 

Sie kommt herein, zwei verschiedene Tassen in den Händen, eine davon für mich. „Ich bin Clara.“ – „Ach ja.“ – „Willst du mir nicht sagen, wie du heißt?“ – „Nein.“ – „Ach, komm schon. Du schmollst. Jetzt sag schon.“ – „Herr Müller“ lüge ich. Sie strahlt mich an. „Ein Deckname. Wie geheimnisvoll.“

[Das gibt es seit 14.02.25 als kleine Serie jede Woche]

14 Februar 2025

Nerds Diary: Etwas unentschlossen (S1/F1)

Etwas unentschlossen (S1/F1)

Etwas unentschlossen stehe ich im Supermarkt vor dem Regal mit den Süßigkeiten. „Soll ich dir beim Auswürfeln helfen?“ Ich drehe mich um, hinter mir steht eine Frau, etwa in meinem Alter, ähnliche Größe, halblange Haare, blaue Augen. „Ähm, nein, ich komme zu recht.“ – „Sieht aber nicht so aus.“ – „Doch, doch, ich komme zu recht.“

Pause, sie bleibt einfach hinter mir stehen, das macht mich nervös. Langsam drehe ich mich um „Kann ich Ihnen vielleicht helfen?“ – „Nein, ich komme zu recht.“ Das könnte jetzt so weitergehen, ich schnappe mir irgendeinen Keksriegel und will ihn in meinen Einkaufswagen werfen, aber der ist nicht da.

„Suchst du was?“ Ich werde rot, erwischt oder wütend. „Nein, alles gut.“ – „Vielleicht deinen Einkaufswagen?“ Ja, verdammt noch mal, meinen Einkaufswagen, denke ich, sage dann aber „Ach was, ich wollte noch ein wenig bummeln.“

„Hmja, dann bummel mal.“ Während ich mich umdrehe und möglichst gleichgültig durch die Gänge laufe, um meinen Einkaufswagen zu finden bleibt sie mir auf den Fersen. „Suchst du was Bestimmtes?“ – „Nein, einfach so. Sagen Sie mal, verfolgen Sie mich?“ – „Aber nein, ich will nur ein wenig bummeln.“

Tatsächlich entdecke ich im nächsten Quergang meinen Einkaufswagen, steuere ihn an, lege die Keksriegel hinein und mache mich auf zur Kasse. „Das ist aber eine ungesunde Mischung. Pizza, Cola, Spaghetti, Kekse.“ Sie inspiziert meinen Einkaufswagen.

„Sagen Sie mal, das geht Sie doch überhaupt nichts an.“ Ohne mich eines Blickes zu würdigen übernimmt sie den Einkaufswagen und steuert auf die Obsttheke zu. „Such dir was aus. Orangen sind im Angebot, viel Vitamin C. Mandarinen sind auch ok.“

Ich seufze, nehme einen kleinen Beutel Mandarinen. „Sehr gut“, werde ich gelobt, „jetzt noch irgendwas mit Salat und dann kann es zur Kasse gehen.“ Noch während ich mich beim Grünzeug umschaue ist sie verschwunden.

[Das gibt es jetzt als kleine Serie jede Woche]

07 Februar 2025

Erzähl mir deine Geschichte

Erzähl mir deine Geschichte
Ich sitze im Hotelzimmer, ein Arbeitstag liegt hinter mir, eine einsame Nacht vor mir. Auf dem kleinen Bürotisch mein Laptop, Maus und ein Notizblock. Daneben ein paar Pillen, die mir den Aufenthalt verschönern sollen. Keine wilden Dinge, aber was man so im Drogeriemarkt bekommt: aufhellende Koffeintabletten, nervenberuhigendes Johanniskraut, einschläfernder Hopfen. Ein paar der Tabletten sind heruntergefallen, liegen jetzt verstreut auf dem Boden, ich bücke mich, um sie aufzuheben.

Gerade ist ein Reporter bei mir, will für irgendein Lokalblatt ein Interview mit mir führen. Meine spannende Lebensgeschichte hören, sie ein wenig spektakulärer ausarbeiten und den Lesern zum Fraß vorwerfen. Er hält mir sein Mikrofon unter die Nase, "erzählen Sie mir Ihre Story". Doch es gibt kaum etwas zu erzählen, ich lasse ich ihn an wenig aufregenden Erinnerungen aus meiner Kindheit teilnehmen, berichte ein paar Erlebnisse meiner Schulzeit. Gelangweilt hört er mir zu, wartet auf exklusive Enthüllungen, sensationelle Erfahrungen oder einzigartige Szenen.

Die großen Taten kann ich ihm nicht anbieten, es sind die kleinen Lebensgeschichten, die mich geformt haben. Die Vielzahl von fast selbstverständlichen Szenen, die am Ende eine Veränderung in mir bewirkt haben. Er schaut aus dem Fenster, "ja", sagt er, "das ist wirklich höchst interessant" und will dann wissen, wie viele Klicks ich denn mit meinen Veröffentlichungen erreiche, wie viele Follower ich habe. Langsam werde ich unsicher, ob er mir überhaupt zugehört hat. Oder liegt es an mir, und ich werde langsam verrückt?

Auf dem kleinen Bürotisch findet sich noch eine Flasche Whiskey, ein paar Eiswürfel sind im Glas, es scheint mich anzulachen. Ein kräftiger Schluck rinnt mir durch den Hals, ich fühle, wie mich eine tiefe Gleichgültigkeit erfasst. Soll er doch schreiben, was er will. Was gut für ihn ist, was seine Leser lesen wollen.

"Oh", sage ich, "mein Bestseller ist über fünftausendmal aufgerufen worden. Über die Anzahl der Likes, der Kommentare, Erwähnungen und Verknüpfungen kann ich leider nichts sagen." Was ich auch gar nicht möchte. Es ist ein ganz eigener Kosmos, die Online-Konsumenten sind ein scheues Wild, lassen sich höchst ungern beim Lesen beobachten. Und wenn sie sich schon äußern, dann vorwiegend anonym. Niemand weiß so genau, warum der eine Artikel viral geht und der andere kaum Beachtung findet. An der inhaltlichen Qualität scheint es jedenfalls nicht zu liegen.

Mittlerweile dämmert es, der Reporter gähnt dezent, klappert seine typischen Themen ab und versucht nach besten Möglichkeiten, meinem langweiligen Leben einen Hauch von Extravaganz zu verpassen. Vielleicht ist mein Liebesleben ja berichtenswert, habe ich schockierende Praktiken, die ich heimlich auslebe. Oder es gibt ein Parallelleben, in dem ich nachts zum Werwolf werde. Drogen schmuggle. Kleine Kinder erschrecke. Oder eingängliche Tipps für das tägliche Leben oder eine außergewöhnliche Karriere in Petto habe.

Einen Schluck später bin ich soweit. Ich gebe ihm alles, was er will, phantasiere von exotischen Wertpapieren, erläutere ihm von nahezu unbekannten Sportarten, berichte ihm, wie ich auf Hawaii bei einem Ausflug einen uralten Eingeborenen kennengelernt habe, der mir einen magischen Zahn geschenkt hat. Und von der bildhübschen Latina, die mir diesen magischen Zahn gegen ihre Jungfräulichkeit abgeknüpft hat.

Jetzt wacht er auf, hält mir wieder sein Mikrofon unter die Nase, murmelt etwas von Vertrauen und will wissen, ob ich etwas von meiner Aura und meiner esoterischen Energie weitergeben könnte. Was wäre die Botschaft, die er seinen Lesern mitgeben soll? "Der Leser", sage ich, "der Leser ist der König. Er bestimmt, was geschrieben wird. Nicht umgekehrt." Verdutzt schaut er mich an. Es dauert einen Moment, bis er sich wieder fängt, dann meine ich zu erkennen, dass er zum ersten Mal an diesem Abend etwas verstanden hat. Mein Mitleid mit ihm. Vielleicht auch meine Arroganz, jedenfalls aber meine Resilienz gegen seinen impertinenten Wissensdurst.

31 Januar 2025

Das interessiert mich nicht

Stehtisch. Konferenz. Neben mir ein junger Mann in lässiger Kleidung, schiebt sein Glas auf dem Tisch hin und her, sein Namensschild kann ich nicht lesen, ich glaube, er kommt von irgendeiner Versicherung. Ja, bestimmt, ist er Außendienstmitarbeiter.

Gerade hat er mir etwas von Kunden, Künstlicher Intelligenz und seiner Einschätzung der weiteren Entwicklung erzählt. Ich höre ihm zu, auch die Ergänzungen seines Partners in schwarzem Rolli und betont unauffällig zur Schau getragenen Luxusuhr gehen mir durch den Kopf.

Wir haben nicht allzu viel Zeit, nach der Kaffeepause wird es in Kürze weitergehen. Ich schaue auf die Uhr des Rolliträgers und werfe ein, dass die Entwicklung auf dem technischen Feld auch einen veränderten Umgang mit den Kunden erfordert. Begriffe wie Vertrauen, Empathie und persönlichem Umgang spielen da aus meiner Sicht eine Rolle.

In einer Mischung aus Arroganz und Ärger schaut mich mein Gegenüber an. Ja, Empathie, also mit dem Wort kann er nicht so viel anfangen. Das klingt ihm eher nach Weichspüler und bei der Kundenansprache geht es um Geschäft, um Business. Da ist kein Platz für Kuscheln und Räucherkerzen.

Ob die Kunden für ihn eher Bezahlmaschinen seien, will ich wissen, eine Frage, die ihn offensichtlich eher verärgert als wachrüttelt. Sie zeige meine unprofessionelle Sicht der Dinge, muss ich mir anhören, selbstverständlich verkaufe er hochwertige Produkte und wolle die Kunden zufriedenstellen. Aber das nicht auf Kosten irgendeiner Psychonummer. Der Kunde stehe voll im Mittelpunkt, aber eben nicht so.

Das interessiert mich nicht
Es ist offensichtlich, dass wir zwei keine gemeinsame Meinung finden werden. Weder wird er einsehen, dass er es mit Menschen zu tun hat, die nun mal ein Gefühlsleben, eine emotionale Komponente, eine Seele haben. Noch kann ich mich dazu durchringen, diese Aspekte für den Abschluss eines Geschäfts beiseite zu legen.

Dieselbe Sache, ein Geschäft abzuschließen, und doch so unterschiedliche Standpunkte. „Geschäfte zu machen und Verträge abzuschließen ist ein Kampf, ein Wettkampf. Und den muss man gewinnen. Jede Schwäche führt zu einem misslungenen Abschluss“, dringt aus weiter Ferne an mein Ohr. Nein, denke ich, das sehe ich anders, ein Geschäft muss sich für beide Seiten lohnen, da ist kein Platz für Gewinner und Verlierer. Und für Kampf schon gar nicht.

Während ich diesem Gedanken noch nachhänge wendet sich mein Kampfvertreter an den Rolexträger, schwadroniert weiter über die Möglichkeiten Künstlicher Intelligenz und den Schub, den er sich davon für das Quartalsergebnis erwartet.

Es sind nicht die unterschiedlichen Gesprächsebenen, die uns trennen. Vielmehr der Kanon der Themen, die uns bewegen. Jegliche Formen nicht budgetierbarer Aspekte sind außerhalb seiner Aufmerksamkeit. Und mich sprechen seine Quartalsergebnisse, die Key Performance Indikatoren, sein Return on Investment und irgendwelche Deckungsbeiträge einfach nicht an.

Da beginne ich, mich über mich selbst zu wundern. Vielseitig interessiert, in zahlreichen Themen bewandert und neuen Impulsen gegenüber offen. Aber hier finde ich keinen Anknüpfungspunkt, scheint nicht so sehr das Thema, als vielmehr die gegenseitige Sicht auf die Welt im Wege zu stehen. Oder ist es die Einschätzung meines Gegenübers, dass ich ihm als Gesprächspartner nicht nützlich bin?

In seinen Augen scheine ich lesen zu können: „Egal was du sagst, es interessiert mich einfach nicht.“

24 Januar 2025

Was hast du eigentlich gedacht?

Was hast du gedacht

Ich im Konzert. Alles dunkel, um mich herum Sitzreihen, alle starren nach vorne, zur Bühne. Alle im Saal lauschen den Melodien, werden vom Orchester mit wechselnden Klängen versorgt. Musiker und Dirigent arbeiten sich durch die Partitur, bewegen ihre Arme, um die verschiedenen Instrumente zu bedienen.

Soweit für alle gleich. Aber was in den Köpfen vorgeht, das ist unterschiedlich. Der eine mag ganz in der Musik untertauchen, sich auf die Gefühle einlassen, die in ihm entstehen. Mit geschlossenen Augen folgt er den Tönen, generiert Bilder in seinem Kopf, schweift ab in bereits erlebte Szenen.

Man kann auch den Musikern zuschauen, vielleicht den ersten Geiger oder die Cellistin bei ihrem Tun beobachten. Sehen sie glücklich aus, wie mag das Zusammenspiel hinter den Kulissen gestaltet sein? Ob sie sich gegenseitig respektieren, wieviel Arroganz es wohl gibt und sie ihre tägliche Handarbeit gerne und fehlerfrei absolvieren.

Oder sich mit den Zuschauern beschäftigen, wie sie gebannt nach vorne schauen, im falschen Moment klatschen, wie sie sich in Schale geworfen haben und mehr oder weniger routiniert über das Konzert, den Rahmen und die Getränkepreise parlieren. Warum sie überhaupt hier sind, ob aus künstlerischem Interesse, Gewohnheit, Freundschaft oder weil es schick ist.

In Gedanken versinken über die Veränderungen der Musik über die Jahre, die Leistungen der unterschiedlichen Komponisten, deren Umfeld und das Leben der Kreativen vor dem unbeschriebenen Notenblatt. Auch hier gab und gibt es gute und schlechte, populäre und unbekannte Menschen. Was wohl die ausgemacht hat, die letztlich in die Bücher der Musikgeschichte eingehen. Das gute Musikprodukt zum einen, die Vermarktung zum anderen.

Und schließlich sitzen offensichtlich im Auditorium auch Menschen, die sich Gedanken über die Gedanken der Mitmenschen machen. Und das nicht nur hier im Konzertsaal, sondern auch im Alltag. Die über das Nachdenken nachdenken.

17 Januar 2025

Trauergesellschaft

Trauergesellschaft
Einer meiner Lieblingsschlipse hat sich erhängt. Er war schon immer ein wenig weinerlich, die Corona-Zeit hat ihn sehr belastet und er hat auch danach ganz schön durchgehangen.

„Durchgehangen“ echot mein Mickeymaus-Schlips. Er ist der Spaßvogel im Kleiderschrank und kann aus jedem Wort etwas Lustiges machen. „Durchgehangen ist ja bei Schlipsen eher ungewöhnlich. Die hängen und hängen, aber selten haben sie Beulen dabei.“ Aber heute kommt sein Witz nicht richtig an, um ihn herum hängen eine Reihe weiterer Krawatten, alle schauen ziemlich bedröppelt, schließlich ist so ein Suizid keine lustige Angelegenheit.

Selbst der schwarze Schlips trägt heute Trauer, er scheint noch dunkler zu sein als beim Kauf vor vielen Jahren. Oft genug hat er tröstende Worte bei Beerdigungen gehört, die ihm jetzt wieder durch den Kopf gehen. „Er stand mitten zwischen uns, bevor er so unerwartet aus dem Leben schied.“

Das ist wieder ein Impuls für die Mickeymaus. „Er stand doch gar nicht, er hat sich immer tragen lassen, und zwar um einen Hals herum“, witzelt er. Die anderen Schlipse rücken näher an den Verstorbenen heran, so recht scheint keinem der Sinn nach guter Laune zu sein. Eine kleine Trauergesellschaft, die sich hier bildet, die dem alten Gesellen die letzte Ehre erweist.

Ich schaue zu, ein wenig Bewegung hier und da, ein Geraune und Getuschel, wenn man genau hinhört. Gerade scheint der orangeblaue Schlips das Wort zu ergreifen, will ein gemeinsames Erlebnis zum Besten geben. Aber so weit kommt er nicht, weil jetzt die beste Freundin des Toten sich an den anderen Schlipsen vorbei zu ihrem ehemaligen Geliebten drängt und sich noch mal recht feste an ihn kuschelt.

Es ist eng auf der Krawattenstange, heute stört es auch nicht, dass der alte Seidenschlips sich trotz seiner Flecken immer noch als etwas ganz besonderes fühlt und die Einschlaglasche ziemlich hoch trägt. Die Weggefährten nehmen ausnahmsweise Rücksicht auf seine Arroganz, selbst die naive Jungfrau in sonnengelbem Kleid lässt sich von ihm nicht irritieren.

Überhaupt trägt sie wie immer dazu bei, dass man ein Lächeln auf das Gesicht bekommt. Ihre unnachahmlich heitere Art wirkt ansteckend und entfacht auch im dunklen Kleiderschrank immer einen Hauch von Sommergefühl. Bis auf die arbeitsgrauen und die gedeckt anthrazitfarbigen Genossen sind alle mit ihr befreundet.

Hilfesuchend schaut sich die Mickeymaus zu der Sonne um. Wenigstens eine, die nicht nur Trübsal bläst. „Er hat sich zu Höherem gestreckt, hat seine Erfüllung im Schmuck jedes blauen Hemdes gesehen.“, höre ich gerade den Blauorangen sagen. „Wir wollen uns an ihm ein Beispiel nehmen, jeder als Verzierung einer Farbe, seiner Farbe, seiner Bestimmung.“

Ein Blick in die Runde sagt mir, dass es jetzt depressiv wird, gleich fließen Tränen und das kann ich im Schrank nun wirklich nicht gebrauchen. Behutsam nehme ich den armen Gesellen ab und schließe fast lautlos die Schranktür. Vielleicht fangen sie sich schneller, wenn sie den Tod nicht so deutlich vor Augen haben.

Mit wenigen Schritten bin ich im Keller, und lege den Schlips vorsichtig in den Altkleidersack. Sicher ein etwas liebloses Grab, aber mit der Hoffnung auf die Auferstehung und ein neues Leben.

10 Januar 2025

Ausblicke sind mein Leben

Ausblicke sind mein Leben
Ich bin die Scheibe vor dem Badezimmer. Ich verbringe schon seit vielen Jahren meine Tage damit mich unsichtbar zu machen und abwechselnd nach draußen und nach drinnen zu schauen. Nachts genieße ich den Ausblick in den Garten und bei Neumond schlafe ich manchmal sogar dabei ein. Aber früh morgens, wenn das Ehepaar aufsteht, dann wird es von innen hell und ich bin sofort wach. Immerhin ist es dann meist noch so dunkel, dass ich nicht besonders durchscheinend sein muss. Von drinnen kann man zu der Uhrzeit ohnehin kaum nach draußen schauen.

Also nutze ich die Gelegenheit und schaue den Menschen zu, die jetzt im Bad herumlaufen. Sie putzen die Zähne, eine der Personen rasiert sich im Gesicht, die andere sucht im Badezimmerschrank herum. Dann ziehen sie ihre Schlafanzüge aus und stellen sich unter die Dusche. Ich schaue zu, wie sie die Haare waschen, sich einschäumen und das Wasser über den Körper laufen lassen.

Es erinnert mich an Regen, der an manchen Tagen gegen mich peitscht und kann die zufriedenen Gesichter der Duschenden gar nicht verstehen. Fast scheint es so, als ob sie freiwillig diese unangenehme Feuchtigkeit an ihren Körper lassen. Und dabei zügig immer wacher und lebhafter werden.

Jetzt gehen die beiden auch noch aufeinander zu, nehmen sich in den Arm und halten sich erst mal fest, bevor sie sich abtrocknen. Das geht nun wirklich zu weit, am liebsten würde ich gegen mich klopfen, damit dieses illustre Spiel ein Ende hat und sie sich zum Frühstück sputen. Aber leider bin ich im Rahmen eingespannt, so dass ich keinen Laut von mir geben kann.

Endlich gehen sie wieder zur gewohnten morgendlichen Eile über, abtrocknen, eincremen, anziehen und noch ein Makeup auftragen. Dann wird es leer im Badezimmer und ich kann wieder einen Blick nach draußen werfen. Ich liebe diese Phasen, wenn Ruhe einkehrt, meditativ kann ich mich endlich wieder mit meinem Leben als Fensterscheibe beschäftigen.

Ja, denke ich, amorph bin ich und glasklar ist nicht nur meine Erscheinung, sondern auch mein Geist. Diese wundervolle Kombination aus scheinbarer Stabilität, die aber doch einen (wenn auch ganz langsamen) Fluss in sich trägt, der ihre Form im Laufe der Jahre nahezu unmerklich verändert. Dazu die Beständigkeit und chemische Reaktionsträgheit in Vereinigung mit der Eigenschaft, bei Einwirkung von Gewalt in tausend Stücke zu zerspringen.

Draußen ist jetzt Tag, es ist hell, der Garten noch ein wenig winterlich kahl. Mein Leben ist viel langfristiger angelegt, wenn ich nicht zwischendurch irgendwelchen Beschädigungen oder Renovierungen zum Opfer falle. Schon so viele Winter habe ich gesehen, so oft das Absterben der Pflanzen im Herbst und das neue Sprießen im Frühjahr erlebt. Und auch das Ehepaar ist nicht das erste, das sich vor mir entblößt und mit seinen Ritualen in den Tag startet oder den Schlaf vorbereitet.

Der schnelle Rhythmus der Tage, der jährliche Zyklus der Natur, die Generationen der Menschen und die langen Leben der Bäume ziehen an mir vorüber, während ich mich noch nicht einmal mehr an meine Entstehung in der Glasschmelze erinnern kann. Ein Leben möglicherweise ohne Anfang, vielleicht war ich vorher schon ein Glas und wurde recycelt.

So hänge ich meinen Gedanken nach und merke gar nicht, wie es langsam Mittag wird. Die Sonne hat schon ein wenig Kraft und es wird draußen wärmer. Die Spannungen zur Innenseite nehmen ab, auch der Rahmen gibt jetzt eine wohltuende Wärme ab. Ich recke mich ein ganz klein wenig, dehne mich unter Einfluss der zunehmenden Temperatur etwas aus und schmiege mich an den Rahmen, der seine Größe deutlich weniger verändert.

Gerade kommt wieder jemand in das Badezimmer, es gab wohl Mittagessen und die Zähne werden noch mal gereinigt. Es ist spannend, diese Aktivität zu verfolgen, eine kleine Abwechslung, über die ich in den nächsten Stunden nachdenken kann. Die längste Zeit ist dann normalerweise bis zur Bettruhe. An manchen Tagen kommt dann mal jemand und holt irgendetwas aus dem Badezimmerschrank, bringt etwas oder nimmt sich Verbandszeug.

Aus meiner Erfahrung ist das am Wahrscheinlichsten, wenn ich vorher im Garten Bewegung sehe. Dann sind da Leute, die an den Pflanzen herumwerkeln, hier Blumen pflanzen und dort Äste abschneiden. Kleine oder mittelgroße Blessuren sind dann geradezu vorprogrammiert und es dauert nicht lange, bis irgendwer mit Blut an den Fingern hereingestürzt kommt. Dann schaue ich abwechselnd nach draußen und drinnen, versuche den weiteren Verlauf zu erraten und frage mich, ob die Gartenarbeit gleich fortgesetzt wird.

Doch jetzt ist Winter, da liegt der Garten brach und die Unfälle sind höchst selten. Insofern sehr geruhsame Nachmittage, an denen ich in Urlaub fahren könnte, wäre da nicht die Kälte auf der Außenseite abzuhalten. Der fortwährende Kampf gegen den Wärmedurchgang kann natürlich nicht einfach pausieren. Es ist mir klar, dass ich sofort ausgetauscht werde, wenn ich diese Funktion nicht mehr vollständig erfülle.

Aber ich bin stolz darauf, dass ich auch in meinem hohen Alter immer noch so klar bin, die Energie der Sonne für die Erwärmung des Innenraumes zu nutzen weiß und die Kälte dort belasse, wo die Menschen sie haben wollen. Ein Blick noch mal zur ruhenden Badewanne, dem spiegelnden Waschbecken und den Parfümflakons. Alles hat seine Ordnung, ich kann mal ein wenig einduseln.

03 Januar 2025

Bist du wahnsinnig?

Bist du wahnsinnig
Wir sitzen bei einem Kaffee zusammen, ich erzähle meinem Freund von meinem geplanten Stellenwechsel. Erst hört er mir aufmerksam zu, dann erwähne ich die neue Gruppe, in der ich tätig sein werde. „Bist du wahnsinnig?“, zischt er mich an, „das sind alles Arschlöcher!“.

Einen Moment bin ich schockiert. Er kennt die Leute, hat im Gegensatz zu mir schon mit ihnen zusammengearbeitet. Und hat so ein vernichtendes Urteil über diese Personen. Mein Kaffee steht vor mir, hat längst aufgehört zu dampfen, was aber auch an der Milchhaube liegen könnte. Wird am Ende in beiden Fällen nichts so heiß getrunken wie es gebrüht wurde?

Das Gespräch geht weiter, er berichtet von allerlei Situationen, in denen er schlechte Erfahrungen gemacht hat. Aufgelaufen ist er, ja, geradezu von Mobbing könnte man sprechen. Sehr schwierige Charaktere, die sich in dieser Organisationseinheit versammelt hätten. Er sei vor einiger Zeit dort gegangen, sicher, das hatte auch etwas mit der in Aussicht stehenden Führungsposition zu tun.

Sein Lebenslauf ist anders als meiner, sein Charakter auch. Es steht außer Zweifel, dass ich andere Erfahrungen machen werde als er, nicht unbedingt bessere, das ist mir klar, aber ich habe eine gewisse Chance, einen grüneren Zweig zu erwischen. Ob denn nichts gut gewesen wäre, will ich von ihm wissen.

Tatsächlich muss er erst kurz nachdenken, aber dann fallen ihm doch noch ein paar lobende Worte für den einen Kollegen und eine gewisse Anerkennung für einen anderen ein. Und der Chef, der war immerhin ein Lichtblick. Sonst hätte er es ja nicht so lange ausgehalten. Aber trotzdem fragt er sich, ob ich mir das richtig überlegt hätte.

„Nein“, erkläre ich ihm, „ich kann mich für den Gruppenleiter begeistern, das Thema habe ich mir gar nicht so genau angeschaut und die Mannschaft auch nur kurz überflogen. Die meisten kenne ich nur flüchtig und die Kollegen in den kooperierenden Bereichen sogar noch weniger.“

„Siehst du, genau das war der Fehler“ raunt mir mein befreundeter Arbeitskollege jetzt zu. Du darfst doch nicht nur nach einer Person gehen, es gibt so viele Typen, die in dem Umfeld unterwegs sind und alle können dir das Leben schwer machen. Was sie dort übrigens auch tun.“

Mir rutscht das Herz in die Hose. Sollte ich mich wirklich so vertan haben, geblendet von irgendeinem Aspekt, der mir bei meinem Wechsel im Mittelpunkt zu stehen schien? Lagen jetzt Zeiten des Kleinkriegs, dauernder Reibereien und mühsamer Arbeit vor mir? Wäre es nicht sogar ratsam, den Wechsel noch abzublasen und aus einer ruhigen Position heraus noch mal genauer hinzuschauen?

Wir wechseln das Thema, nicht ohne dass er mich noch mal eindringlich ermahnt, die versäumte Beschäftigung mit der neuen Stelle nachzuholen. Dann geht es um Ferien, Urlaube und irgendwelche politischen Geschichten, die ich nur mit halbem Ohr aufnehme.

Irgendwann beenden wir dann unseren Austausch, er eilt wieder an seinen Arbeitsplatz, während ich ein wenig energielos noch einen Moment sitzenbleibe. Just in dem Augenblick kommen drei Kollegen der neuen Gruppe in die Cafeteria, haben wohl jetzt ihren Nachmittagskaffee hier geplant. Fröhlich begrüßen sie mich, fragen, ob ich schon gehen wolle oder nicht noch ein paar Minuten mit ihnen sitzenbliebe.

Ich lasse mir meine Irritation nicht anmerken, habe ich sie doch gerade in schlechtem Licht dargestellt bekommen und werde jetzt nahezu freundschaftlich behandelt. Natürlich bleibe ich sitzen, trinke noch eine Cola und erfahre etwas über die zukünftige Arbeit, dass sie sich auf meine Unterstützung bei der zunehmenden Arbeitslast freuen und vor allem große Hoffnung darein setzen, dass wir gemeinsam eine engere Kopplung mit den Fachbereichen hinbekommen.

Vorsichtig fühle ich mit der einen oder anderen Frage in Richtung absehbare Reibereien, kritische Töne oder verfahrene Situationen nach. Aber es klingt alles ziemlich harmlos. Sicher, es gibt viel zu tun, sei es hinsichtlich Arbeit, sei es hinsichtlich Team, aber es scheint machbar; Was sich auch mit der Darstellung der Führungskraft deckt.

Als wir uns schließlich trennen erwähnen sie noch meinen Kollegen, von dem sie sich freiwillig getrennt hätten, weil er den Zusammenhalt regelmäßig gestört hätte, aber „Schwamm drüber, jetzt bist du ja demnächst da.“

Happy End: Beide Seiten hatten in gewisser Hinsicht Recht. Die ersten Monate waren geprägt vom Aufbau einer positiven Zusammenarbeit mit anderen beteiligten Gruppen, insbesondere die Entwickler waren dabei anfangs wirklich schwierig ins Boot zu bekommen. Aber nach einiger Zeit nahmen die Spannungen ab und zum Jahreswechsel konnten wir uns schon so gut in die Augen schauen, dass wir gutgelaunt eine lustige Feier zusammen hinbekamen.