12 Juli 2024

Hinter dem Horizont ging es weiter (2)

Aufdringlicher Mitreisender

Irgendwann wurde mir das Dahinschlummern doch zu langweilig. Zwar kam ich mehr und mehr in einen Modus der Trägheit und Antriebslosigkeit, aber andererseits wuchs immer stärker der Wunsch, in dem fremden Land etwas zu erleben. Die kurze Andeutung eines Abenteuers mit der Wirtstochter hatte sich nicht weiter entwickelt, ich glaube, bei ihr prickelte es, aber am Ende passierte dann doch nichts.

Nach meinem Beschluss den Rucksack zu packen wartete ich nun noch auf den Bus, der sich wie erwartet nach ein paar Tagen mit einer theatralischen Staubwolke ankündigte, bevor er auf dem Platz hielt und seine Reisenden in den Schatten der Häuser entließ. Unter abschließendem Aufheulen blieb dann der Motor stehen und der Fahrer kam die Treppe an der Fahrertür heruntergestiegen.

Bis zum Abend ging es erst mal nicht weiter, alle mussten sich stärken, etwas essen und den typischen Schnaps trinken. Mit langsam abnehmenden Temperaturen wurde es auch schlagartig dunkler, so dass angesichts der defekten Scheinwerfer ohnehin nicht an eine Fortsetzung der Fahrt zu denken war. Fröhlich feiernd und singend wurde der Fahrplan kurzerhand auf den nächsten Tag verschoben.

Hatte ich mich zuerst ein wenig mit dem Fahrer unterhalten war es jetzt ein junger Mann, der meine Aufmerksamkeit erregte. Wir schauten uns an und waren uns sofort sympathisch. Wie sich herausstellte war er ebenfalls aus Deutschland angereist, auch ihn trieb die Neugierde und seinen Eltern hatte er etwas von Studienreise und der Erweiterung des kulturellen Horizonts erzählt.

Gesprächsthemen gab es genug, wir tauschten uns über unsere Erfahrungen mit den Einheimischen aus, die andere Lebenseinstellung, diese andere Vorstellung von Zeit und dieser ungewohnte Umgang mit allem, was man gemeinhin als Wohlstand bezeichnen würde. Er kam aus einer gut situierten Familie, wollte nach dem Abitur nun etwas erleben und anschließend studieren. Das Fach hatte er noch nicht so genau herausbekommen, „irgendwas mit Menschen“ wie er mir ins Ohr flüsterte.

Überhaupt war er ein sehr ruhiger Zeitgenosse, flüsterte viel und hatte gar keine Lust auf die landestypischen alkoholischen Getränke. Stattdessen holte er aus seinem Rucksack allerlei verschiedene Kräuter, die er in aufwendiger Zeremonie mischte und mit Tabak vermengte. Diese Mixtur rollte er zu einer Zigarre und bot sie mir an. Erst zögerte ich, Zigaretten hatten mich nie gereizt aber hier war es doch etwas anderes.

Hinter dem Horizont ging es weiter 2
Er zündete sein Tütchen an, zog daran und reichte es mir herüber. Wir saßen etwas abseits der anderen, beobachteten den Trubel der in der Dämmerung lebendig werdenden Dorfbewohner und zogen nun abwechselnd an dem selbstgedrehten Kräutermix. Für mich war es ungewohnt, war mir bei einem Zug schlecht hatte ich beim nächsten Zug Halluzinationen. Die spärliche Beleuchtung bekam farbige Ränder, die Ohren meines Gesprächspartners wuchsen ins Unermessliche.

Nun schaute er mich an, seine bis dahin freundlichen Augen wurden riesig während die Ohren wieder auf ihre Normalgröße schrumpften. Wie mir die Mädchen im Dorf gefielen, wollte er wissen. Sicher war auch er nicht mehr nüchtern, denn seine Fragen wurden immer direkter und jetzt wollte er wissen, ob ich schon gewisse Erfahrungen gemacht hätte. Nein, erklärte ich ihm, bislang hatte ich immer alleine geschlafen, bis auf ein paar feuchte Träume war nichts passiert.

Ich erzählte ihm von der Wirtstochter, von der Duschorgie mit den beiden Tramperinnen und dass ich gerne weiterreisen wolle und sich da dann doch noch was ergeben könnte. Soweit ich es im schummrigen Licht erkennen konnte hatte er ganz glänzende Augen, erzählte mir von seinen bisherigen Reiseetappen und dass er mit einem befreundeten Pärchen gestartet war. Angeblich hatten sie vor seinen Augen miteinander geschlafen und ihn aufgefordert mitzumachen. Ich nahm ihm das nicht ab, zumal er nach meiner Einschätzung ein eher nüchterner Typ war.

Aber er bestand darauf, die Wahrheit gesagt zu haben, wobei seine Stimme unter Einfluss der Kräuter schon ziemlich undeutlich wurde. Ganz bestimmt, behauptete er, das wäre auch der Grund für die Trennung gewesen, er hätte sich als Voyeur total unwohl gefühlt. Aber wenn ich es nicht glaubte, dann wollten wir wetten, und hier und heute Abend einen Dreier organisieren.

Hatte ich ihn vorhin irgendwie ganz nett gefunden und war froh gewesen, mal wieder einen Landsmann zu treffen, wurde er mir zunehmend unangenehm. Es waren schöne Tage hier gewesen, die Leute alle so freundlich, die Atmosphäre so harmonisch, dass ich es nicht für die Laune eines bekifften Typs aufs Spiel setzen wollte.

Langsam stand ich auf, merkte jetzt die ganze benebelnde Wirkung seiner Kippe und machte mich torkelnd auf den Weg zu meiner Herberge. Hinter mir hörte ich, wie auch er sich hochstemmte, mit wenigen Schritten bei mir war und mich fest am Arm packte. Während ich daran dachte, der peinlichen Szene ein Ende zu setzen hatte er es wohl so verstanden, dass ich seine Wette annähme und nun mit ihm eine Gespielin suchen wolle.

„Nein, das ist alles anders“, hörte ich mich sagen, „ich glaube, ich möchte nur noch ins Bett.“ „Natürlich, wollen wir nicht alle ins Bett“, kam von ihm, „aber doch nicht alleine“ setzte er nach. Oh mein Gott, worein war ich nur geraten, ich versuchte ihn loszuwerden, aber meine Arme gehorchten mir nur recht eingeschränkt.

Vermutlich hatten wir ein ziemlich erbärmliches Bild abgegeben, denn jetzt wurden auch ein paar Einheimische auf uns aufmerksam, ein kräftiger Feldarbeiter kam auf uns zu, um uns zu stützen und zum Zimmer zu begleiten. Mir war das Recht, meinem neuen Freund durchaus nicht. Mit einer Geste des Dankes schob er den Arbeiter zu Seite und bedeutete ihm, dass wir alleine zu Recht kämen.

Als ich ihn auch vor meiner Zimmertür nicht loswurde hatte ich langsam den Verdacht, dass es ihm gar nicht auf den angekündigten Dreier ankam, dass er eher ein Abenteuer mit mir vor Augen hatte. Das war allerdings das Letzte, was ich an diesem Abend erleben wollte und mit letzter Kraft wehrte ich seine Hände ab, die ich jetzt wie bei einer Polonaise auf meinen Schultern fühlte.

Sekunden später hatte ich die Tür geöffnet, war in mein Zimmer geschlüpft und hatte die Tür wieder hinter mir geschlossen. Einen Moment stand ich in der Dunkelheit, nur das leise Summen des Deckenventilators, der Geruch von verschüttetem Schnaps und die Hitze der Nacht. Mit wenigen Schritten war ich beim Bett, dann fiel mir ein, dass sich die Tür nicht abschließen ließ. Was nun, wenn er in der Nacht zurückkehrte und seine Phantasie mit mir ausleben wollte?

Der Schnaps, den ich den Tag über getrunken hatte in Kombination mit den Drogen, die er mir verabreicht hatte, machten diesen Gedanken ein Ende. Mein Kopf sank auf das Kissen, ich hatte gerade noch genug Energie, um meine Schuhe auszuziehen, das Hemd aufzuknüpfen und die Hose auf den Boden fallen zu lassen. Dann sank ich in tiefen Schlaf und alles um mich herum war mir ziemlich egal.

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