Ich muss mich jetzt konzentrieren, um die Geschichte einigermaßen korrekt zu rekonstruieren. Ganz nüchtern war ich nicht, aber auch nicht so betrunken, dass ich mich nicht mehr an die Szene erinnern könnte.
Aus dienstlichen Gründen musste ich mal wieder einen Vorabend und eine Nacht im Hotel verbringen, der Reiz, den diese Reisen früher für mich gehabt hatten, war längst verflogen. Ein weiteres Hotel, ein anderer Ort, eine austauschbare Fußgängerzone in einer uniformen Stadt – alles schon zu oft gesehen.
Auch die Hotelbar kam mir bekannt vor, obwohl ich sie nie zuvor betreten hatte. Zumindest war mein Cocktail anständig und der Barkeeper spendierte mir freiwillig ein Schälchen Knabberzeug. Es war nicht viel los hier, ein paar Tische besetzt, vorwiegend mit Paaren, die Urlaub verbrachten oder sich auf der Durchreise befanden.
Ebenfalls an der Bar, aber ein paar Stühle von mir entfernt eine Frau Ende vierzig, lange dunkelblonde Haare, schlank, Jeans über Turnschuhen, dazu ein blauer Pulli. Das Gesicht mit blaugrauen Augen ungeschminkt, schmale Wangen umrahmten eine eher kleine Nase. Sie ließ sich einen Campari-Orange machen, ich musste an meine Mutter denken und grinste. Es war wohl Zufall, dass sie ausgerechnet in diesem Moment zu mir herüberschaute und lächelte.
Ein freundliches Nicken, eher höflich als auffordernd, aber sie hatte Unterhaltungsbedarf und schon saß sie auf dem Hocker neben mir, prostete mir zu und verriet mir ihren Namen. Ich schaute aufmerksam in ihr naturschönes Gesicht, sicher war sie mal eine hübsche Frau gewesen, inzwischen hatte sie die beste Zeit hinter sich und strahlte eine innere Traurigkeit aus.
Ich hatte ja ursprünglich alleine an der Hotelbar gesessen, und bestimmt gibt es zahllose Männer, die sich in solchen Momenten weibliche Gesellschaft herbeisehnen. Die über eine Kontaktaufnahme erfreut wären oder auch weiteren Annährungen nicht abgeneigt gegenüber ständen. Aber ich wollte eigentlich nur meinen Cocktail trinken, den Abend beschließen und dann ins Bett gehen. Das störte meine neue Bekanntschaft aber nicht weiter, sie erzählte von ihrem Leben, angefangen bei ihren ersten Freundschaften bis zu ihrer ersten Ehe. Er war ein Versager gewesen, ein Kind hatte er mit ihr, aber dann hatte er nicht weiter mit ihr leben wollen. Auch der zweite Mann war ein Reinfall gewesen, super aktiv, ein Karrieremensch mit Begeisterung für Sport, aber auch für andere Frauen. Den dritten hatte sie dann gar nicht erst geheiratet, was sich als kluge Entscheidung herausstellte.
Männer sind alles Schweine, wie sie mir nach dem dritten Campari-Orange verriet. Mir kam der Verdacht, dass sie meinen Jagdtrieb erwecken wollte. Meinen Ehrgeiz anstacheln um ihr zu zeigen, dass ich anders bin, ein wirklicher Edelmann, reich, liebevoll, treu, charmant, aktiv und so weiter. Aber alles das bin ich nicht, bestenfalls treu. Und genau das kam unserer Liaison massiv in die Quere.
Sie hielt sich ziemlich fest an meinem Arm und ich bildete mir nicht nur ein ihre Hand deutlich unterhalb meines Rückens zu spüren. Enttäuscht war sie, enttäuscht von Männern, von ihren Beziehungen und von ihrem Leben. Es schien ihr Schicksal, dass sich alles wiederholte, jede Zweisamkeit früher oder später im Desaster endete.
Meine vorsichtigen Einwände, dass es möglicherweise gar nicht an all den bösen Männern, sondern an bestimmten ihr unbewussten Eigenschaften in ihrem eigenen Charakter liegen könnte, wollte sie gar nicht hören. Nein, das Unglück kam von außen und von dort auch immer wieder. Den Traumprinzen zu suchen, immer nur zu suchen und am Ende wieder gehen zu lassen, weil er zwar ein Traum, aber kein Prinz war.
Ich machte mich behutsam los, rutschte von meinem Barhocker und wähnte mich schon in Sicherheit, doch sie schlüpfte ebenso schnell von ihrem Hocker, hakte sich unter und schob mich zum Lift. Ohne mich zu fragen fuhren wir in den dritten Stock und torkelten ihrem Zimmer entgegen. Nein, sagte ich zu ihr, nein, ich möchte nicht unhöflich sein, aber ich liebe meine Zahnbürste und werde sie auch in den nächsten Minuten besuchen.
Ziemlich beleidigt versuchte sie noch mir einen Kuss auf die Wange zu drücken, murmelte Gute Nacht und verschwand in ihrem Zimmer. Ich atmete auf, war ich doch knapp der Jagd entgangen und sah vor meinem geistigen Auge schon ein Bild von mir an Ihrer Trophäen-Wand hängen. Wenn es ihr nur wirklich wichtig gewesen wäre, aber sie hätte sich vermutlich morgen noch nicht einmal mehr an meinen Namen erinnern können.
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