Etappe in die Hitze
Über mir an der Decke ein in die Jahre gekommener Ventilator. "Miefquirl", hätten wir als Jugendliche gesagt, daran denke ich während ich ihm zusehe, wie er in bemerkenswert geringer Geschwindigkeit seine Flügel dreht. Der Schalter an der Wand ist wackelig, ich habe ihn mir vorhin angeschaut und mich entschlossen, nicht auf eine höhere Stufe zu schalten. Mit Sicherheit dreht er sich dann gar nicht mehr oder der Schalter gibt funkensprühend den Geist auf.
So liege ich weiter schwitzend auf dem Bett, das durchgelegen ist von unzähligen früheren Ruhesuchenden, freiwillig Eingekehrten, Schlafenden, Abenteuerlustigen. Das muss man nämlich sein, wenn man an diesem Zipfel der Zivilisation angekommen ist. Der Begriff Luxus ist hier unbekannt, selbst unter Komfort versteht man hier etwas anderes als in allen bisher von mir bereisten Ländern.
Ich schaue an mir herunter, um die Hitze ein wenig erträglicher zu gestalten habe ich mich komplett ausgezogen. Ein wenig nackt fühle ich mich schon, wenn ich ohne Unterhose zwischen den hochstehenden Knien hindurch zu meinen Zehen schaue. Ich ziehe die Füße an, wackle mit den Zehen und freue mich, dass diese Bewegung nicht in einem Schweißausbruch endet.
Gerade kommen wieder Bilder hoch, die mich an meine bisherige Tour erinnern. Die ersten Etappen haben mich in Bögen weg von der Hauptstadt ins Landesinnere gebracht. Manche Strecken konnte ich mit dem Bus zurücklegen, dann wurde das schwieriger, wie die Einheimischen mir versicherten sind die Verkehrsmittel selten und fahren zu nicht vorhersehbaren Zeiten zu nicht planbaren Zielen. Es ist eher ein demokratischer Prozess der Selbstorganisation, der Fahrer richtet sich nach den Reisewünschen der Mehrheit, solange das Benzin reicht.
Nach ein paar Tagen traf ich einige Tramper wieder, die mit mir in der Hauptstadt gestartet waren, aber ganz andere Zwischenstationen genommen hatten. Beim Blick auf die Karte konnten wir nicht erkennen, welche Route zu unserem unerwarteten Treffpunkt geschickter gewesen war. Genau genommen waren wir noch nicht einmal sicher, ob wir nicht beide in unterschiedlichen Kreisen wieder nahe am Ausgangspunkt waren.
Andererseits kam es ja nicht darauf an, ein konkretes Ziel hatte keiner von uns, im Wesentlichen verband uns die Neugierde auf fremde Kultur, fremde Menschen, fremde Haut. Nicht touristisch sollte es sein, da waren wir uns einig, nicht einmal so ähnlich wie Backpacker, nein, wir wollten so tief in dieses Unbekannte eintauchen wie nur irgendwie denkbar. Über andere Ansichten zu sprechen, andere Kulturen zu erleben, das schien uns nicht genug. Ziel musste es sein, diese Seite der Menschheit mit Haut und Haaren kennenzulernen.
Was wir uns an einem alkoholgeschwängerten Abend erzählten, versank bis zum nächsten Morgen ein Stück weit im Vergessen, aber ein wenig hallte es als Erinnerung nach, ungenau, mehr als Gefühl, ein wenig sogar wie ein Auftrag. Wir hatten uns wieder getrennt, die drei Jungs und zwei Mädchen marschierten tapfer mit ihren Rucksäcken weiter, ich blieb zurück und wartete auf den nächsten Bus, egal wohin.
Das Zeitgefühl war mir mehr oder weniger abhandengekommen, ich registrierte die Tage mehr am Auf- und Untergehen der Sonne, am Verbrauch meines Geldes. So bald war noch nicht an Rückkehr zu denken, süßes Nichtstun in den Tag hinein, zielloses Surfen durch die Gegend und die Zeit. Ich glaube ich verbrachte noch zwei Tage in der kleinen Unterkunft, dann ging es weiter zu der Siedlung, in der ich jetzt angekommen war. Sie gefiel mir auf Anhieb, war für diese menschenleere Gegend erstaunlich groß und hatte sogar so etwas wie einen Laden und eine Bar.
Das gesamte Leben schien hier nicht in den Häusern, sondern im Schatten daneben oder auf improvisierten Bänken auf dem zentralen Platz stattzufinden. Man traf sich, man trank etwas (meistens Tee), unterhielt sich und spielte irgendwelche Brett- oder Kartenspiele. Zwischen den Generationen schien so wenig Unterschied wie zwischen den Geschlechtern, junge Frauen saßen bei Greisen auf dem Schoß, ältere Frauen spielten in wechselnden Mannschaften so etwas wie Boule.
Nach einigen Tagen neugieriger Interviews hatten sie sich an meine Anwesenheit gewöhnt, ich gehörte nicht wirklich dazu, war aber auch kein Fremdkörper. Und auch als eine Woche später die beiden Trampermädchen ohne die Jungs auftauchten waren die Bewohner nur mäßig erstaunt. Der Wirt schenkte einen ziemlich scharfen Schnaps aus, dessen Namen ich mir nicht merken konnte, bis in die Dämmerung wurde gezecht.
Der nächste Tag empfing uns wieder mit der gewohnten Hitze, einer Mischung aus hoher Temperatur und Trockenheit, die zu einer dauerhaft klebrigen Haut führte. Wir nahmen die Herausforderung an, saßen im Schatten der Häuser am Platz in der Dorfmitte, nur mit Shorts und dünnen T-Shirts.
Pünktlich zu Mittag kamen die Männer von den Feldern, der Dorfplatz füllte sich, es gab Mittagessen und Krüge machten die Runde. Kein rechtes Gelage in der Mittagshitze, nur eine Mahlzeit und dann leerte sich der Platz, die Einheimischen legten ihre Siesta ein. Wir schauten uns an, ließen noch mal den Krug herumgehen und beschlossen dann, es den Einheimischen gleichzutun.
Auf dem Weg zu der Unterkunft kam irgendeiner von uns auf die Idee, dass wir noch duschen müssten, bevor wir unser Nickerchen einlegten. Und da es nur eine Dusche im ganzen Haus gab, die aus ihrem altersschwachen Duschkopf auch nur ein besseres Rinnsal heraustropfen ließ, mussten wir um die Reihenfolge rangeln. Nicht gerade nüchtern entschieden wir dann, dass wir alle das gleiche Recht auf Wasser hätten und plantschten so gut es ging alle gleichzeitig unter dem Wasserstrahl.
Später lagen wir trocknend von der Dusche und langsam wieder nasser werdend vom Hitzeschweiß auf dem Bett und dämmerten durch den Nachmittag, bis es auf dem Dorfplatz wieder lebhafter wurde. Die beiden Tramperinnen verzogen sich auf ihr Zimmer, ich blieb noch liegen, in einem Zustand zwischen Wachen, Träumen und Schlafen.
In diesen Zustand der völligen Entspannung, fast Erschlaffung klopfte es an der Tür, die Wirtstochter öffnete (Schlüssel gab es sowieso nicht), und setzte mir einen Krug auf den wackeligen Tisch. Vermutlich war wieder der bekannte verdünnte Wein drin, den man hier zu jeder Tages- und Nachtzeit wie andernorts Mineralwasser konsumierte.
Neugierig und ein wenig verlegen schaute mich die junge Frau an, die gespielte Überraschung nahm ich ihr nicht unbedingt ab. Sie war nicht besonders hübsch und vermutlich war ich in ihren Augen auch nicht gerade der Adonis, den sie von den kräftigen Burschen im Dorf gewohnt war. Aber sie wollte sich wohl die Chance nicht entgehen lassen, den anderen Mädchen zu berichten, wie der Fremde aussieht.
Beim Einschenken schlabberte sie ein wenig, putzte die verschüttete Flüssigkeit recht umständlich auf und lies mich dabei so gut es ging ihre Rundungen bewundern. Hitzeträge machte ich keine Anstalten, ihre Annährungen zu erwidern, bedankte mich nur höflich für das Getränk und drehte mich auf dem Bett zur Seite.
Hinter meinem Rücken hörte ich sie zum Tisch gehen, dann hatte sie es sich anders überlegt, kam noch einmal zum Bett, ich fühlte ihre Hand wie zufällig ganz schnell von meiner Schulter über Rücken, Po und Beine bis an meine Füße streichend. Noch bevor ich mich umdrehen konnte hörte ich sie wieder zur Tür eilen und dann war sie auch schon verschwunden.
War es das, was ich vor ein paar Abenden erzählt hatte, was wir diskutiert hatten und wie wir Land und Leute mit Haut und Haaren kennen lernen wollten? Hatte ich das gerade wirklich erlebt oder war es nur die alkoholschwangere Phantasie eines Jungen, dessen Hormone in der Glut des Südens verrücktspielten?
Ich schaute mich um, tatsächlich war da der Krug auf dem Wackeltisch, aber der könnte auch vorher schon dagewesen sein. Und ich war nackt, alles an mir war schlaff vom Kopf bis zu den Zehen, aber das war ja auch nicht außergewöhnlich, solange ich unter dem lahmen Deckenventilator vor mich hin schwitzte.
Durch die dünne Wand hörte ich die beiden Tramperinnen im Nachbarzimmer herumräumen, sicher würden sie gleich runtergehen und in der nachlassenden Hitze mit den anderen Karten spielen oder sich vielleicht auch wieder von den Einheimischen irgendwelche Volkslieder beibringen lassen.
Jedenfalls sollte ich mich langsam mal anziehen.
-> [Episode 2]
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