Gerade kommt die Visagistin noch mal bei mir vorbei, pudert ein bisschen in meinem Gesicht nach. Vorhin hat sie sich um meinen Bart gekümmert, diverse Schichten Primer, Makeup, Concealer, Shadow und Glow aufgetragen. Beim Blick in den Spiegel sehe ich mein Gesicht, ich sehe aus wie immer, dabei schöner und jünger. Die erneute Puderschicht soll mattieren wegen der Scheinwerfer, wie die junge Dame mir erklärt.
Nun ist sie wieder weg, stattdessen taucht ein Assistent auf, der mir nochmal den organisatorischen Rahmen erläutert. Wann ich auf welches Licht achten muss, welche Kamera gerade aktiv ist, welche Signalwörter im Interview üblich sind. Und natürlich das Publikum. Das wird gerade warmgeklatscht, ist freudig-neugierig auf den Abend und wird brav an den verabredeten Stellen Beifall spenden.
Alles ist geplant, nichts so, wie es die Fernsehzuschauer nachher präsentiert bekommen. Der Assistent zieht wieder ab, eine Durchsage aus dem Off kündigt noch zehn Minuten an. Vor lauter Aufregung schwirrt mir der Kopf. Was mache ich eigentlich hier? Ich bin in diese Fernsehshow eingeladen, um meine neue Veröffentlichung vorzustellen. Fleißige Leser haben mich in der Zugriffsstatistik so weit nach oben geklickt, dass ich aus der Unsichtbarkeit des Publikationsstroms über die Sichtbarkeitsschwelle geraten bin.
Wir haben vorhin schon mal als Probe am blumengeschmückten Couchtisch gesessen, ein bekannter Moderator hat mit seinen Moderationskarten gespielt, routiniert ein paar unverfängliche Fragen gestellt. Stellprobe, Mikrofonprobe, Beleuchtung nachjustiert. Die Kameras müssen noch ein wenig verschoben, die Zoomeinstellungen korrigiert werden. Kontakt mit dem Regieboard hergestellt, der Produzent schaut noch mal vorbei.
Noch zwei Minuten, wie die unsichtbare Sprecherin ankündigt. Gleich nicht zu hektisch laufen, sitzt die Hose, was wollte ich als Eingangsstatement von mir geben? Langsam steigt so etwas wie Panik in mir auf, zwar ist die Hektik um mich einer geradezu beängstigenden Ruhe gewichen, aber gerade das lässt die ganze Szene unheimlich wirken. Die Regielampe ist auf gelb, Vorstufe zum Beginn der Sendung, letzte Phase vor meinem Auftritt.
Der Kloß in meinem Hals macht sich langsam dicker. Bekomme ich überhaupt noch einen Ton heraus oder noch schlimmer, selbst das Luftholen fällt mir schwerer. Jetzt kommt doch noch mal die Visagistin, sie hat wohl beobachtet, dass ich immer blasser werde, unter dem Vorwand, mir mit ihrem Rougepinsel ein wenig Farbe zu verpassen legt sie mir ihre warme Hand auf die Schulter. Wie gut das tut.
Die Lampe am Ausgang geht auf grün, der Assistent stürzt sich auf mich, zerrt an meinem Arm. Meine Beine sind unendlich schwer, ich komme nicht aus dem Stuhl heraus, die Lampen um den Spiegel scheinen sich zu bewegen, mein Spiegelbild wirkt verzerrt. Ein klarer Gedanke ist so natürlich nicht zu erwarten, ich sterbe vor Aufregung. Was hat mich nur geritten, mich auf dieses Abenteuer einzulassen, mich in aller Öffentlichkeit lächerlich zu machen, bei meinen Freunden heimliches Fremdschämen zu sorgen.
Ganz kurz schließe ich noch mal die Augen, sammle meine Gedanken, atme tief durch, versuche die Attacke zu beenden. Dann öffne ich die Augen wieder. Schweißgebadet schaue ich mich um. Ich bin zu Hause, am Schreibtisch, meine Frau steht neben mir und ruckelt an meinem Arm. Jetzt wieder ihre Hand auf meiner Schulter, es war gar nicht die Visagistin, aber jedenfalls tut es gut.
Natürlich bin ich nicht im Fernsehen, weder gehen meine Veröffentlichungen viral, noch habe ich eine umfassende Anhängerschaft oder vertrete gar so polarisierende Statements, dass ich öffentliche Aufmerksamkeit errege. Kein Grund zur Panik also, mein Leben wird nicht in das Scheinwerferlicht politischer oder literarischer Kritiker gezerrt, ich kann entspannt weiter das schreiben, was mir durch den Kopf geht und für andere interessant erscheint.
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