07 April 2023

Wir feiern Karfreitag

Wir feiern Karfreitag
Du sitzt neben mir, ein Glas mit hausgemachter Limonade in der Hand. „Sag mal, heute ist doch Karfreitag“ – „Ja“ – „Ich erinnere mich, als Kind war das ein furchtbar schwermütiger Tag. Man durfte nichts Leckeres trinken, nichts Lustiges machen, alles war geschlossen, selbst die Musik im Radio war getragen und Trauer, Trauer, Trauer.“

„Stimmt“, sage ich, „früher war das immer Hardcore-Depri. Verordnete Trübsal, ein wichtiger Tag in der Abarbeitung des Gefühlskanons nach Spaß und Freude zu Karneval.“ – „Genau!“, rufst du, „Karneval als Gegengewicht, als ausgelassenes Feiern, als ultimativer Spaß.“

Du nimmst einen Schluck, ich laufe zum Vorrat mit den Salzstangen. Wenn man die Fastenzeit schon ausklingen lässt, dann richtig.

Nach kurzer Pause legst du nach: „Karneval war aber auch schon immer eine Gelegenheit für Kennenlernen, für Bekanntschaften, für Fremdgehen. Wie viele One-night-stands gab es da, meine Freundinnen haben es ja nie zugegeben, aber da lief schon einiges.“

„Im Gegensatz zu Karfreitag, oder?“ -  „Eigentlich wäre ja jetzt Gelegenheit, da Restaurants geschlossen haben und viele Gläubige die Ohren hängen lassen – das ist doch der perfekte Moment, um mal gegenzuhalten und den Tod fröhlich zu feiern.“

Ich bin nur einen kurzen Moment überrascht, dann denke ich an die Feiern in anderen Ländern. Beispielsweise kennen die Mexikaner einen Tag der Toten (Dia de los muertos), in seiner Ausprägung durchaus verwandt mit unserem Karneval.

„Mein Gott, ja. Was für ein positives Signal geht davon aus, wenn man nicht den Kopf hängen lässt, sondern den Verstorbenen seine Achtung und seinen Respekt zollt. Irgendwie haben sie es ja schließlich geschafft.“

„Ich weiß nicht so recht. Wie könnte man ‚geschafft‘ verstehen? Als ob es eine Leistung wäre, das Leben hinter sich gebracht zu haben. Oder noch mal im Sinne von Karfreitag: Auch wenn immer davon die Rede ist, dass sich Jesus aus freiem Willen dem Leiden unterwarf – hätte er nicht gerne noch ein Weilchen weitergemacht und lebendig seinen Mitmenschen gegenübergestanden?“

Da ist was dran und auch das Trauern um den Verlust ist ja grundsätzlich nachvollziehbar. Aber andererseits könnte man auch die Dankbarkeit in den Mittelpunkt stellen. Und den Tod nur im Sinne des Lebens auf der Erde als final sehen.

Eine Weile sitzen wir schweigend nebeneinander. In Gedanken versunken beschäftigen wir uns mit den Veränderungen im Leben. Ein Mensch geht, vielleicht zieht er nur weg, oder er will nichts mehr mit uns zu tun haben. Oder er stirbt. „Trauer“, sage ich zu dir, „Trauer gibt es in so vielen Situationen. Ob nun bei Jesus oder in unserem persönlichen Alltag. Wir müssen mit Verlusten klarkommen, das ist Bestandteil unseres Lebens.“ – „Absolut richtig. Und gerade deshalb finde ich es so wichtig, die Stunden vor Ostern mal über Trauerarbeit nachzudenken. Ich glaube es ist nicht richtig, Trauer automatisch mit Depression und Niedergeschlagenheit zu verbinden. Das leben uns manche Völker ja deutlich vor. Was aber andererseits nicht heißt, dass man das Abschiednehmen ignoriert.“

Es dämmert. „Zeit, ins Bett zu gehen“, sage ich zu dir, und weiter: „Die Kunst besteht auch hier darin, ein Gleichgewicht zu halten. Mitfühlen ohne sich runterziehen zu lassen. Den Weggang eines Menschen als Möglichkeit zu sehen, neue Personen kennenzulernen, die vermeintliche Lücke zu schließen.“ Und während wir die Gläser in die Spülmaschine räumen läuft das Gespräch langsam seinem abendlichen Ende entgegen. Irgendwie eine Form des täglichen Karfreitags der Gespräche und Gedankenreisen.

[Gemälde in Copyright meiner Frau.]

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