03 Juni 2022

Nachts unterwegs (1+2/6)


Ich habe das immer gehasst. Wenn mein Sportlehrer beim Klassenausflug mit seinen Spielen anfing. Das musste dann zünftig zugehen, wie es sich für Jungs gehört. Eine seiner tollen Ideen war eine Nachtwanderung zu unbekanntem Ort, allerdings von verschiedenen Trupps ausgespäht und verteidigt. Da ging es um Losungen, um Dresche für die Gegner und Davontragen eines einmaligen Sieges. Nichts dabei, was mich gereizt hätte.

Also raus aus der Jugendherberge, Mannschaften eingeteilt und erst mal in die vier Himmelsrichtungen geschickt. Mir war gar nicht wohl dabei, insbesondere, weil ich in einer Gruppe nicht gerade kampferprobter Mitstreiter gelandet war. Die Dunkelheit brach herein, wir hockten uns an einen Baum und berieten einen Plan. Die anderen Mannschaften waren nicht zu sehen oder zu hören, wir konnten sie einfach machen lassen und hier darauf warten, dass das Spiel ohne uns zu Ende ging. Aber dieser ziemlich schnöde Plan ließ sich dann doch nicht umsetzen, weil es um uns herum im Unterholz zu knacken anfing. Ich bekam es mit der Angst zu tun, mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit würden sich die Raufbolde auf uns stürzen, endlich die Gelegenheit ergreifen, und unserer schulischen Überlegenheit ihre körperliche Überlegenheit entgegensetzen. Blaue Flecken und tagelange Schmerzen inbegriffen.

Ganz so schlimm kam es dann doch nicht, ein wenig Rangelei, dann konnten wir den Trupp überreden, mit uns gemeinsame Sache zu machen und am Ende sogar den Schatz als erste zu finden und in die Jugendherberge zu bringen.

*

Walking through a winter night, Counting the stars And passing time. Du hattest den einen Stöpsel vom Kopfhörer im Ohr, ich den anderen. Der Walkman dudelte diese schöne Ballade von den Scorpions, in meiner Hand deine kleine Hand im Fäustling. Wir wanderten am zugefrorenen Fluss entlang, es war eisig kalt und beim Ausatmen konnte man den Atem gegen die Straßenlaternen sehen. Alle paar Schritte blieben wir stehen, küssten uns und konnten gar nicht genug davon bekommen. Deine warme Zunge hinter kalten Lippen und rote Ohren, die wir aneinander rieben. Der Weg führte uns an der ehemaligen Stadtmauer vorbei, historische Leuchten hingen herab und verbreiteten ein schummriges Licht. Dann durch ein Stadttor in die Altstadt, wir schlenderten hindurch und blieben hier und da vor einem der verschlossenen Geschäft stehen. Bis auf einige wenige Weinlokale war alles zu und der hohe Schnee sorgte dafür, dass auch kaum andere Leute auf der Straße waren.

Wir spulten den Walkman zurück, noch mal Lady Starlight, noch mal deine Hände in meinen und wir drehten uns im Kreis bis uns schwindelig wurde und wir langsam nach Hause mussten.

[Fortsetzung: Nachts unterwegs (3-4/6)]

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