21 März 2025

Nerds Diary: Ich atme tief durch (S1/F6)

 Ich atme tief durch (S1/F6)

Ich atme tief durch
Ich atme tief durch. Vor dem Schlafengehen muss ich noch Eiermatsch und Rotweinfleck wegmachen, das Backblech saubermachen und das Geschirr spülen. Ich laufe ins Bad, mein Deo steht auf dem Waschbecken und der Badezimmerschrank ist geöffnet.

Noch in Gedanken ziehe ich mich aus, putze die Zähne, noch ein Blick in die Küche, alles wieder einigermaßen sortiert. Nur der Pizzakarton liegt noch als Zeuge der komischen Begegnung auf dem Küchentisch. Mein Kopf ist gerade auf dem Kissen angekommen, als es klingelt.

Ich ignoriere das Gebimmel. Es klingelt wieder, zu hören, obwohl ich meinen Kopf tiefunter das Kissen eingrabe. Das Klingeln hört auf. Kurze Stille, dann höre ich einen Schlüssel im Schloss und im nächsten Moment das Geräusch einer sich öffnenden Wohnungstür. Ich stehe auf, aus dem Schlafzimmer und zur Tür.

Sie steht im Türrahmen. „Ich hatte was vergessen.“ – „Was?“ – „Den Schlüssel.“ – „Welchen Schlüssel?“ – „Meinen. Ich hab den Schlüsselbund vertauscht.“ – „Komm erst mal rein.“ Das hätte ich nicht sagen sollen, schon steht sie im Flur, macht hinter sich die Tür zu, wirft meinen Schlüssel auf die Garderobe. „Bist du schon im Bett?“ – „Wonach sieht es denn aus?“

„Ich habe eine Flasche Rotwein mitgebracht. Die Nacht ist noch jung.“ – „Ich will keinen Rotwein und ich muss schlafen.“ Sie läuft in die Küche, ich höre das Wühlen in den Schubladen auf der Suche nach einem Korkenzieher. Dann das leise Klimpern von Gläsern. „Wo bleibst du?“

Wir sitzen wieder im Wohnzimmer, jeder ein Glas Rotwein in der Hand. „Prost. Hast du Spiele im Schrank?“ – „Nein.“ – „Schade, dann denken wir uns was aus.“ – „Ich habe jetzt keine Lust zu spielen.“ - „Wo sind die Zahnstocher?“ Auf dem Weg in die Küche macht sie wieder Musik an, diesmal lauter „zum Aufwachen“.

Während ich im Schlafanzug dabeisitze, schüttet sie den gesamten Inhalt des Zahnstocher-Behälters auf den Couchtisch. „Das ist jetzt Mikado. Du bist dran.“ Abwechselnd versuchen wir, aus dem Berg an Holzstäbchen etwas herauszuziehen, ohne dass der Rest sich in Bewegung setzt. „Immer, wenn sich was bewegt, darf man den anderen kneifen.“ – „Ich glaube nicht, dass ich das möchte.“

Mein Bein ist schon ziemlich rot vom Gekniffen-werden. Sie hat mehr Glück beim Mikado und ich muss sie nur selten in den Arm kneifen. Etwas enttäuscht sammelt sie die Holzspieße wieder ein. „Prost. Wir spielen was anderes. Wir bauen aus Vorratsdosen einen Jenga-Turm.“ – „So viele Dosen habe ich nicht.“

Es dauert eine ganze Weile und die Rotweinflasche leert sich langsam. Aber dann ist ein beeindruckender Turm aus allen Büchern meines Bücherschranks entstanden. „Der größte Jenga-Turm aller Zeiten. Los fang an.“ Ich schaue das wacklige Gebilde an und ziehe an einem Roman von John Grisham. „Sehr gut, jetzt ich.“ Sie torkelt auf den Bücherberg zu, zieht an einem Stephen King.

Wieder Glück gehabt, nichts stürzt ein. Noch ein paar Bücher lassen sich ohne Probleme herausziehen und in den Bücherschrank zurückstellen. „Langweilig. Wir machen jetzt Yoga.“ Schon ist sie in einen Schneidersitz gegangen, hat dabei aber nicht an ihr Glas gedacht, das jetzt seinen Inhalt über den Bücherstapel verteilt. „Macht nichts, das macht die Bücher viel individueller.“

„Ehrlich gesagt habe ich keine Lust auf Yoga. Ich gehe jetzt ins Bett.“ Ich bin einfach zu müde, um noch irgendwas zu machen. Im Flur das Licht aus und ich krabble in mein Bett, drücke meinen Kopf fest ins Kissen und warte auf das Geräusch der Wohnungstür. Nichts zu hören. Statt dessen ein leises Rascheln und ein Zupfen an der Decke.

[Das gibt es seit 14.02.25 als kleine Serie jede Woche]

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