08 April 2022

Jetzt Du, Joe!

Mein Freund Joe heißt eigentlich Josef, aber das ist total uncool und passt nicht zu seinem Auftreten und seiner Lässigkeit. Amerikanisch ist gut, deutsch ist spießig und langweilig. Die Frauen finden ihn toll, seine bestimmende Art, er weiß, was er will.

Ich mag ihn, bei ihm ist immer was los, und von seinen allzu wilden Exzessen verschont er mich. Ich bekomme nie mit, dass er Drogen nimmt, auch wenn mir andere Jungs regelmäßig davon erzählen. Heute habe ich allerdings Stress mit ihm, er ist davon überzeugt, dass ich seine Tussi angegraben habe. „Nein“, versuche ich ihm zu erklären, „ich habe nicht angefangen, sie ist zu mir gekommen und dann haben wir uns eben unterhalten.“ – Überzeugt wirkt Joe nicht gerade, er stößt mich gegen die Brust, erklärt mir, dass man so was unter Freunden eben nicht bringen kann. Und dass ich ihm nicht in die Quere kommen soll. Was ich ja auch nicht tue, obwohl mir seine Freundin durchaus auch ganz gut gefällt.

Eben holt er wieder aus, boxt mich gegen den Arm, „Au, was soll das?“, langsam werde ich sauer. Joe ist größer, stärker und hat so seine brutale Seite. Körperlich will ich mich nicht mit ihm messen, aber warum sollte ich auch.

Pete (eigentlich Peter) kommt dazu, das ist Joes Bandkumpel am Schlagzeug. Ziemlich robuster Kerl, Arme wie Popeye, aber total friedlich. „Was’n los hier?“ will er wissen und erkennt im ersten Moment, dass Joe mal wieder einen Eifersuchtsanfall hat. „Um welche Trulla geht’s denn diesmal?“ und mit lässiger Bewegung greift er Joes Faust, die sich schon wieder in meine Richtung in Bewegung setzt. Sofort herrscht Ruhe, mein übercooler Freund brummelt noch „Nika“ vor sich hin und dann nestelt er eine Selbstgedrehte aus der Jackentasche und zündet sie an.

Auftritt Veronika. Kein schlechter Fang mit den langen blonden Haaren, den großen Bällen im Pullover und der knackigen Rückenansicht. Nur dass sie ein bisschen doof ist und meist irgendwelche Witze nicht versteht. Und dann der Name. Es scheint unmöglich, ihn ein wenig cooler zu machen, uns fällt nichts Besseres ein, als sie Nika zu nennen.

Also Nika steht jetzt bei uns, strahlt in die Runde und ihr Blick bleibt bei mir hängen. Ich schaue ein wenig unbeteiligt, sonst wird Joe direkt wieder stinkig. „Schlecht drauf heute?“ will sie von mir wissen, „war gestern aber mehr drin.“ Oh Gott, das ist nicht das, was sie hier so herumposaunen sollte. Ich stöhne leise, naja, solange Pete in der Nähe ist, muss ich keine Angst vor einer Prügelei mit Joe haben. Trotzdem blöd. Die Stirn von Joe kräuselt sich, bei nächster Gelegenheit kann ich mir wieder irgendwelche Texte von ihm ins Ohr drücken lassen. Dabei war fast nichts, ich bin mir inzwischen selbst nicht mehr so sicher, ob wir uns nur unterhalten haben.

Ich muss aussehen wie der totale Loser, der Qualm von Joes Kippe zieht mir gerade ins Gesicht, er macht sich einen Spaß daraus, mich damit zu ärgern. Pete hat seine Zeige- und Mittelfinger ausgestreckt und gebraucht sie als Trommelstöcke auf Joes Tasche. Es wird entspannter, Nika schaut ihm zu, fängt an, irgendeinen Titel aus den Charts zu singen. Erst leise, dann immer lauter (leider auch immer schlechter). Joe verdreht die Augen, Pete strahlt, ich würde mir am liebsten die Ohren zuhalten.

Ein Mädchen, drei Jungs, das kann nicht gut gehen. Nika drückt sich an Pete, das ist sogar ein ankuscheln und Joe kann nichts sagen, denn sie ist ja gar nicht fest mit ihm zusammen. Eigentlich ist sie mit niemand fest zusammen, und wenn sie hier jeden von uns mal an sich ranlässt, dann hat das nichts zu bedeuten. Trotzdem bin ich neidisch auf Pete, wütend auf Joe und die blöde Schnalle, die uns drei hier gegeneinander aufbringt.

Joe hat fertig geraucht, „ich hol mir noch was“ trollt er sich und schon springt Pete auf und schließt sich ihm an. Unversehens sind Nika und ich allein, beide ein wenig überrascht. „Warum spielst du eigentlich nicht mit“, will sie wissen, „die beiden rocken voll los, ich bin die Röhre und irgendwas kannst du doch auch heizen“. Sie singt nicht gut, auch meine beiden Freunde sind eher laut als harmonisch unterwegs. Aber am Mikro ist sie ein Eyecatcher, der Rest ist egal. Was soll ich da mit meinem Akkordeon, das würde eher zu einer Vroni im Dirndl als zu einer Nika mit Strapsen passen. Verlegen schaue ich zur Seite, sie schnappt mich an den Schultern, schüttelt mich durch und lacht schallend.

Wir sind jetzt wieder zu viert, tatsächlich hat Joe seine Gitarre unter dem Arm, schrammelt ein paar Akkorde, Pete schnappt sich ein paar Stöcke und drischt auf den Tisch ein. Bierflaschen werden geöffnet, es gehört dazu, sie zu rotieren. Glücklich, wer die Flasche nach Nika bekommt. Nach der dritten Runde wird es lauter, wilder, die Jungs beschließen in den Musikkeller zu ziehen, vielleicht ist er unbesetzt. Ich will nicht, Nika ist inzwischen angeschossen und bockt auch herum. Wenn ich nicht mitgehe bleibt sie auch.

Kurz unschlüssig, dann schnappt sich Pete meine Arme und wirft mich wie einen Sack über seine Schulter, trabt los in Richtung Musikkeller. Ich lasse mich hintragen, zwinkere Nika zu, und gerade fällt mir ein Titel ein, den ich lautstark singen kann. Klar, gleich ist Schluss mit Singen, den kleinen Nerd werden sie nicht ans Mikro lassen. Aber sie brauchen mich, weil ihnen sonst wieder der Marshall um die Ohren fliegt.


Wir haben Glück, der Raum ist leer, der Hausmeister nicht zu sehen und schon thront Pete hinter den Becken und Joe stöpselt seine Fender in den Verstärker, während ich die Anlage starte und die Regler vorsichtig hochschiebe. Nika sucht ein Mikrofon, leider auch kein Kabel aufzutreiben, das ist ja total ätzend heute. Schließlich doch angekoppelt ist ihr der Hall zu stark, das Echo zu schnell und ihr ist warm. Das Oberteil fliegt in die Ecke, Pete hämmert irgendeinen Groove, der nicht zu Joes Riff passt. Nika windet sich vorne um eine unsichtbare Stange, wenn es sowas wie Luftgitarre gibt, dann ist das hier Luft-Poledance.

Mit dem Kopf zuckend schreit sie irgendwelche Texte in das Mikro, nicht schön aber laut. Kurze Bierpause, ich schiebe heimlich den Master etwas runter, das hält ja kein Mensch im Kopf aus. „Jetzt du, Joe“ kreischt unsere selbsternannte Rockröhre und der Gitarrenjunkie mit der halbgerauchten Kippe im Mund lässt es sich nicht zweimal sagen. Verbiegend rutscht er auf den Knien zwischen Nikas Beine, bearbeitet die Saiten als gäbe es kein Morgen. Die Basedrum dröhnt, die Snare klirrt und Ride- und Crashbecken scheinen durch die Luft zu torkeln. Joe ist hinter Nika wieder auf die Füße gekommen, stößt ihr rockend die Gitarre gegen den Rücken, umdrehend „Jeah, jeah, jeah, Joe, jetzt du!“.

Mitten in diese wilde Rockschlacht fliegt die Tür auf. „Was macht ihr denn hier? Das ist nicht euer Raum, raus hier.“ Ziemlich ernüchternd. Wir schauen uns an, wägen ab, ob wir was sagen können, aber auch wenn selbst ich den kleinen Hausmeister niederstrecken könnte, wäre das voll blöd. Ein letzter verklingender Akkord, abschließender Wirbel auf allen Tomtoms und dann macht Nika den Sack zu, schließt die Augen und stöhnt noch mal „Jetzt du, Joe“.

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