[Bisherige Folgen: Nachts unterwegs (1-2/6) und (3-4/6)]
Nachmittags waren wir zu unserem Ausflug gestartet, der Aktionsradius ist ja mit unseren Rollatoren nicht mehr so groß wie früher zu Fuß. Aber durch das gute Wetter verführt hatten wir uns für einen Waldweg entschieden, der in einen Trampelpfad überging. Das wollten wir nun wirklich nicht als Hindernis stehenlassen, tapfer schoben und hoben wir die Gehhilfe vor uns her, mal musste ich dir über eine Wurzel helfen, mal steckte einer meiner Reifen in einer Kuhle fest.Insgesamt war es schon recht anstrengend, und da wir diesen
Weg schon ewig nicht mehr genommen hatten, waren wir unsicher, ob wir uns
vielleicht am Ende sogar verlaufen hatten. Mehr oder weniger erschöpft ließen
wir die Gefährte stehen und setzten uns auf einen Baumstamm. „Ach“, seufzt du,
„wir könnten jetzt so schön zu Hause sitzen, auf der Terrasse. Die Sonne geht
schon unter, wir müssen uns beeilen, damit wir nicht in die Dunkelheit kommen.“
Und tatsächlich ist der Tag schon fortgeschritten und mit unseren schlechter
werdenden Augen wäre es gar nicht gut, wenn wir diesen unwirtlichen Weg in der
Dämmerung gehen müssten.
Also rappeln wir uns wieder auf, nicht ohne vorher zu
beraten, in welcher Richtung wir am schnellsten wieder zu unserem Haus kommen.
Den Weg zurückzugehen wie wir gekommen waren scheint die sinnvollste Lösung,
allerdings haben wir da auch einige Bögen gemacht und könnten sicher abkürzen.
„Aber wir kennen uns hier nicht gut aus, lass uns lieber den Weg genauso
zurückgehen.“ Wenn das so einfach wäre. Das Licht hat vom strahlenden
Sonnenschein zu einem verhaltenen rötlichen Sonnenuntergang gewechselt, in
anderer Richtung sieht alles ganz anders aus. Und waren wir an der Kreuzung
vorhin von links oder von rechts gekommen. Ich erinnere mich nicht genau, du
bekommst langsam die Panik und ich muss dich beruhigen, dass wir wieder unsere
gewohnte Route finde, obwohl ich selbst auch Angst bekomme. Hätte ich doch nur
das Handy dabei, eine Karte oder mir ein paar Orientierungspunkte gemerkt. Aber
diese Erkenntnis kommt im Moment zu spät, ich muss den Anführer spielen ohne
den Weg zu kennen. Sind wir vorhin an diesem Holzstapel vorbeigekommen oder
sollte ich diesen Jägerhochsitz wiedererkennen? Da vorne das Schild, was stand
da noch drauf, ist es der Wegweiser zum Aussichtspunkt? Meine Kräfte lassen
nach, schon wieder stoßen die Reifchen gegen irgendein Wurzelwerk. Dir geht es
ähnlich, auf Asphalt ist die Fortbewegung für uns schwer genug, im Wald aber
noch viel mühsamer.
Doch dann kommt uns doch der herannahende Abend zu Hilfe.
Recht weit entfernt noch, aber doch deutlich zu erkennen sehe ich zwischen den
Bäumen Laternen aufleuchten. Das macht Hoffnung, du hast es auch gesehen und
wir nehmen unsere Kraft zusammen, während wir uns gegenseitig versichern, dass
der Ausflug für uns alte Leute nun mal eine Herausforderung war. Aber eine, die
wir auch noch gemeistert bekommen.
*
Ich liege im Bett, kann mich seit dem Schlaganfall nur noch
sehr eingeschränkt bewegen. Meine Zunge macht nicht mehr so richtig mit,
sprechen ist ziemlich anstrengend und an manchen Tagen gar nicht mehr möglich.
Vermutlich auch durch die zahlreichen Medikamente bin ich dauerhaft müde und
selbst das Denken fällt mir ausgesprochen schwer. Düstere Gedanken wechseln
sich mit tiefer Traurigkeit ab, die Perspektivlosigkeit meiner verbleibenden Lebenszeit
führt zu fortwährender Todessehnsucht und Selbstmordgedanken. Einzige
Aufmunterung ist die ausländische Pflegerin, die Tag und Nacht mein Bett
umschwärmt, mein Kissen hochzieht, mir einen Tee bringt und mich dabei jedes
Mal liebenswürdig anstrahlt. Sie weckt Erinnerungen an meine aktive Zeit des
Lebens, das Herumtollen im Park, erlebte Abenteuer und die Liebe zu meiner
Frau. Dann schließe ich die Augen, es wird dunkel und die Dämmerung legt sich
über meine Gedanken. Ich glaube mir gelingt noch ein Lächeln, während mein
Geist sich in die Nacht verabschiedet.
[Andere Blogs: Interdisziplinäre Gedanken, Dienstliche Glossen]
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