Eines Tages war da dieser Kopfschmerz
plötzlich gekommen. Als er auch nach ein paar Tagen nicht wegging, war ich zum Arzt gegangen, der mich dann untersuchte und nichts fand. Zwei Tage später war der Schmerz weg. Erst nach Wochen dachte ich wieder daran, als er plötzlich wieder da war, ohne Vorwarnung, ohne Anlass. Ich fuhr zu einem Spezialisten, der mir von Freunden empfohlen wurde, und auch dieser untersuchte mich sehr genau, machte ein ernstes Gesicht und erklärte mir, dass ich damit in Zukunft öfter zu rechnen habe. Er sagte auch, dass das am Anfang ganz normal sei und verschrieb mir Tabletten, die furchtbar schmeckten und nur nach Überdosierung den Schmerz linderten.
Ich fand heraus, dass die Wirkung der Tabletten sich mit einem Glas Wein oder Sherry steigern ließ, und so nahm ich bald jeden Abend meine Medizin, was nötig wurde, da der Schmerz nun mein steter Begleiter wurde. Manchmal, wenn es ganz arg war, nach ich auch tagsüber eine von den Tabletten mit einem Schluck Rotwein aus einer Flasche, die ich in meinem Schreibtisch deponiert hatte. Als ein Kollege dahinterkam, dass ich nach der Einnahme meiner Medizin zwar schmerzfrei aber auch arbeitsunfähig war und drohte, meinen Chef zu verständigen, nahm ich sie nur noch heimlich.
Ich ging auf die Toilette und spülte sie mit Schnaps hinunter, den ich im Flachmann stets mit mir führte. Doch die Heimlichkeit stresste mich, die Wirkung der Tablette ließ nach und ich musste zwei nehmen oder sehr viel Alkohol trinken, um einigermaßen schmerzfrei zu sein.
Ja, und irgendwann saß ich dann mit geöffneten Augen aber jeden Gedankens unfähig an meinem Schreibtisch, als mein Chef hereinkam. Es gab keine lange Diskussion, er bedeutete mir nur sehr klar, dass das nie wieder vorkommen dürfte. Natürlich kam er jetzt öfter in mein Büro, was mich wieder stresste und zu einer Erhöhung der notwendigen Dosis führte. Fast war ich froh, als er mich endlich hinauswarf.
Jetzt sitze ich zu Hause, den Spezialisten, bei dem ich in Behandlung war, wollte meine Krankenkasse nicht mehr bezahlen, mein Hausarzt darf mir meine Tabletten nicht verschreiben. Manchmal denke ich, er ist weg, aber er ist nicht weg, er wartet nur diskret im Hintergrund, bis ich wieder nüchtern bin, um sich wieder auf mich zu stürzen und mich zu quälen, bis ich ihn dann nicht mehr fühle, nichts mehr fühle außer der Schwere meiner Beine, die ich hochlege, wenn ich ins Bett gehe. Meine Freunde kommen jetzt seltener zu Besuch, schon mal rufen sie an und sagen, wie entsetzlich leid ich ihnen tue.
Letzten Monat bin ich eines Morgens auf der Toilette aufgewacht, ich hatte wie so oft erbrochen und mechanisch das Fenster geöffnet. In der ganzen Wohnung stank es nach Gas und ich wusste, ich hatte versucht, mich umzubringen und war nur durch einen Zufall meinem eigenen Mordanschlag entgangen. Das war der Tag, an dem ich mit einem Hammer alle Flaschen in der Badewanne zertrümmerte, die ich finden konnte, nur damit ich mich nicht wieder besaufen und doch noch umbringen konnte. Ich setzte meinen ganzen Willen ein und sagte mir, dass mein Körper erfahren müsste, dass ich immer noch Gewalt über ihn hätte.
Mein Körper hat mir dann gezeigt, dass er stärker ist, meinen Willen in einer wochenlangen Schmerzperiode gebrochen und deshalb werde ich heute Abend das Bad abschließen und den Hahn aufdrehen. Der Hausarzt hat mir gesagt, er lässt nach, bald, sehr bald. Aber der Kopfschmerz ist nur die Vorwarnung, Ausdruck des Kampfes, den mein Körper verzweifelt führt und der doch nicht zu gewinnen ist, weil das Immunsystem zerfällt und sobald es dann zerfallen ist und den Kampf aufgibt gegen meine Schmerzen, dann fühle ich bald nichts mehr, gar nichts mehr.
Ich könnte in ein Krankenhaus, hat der Arzt mir gesagt, aber ich will nicht, solange ich kann, will ich selbst bestimmen und heute Abend feiere ich ein letztes Mal, um dann mein angesammeltes Wissen und meine Erfahrung zu vernichten mit einer Handbewegung.
Hauptsache, diese letzte Sache ist schmerzlos.
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