In meine Nase dringt der Geruch von Staub, vermischt mit altem Sofa. Langsam steigt die Erinnerung in mir auf, Jugend vermischt mit der letzten Nacht. Ich hatte mich mal wieder mit Jörg getroffen, nachdem ich ihn aus Zufall und einer vorausgehenden Laune heraus bei Facebook wiedergefunden hatte. Ein wirklich alter Freund, ein halbes Menschenleben haben wir uns nicht gesehen und nach vorsichtiger Kontaktaufnahme hatte sich dann der Wunsch entwickelt, mal wieder einen Abend miteinander zu verbringen.
Jörg war gar kein so ganz enger Freund gewesen, aber als Jugendliche hatten wir doch viel Kontakt miteinander. Es war eher Gabi, die uns verband. Eine süße Blondine, bei der ich es auch versucht hatte, ziemlich hartnäckig sogar, aber sie wollte leider nichts von mir wissen. Anders bei meinem Freund, für den sie merklich schwärmte. Ich war schon mächtig eifersüchtig, wenn die beiden Schmuseblues tanzten und unter der rot umhängten Stehlampe im Partykeller knutschten.
Das ging eine ganze Weile so, aus Liebelei wurde Freundschaft wurde Beziehung. Für mich schien es eine unendlich lange Zeit, in der ich bei jedem Treffen von seiner Gabi erzählt bekam. Dann wurde die Hochzeitsplanung eingeleitet. Die Suche nach der richtigen Location, Catering, Unterhaltung der Gäste, Musik, Getränke, Einladungslisten und Tischordnungen wurden durch endlose Abwägungen zur perfekten Kleidung ergänzt. Und erst die eigentliche Zeremonie mit Gabis Sprung aus dem Rathaus in die Arme von Jörg.
Fast war ich ein wenig erleichtert, als dann endlich die liebevoll ausgeknobelte Einladungskarte kam und die Planung der ängstlichen Vorfreude Platz machte. Der Hochzeitstag war natürlich vom Feinsten, nein, da wurde an keiner Stelle gespart, geradezu krampfhaft sollte es der schönste Tag und überhaupt ein spektakuläres Ereignis werden.
Hatte ich gedacht, diese Geschichte wäre der ultimative Höhepunkt und ab diesem Zeitpunkt könnte Ruhe einkehren hatte ich mich getäuscht. Liefen wir uns in den nächsten Monaten über den Weg bekam ich ausführlich erklärt, wie sie mit ihrem Kinderwunsch umgingen. Die mathematische Berücksichtigung des Zyklus, geeignete Liebespositionen und Details über die gewählten Praktiken waren mir mehr oder weniger peinlich.
Immerhin – im Dezember war es endlich soweit und die Beiden strahlten wie kleine Kinder, als sie in großer Runde über Gabis Schwangerschaft berichten konnten. Für alle armen Kinderlosen gab es noch kostenlose Ratschläge, dabei verwechselten sie munter Offenheit mit Exhibitionismus. Gott sei Dank dauerte aber auch bei diesem Paar die Zeit bis zur Geburt nur neun Monate, prall gefüllt mit der Auswahl eines Kinderwagens, Babyspielzeug, Herrichten eines Zimmers und Organisation von Vorbereitungs- und Säuglingsspielkreisen.
Julius, so sollte der Nachwuchs heißen, genannt Juli, damit er namentlich zwischen dem J von Jörg und dem i von Gabi landete. Dabei störte nicht, dass Juli erst im September zur Welt kam.
All dies zog wieder an meinen Augen vorbei, während ich auf dem alten Sofa im längst stillgelegten Partykeller unter Jörgs Wohnung lag. Ich zog noch mal die Luft ein, der Geruch des in die Jahre gekommenen Polsters war auch durch den aufgelegten Bettbezug wahrzunehmen. War da nicht noch ein anderes Mädchen gewesen, das Jörg schöne Augen gemacht hatte? Ich habe nie verstanden, was die Frauen an ihm attraktiv fanden, weder war er besonders hübsch noch bemerkenswert intelligent. Vielleicht weckte er in der einen oder anderen einen gewissen Jagdtrieb.
Der Name fällt mir nicht mehr ein, aber an die Szene kann ich mich noch erinnern, die sie gemacht hat, weil Gabi ihr angeblich den Rock nachgekauft hatte, so dass sie wie die Zwillinge auf der Party auftauchten. Männer können die Dramatik einer solchen Situation gar nicht recht einschätzen, aus nahezu heiterem Himmel brach ein Streit aus wie der dritte Weltkrieg.
Davon war gestern Abend nicht mehr die Rede gewesen, Jörg berichtete von Erlebnissen in jenen Jahren, die ich in der Ferne verbracht hatte. Juli war kaum auf der Welt, als sich die Spannungen zwischen den Eltern verstärkten. Zank um Kleinigkeiten, Gerangel um Verantwortung, zähes Ringen um jede Entscheidung. Ein weiteres Kind war geplant, aber eine Fehlgeburt beendete den Traum vom Geschwisterchen.
Das wiederholte sich mehrmals, auch ärztlicher Rat und allerlei Therapieversuche führten nicht zum Erfolg. Gabi nahm das sehr mit, die Vorwürfe gegenüber Jörgs vermeintlicher Impotenz nahmen immer seltsamere Facetten an. Doch unabhängig vom Auslöser mussten die Zwei der Tatsache ins Auge schauen, dass sie wohl nur ein Einzelkind haben würden.
Mir gegenüber stritt Jörg heftig ab, seiner Gabi fremdgegangen zu sein. Und auch seine Gattin konnte über Jahre hinweg verhindern, dass ihre heimliche Liebschaft ans Licht kam. Ein sportlicher Junge kickte ein wenig mit Juli, brachte ihn ins Bett und nutzte gerne mal die Gelegenheit, seine Auftraggeberin ebenfalls ins Bett zu begleiten.
Nicht gerade überraschend wurden dann auch der Rosenkrieg und die sich anschließende Scheidung für alle Umstehenden in vollem Umfang ausgelebt. Die sehr subjektive Wahrnehmung jeweils einer Partei und die Liste der Beziehungsmängel nahmen viel Platz in den gemeinsamen Gesprächen ein.
Gabi hat das eigentlich alles gut gemacht, findet Jörg nach Entkorken einer Flasche Wein auf alte Freundschaft. Sie waren zu der Zeit noch jung, konnten noch mal neu ansetzen. Eigentlich hätte man sich einen neuen Partner vorstellen können, aber erst mal ging es nicht, dann war das Kind im Weg und schließlich fehlte im entscheidenden Moment der Mut.
[Andere Blogs: Interdisziplinäre Gedanken, Dienstliche Glossen]
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