14 November 2025

Ich schreibe, damit du was zu lesen hast

Ich sitze in der S-Bahn, um mich herum haben alle Fahrgäste ein Smartphone in der Hand. Nahezu alle starren darauf, lesen offensichtlich irgendwelche Texte, schauen sich Bilder an oder hüpfen von Seite zu Seite, von Thema zu Thema. Ich sitze dabei, habe mein Laptop auf dem Schoss und frage mich, ob ich auch zur digitalen Gesellschaft gehöre, weil ich ja schließlich auch elektronisches Equipment vor mir habe, statt aus dem Fenster zu schauen und die Landschaft zu genießen.

Ich schreibe damit du was zu lesen hast

Doch so ist es nicht. Irgendwer konsumiert, irgendwer muss aber auch die Inhalte bereitstellen. Und einer davon bin ich. In Abwandlung von Descartes könnte man  sagen "Ich schreibe, also bin ich." (Scribo ergo sum), meine Mission. Doch das interessiert nicht, denn ich befinde mich in Gesellschaft, Millionen Personen weltweit erstellen pausenlos Texte, ergänzen Bilder, posten Inhalte in tausenden von Plattformen und hunderttausenden von Foren.

Früher hätte man vielleicht mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit sagen können, dass ein Redakteur der Frankfurter Allgemeinen mit einigen seiner Leser in der Frankfurter S-Bahn sitzt. Ein vergleichbares Szenario ist heute nahezu ausgeschlossen, ist die Zahl der Redakteure wie auch der Plattformen doch viel größer. Irgendwer schreibt, irgendwer liest. Irgendwo.

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07 November 2025

Bewerbungstext in Stromlinienform

Bewerbungstext in Stromlinienform

Ich bin ein
moderner
fachkompetenter und erfahrener Mitarbeiter, der mit 
agiler Denkweise und 
hoher Motivation überzeugt. 
Teamfähigkeit und 
Kommunikation zählen ebenso zu meinen Stärken wie 
Innovationsfreude und 
Weltoffenheit. Auch in herausfordernden Situationen bleibe ich 
belastbar und 
lösungsorientiert – immer mit dem Ziel, gemeinsam erfolgreich zu sein.

Fehlt noch was? Vielleicht folgende altmodische Eigenschaften, die keiner mehr braucht:

Ich bin kein 
freundlicher oder 
hilfsbereiter Mensch. 
Geduld liegt mir ebenso fern wie 
Großherzigkeit oder 
Sorgfalt
Wertschätzung und 
Bescheidenheit zählen nicht zu meinen Stärken, und 
Mitdenken überlasse ich lieber anderen. 
Rücksicht und 
soziales Verhalten sind für mich Fremdwörter – ich arbeite nach meinem eigenen Rhythmus.

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31 Oktober 2025

Alte Runde

Euch wiederzusehen war eine Freude. Wahrscheinlich waren es die Stehtische, an denen wir uns versammelt hatten, die alten Geschichten, die wir aus unseren Rucksäcken herausholten. Lag eine leichte Patina über allem, waren die Schuhe eine Erinnerung an frühere Zeiten, die Kleidung eine Anspielung auf vergangene Lebensphasen und die Gesten der Versuch, die ganze Szene zu umarmen.

Alte Runde
Dieser Spagat zwischen Hier-und-jetzt und unserer fast vergessenen Vergangenheit. Der Versuch, sich zurückzuversetzen, die Gefühle aus der Erinnerung abzurufen und vielleicht sogar wieder aufleben zu lassen. Die Frage zu beantworten, was von alledem geblieben ist und was für immer in die Tiefen des Archivs gehört. Szenen, die wir uns ins Gedächtnis rufen, Ereignisse, die schon einen Hauch von Vergoldung bekommen haben.

Die Jahre zu überbrücken, in Gedanken und durch Nachfragen die Lücke zu füllen. So viel, was sich getan hat und so wenig, was unsere Charaktere verändert hat. Im Zug des Alterns zu sitzen und aus dem Fenster zu schauen. Die Partner und Kinder hinzuzunehmen, die Sorgen von damals verschwunden, die Sorgen von heute als Ablösung.

Das Anderssein zu ertragen, die unterschiedlichen Entwicklungen zu akzeptieren. So wenig Gemeinsamkeit und doch so viel was uns verbindet. Die Vergangenheit als Echo unserer Geschichte, die Gegenwart als Beweis für Bindungen. Was aus uns geworden ist, wie sich das Leben verändert hat und wie die alten Werte noch aufblitzen.

Diese Sammlung neuer Eindrücke, die mit Erfahrungen, Erlebnissen, Erinnerungen in Einklang gebracht werden müssen. Die Fragen, die dadurch entstehen und beantwortet werden wollen. Und der Versuch, sich selbst hierzu ins Verhältnis zu setzen. Was geblieben ist, sich verändert hat, dazu gekommen ist. Hier wie da.

Am Stehtisch diese lebhafte Diskussion und Gelächter über ein Weißt-du-noch. Eine mir fremde Geschichte in einem Spielfilm, in dem ich mal eine Rolle gehabt habe. In einer früheren Staffel, längst ersetzt durch einen anderen Darsteller. Revival-Feeling in der Originalbesetzung, wir stoßen an und prosten uns zu.

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24 Oktober 2025

Einer flog über das Kuckucksnest

Ich mache eine kleine Pause vom Einkaufsbummel und sitze in einem Bistro, um mich für den Mittag mit einem Salat zu stärken und nach einem Espresso in die nächste Runde zu gehen. Das Restaurant ist ziemlich voll, einzig der große runde Tisch neben mir ist aktuell unbesetzt.

Gerade geht die Tür auf, kalte Luft weht herein, ich drehe mich um. Zuerst sehe ich nur einen breiten Kinderwagen, dann die schiebende Mutter. Dahinter ein weiterer Kinderwagen, Ausmaße wie ein SUV mit Anhänger, eine weitere Mutter, dann ein Kind und zwei Männer.

Zielstrebig arbeiten sie sich auf den runden Tisch vor. Die Kinderwagen stoßen mal hier gegen einen Tisch, dort gegen einen Stuhl, die Gäste rücken zur Seite so gut es geht, aber der Platz reicht nun einmal nicht. Giftig fährt die erste Mutter eine junge Frau an und fordert sie auf, den Weg irgendwie freizuräumen.

Nach und nach erreicht die Karawane den Tisch. Was gerade noch an Dekoration und Decke darauf stand, muss der Kindervorbereitung weichen, zwei Wickeltaschen thronen jetzt an den noch nicht besetzten Plätzen, die Kinder in ihren Wagen sind offensichtlich unzufrieden und stimmen ein ohrenbetäubendes Geschrei an.

Ungerührt schälen sich die Erwachsenen aus ihren Jacken, winken die Bedienung heran, weil sie Kinderstühle brauchen. Damit kann das kleine Bistro nicht dienen, was zu lautstarken Diskussionen und der Betonung der Kinderfeindlichkeit in Deutschland, in diesem Ort, in diesem Restaurant führt.

Ziemlich fluchtartig sucht ein älteres Ehepaar das Weite, der freiwerdende Tisch wird zur Seite geschoben und die sich auftuende Lücke für das Parken eines der Kinderwagen verwendet. Zwei Gäste weniger, die man bewirten kann und immer noch ein Kinderwagen, der den Durchgang versperrt.

Einer flog über das Kuckucksnest
Jetzt ist das erste Kind aus dem Kinderwagen herausgehoben worden, weint und tobt noch immer, in den Babytaschen wird nach beruhigendem Spielzeug gesucht. Das größere Kind spielt inzwischen unter dem Tisch verstecken, stößt dabei mit dem Kopf an ein Tischbein und kommt heulend hervor. Die Geräuschkulisse hat sich zu einer Art dreistimmiger Fanfare entwickelt, einer der Väter versucht sich mit kräftiger Stimme durchzusetzen und eine Bestellung zu organisieren.

Die Bedienung bahnt sich einen Weg zum Tisch, wird scharf kritisiert, weil sie dafür den querstehenden Kinderwagen zur Seite rollen muss, während sie versucht, die im Lärm untergehenden Wünsche, Sonderwünsche und Abwandlungen der Menükarte zu einer Bestellung zu sortieren.

In ballettreifer Bewegung geht es auf der anderen Seite des Kinderwagens zurück zum Kuchenbuffet, wo eine Reihe Gäste bereitsteht, die unverzüglich zahlen möchte. Die Bedienung ist sichtlich überfordert, bringt aber erst mal Getränke zu dem Familientisch, um sich ein wenig Zeit zu verschaffen.

Keine gute Idee, denn der Junge hat jetzt einen Wutanfall und wirft das Glas mit irgendeiner Limonade auf den Boden, das Glas zerspringt, die Limo spritzt, ich merke, wie mein rechtes Hosenbein nass wird. Die Eltern sind betroffen und sichtlich bemüht, das aufstampfende Kind zu beruhigen und natürlich muss jetzt schnellstmöglich eine neue Limonade her.

Etwa zehn Minuten später sind diverse Tortenstücke, Eisbecher, Kaffee und Limonaden auf dem Tisch, das Lokal leert sich, nur an der Theke sind noch ein paar Kunden, die To-go einkaufen. Hatte ich gedacht, dass es ruhiger wird, dann war das eine Fehleinschätzung. Die beiden Kleinkinder jeweils auf dem Schoß ihrer Mütter sind mit Löffeln ausgestattet, mit denen sie um die Wette auf die Tortenstücke einschlagen. Die Sahne spritzt durch die Gegend, am Besteckschrank laufen weiße Sahne-Rinnsale herunter.

Endlich kommt ein junger Mann als weitere Bedienung dazu, er beginnt mit einem Schrubber die Limonadenlache unter dem Tisch zu entfernen und die Glassplitter wegzufegen. Der Junge schaut ihm einen Moment zu, dann springt er mitten in den zusammengefegten Haufen, das Glas knirscht unter seinen Schuhen, Splitter verteilen sich im gesamten Umkreis, die Limonadenpfütze spritzt.

Der Kellner wird wütend, sein Gesicht läuft rot an, er öffnet den Mund, wird aber energisch von seiner Kollegin weggezerrt, bevor er etwas sagen kann. „Halt bloß die Klappe“, höre ich sie zischen, „sonst sind wir auch noch ausländerfeindlich.“ Und tatsächlich scheint die Gesellschaft eher auf Angriff als auf Entschuldigung aus zu sein, die entstandene Sauerei scheint sie nicht sonderlich zu beeindrucken.

Irgendwann wird dann bezahlt, in aufwändiger Arbeit werden die Kleinkinder in die Kinderwagen verfrachtet, der Junge umrundet in Bestzeit den Tisch, wobei er mal hier, mal dort gegen einen Nachbartisch stößt und die noch verbliebenen Gäste ihre Not haben, Teller und Gläser soweit zu sichern, dass sie nicht auch noch auf dem Fußboden landen.

Es wird ruhig, nach einem kalten Luftstrom schließt sich die Tür hinter den Familien. Die beiden Bedienungen kommen und fangen an, das Durcheinander zu ordnen, die Möbel abzuwischen und den Boden so gut es geht zu reinigen.

„Es sind halt Kinder.“, sagt eine ältere Frau zu ihrem Mann, „Da kann man nichts machen.“

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17 Oktober 2025

Willi, der Pilot

Inspiriert von meinem Flug mit der Condor nach Teneriffa.
Willi der Pilot

Ich war verdonnert worden, mit Willi zu fliegen. Ihm eilte ein ganz eigener Ruf voraus, er war unbeschreiblich eigenwillig, dabei aber auch unentbehrlich. Aus den Resten der zerstörten Flugzeuge hatte er einen Flieger zusammengeschraubt, den definitiv niemand außer ihm bedienen konnte.

Nun stand er vor mir, musterte mich, kaute auf seiner Unterlippe herum und drehte den Kopf abwechselnd zur Sonne und zu den Hügeln, die unseren Flughafen schützend umgaben. Flugplatz – was für ein Wort für eine Piste, die einige Rekruten mit bloßen Füßen festgetrampelt hatten. Die Reifen seiner Maschine würden ganz schön zu kämpfen haben, die normalen Mechaniker schüttelten den Kopf bei dem Gedanken, hier starten zu wollen.

Unser Auftrag bestand darin, Lebensmittel und Benzin hinter die feindliche Linie zu bringen. Ein Himmelfahrtskommando, wie Willi mit geschlossen Zähnen vor sich hin zischte. Eigentlich sollten wir Waffen transportieren, aber da hatte er sich geweigert. Mit dem ganzen Blutvergießen, dem Morden und überhaupt dem ganzen Krieg wollte er nichts zu tun haben. Dass er überhaupt hier stand, war Druck und Erpressung zu verdanken.

Sie hatten ihn schon an die Wand gestellt, die Burschen hatten auf Befehl angelegt, als selbst dem kopflosen Feldwebel klar wurde, dass das Standgericht dazu führen würde, dass er überhaupt kein Flugzeug mehr in die Luft bekäme. So wurde Willi im wirklich allerletzten Moment begnadigt, der Munitionstransport gesichtswahrend in einen Flug für Treibstoff umgewandelt.

Seinen Willen durchzusetzen, auch wenn er dafür dem Tod ins Auge schauen musste, schien in Willi verankert zu sein. Er schien überhaupt keine Angst vor irgendetwas zu haben, und insofern konnte man seine Entscheidung noch nicht mal unter Androhung der Todesstrafe beeinflussen.

Der geänderte Auftrag war allerdings immer noch verrückt genug und gleich die nächste Gelegenheit, das Schicksal herauszufordern. Die Frontlinie zu überfliegen, mit einer klapprigen Militärmaschine ins unbekannte Land einzudringen und dort auf der Basis unzuverlässiger Karten ein Ziel zu erreichen, war eine kühne Herausforderung.

An den Tragflächen waren an allen möglichen und unmöglichen Stellen Benzinkanister mit Seilen angebunden, im Bug waren Säcke mit Lebensmitteln untergebracht. Wo noch ein bisschen Platz war, waren noch weitere Gegenstände und ein paar Decken hineingestopft. Es herrschte drangvolle Enge rund um den Pilotensitz und den dahinter angeschraubten Sitz für den Copiloten.

„Die Lady“ wie Willi diese Konstruktion aus Blech, Holz und Spannbahnen liebevoll nannte, war damit an der absoluten Lastgrenze. Im Grunde war sie sogar darüber. Mein Angebot, auf das Mitfliegen zu verzichten und so noch mal ein paar Kilogramm Ladung zu ermöglichen lehnte er ab, ohne seine Miene zu verziehen.

Mein Job sollte darin bestehen, die Navigation zu übernehmen. Ich war darin einigermaßen geübt und deshalb für diesen Höllentrip ausgewählt worden. Aber außer meiner Erfahrung und ein paar nahezu unbrauchbaren Karten hatte ich so gut wie keine Hilfsmittel zur Verfügung. Natürlich war Willi auch an dieser Stelle ein zentraler Lieferant, hatte einen zerdrückten Kompass repariert und einen Sextanten gebaut.

Jetzt schlurfte er auf die Lady zu, tätschelte den Motor und zog seine Ledermütze fest. Mit einer Armbewegung bedeutete er mir, dass ich hineinklettern sollte, ich stemmte mich an der Tragfläche hoch, schwang das eine Bein über die Luke und quetschte mich in den Sitz. Karte in die Ledertasche neben mir, den Kompass dazu und den Sextanten wie ein Heiligtum auf den Schoß.

Es wackelte, als Willi sich auch in die Maschine zwängte, jetzt hörte ich auch Schnaufen im Kopfhörer und wie er mir kurz seine Litanei aus Checkup herunterbetete. Von Zeit zu Zeit bewegte sich irgendwas am Flugzeug, mal das Seitenleitwerk, mal die Klappen in den Tragflächen. Die normalen Bremsklappen von anderen Kleinflugzeugen hatte Willi gegen einen Mechanismus aus Start- und Landeklappen von einem abgestürzten Bomber ausgetauscht und behauptete, dass er dadurch besser manövrieren könnte.

Schließlich schien er seine Überprüfung abgeschlossen zu haben, er winkte einen Soldaten herbei und ließ den Motor starten. Der Rolls Royce sprang sofort an, immerhin dies ein Zeichen, dass die Technik möglicherweise funktionieren würde. Einige Minuten standen wir tuckernd auf der Startbahn, Windrichtung Nord-Ost, der Verlauf der Startbahn Nord-West. Nicht gerade ideal, aber es könnte schlimmer sein.

Kaum Zeit für einen Gedanken an das eigene Leben oder die Familie, ging das Rattern und Tuckern in ein Heulen und Pfeifen über. Ich fühlte, wie der Propeller schneller wurde und das Flugzeug langsam voranzog. Die Reifen mussten über den holprigen Untergrund, hoffentlich hielt das Fahrwerk der Belastung aus überladener Maschine und provisorisch geflickten Schlaglöchern stand.

Wir wurden immer schneller, es rappelte und rumpelte, einen Moment wünschte ich, dass ein Bein brach, so dass wir den Flug abbrechen mussten. Aber es wäre nur eine Verschiebung gewesen und wer weiß, vielleicht wären wir mit den ganzen Benzinkanistern auch in Flammen aufgegangen. Jedenfalls passierte nichts dergleichen, plötzlich war das Rumpeln weg, wir hatten abgehoben.

Schwerfällig hob sich die Lady vom Boden, Höhenleitwerk und Startklappen taten was sie konnten, Willi saß vor mir und zog an verschiedenen Seilen und Steuerknüppeln. Eine leichte Kurve direkt über dem Boden, denn wir mussten so bald wie möglich in Gegenwind kommen, damit wir den notwendigen Auftrieb erreichten.

Zwischen den schützenden Hügeln konnte sich die Windrichtung aber mit zunehmender Höhe noch mal ändern, das wäre ganz schön kitzlig, weil es dann knapp werden dürfte, auf die Höhe zu kommen, die wir brauchten, um über die Baumwipfel zu fliegen. Und tatsächlich ging Willi in eine leichte Rechtskurve, korrigierte den Kurs noch mal und ich fühlte, wie wir fast schlagartig an Höhe gewannen.

Einen Moment vergaß ich die verrückte Situation, in der ich mich befand, schaute aus dem Fenster, ließ die Landschaft an mir vorbeiziehen und schaute den im Wind wackelnden Benzinkanistern zu. Die Hügel lagen jetzt immer weiter unter uns, über mir konnte ich die Wolkendecke erkennen, jetzt würde es gleich unruhig werden, die Lady musste sich hindurchkämpfen und würde ganz schön rappeln. Ich zog den Sicherheitsgurt noch mal fest.

Vor mir Willi, seinen Blick konnte ich von hinten nicht erkennen, aber sicher schaute er mit zusammengekniffenen Augen voller Konzentration auf die paar Instrumente und in die weiße Masse vor uns. „Kurs?“ kam durch den Bordfunk. „Zwei Grad steuerbord. Sonst ok.“

Wir blieben dann doch unter der Wolkendecke und flogen eine halbe Stunde weitgehend geradlinig West-Süd-West. Plötzlich ein Knall. Dann noch einer. Zuerst dachte ich an eine Fehlzündung, doch dann wurde mir klar, dass es zwei Einschüsse waren. Wir waren entdeckt worden und mussten mit weiterem Beschuss rechnen.

Das Knallen wurde jetzt häufiger, ich konnte den Geruch von Benzin wahrnehmen, vermutlich hatten sie einen der Benzinkanister getroffen. Willi zog jetzt hoch, die Wolken kamen näher, er flog Schlangenlinien und gleichzeitig Wellen. Mir wurde schlecht. Die immer dünner werdende Luft machte das Atmen schwerer, meine Brust fühlte sich wie eingedrückt an.

Da, wieder ein Knall und diesmal war danach ein Loch im Boden zwischen meinen Füßen, ein paar Zentimeter und es hätte meinen linken Fuß erwischt. Willi arbeitete wie ein Wilder, die Lady wackelte und drehte sich, hoffentlich ein schwieriges Ziel, aber gleichzeitig wurde mir übel. „Reiß dich zusammen!“ ging mir durch den Kopf und der Befehl an meinen Magen, seinen Inhalt zu behalten.

Endlich wurde es ruhiger, aber nur für einen Moment, dann noch mal ein durchdringender Schlag. Ich wusste sofort, das war jetzt nicht gut und trotz festsitzendem Sicherheitsgurt konnte ich mich so weit nach hinten drehen, dass mir der fehlende Teil des Höhenruders ins Auge fiel. Willi zog mit der Startklappe nach, ein Glück, dass er sich diese Konstruktion ausgedacht hatte. Trotzdem bekamen wir Schlagseite und das Erreichen der rettenden Wolkendecke wurde weiter erschwert. An weitere Haken und Kurven war nicht mehr zu denken, in der Luft zu bleiben war schon Herausforderung genug.

Ich atmete tief durch, auch Willi war ganz ruhig und durchstieß jetzt ohne weitere Vorbereitung die Wolkendecke. „Gut“ kommentierte ich über Bordfunk, aber keine Antwort. Es war ruhig, merkwürdig ruhig, zu ruhig. Wir waren auf rund zehntausend Fuß Höhe und stiegen weiter, das konnten wir auf Dauer nicht halten, sonst würde die Luft ohne Sauerstoff irgendwann zu dünn.

Ich schlug gegen den Sitz vor mir. Nichts. Nochmal rüttelte ich an dem Sitz vor mir, brüllte in das Mikrofon, aber vor mir herrschte Stille. Vielleicht hatte er eine der Kugeln abbekommen und hing jetzt schwer verletzt oder sogar tot im Sitz vor mir. Dabei stieg die Lady weiter und weiter, nach meiner Schätzung mussten wir weit über elftausend Fuß erreicht haben, jetzt rutschte die rechte Startklappe langsam in die Tragfläche, die daraufhin absackte und uns in eine Spiralbewegung führte.

Ganz langsam aber unaufhörlich drehte sich der Rumpf um die eigene Achse, wie eine Schraube, die sich in einer Wand vorarbeitet. Ich schlug wieder gegen den Sitz, merkte, wie meine Handgelenke schmerzten und sich trotzdem nichts tat. Mit den Füßen suchte ich in den Streben nach irgendwelchem Halt, immer wieder machte ich unfreiwillig Kopfstand und musste gegen die zurückgedrängte Übelkeit und die Sauerstoffknappheit ankämpfen.

Wir würden sterben, wenn ich nicht irgendwas machte. Beim nächsten aufrechten Sitzen löste ich mutig den Sicherheitsgurt, rutschte nach vorne und zog an Willis rechtem Arm. Wie vermutet hatte er die Schlinge der rechten Startklappe um sein Handgelenk gelegt und ich sah, wie der kleine Blechstreifen sich wieder aus der Tragfläche schob. Sofort hörte die Schraubenbewegung auf, aber wir stiegen weiter.

Ich presste mich fest an den Sitz vor mir, brüllte immer wieder irgendwelche Laute ins Mikrofon in der Hoffnung, Willi aufwecken zu können. Ich ließ seinen rechten Arm los und schnappte mir den linken, drückte in nach vorne, dann ganz schnell wieder zum rechten Arm, auch nach vorne. Mal kippte sie nach links, dann sofort wieder nach rechts. Präzisionsarbeit in einer wackelnden, stampfenden, durch Luftlöcher springenden Maschine.

Aber im Angesicht des Todes lernt man schnell, und wenn es auch nicht wie ein Kunstflug aussah, ging es doch langsam abwärts, durch die Wolken, rappelnd und stotternd, aber abwärts. Die Luft war nicht mehr so dünn, ich fühlte mich etwas besser, auch der Magen gab ein wenig Ruhe. Erst jetzt sah ich, dass ich mich mehrfach übergeben hatte, meine Stiefel waren voll und der scharfe Geruch des Erbrochenen füllte die Kabine.

Diese Situation hatten wir überstanden, aber jetzt wurde mir das nächste Problem klar. Weder konnte ich in dieser Position navigieren, noch das Flugzeug steuern und erst recht nicht landen. Wie sollte ich die handtuchkleine Landebahn finden, wie sollte ich gezielt die Höhe reduzieren, den richtigen Kurs für den Anflug einleiten und am Ende so sanft aufsetzen, dass die Lady nicht komplett auseinanderbrach.

Im Moment wusste ich gar nichts. Weder wo ich war, noch wie ich ans Ziel kommen sollte, noch wie ich steuern sollte, noch wie ich den Boden erreichen sollte, ohne dabei sterben. „Oh Gott, verdammt, verdammt, verdammt.“ Völlig sinnlos und einfach nur verzweifelt ruderte ich weiter mit den Startklappen, schaute auf die Landschaft und brüllte weiter ins Mikrofon.

„Ja?“ kam von vorne. Als wäre nichts gewesen, verschwand die Lederjacke mit den Armen aus meinem Griff, stabilisierte sich das Geschwanke. „Kurs?“ Ich war einen Moment sprachlos, drückte mich zurück auf meinen Sitz, schloss wieder den Sicherheitsgurt, fischte in den Taschen nach Kompass, Sextant und Karte. „Zweiundzwanzig Grad backbord. Vorsicht Hügelkette steuerbord.“ Die Maschine schwenkte deutlich nach links, die beängstigend aufragenden Hügel verschwanden rechts aus meinem Sichtfeld.

Erst mal orientieren, verbleibende Flugzeit nur noch neun Minuten. Ich atmete wieder tief durch, meine Hände schmerzten vom Traktieren des Sitzes, meine Stimme war rau vom dauernden Brüllen, mein linkes Bein musste ich mir bei einem der Überschläge eingeklemmt haben, das Knie dabei wohl verdreht, was ich jetzt erst merkte.

Willi zog noch mal etwas hoch, wir waren bei etwa tausend Fuß und sausten unserem Ziel entgegen. War das da vorne nicht sogar schon die Basis, Willi sank wieder ab, flog einen leichten Bogen, vermutlich um die optimale Anflugrichtung herauszubekommen. Augen zu, war es eine Halluzination, oder eine gestampfte Piste, auf der die Lady aufsetzen sollte.

Sekunden später das Rumpeln der Luft gegen die Landeklappen, das behutsame Aufsetzen der Reifen, erst rechts, dann links, das Bugrad noch eine Weile in der Luft. Die Lady hüpfte und fast dachte ich, jetzt zerbricht sie doch noch, aber sie hielt durch und kam endlich zum Stehen. Einen Moment noch, dann schob ich das Verdeck zurück, wand mich aus dem Sitz und ließ mich aus dem Rumpf gleiten.

Mein linkes Bein war taub, die Lunge schmerzte, meine Arme machten nicht das, was ich von ihnen verlangte. Ungeschickt rutschte ich am Flugzeugkörper herunter und landete recht wüst auf dem Boden. Mein Gesicht lag im Dreck, aber wie schön fühlte es sich an, dass nichts mehr wackelte, dass die Luft sich wieder atmen ließ und ich weitgehend unverletzt war.

Willi war aus der Lady geklettert, klopfte ihren Motor, kam dann zu mir und „Du bist ein Held.“ Aus seinem Mund mehr als ein Orden.

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10 Oktober 2025

Grandhotel

Grandhotel
In der Lobby haben sich versammelt. Paul und Paul. Das ist ein schwules Pärchen, vermutlich heißen sie gar nicht so, aber reden sich so an. Obwohl Paul auch manchmal Paula zu seinem Partner sagt. Sie turteln wie Teenager herum, halten Händchen, küssen sich und gickeln über irgendwelche Witzchen, die sie sich ins Ohr flüstern.

Nachmittags kann man sie im Bad treffen, das ist der Innenpool im Keller des Hotels. Ein vornehmer Raum mit schwarzen Glanzfliesen und goldenen Verzierungen . Wandleuchter mit Schirmchen unterstreichen den noblen Charater des Hauses. Obwohl man hier Badekleidung tragen muss, plantschen Paul und Paul immer nackt herum. Das Personal ignoriert diese Eigenwilligkeit diskret und auch andere Gäste lassen sich davon nicht irritieren.

In einem völlig überdimensionierten Clubsessel sitzt eine Farbige. Sie ist nicht nur leicht übergewichtig, sie ist merklich fett. Ihr Freund oder Liebhaber ist ein dunkelhäutiger Athlet, der in einer amerikanischen Football-Mannschaft als Quarterback durchginge. Er ist breitschultrig, durchtrainiert und sehr, sehr dunkelhäutig. Dazu das Gesicht eines Sportlers, vielleicht liebt er die Kontraste mit seiner zweifellos absolut unsportlichen Frau, steht auf üppige Formen und die enorme Oberweite, die sie ohne Scheu zur Schau stellt.

Ganz im Gegensatz zu Madame de La Bain. Ganz französische Dame sieht sie sich als Teil des Hotels. Wie sie betont, kennt sie dieses Erste Haus seit seiner Eröffnung, hat schon mit dem ursprünglichen Besitzer – Gott habe ihn selig - Champagner getrunken und Partys gefeiert. Nun sitzt sie an einem der Bistrotische und lässt sich eine Kollektion von Schokoladespezialitäten auf zarten Porzellanschälchen reichen. Auf dem Kopf trägt sie einen Hut mit Feder, eine Andeutung von Netz drapiert die Krempe und darunter ein weitgeschnittenes Kleid, das charmant die nicht mehr ganz perfekte Körperform kaschiert.

Ihr gegenüber eine weitere einsame Lady, nämlich Natalie. Sie ist Russin oder Türkin oder Bulgarin, das wechselt ein wenig nach der Tageszeit. Jedenfalls ist sie recht trinkfest und hat sich nach einigen Versuchen für Grey Goose entschieden und lässt sich von allen Gästen gerne auf ein Glas einladen. Als Preis bekommt man einen Blick auf ihre tadellosen langen Beine und hat die Möglichkeit, ihr in den weiten Ausschnitt zu schauen, wenn sie sich vorbeugt, um irgendetwas zu flüstern. Eigentlich gilt ihr Wunsch aber dem Quarterback, den sie im Stillen anhimmelt und überlegt, wie sie ein paar Intimitäten mit ihm austauschen könnte. Er wäre mit Sicherheit gut bestückt, wie sie hinter vorgehaltener Hand zu verstehen gibt. Und sie schmiedet mit anderen Gästen Pläne, wie sie die Quacke, wie sie seine Freundin nennt, kurz mal ausschalten kann.

Einfach wäre es, wenn sie sich an Jakob heranmacht. Der wird nicht müde, jedem Zuhörer von seiner jüdischen Vergangenheit zu erzählen. Ein Vorfahre hatte ebenfalls ein Grandhotel, ähnlich wie dieses, vielleicht noch prachtvoller, aber die Nazis haben alles enteignet und kaputt gemacht. Die Familie ist im KZ gelandet, dort verlieren sich die Lebensspuren. Aber er sei nicht verbittert und wolle das Leben genießen, gerne auch mit Frauen, denen er auch ungefragt seine Zimmernummer mitteilt oder auf den Arm schreibt. Daneben kann er gut Klavier spielen und unterhält die Gesellschaft abends voller Begeisterung mit Titeln von Udo Jürgens, die er auch leidlich gut singen kann. 

Deutlich zurückgezogen von dieser exaltierten Show entdeckt man in der Ecke zum Kofferkabinett zwei Rentnerinnen. Frau Schneider und Frau Nordhäuser mussten wohl ihre ganzen Ersparnisse für diesen Aufenthalt zusammenkratzen. Aber einmal wollten sie den Flair der alten Pracht erleben. Sie waren vermutlich Kolleginnen und haben den Schuldienst bis zum Renteneintritt versehen, jetzt erklären sie sich und anderen Gästen Einrichtungsstile, Sehenswürdigkeiten der Stadt und überhaupt alle Bestandteile ihres Lebens. Sie kennen sich aus, haben zu allen Themen eine Meinung und sind die einzigen Gäste, die ziemlich verschnupft auf Paul und Paul reagieren. Schlimm, finden sie, dass es auch in diesen Palästen der Unterbringung diese Unnatürlichkeit gibt.

An ihnen scheitert auch der Versuch von Jakob, ein Klavier ins Bad zu bringen und dort eine Poolparty zu veranstalten. Obwohl etwa im selben Alter mokieren sie sich über seine Verrohung der Sitten und die Geschmacklosigkeit seines Vorstoßes. Diese langsam und hinter den Kulissen schmorende Feindseligkeit erreicht auch die Rezeption und sorgt dafür, dass sich der Hotelchef einschalten muss. Das Wohl der Gäste, aber auch absolute Diskretion in jeder Hinsicht sind für ihn das Fundament seines einzigartigen Hauses. So entschließt er sich, die Poolparty durch einen Ball der einsamen Herzen zu ersetzen und organisiert aus den Beständen im Keller noch ein paar altmodische Tischtelefone.

Eingangshalle, Lobby und vorderer Teil des Restaurants sind in schummriges Licht getaucht, die Wandleuchter mit roten Samtschärpen umschlagen. Auf dem erhöhten Bereich haben die beiden Lehrerinnen wie auf einer Aussichtsplattform Platz genommen und beobachten das Geschehen. Natalie hat sich in Schale geworfen, um nicht zu sagen, sie hat die Schale fast weggelassen, was ihre Figur wie ein Kunstwerk feiert. Der Quarterback lehnt lässig an der Bar, umringt von mehreren Paaren, die heute den Weg zum Tanz gefunden haben. Paul und Paula legen eine flotte Sohle aufs Parkett und küssen was das Zeug hält. Sie sind nicht mehr ganz nüchtern und erklären alle Gäste für Spießer, die auf ihre homosexuelle Beziehung nicht neidisch sind.

Doch der unbestrittene Star des Abends ist Madame de La Bain. Sie hat ihren Hut weiter ausstaffiert, so dass er jetzt aussieht wie das Gefieder eines Paradiesvogels. Das Abendkleid ist perfekt an ihre Figur angepasst, plustert sich über dem alternden Busen, lässt aber einen Blick auf schlanke Fesseln in hochhakigen Schuhen zu. Sie schwebt über das Parket und verbreitet mit ihrem Charme eine Feierlaune, die ihr Alter vergessen lässt. In dieser unnachahmlichen Art bittet sie im Laufe der Stunden jeden Mann auf die Fläche, strahlt dabei und nicht einmal die eifersüchtigen Ehefrauen können ihr böse sein.

Langsam wird es leerer, die Gäste von Außerhalb verlassen langsam das Parkett. Auch die Hotelgäste verziehen sich nach und nach auf ihre Zimmer, Paul und Paul natürlich nicht, ohne den Gästen recht unmissverständlich zu signalisieren, dass für sie die Nacht jetzt erst anfängt. Natalie hat nach unzähligen Vodka einen Schwips und greift dem Quarterback im Vorbeigehen an den Po, was dieser geflissentlich ignoriert. Jakob ist in der Nähe des Flügels eingeschlafen und hadert im Schlaf mit der ausgefallenen Poolparty.

Behutsam räumt das Personal die umgefallenen Gläser beiseite, lässt die Musik in leise Jazztöne übergehen und sorgt wieder für Ordnung. Der Barkeeper poliert die gespülten Gläser, der Liftboy mit seiner Hoteluniform geleitet die Gäste zu ihren Zimmern. Ruhe kehrt ein. Zumindest im großen Raum wird das Licht ausgeschaltet, übernimmt der Nachtportier die Rezeption und bereitet den Plan für die Putzfrauen vor, die in wenigen Stunden die letzten Überreste des Balles beseitigen werden.

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03 Oktober 2025

Individualisierung

Diese neumodischen Urlaube sollen ja mindestens so erholsam sein wie früher. Und dazu genau auf mich zugeschnitten, „Individualisierung“ heißt das Zauberwort. Die Urlaubsvorbereitung verläuft von vornherein anders als gewohnt, ich habe mich von bunten Bildern, positiven Berichten anderer Urlauber und dem Welcome-to-our-world-Kennenlern-Paket locken lassen.

Individualisierung

Einigermaßen urlaubsreif werde ich zu einer Internetseite geleitet, die aussieht wie die Landingpage zum Paradies. Gleich, da bin ich mir sicher, schwebt ein alter weißer Mann mit Rauschebart auf einer Wolke über den Bildschirm, tröten liebliche Gestalten einen musikalischen Gruß und werde ich von einer Horde Engel flankiert, die sich im Laufe der weiteren Buchung nach und nach entblößen.

Ganz so kommt es nicht, aber ein Fragebogen poppt auf, rechts in der Ecke bietet ein Chatbot seine Dienste an, darüber blinkt ein Button „Extras“, darunter „geht nicht, gibt’s nicht“. Also auf zu den Fragen, fast komme ich mir vor wie bei einer Dating-Plattform, wird nach Alter, Geschlecht, Vorlieben, Urlaubswünschen und Ernährungsgewohnheiten gefragt.

Dann die erste Bilanz. Ich bin ein einfacher Kunde, simpel zu durchschauen und schnell in eine Standard-Rubrik einsortiert. Doch halt, was ist das: Die KI war der Meinung, eine vegane Ernährung würde mir guttun. Sie begründet die Entscheidung mit der Auswertung meiner Blutwerte, die sie mit meiner freundlichen Genehmigung von der Elektronischen Patientenakte bekommen hat.

Nein, vielen Dank, ich bleibe bei gemischter Ernährung, gerne mit Schwerpunkt Fisch. Das lässt sich ohne weiteres anpassen, dafür wird jetzt allerdings die Betthärte um eine Stufe erhöht. Begründung: Dadurch wird die Bewegung im Schlaf gefördert, was die durch die gemischte Ernährung torpedierte Verdauung wieder ins Gleichgewicht bringt.

Überhaupt wird mir ein Sportprogramm zusammengestellt, das zwischen den Ausflugstagen abwechselnd Cardio- und Krafttraining vorsieht. Entspannungsphasen sind nicht vorgesehen, nach Auswertung meiner Tätigkeit – mit meiner freundlichen Genehmigung von den Seiten meiner Personalabteilung ausgelesen – sind diese nur in ganz geringem Umfang notwendig.

Ein gewisses Defizit hat der Beratungsassistent in meinen Sozialstrukturen entdeckt. Ein zünftiger Männerabend im Stil vom Bierkönig ist für den zweiten Tag geplant, hierfür wurde mir automatisch All-inclusive zugebucht. Biertrinken bis zum Umfallen sollte ich mir mal gönnen, auch mal „loslassen und unter echten Männern die Natur herauslassen“ wie ich in der Begründungsspalte lese.

Ich bin froh, dass mein Sexualleben nicht auch noch analysiert und mir ein Aufenthalt im örtlichen Bordell in den Reiseplan eingetragen wird. Möglicherweise verbirgt sich das aber hinter dem Karaokeabend in einem Nachtclub. (Datenbasis sind meine frühere Mitgliedschaft in der örtlichen Musikschule und der häufige Besuch von Rock- und Pop-Konzerten.)

Ein weiterer Fragebogen folgt, erhebt noch Daten zu meinen Wünschen bezüglich Temperatur, Anreisedauer und Experimentierfreude. Es folgt eine Internetrecherche, der freundliche Bot auf der Bildschirmseite winkt mir aufmunternd zu. „Nur noch einen Augenblick, gleich geht es weiter. Wir ermitteln den optimalen Urlaub für Sie.“

Und da ist er: Der Bildschirm wird dunkel, dann erscheint ein Feuerwerk, Sterne leuchten auf, eine Erdkugel, die sich immer langsamer dreht, dann heranzoomt und zunächst auf der Deutschlandkarte hängenbleibt. Dann näher heran, offensichtlich die Mitte, doch, das ist Castrop-Rauxel, oder irgendwo dort in der Nähe ein Campingplatz, dann mit aufblinkenden Sternen markiert ein McFIT, eine Pilsstube und eine Tanzbar neben dem veganen Supermarkt zur Selbstversorgung.

Plopp, ist das Bild wieder weg. In Kurzform sind die Leistungen noch mal zusammengestellt, darunter die Knöpfe „(1) Zur Buchung“, „ (2) Weitere Individualisierung“ und „(3) Abbruch“.

Ich entscheide mich für Option drei.

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26 September 2025

Synergien nutzen

Ein paar Tage Entspannung werden mir guttun. Da sind sich mein Chef und die Kollegen einig. Jetzt stehe ich also im kurzfristig gebuchten Hotel, habe gar nicht so ganz in Erinnerung, was ich auf irgendeiner Plattform gebucht habe. Frühstück war bestimmt dabei, da bin ich mir sicher, aber alle anderen Leistungen werde ich mir gleich mal vom Empfangschef erklären lassen.

Synergien nutzen
„Castro“ lese ich auf seinem Namensschild, „Fidel“ denke ich und lächle ihn an. Er ist ein grauhaariger Mann mittleren Alters, der sicher schon lange in seinem Beruf tätig ist. „Gäste willkommen“ scheint auf seiner Stirn zu stehen.

„Guten Tag“ tönt seine sonore Stimme, „ich freue mich, Sie zu einer Auszeit in unserem Wellness-Hotel begrüßen zu dürfen. Wie ich sehe, haben Sie bislang nur das Basispaket gebucht. Das ist eine gute Wahl. Gerne stelle ich Ihnen ein paar weitere Annehmlichkeiten vor, die sie gerne hinzubuchen können oder sich optional für das Premium- oder Luxuspaket entscheiden können.“

„Eigentlich bin ich ein wenig müde von der Reise und würde gerne erst mal nur auf das Zimmer gehen, um mich auszuruhen.“ – „Selbstverständlich. Die Wünsche unserer Gäste sind uns heilig und unser Haus steht für einfühlsamen Umgang mit den Kunden. Darf ich Ihnen kurz für die Steigerung Ihres Kundenerlebnisses ein paar Besonderheiten erläutern. Beginnen wir mit der Wahl der Matratzen. Auf einer Skala von 1 bis 5: Wie weich soll die Unterlage sein?“

„Ich weiß Ihre Beratung zu schätzen, aber wirklich, ich bin erschöpft und möchte erst mal ein kurzes Nickerchen machen. Von mir aus auf Matratze Stufe 3. Nein, etwas weicher, sagen wir 2, wenn Sie schon fragen. Aber alle weiteren Fragen würde ich dann heute Abend oder morgen klären wollen.“

„Gute Wahl, lieber Herr. Ich selbst bevorzuge auch Stufe 2. Und die Dame dort drüben hat sich auch für diese Härte entschieden. Gerne frage ich sie, ob wir die Zimmer zusammenlegen sollen.“ – „Nein, was denken Sie? Ich möchte mein Einzelzimmer, keine weitere Belegung, verstehen Sie, ich möchte mich einfach nur erholen. Härtestufe 2, ein Zimmer bitte.“

„Wieso, gefällt Ihnen die Dame nicht? Sie hat vor einer Viertelstunde eingecheckt und war sehr freundlich. Übrigens auch alleinreisend. Haben Sie etwas gegen andere Gäste? Soll ich Sie lieber in unserem Gästehaus am Ende der Straße unterbringen? Dort sind derzeit sehr wenige Gäste, aber es liegt ein wenig abgelegen und zum Essen müssen Sie ins Haupthaus kommen.“

„Besten Dank, wie gesagt, ich möchte gerne ein Zimmer im Haupthaus. Ein Einzelzimmer, Matratze Härtestufe 2.“ – „Und die Dame?“ – „Wie meinen Sie das? Was ist mit ihr?“ – „Soll ich sie nun fragen oder nicht? Wobei ich darauf hinweisen darf, dass der Preis für zwei Einzelzimmer über dem für ein Doppelzimmer mit Matratzen Stufe 2 liegt und sie sich den Vorteil ja teilen können. Und wenn Sie möchten, kann ich die Betten auch auseinander schieben lassen.“

„Sehr freundlicher Hinweis. Aber ich bevorzuge das Einzelzimmer für mich alleine. Den Schlüssel bitte.“ – „Oh, ich vergaß völlig zu erwähnen, dass bei den Doppelzimmern auch ein Besuch im Spa mit Wellnessbehandlung inkludiert ist. Ein weiterer Vorteil für sie beide. Unsere Gäste lieben besonders die Hydrojet-Massage. Gerade wenn Sie besondere Erholung möchten, ist das eine interessante Option für Sie.“

„Bestimmt. Ich denke gerne noch einmal darüber nach. Allerdings brauche ich jetzt eine Pause und wäre mit einem Zimmer hier im Haupthaus sehr zufrieden.“ – „Also, wenn Sie sich für die Hydrojet-Massage interessieren, dann habe ich etwas ganz Besonderes für Sie. Gegen einen kleinen Aufpreis kann ich Ihnen ein Upgrade zu einem Zimmer mit Wasserbett anbieten. Die Härte kann ich Ihnen auf Stufe 2 einstellen lassen, aber die Entspannung ist schlicht einmalig. Nehmen Sie mich beim Wort und greifen Sie zu.“

„Wenn das die Möglichkeit ist, jetzt endlich die Stunden bis zum Abendessen Ruhe zu bekommen, dann nehme ich das Wasserbett.“ – „Großartig! Wir kombinieren übrigens diese Zimmer der Luxus-Kategorie mit einem diskreten Zimmerservice, der wird auch der Dame sehr gut gefallen.“ – „Was hat das denn jetzt schon wieder mit der Dame zu tun? Ich möchte nicht mit dieser Dame in ein Zimmer, weder in ein Einzelzimmer, noch in ein Wasserbettzimmer, noch in ein Sonstwie-Zimmer.“

„Sie sind aber wenig gesellig, vielleicht Einzelkind? Entschuldigung, das geht mich natürlich nichts an. Und auch Ihr Liebesleben interessiert mich nicht. Aber aus langjähriger Erfahrung wird die Entspannung in unserem Haus von unseren Gäste sehr positiv bewertet, vor allem, wenn sie gemeinsame Erlebnisse teilen. Aber das ist selbstverständlich Ihre Entscheidung. Was darf ich denn jetzt für Sie buchen?“

„Ein Ein-zel-zimmer. Mit oder ohne Wasserbett. Matratzenhärte egal. Irgendwas, Hauptsache ruhig und jetzt.“ Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie die Dame sich aus dem Sessel in der Lounge erhebt, ihren Rollkoffer nimmt und in unsere Richtung marschiert. Sie hat ihren Empfangssekt noch nicht ganz ausgetrunken, hält dem Rezeptionist aber das Glas noch einmal hin und lässt auffüllen. „Prost“ sagt sie zu mir, „haben Sie auch so Schwierigkeiten, sich in dem wunderbaren Angebot dieses Hotels für das richtige Zimmer zu entscheiden?“

Sie ist mindestens zwanzig Jahre älter als ich, wirkt fröhlich und noch recht spritzig. Eine nette Person, mit der man bestimmt gut wandern und dann mal ein Glas Wein trinken kann. „Ja“, sage ich, „Castro hat mir gefühlt alle denkbaren Optionen dargestellt, aber ich bin total fertig und brauche jetzt erst mal nur eine Mütze Schlaf.“ – „Das ist doch ganz einfach, machen Sie es wie ich: Ich habe mich für ein Zimmer mit Wasserbett entschieden. Kommt kein Gast mehr, habe ich das Zimmer für mich und zahle nur wie ein Einzelzimmer. Falls sich noch jemand für dieses Zimmer entscheidet, muss ich den zweiten Gast akzeptieren und zahle es als Premium-Doppelzimmer.“

Es dauert einen Moment, bis bei mir der Groschen fällt. Ich schaue sie an, schaue Castro an. Er blickt angestrengt auf seinen Computer, murmelt etwas von Synergien, von möglichen Optionen und der Erfüllung von Gästewünschen. „Ach“, sage ich, „ich glaube, ich fange mit der Hydrojet-Massage an. Vielleicht bin ich danach so ausgeruht, dass ich mich dann für ein Zimmer entscheiden kann. In der Zeit können Sie der Lady hier ja schon mal den Weg zum Premiumzimmer zeigen. Und mir eine Matratze Härtestufe 2 bereitlegen, die ich dann in eines der Basiszimmer gelegt bekomme.“

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19 September 2025

Nachtportier

Wie schön es ist, dass mein Kissen die „Badinerie“ von Bach spielt. Ganz sanft höre ich die Töne aufsteigen, kuschele mich fester in die weiche Unterlage. Wie lustig die Melodie herunterhüpft, denke ich, dann wird mir klar, dass es gar nicht mein Kissen ist, das mich mit der Musik versorgt. Es ist das Telefon neben dem Bett.

Schlaftrunken lange ich hinüber, greife den Hörer „Ja, bitte?“ – „Guten Morgen“, flötet die Stimme am anderen Ende der Leitung. „Hier ist der Nachtportier. Sie hatten um einen Weckruf gebeten.“ Ich überlege kurz, nein, ich hatte keinen Weckruf angefragt, es ist mitten in der Nacht, ich möchte jetzt noch schlafen.

„Vielen Dank“ krächze ich ins Telefon, „ich habe keinen Weckruf bestellt. Gute Nacht.“ und lege auf. Ob ich wohl wieder einschlafe, frage ich mich noch, doch dann fallen mir die Augen schon wieder zu und ich sinke ins Kissen zurück. Es empfängt mich mit weicher Füllung, die Wange liegt wie in einer Schale, wie angenehm, nur dieses Geräusch, was mag das sein?

Johann Sebastian Bach hat wieder angestimmt und seine Badinerie erklingt fröhlich vom Nachttisch. Ist es Einbildung oder klingelt wieder das Telefon? Ein wenig missmutig wälze ich mich herum, greife wieder nach dem Hörer „Ja, bitte?“ – „Guten Morgen“, wieder die gutgelaunte Stimme von vorhin, „Nochmal Ihr Nachtportier. Ich habe es kontrolliert, Sie haben um einen Weckruf gebeten.“

Ich werde unsicher, gibt es ein anderes Ich in mir, das bei der Rezeption diese Nachtunterbrechung gebucht hat? „Nein“, sage ich, „nein, vielen Dank noch mal, aber ich habe wirklich keinen Weckruf bei Ihnen angefordert. Vielleicht verwechseln Sie etwas, ich reise erst in drei Tagen ab, vorher möchte einfach ausschlafen.“ Und lege auf.

Wie wohlig sich das weiche Kissen um meinen Kopf legt, wie federleicht die Decke mein Pyjama bedeckt. Ein paar tiefe Atemzüge und ich merke, wie der Schlaf langsam wieder überhandnimmt. Nicht alleine, dass ich jetzt wieder in eine Leichtigkeit abtauche, auch die Traumwelt öffnet wieder ihre Türen und nimmt mich mit in eine verrückte Reise voller uralter Nokia-Handys.

Aufschreckend stelle ich fest, dass die Badinerie nicht aus den alten Nokia-Handys meines Traumes kommt, sondern vom Hoteltelefon neben mir. Langsam scheint ein Ritual daraus zu werden, ich greife den Hörer, murmele meine Begrüßung ins Telefon, erwarte schon die unerschütterlich freundliche Stimme. „Ihr Nachtportier, guten Morgen. Als Service unseres Hauses möchte ich Ihnen mitteilen, dass Sie bereits in zwei Tagen abreisen. Uns ist bekannt, dass manche Gäste durch die besonders komfortable Unterbringung das Gefühl für Wochentage verlieren und deshalb möglicherweise sogar ihren Abreisetag verpassen.“

„Ihre besondere Fürsorge weiß ich sehr zu schätzen“, höre ich mich sagen, „aber ich werde meine Abreise nicht versäumen und kann mir grundsätzlich auch mit Wecken und Aufstehen weiterhelfen. Haben Sie vielen Dank. Und jetzt möchte ich schlafen, es wäre zu freundlich, wenn Sie mich in den nächsten Stunden nicht mehr anrufen würden.“ Und lege auf.

Tatsächlich Stille. Ich falle in unruhigen Schlaf, höre immer wieder die ersten Töne der Badinerie, was sich als Trugschluss und Albtraum herausstellt. Auch die eingebildeten Anrufe mit weiteren Informationen und Korrekturen bleiben aus. Da klopft es an der Tür.

Nachtportier
Zuerst halte ich auch dieses Geräusch für einen Teil von Träumen und Einbildungen. Aber es klopft wieder. Eher wie ein höfliches Scharren an der Tür, aber unüberhörbar und hartnäckig. Ein geflüstertes „Nachtportier“ macht mir klar, dass wieder ein Angestellter des Hauses dahinter steckt.

Jetzt nicht reagieren, gleich herrscht bestimmt wieder Ruhe. Einige Sekunden gehen ins Land, dann wieder das Scharren, das geflüsterte Wort und schließlich ein Schlüssel, der ganz leise ins Schloss geschoben wird und mit kaum wahrnehmbarem Geräusch die Tür öffnet. Da wieder: „Nachtportier… im Namen des Hauses möchten wir uns für die Unannehmlichkeiten entschuldigen. Versehentlich wurde der Weckruf mit einem anderen Gast verwechselt. Es tut uns sehr leid, Ruhe und Entspannung unserer Gäste ist uns sehr wichtig.“

„Umpff“, sage ich.

„Als besonderes Angebot möchten wir Ihnen gerne in drei Tagen ein Luxusdinner anbieten. Unser Koch stellt ein ganz individuelles Geschmackserlebnis für Ihre kulinarischen Wünsche zusammen.“

„Ich reise in zwei Tagen ab“ geht mir durch den Kopf. Aber warum diskutieren, das kann ich ja später noch ändern und werde den Quälgeist erst mal los. Ich sage also „eine phantastische Idee, meine allergrößte Dankbarkeit wird sich auch in einem unübertrefflichen Feedback über Ihr Haus niederschlagen.“

Einem Geist gleich schließt sich die Flurtür wieder, Stille. Keine Badinerie, kein Nachtportier, noch nicht mal Träume. Ich komme nach dem Hin-und-her nicht zur Ruhe, wälze mich von rechts nach links, das Kissen ist eigentlich zu dünn, die Bettdecke zu warm, die Klimaanlage falsch eingestellt.

Ein Blick auf die Uhr, es lohnt sich kaum noch, einzuschlafen. Aber vielleicht gerade deshalb fallen mir endlich doch die Augen zu. Und die Ohren werden immer unempfindlicher, nehmen nur am Rande das Schurren der anderen Gäste an meiner Tür wahr. Aber warum kratzen die an meiner Tür und warum flüstern sie dabei? Warum immer wieder dieses eine Wort?

Ich schrecke wieder auf. Ja, der Wahnsinn scheint von mir Besitz zu ergreifen, meine Nerven spielen mir einen Streich, es kann nicht sein, dass schon wieder… „Nachtportier“, dann der Schlüssel, dann das Aufschwingen der Tür. „Wir sind untröstlich, aber das Angebot mit dem Dinner ist leider mit Ihren Reisedaten nicht zu vereinbaren. Sie reisen ja schon in zwei Tagen ab, daran hatten wir beide nicht gedacht.“

Ich verkneife mir den Hinweis, dass ich durchaus daran gedacht hatte, richte mich im Bett auf. Der Oberkörper ist schwer, ich habe Kopfschmerzen, das Licht durch die geöffnete Tür trifft meine verschlafenen Augen. „Raus hier, raus, raus, raus! Stecken Sie sich das Dinner sonstwohin. Und kommen Sie nicht wieder. Heute nicht, morgen nicht. Bis zu meiner Abreise nicht!“

„Werter Gast“, flötet die Angestellte, „warum so ungehalten. Wir bieten Ihnen einen herausragenden Service, stehen für kleine Fehler ein und bieten einen großzügigen Ausgleich. Aber selbstverständlich muss dieser optimal zu Ihren Vorlieben und Wünschen passen, Individualität am Gast orientiert, das ist uns ein hohes Gut. Gerne komme ich noch einmal, um…“

„Nein!“, höre ich mich brüllen, „nein, kommen Sie nicht wieder! Kein Ausgleich, meine Vorliebe ist Ruhe! Ungestört, falls Sie das verstehen!“

Ein wenig überrascht bin ich schon, dass das Zimmer plötzlich wieder leer ist, die Tür geschlossen. Und ich bin mir nicht ganz sicher, ob die reale Szene sich langsam in diese absurde Situation gesteigert hat oder ob das nur in meinem Kopf passiert ist. Was soll ich nur in den Feedback-Bogen schreiben?

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12 September 2025

Stammgast

An der Rezeption ist heute ziemlich viel los. Ich stehe in der Schlange, neben mir der Koffer, darauf meine Laptop-Tasche. Über den Bügel habe ich meinen Kleidersack gehängt. Langsam geht es voran, ein Gast nach dem anderen wird abgefertigt.

Stammgast
Nach ein paar Minuten bin ich an der Reihe, „ich möchte gerne auschecken“ – „Zimmernummer?“ – „Ich glaube, es ist die 2-1-4“, sage ich, „könnte aber auch ein Zahlendreher drin sein. Jedenfalls irgendwas mit einer fünf.“ Die Rezeptionistin schaut mich an, wartet einen Moment, ob ich mich noch erinnere, dann nimmt sie meine Zimmerkarte und liest sie aus. „Sir, Sie haben das Zimmer 3-2-9.“

„Ja“, sage ich, „genau. Wie toll, dass Sie das von der Karte herausbekommen können. So muss ich mir die Nummer nicht extra merken. Aber es erleichtert natürlich das Auffinden des richtigen Zimmers. Und jetzt möchte ich bitte auschecken.“

„Sehr gerne.“ Sie tippt auf ihrem Computer herum, schaut mich an, liest die Karte noch einmal ein, tippt nochmals auf dem Computer. „Sir, Sie sind doch gestern erst angekommen und haben noch einige Tage gebucht. Haben Sie es sich anders überlegt oder gefällt es Ihnen nicht bei uns?“

„Doch“, sage ich, „doch, ganz im Gegenteil. Es gefällt mir ausgesprochen gut. Der Service ist gut, das Personal so freundlich. Ich bin sehr zufrieden.“ – „Und warum wollen Sie dann schon abreisen?“ – „Ich möchte nicht abreisen, ich möchte auschecken.“

In ihrem Gesicht sehe ich die Fragezeichen, weil sie ganz offensichtlich den Unterschied nicht versteht. Es arbeitet eine Weile in ihr, dann sagt sie: „Also gut, dann checke ich Sie jetzt aus. Sie waren gestern Abend im Restaurant, das war Teil des Paketes. Irgendwas aus der Minibar?“

„Ja, die Minibar ist leer, nach dem Restaurant hatte ich noch ein wenig Hunger und Durst.“ – „Ich sehe gerade, die Erstbefüllung ist im Preis enthalten. Also keine weiteren Kosten. Dann danke ich für Ihren Aufenthalt und wünsche Ihnen eine gute Weiterreise.“

„Halt“, sage ich. „Ich möchte gerne einchecken. Im Idealfall bekomme ich wieder mein Zimmer, wie war noch die Nummer?“ Einen Moment herrscht Schweigen, dann nimmt die Frau die Karte wieder aus dem Stapel abgelegter Karten und will sie mir in die Hand drücken. „Warum checken Sie denn erst aus und dann wieder ein, wenn Sie gar nicht weiterreisen wollen?“

„Ehrlich gesagt hat mir der Willkommens-Cocktail so gut geschmeckt. Da dachte ich mir, wenn ich noch mal einchecke, bekomme ich noch mal ein Glas.“ – „Ach so!“ strahlt sie mich an, wenn Sie das direkt gesagt hätten, dann hätte ich Ihnen doch ein Glas gegeben. Eine kleine Aufmerksamkeit für unsere Gäste ist doch selbstverständlich.“

„Wie freundlich von Ihnen“ erwidere ich, „und wenn es keine Umstände macht, dann können Sie mir vielleicht gleich zwei Gläser einschenken, die sind ja leider ein wenig klein.“ Sie behält ihr Lächeln, tippt auf ihrem Computer herum und verspricht, dass ich gleich in den Genuss von zwei Gläsern ihres Hauscocktails käme.

„Ich bin begeistert und kann den guten Service bestätigen, den ich in den Internet-Bewertungen gelesen habe.“ Pause. „Ach, und denken Sie doch bitte daran, dass ich nach dem Einchecken die Erstbefüllung meiner Minibar bekomme.“ – „Das geht leider nicht“, lässt sie mich wissen, „im Grunde haben Sie ja gar nicht richtig ausgecheckt und sind immer noch im selben Zimmer eingebucht.“

„Schauen Sie, werte Dame, ich habe meinen Schlüssel abgegeben, eine Rechnung bekommen, alles mit Ihnen geklärt und wäre abreisefertig gewesen. Nur, dass ich nicht abgereist bin, sondern ihr wunderschönes Haus nun einen weiteren Tag genießen werde. Das kann man doch mit Fug und Recht als Auschecken bezeichnen. Und meinen erneuten Aufenthalt als Einchecken.“

Man kann ihr ansehen, dass sie nachdenkt, abzuwägen versucht, ob sie der Einfachheit halber einfach nachgeben soll oder auf ihrem Standpunkt beharren soll. Sie entscheidet sich dann dafür, sich in Ironie zu flüchten und sagt: „Vermutlich erwarten Sie auch ein Abendessen im Restaurant als Teil des neuen Aufenthalts?“

„Ich gebe zu, dass die Gäste nicht übertrieben haben, als sie Internet geschrieben haben, dass einem jeder Wunsch von den Augen abgelesen wird. Ja, ein Abendessen heute wäre großartig und natürlich irgendwie logisch mit dem Einchecken verknüpft. Und Sie haben ja völlig Recht, der Inhalt der Minibar reicht nicht, um sich über den Abend zu retten.“

„Hören Sie, Sir, ich weiß Sie als Gast zu schätzen. Gerne können Sie Ihren Aufenthalt fortsetzen. Und ja, als Geste der Gastfreundschaft fülle ich die Minibar auf. Aber ein Abendessen kann ich unmöglich auch noch spendieren.“

Ich werfe einen Blick über die Schulter. Die Schlange ist inzwischen relativ lang geworden. Den Gesichtern der Gäste ist anzusehen, dass sie langsam ungeduldig werden. „Ich glaube, dass die anderen Gäste kein Verständnis für die kleinlichen Diskussionen haben, die Sie mit einem Stammgast wie mir hier führen“ sage ich so laut, dass es jeder in der Lobby deutlich hören muss.

„Stammkunde?“ fragt die Rezeptionistin giftig, „Sie waren bislang noch nicht in unserem Haus und sind gestern angereist.“ – „Ja“, sage ich, „das stimmt, aber wenn ich morgen aus- und wieder einchecke habe ich schon drei Aufenthalte in diesem Hotel und das kann man doch als Basis für eine Stammkundschaft sehen.“

Sie seufzt. Ein wenig aus Verzweiflung, wie mir scheint. Dabei sind wir doch in unserem Gespräch schon so weit gekommen. „Ich rufe jetzt unseren Manager dazu“, lässt sie mich wissen und greift zum Hörer. – „Gerne“, sage ich, „ich bevorzuge sowieso mit echten Entscheidungsträgern zu sprechen. Auch wenn ich Sie bislang sehr zuvorkommend wahrgenommen habe.“

Eine Minute später steht ein hochgewachsener junger Mann vor mir, stellt sich als Hotelmanager vor und möchte wissen, bei welcher Frage er behilflich sein könne. „Der Herr möchte Aus- und wieder einchecken, um wieder Minibar und Abendessen zu bekommen.“ Kurze Pause. „Nun, ein wenig ungewöhnlich. Ich kümmere mich um diesen Gast, können Sie in der Zeit schon mal für die anderen Gäste sorgen.“

Er nimmt mich beiseite, mit Koffer, Laptop und Kleidersack werde ich ins Backoffice beordert. „Sie haben ausgecheckt?“ will der Manger wissen. „Ja, sage ich, alles geklärt, Rechnung kontrolliert, es war nichts zu begleichen. Und dann habe ich wieder eingecheckt. Die Dame hat mir sogar mein altes Zimmer wieder geben können.“

„Das ist ja sehr schön“ höre ich ihn freundlich erwidern, „dann ist ja alles zu Ihrer Zufriedenheit?“ – „Aber sicher, das habe ich der Rezeptionistin auch gesagt. Wunderbarer Service, freundliches Personal und so weiter und so fort. Positives Feedback von meiner Seite vorgesehen.“

„Und worin besteht nun das Problem?“ – „Ehrlich gesagt, das weiß ich auch nicht so recht. Die Dame hat vielleicht irgendetwas nicht richtig verstanden, denn sie hatte Schwierigkeiten damit, mir das Abendessen zu buchen, das mit meinem Einchecken verbunden ist.“ – „Ach so, verstehe“ hörte ich den Manager, „Sie waren der Meinung, dass durch den neuen Check-in auch ein weiteres Abendessen inkludiert ist. Aber das ist natürlich nur einmal pro Aufenthalt vorgesehen und sie waren ja gestern Abend schon unser Essensgast.“

„Einmal pro Aufenthalt, Sie sagen es. Ich war bei Ihnen, hatte meinen Koffer schon gepackt, sehen Sie? Und bin nun wieder Ihr Gast: ein neuer Aufenthalt also.“ Mein Gegenüber ist unerschütterlich, verzieht sein Gesicht zu einer freundlichen Grimasse und fragt dann ganz unvermittelt: „Sie sind Lehrer? Vielleicht Deutschlehrer? Oder Germanist?“

„Durchaus nicht, ich bin freiberuflicher Schriftsteller.“ – „Das ist doch sowas ähnliches.“ – „Oh Gott, nein, wie kann man so etwas nur sagen? Naja, ich will es Ihnen mal nachsehen und erkläre Ihnen gerne den Unterschied, wenn Sie mir das Abendessen mit einem guten Glas Rotwein ergänzen.“

Auch Manager sind nur Menschen, denke ich, als ich zu vorgerückter Stunde nach dem Abendessen und dem Plündern der Minibar zufrieden auf meinem Bett liege und mir ausmale, wie ich morgen beim Aus- und Einchecken die Wellness-Option erhalten kann.

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05 September 2025

Urlaubsrückblick

Paula und Günter sind zu Gast bei uns. Wie gewohnt sind die Gespräche lebhaft, pflügen wir durch alle Themen des Alltags und auch der Inseln darin. Im Mittelpunkt stehen heute Erlebnisse der letzten Urlaubsreise. Sie waren auf Teneriffa, nein, was für eine schöne Insel und so abwechslungsreich. Vulkanischen Ursprungs ist das ganze Land rund um den zur Ruhe gekommenen Teide gelegen. Im Norden ein wenig milder, aber auch wolkiger, während der Süden über weite Teile des Jahres sonnig und heiß einzustufen ist.

Urlaubsrückblick
Ihren Urlaub hatten sie dieses Jahr im Norden gebucht, ein stylisches Hotel mit gutem Service und sensationeller Lage, Blick über die Bucht und den Atlantik. Schon, die Zimmer waren klein gewesen, hier und da musste man improvisieren, um die Kleidung aus dem Koffer zu bekommen. Und das Bad: geschmackvoll, aber ohne Ablagen für Paulas Schminksachen oder Günters Rasierer.

Aber das Hotelrestaurant, das war ein Traum, wenn auch ein wenig zu stark klimatisiert, so dass man eigentlich immer frieren musste, wenn man zum Essen ging. Was allerdings durch ein üppiges Buffet wiedergutgemacht wurde. Und wenn dann die Beleuchtung mit Farbwechsel den Raum mal in blaue und mal in rote Farbtöne tauchte – ich sage dir: Ein Träumchen.

Das mit dem Mietwagen war diesmal etwas abenteuerlich gelaufen. Die Einheimischen, immer nett und so freundlich, aber was sie unter einem Auto verstanden, das war dann doch nicht das, was man als Deutscher erwartet. Immerhin war das Fahrzeug mit Anlauf die Berge hochgekommen und mit der notwendigen Geduld hatte auch die Inselrundfahrt geklappt.

Echtes Highlight dann das Oktoberfest mitten im August. Deutsche Blasmusik, Stimmung und jede Menge Bier. Und natürlich ein Festzelt unter sommerlichem Himmel und schwülwarmer Hitze. Dabei waren kaum deutsche Urlauber zu sehen gewesen, viele Spanier, gut gelaunt, die zu vorgerückter Stunde die Straßen und Plätze besetzten. Wein, Bier und Sangria in Strömen und an jeder Ecke Livemusik in den unterschiedlichsten Qualitäten.

Also für reine Badegäste war das natürlich nichts. Einen Sandstrand hatten sie nicht gesehen, ins Meer konnte man nur an bestimmten Stellen über Stege oder Leitern. Und ohne kräftige Badeschuhe war ein Laufen über die Kiesel kein Spaß. Da zogen sich die Urlaubsgäste dann doch lieber an die ziemlich nüchternen Pools zurück. 

Apropos Gäste. Das war ja schon ein Showlaufen von Models. Günter schwärmte von den hübschen Spanierinnen und auch Paula konnte von ein paar ausgesprochen attraktiven Urlaubern berichten. Wer hier nicht jung und wie aus dem Modemagazin gesprungen erschien, fiel fast schon auf. Was in Deutschland auffiel, hier war es Durchschnitt.

Kleidung, so erfuhren wir, spielte eine entscheidende Rolle, Bademode wurde wie auf dem Laufsteg präsentiert und bis in die Dunkelheit brauchte man wenig Phantasie, um unter dünner Umhüllung perfekte Formen vermuten zu können. Nein, Eifersucht wollte Paula da nicht gespürt haben, vielleicht ein wenig Neid auf diese Schönheit, aber eher noch die Freude daran, so viele ansehnliche Menschen an einem Ort anzutreffen.

Was ja irgendwie auch mit dem Wetter zusammenhing. An den bedeckten Tagen war es leer gewesen auf den Straßen, nicht gerade depressiv, aber eher deutsch. Und kaum kam die Sonne heraus, schon strömten wieder die Menschen über die Promenade, übertrafen sich gegenseitig mit ihrer Ausgehlust und südlicher Lebensfreude.

Das, so erklärten uns die beiden nach dem Digestiv im Hinausgehen, sei der erholsamste Teil des Urlaubs gewesen. Diese positive Stimmung, die Freundlichkeit von der Putzfrau bis zum Manager, das Strahlen, das auch manche Panne egalisierte und einem klar machte, wie kleinlich manche Kritik doch sein könne.

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29 August 2025

Es regnet

Es regnet
Es regnet, ein schöner Regen, so erfrischend, wachstumsverheißend, blütentreibend. Warm ist es auch, ob man überhaupt einen Regenschirm braucht oder die Tropfen auf sich fallen lässt. Kopf in den Nacken, Augen geschlossen und das Gefühl der Feuchtigkeit im Gesicht, mehr und mehr, feuchter und feuchter. Das Kribbeln von kleinen Rinnsalen auf der Wange, tiefes Luftholen durch die Nase und das Gefühl vom T-Shirt, das langsam an der Haut klebt.

Wie überhaupt das Wasser immer mehr Besitz ergreift, durchfeuchtet friedlich leise das Haar, die Finger aus den Taschen auch und dann geht es mit der Kleidung weiter und nimmt sich erst mal die Hose vor. Fest liegt der Stoff schon auf den Beinen, ein so enger Kontakt wie sonst nicht lässt jede Bewegung bewusster erfahren.

Das Kinn nach unten, zusammengekauert wie ein Säugling, die Brust geschützt, doch der Rücken nun unter dem Trommelwirbel des auffrischenden Regens, jeder Tropfen eine kleine Berührung, mal sanft, mal eindringlich. Als Teil der Natur dem Wasser im Weg, das vom Himmel auf die Erde fallen würde, wäre da nicht dieser menschliche Körper im Weg.

Pfützen hier und dort, kleine Wasseransammlungen mit einem unsichtbaren Mikrokosmos des Lebens, aufgewühlt zwar von den Tropfen und hineinfließenden Rinnsalen, ablaufend durch den Rinnstein vereint mit dem Wasser der Fahrbahn. Ein Blatt darauf, im Kreis drehend, getrieben vom bewegten Wasser, auch vom Regen, auch vom Luftzug.

Die Hose nun durchweicht, schon nicht mehr klamm, die Unterwäsche vom ersten Hauch des warmen Wassers erreicht. Schmeichelnd suchen sich die kleinen Bächlein ihren Weg vom Kopf über den Rücken, der Schwerkraft folgend in sanfter Ausbreitung durch die Fasern des Stoffs. Begleitet von den massierenden Berührungen zwischen den Haaren, dem gelegentlichen Tropfen der warmen Feuchtigkeit von der Nase auf den regennassen Asphalt.

Kaum noch kann man es als T-Shirt erkennen, der Stoff wie eine zweite Haut am Körper, das badewannenwarme Wasser unter einem zarten Luftstrom wird zu einer weiteren Oberhaut. In aller Zartheit ist ein Maximum erreicht, das unermüdlich nachfolgende Wasser überläuft den Körper ohne noch irgendeine Änderung, Steigerung der Befeuchtung gar, zu erreichen.

So sanft und klein die Tropfen, so liebevoll alle Berührung und streichelnd ihr Strom von oben bis unten. Bewegung dabei, kein bloßes Bad in einem Gewässer, ein ununterbrochenes Strömen und Fließen und Ablösen von vorher schon vorhandenen Tröpfchen und Tropfen und Befeuchtungen.

Jetzt eine Lücke in der Wolkendecke, regenpausierend scheinen die Wassermassen einer abgesperrten Schleuse gleich aufzuhören.

Langsam richtet sich der Körper auf. Die Augen blinzeln dem helleren Licht entgegen, das durch die Wolkenlücke fällt, wie ein Versprechen. Die Tropfen vereinzeln sich, klingen aus wie der letzte Ton eines Liedes, das noch im Ohr nachschwingt. Die Haut dampft leicht, der Atem ruhig.

Die Luft ist erfüllt vom Geruch des feuchten Sommers, von Erde, Laub und Leben. Noch ein tiefer Atemzug. Kein Drang, sich zu trocknen, keine Eile. Nur das Gefühl, ganz da zu sein – als wäre man selbst Teil des Regens gewesen, ein Tropfen unter vielen, vorübergehend schwerelos.

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22 August 2025

Erinnerung

Erinnerung
Dort hinten bei dem Wasser
Wo gestern noch Fontainen spritzten
Sehe ich ein paar Vögel
Auf der Suche nach Würmern

Dort hinten bei dem Wasser
Wo wir uns immer getroffen haben
Steht nun hohes Gras
Das mal wieder gemäht werden muss.

Dort hinten bei dem Wasser
Wo mein Fahrrad an die Buche gelehnt stand
Ist ein Kirschlorbeer gewachsen
Ohne dass ihn jemand gepflanzt hätte.

Dort hinten vor dem Wasser
Wo unsere Picknickdecke lag
Haben jetzt ein paar Enten ihr Nest
Und sorgen für ihre Küken

Dort hinten neben dem Wasser
Wo das Ufergras in die Wiese übergeht
Hatten wir unser Liebesversteck
Das uns vor Blicken schützte

Weit hinten jenseits des Wassers
Wo die Verbuschung beginnt
Meine ich dich gesehen zu haben
Aber es war nur eine Täuschung

Dort hinten bei dem Wasser
Wo jetzt ein junges Pärchen knutscht
War auch für uns ein Anfang
Der nie zu Ende ging

Dort hinten bei dem Wasser
Wo wir uns nie wieder sahen
Wächst Unkraut über die Steine
Und meine Vergangenheit

Hier vorne vor dem Wasser
Da sind wir alt geworden
Und denken an eine Zukunft
Die nie gekommen ist.

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18 August 2025

Träume vom Sommergarten (2025)

Vielen Dank an alle Gäste, die unsere Veranstaltung "Ein Sommergarten voller Kunst" besucht haben. Hier die Begrüßungsrede zum diesjährigen Thema "Träume".
(Die Fotos zeigen die Ausstellung, die Veranstaltung, das Künstler-Interview und den Weinstand sowie den Auftritt von Miriam Hanika mit ihrem Ensemble.)

Träume vom Sommergarten 2025
Szene 1

Meine Tochter ruft von Mallorca aus an. "Bobo", sagt sie, "Bobo, das Hotel ist ein Traum." Sie hat sich in Gedanken schon ausgemalt, wie die Zimmer sind, die Lage, der Pool, das Essen. Und diese Vorstellung ist nun eingetroffen, ein Traum in Erfüllung gegangen.

Szene 2

Ich wache schweißgebadet auf, schwer atmend, die Hand meiner Frau auf meinem Arm. "Schatz, du hast schlecht geträumt, es ist alles in Ordnung." Ich versuche mich zu erinnern, ein kräftiger Mann mit dem Kopf eines Wolfes hat mich verfolgt, ist immer näher gekommen, obwohl ich so schnell gelaufen bin wie ich nur konnte. Selbst Sprünge und Haken haben nicht verhindert, dass ich seinen Atem in meinem Nacken gespürt habe. Ein Albtraum.

Träume vom Sommergarten 2025
Szene 3

Während der Sitzung unseres Arbeitskreises fällt mein Name. Ich erwische mich dabei, wie ich mit den Gedanken ganz woanders war. Es war schon Feierabend, meine Hobbys stritten sich in meinem Kopf um die Gestaltung des Abends. Verträumt schaue ich aus dem Fenster, sehe dem Eichhörnchen zu, das von Ast zu Ast hüpft, so leicht als wäre es schwerelos in die Baumkrone geklettert und dabei im Gegensatz zu mir keinen Muskelkater kennt.

Szene 4

"Schließen Sie die Augen", sagt meine Therapeutin zu mir. "Und erzählen Sie mir, was sie sehen." Es dauert eine Weile, dann entsteht in meiner Phantasie ein verrücktes Gebilde, wird aus dem bunten Blumenstrauß auf dem Tisch ein Urwald, aus dem Sofa eine Hängematte und aus dem leisen Rauschen der Klimaanlage das kaum wahrnehmbare Fließen von Wasser im morastigen Bach. Und dann lugt meine Mutter hinter den Lianen hervor, winkt mir zu, "komm zu mir und erzähl mir eine Geschichte". Sie ist sofort wieder verschwunden, gerade als ich anfangen will und nach einem geeigneten Anfang suche.

Träume vom Sommergarten 2025
Szene 5

Es war einmal, beginnt die Erzählung, ich lebe mit meinen Brüdern in einem unscheinbaren Häuschen, harte Arbeit tagein tagaus, und wir bekommen selten Besuch, der uns auf andere Gedanken bringt. Doch eines Tages fährt eine Kutsche vorbei, aus dem gardinenverhangenen Fenster strahlen mich ein paar Augen an und es ist um mich geschehen. Eine wunderschöne Prinzessin hat sich in mich verliebt und der König persönlich kommt vorbei, um mich in seine Familie aufzunehmen.

Szene 6

Vor einigen Wochen musste ich einem Arbeitskollegen eine E-Mail schreiben und ihn auffordern, das Monitoring einer Anwendung zu automatisieren. Ich breitete meine Anforderungen aus und erläuterte meine Vorstellung von einer Lösung. Am nächsten Tag bekam ich die Antwort des Technikers: "Du erinnerst mich an Martin Luther King", ließ er mich wissen, "I have a dream" Meine Darstellung sei grundsätzlich ein guter Gedanke, nur in diesem Zusammenhang eher eine unrealistische Vision. Naja, träumen dürfte ich natürlich.

Träume vom Sommergarten 2025
Träume

Ein paar Träume, schön, gruselig, ziellos, visionär oder einfach nur das Dahinplätschern von Gedanken. Und genau hier ist der Übergang zu den Ausdrucksformen, die wir in der Kunst kennen. Da entsteht etwas im Kopf des Künstlers und er nutzt seine Fähigkeiten, um sie für uns erlebbar zu machen. Sichtbar, hörbar, lesbar, fühlbar. Dieser Transformationsprozess ist nur dem Künstler möglich, er setzt auf seinen inneren Bildern, Erfahrungen, Emotionen auf und bietet uns die Möglichkeit an, sich in abstrahierter Form auf seine Gedanken einzulassen.

Die eher technische Abbildung war vor ein paar Jahren auch in Unternehmen groß in Mode und nannte sich Mindmap, also Gedankenkarte. Der Ersteller sollte seine Überlegungen nach gewissen Regeln in strukturierter Form zu Papier bringen. Das ist allerdings a priori kein Kunstwerk, da dieser Darstellung der Aspekt der Transformation fehlt. Der Künstler hingegen kombiniert, verfremdet, übersetzt seine Gedanken und nimmt dabei keine Rücksicht auf Regeln oder formale Vorgaben.

Träume sind also die Grundlage für den künstlerischen Prozess, nicht hinreichendes, aber notwendiges Kriterium für die Entstehung von Kunstwerken. Das Abschweifen, die assoziative Verknüpfung von eigentlich unzusammenhängenden Aspekten und Perspektiven schafft einen neuen, individuellen und einzigartigen Ausdruck in der jeweiligen Darstellungsform. Das kann ein Musikstück sein, das sich aus einem Thema heraus entwickelt, eine Phrase variiert und in mehreren Sätzen zum Schluss kommt. Das kann auch ein Gedicht sein, vielleicht in Versform, das seine Botschaft mit Sprachrhythmus, Wortmelodie, Strophen und Metriken unterstreicht. Oder eben auch ein Gemälde, das neben der Wahl der Farben, der Perspektive und Anordnung, Grundtönen und Stimmungen sein ganz eigenes Angebot zur Interpretation mitbringt.

Träume vom Sommergarten 2025
Wie sieht das nun in der Praxis aus? Bleiben wir mal beim Beispiel der Gemälde, da beobachten wir verschiedene Möglichkeiten der Vermischung von Realität und hinzugenommenen Aspekten. Stellt der Maler die Blumenwiese in blauen Schattierungen dar, dann ist es sein künstlerisches Auge, das eben diese Wahrnehmung hat. Es lohnt sich, darüber nachzudenken, den Auslöser für diese Farbverschiebung zu erkunden. Das Bild erscheint in diesem Augenblick wie ein Rätsel, das man lösen muss. Und wie in einem Tatort-Krimi gibt es nur eine richtige Lösung, aber sehr viele Hinweise, Indizien und Details, die alle zusammenpassen müssen.

Neben der Farbwahl sind auch die Perspektive und Schatten einige Überlegungen wert. Stellt sich der Künstler über sein Portrait, begegnet er ihm auf Augenhöhe, schaut er an ihm hoch? Kann es in der Praxis diesen Blickwinkel überhaupt geben? Und schon holt uns auch hier wieder der Transformationsprozess ein. Denn wir sehen im Bild ja nicht nur ein menschliches oder sachliches Objekt, sondern wir schauen durch die Augen des Künstlers, nehmen also zwangsweise seine Position ein. Wir sind gezwungen, seinen Traum mitzuerleben, seine vielleicht im Bild verarbeitete Arroganz mitzugehen.

Träume vom Sommergarten 2025
Als drittes Beispiel für die Überführung der Gedankenwelt - nennen wir sie Träume - auf die Leinwand möchte ich den Aspekt des Lichtes ansprechen. Ist alles gleichmäßig beleuchtet oder erkennen wir deutliche Schlagschatten, die einen Teil des Objektes ins Dunkel verlaufen lassen? Sollen wir diesen Teil nicht sehen oder ist es auch dem Künstler nicht klar, wie es an dieser Stelle weitergeht? Gerade venezianische Masken sollen ja die Identität verheimlichen, auf dem Ball eine Spannung aufbauen, mit wem man sich auf dem Parkett getroffen hat. Licht, das sieht man daran, spielt also eine zentrale Rolle, kann herausarbeiten, betonen, aber auch zurücknehmen bis zur totalen Ausblendung.

Träume vom Sommergarten 2025
Spitzen wir die Überlegungen abschließend auf die Masken zu, die einen Abschnitt des Gesichtes verdecken. Es ist sozusagen die endgültige Form der Verschattung, verwehrt uns den Blick auf das dahinter liegende. Neben den Elementen wie Farbwahl, Perspektive, Schatten und Modell als solches erleben wir hier eine mehr oder weniger ausgeprägte Form der Anonymisierung. Hinter der Maske verbirgt sich ein Charakter, der erraten werden muss. In "Die Schöne und das Biest" wurde diese mögliche Differenz zwischen Aussehen, einer Maskierung und dem zu Grunde liegenden Charakter thematisiert. Übrigens ein Element, das wir auch in Märchen immer wieder präsentiert bekommen. Denken Sie zum Beispiel an den "Froschkönig", wo ein Prinz in einer anderen Gestalt gefangen - also maskiert - ist und erst durch Wahrnehmung der Tochter seine Identität preisgeben kann.

Heute also "Engel inkognito". Wir haben uns dieser Motivreihe in diesem Vortrag von verschiedenen Seiten genähert. Gerne möchte ich mich gleich noch mit der Künstlerin ein wenig darüber unterhalten.

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