Mein Freund Joe heißt eigentlich Josef, aber das ist total
uncool und passt nicht zu seinem Auftreten und seiner Lässigkeit. Amerikanisch ist
gut, deutsch ist spießig und langweilig. Die Frauen finden ihn toll, seine
bestimmende Art, er weiß, was er will.
Ich mag ihn, bei ihm ist immer was los, und von seinen allzu
wilden Exzessen verschont er mich. Ich bekomme nie mit, dass er Drogen nimmt,
auch wenn mir andere Jungs regelmäßig davon erzählen. Heute habe ich allerdings
Stress mit ihm, er ist davon überzeugt, dass ich seine Tussi angegraben habe.
„Nein“, versuche ich ihm zu erklären, „ich habe nicht angefangen, sie ist zu
mir gekommen und dann haben wir uns eben unterhalten.“ – Überzeugt wirkt Joe
nicht gerade, er stößt mich gegen die Brust, erklärt mir, dass man so was unter
Freunden eben nicht bringen kann. Und dass ich ihm nicht in die Quere kommen
soll. Was ich ja auch nicht tue, obwohl mir seine Freundin durchaus auch ganz
gut gefällt.
Eben holt er wieder aus, boxt mich gegen den Arm, „Au, was
soll das?“, langsam werde ich sauer. Joe ist größer, stärker und hat so seine
brutale Seite. Körperlich will ich mich nicht mit ihm messen, aber warum sollte
ich auch.
Pete (eigentlich Peter) kommt dazu, das ist Joes Bandkumpel
am Schlagzeug. Ziemlich robuster Kerl, Arme wie Popeye, aber total friedlich.
„Was’n los hier?“ will er wissen und erkennt im ersten Moment, dass Joe mal
wieder einen Eifersuchtsanfall hat. „Um welche Trulla geht’s denn diesmal?“ und
mit lässiger Bewegung greift er Joes Faust, die sich schon wieder in meine
Richtung in Bewegung setzt. Sofort herrscht Ruhe, mein übercooler Freund brummelt
noch „Nika“ vor sich hin und dann nestelt er eine Selbstgedrehte aus der
Jackentasche und zündet sie an.
Auftritt Veronika. Kein schlechter Fang mit den langen
blonden Haaren, den großen Bällen im Pullover und der knackigen Rückenansicht.
Nur dass sie ein bisschen doof ist und meist irgendwelche Witze nicht versteht.
Und dann der Name. Es scheint unmöglich, ihn ein wenig cooler zu machen, uns
fällt nichts Besseres ein, als sie Nika zu nennen.
Also Nika steht jetzt bei uns, strahlt in die Runde und ihr
Blick bleibt bei mir hängen. Ich schaue ein wenig unbeteiligt, sonst wird Joe
direkt wieder stinkig. „Schlecht drauf heute?“ will sie von mir wissen, „war
gestern aber mehr drin.“ Oh Gott, das ist nicht das, was sie hier so
herumposaunen sollte. Ich stöhne leise, naja, solange Pete in der Nähe ist,
muss ich keine Angst vor einer Prügelei mit Joe haben. Trotzdem blöd. Die Stirn
von Joe kräuselt sich, bei nächster Gelegenheit kann ich mir wieder
irgendwelche Texte von ihm ins Ohr drücken lassen. Dabei war fast nichts, ich
bin mir inzwischen selbst nicht mehr so sicher, ob wir uns nur unterhalten
haben.
Ich muss aussehen wie der totale Loser, der Qualm von Joes
Kippe zieht mir gerade ins Gesicht, er macht sich einen Spaß daraus, mich damit
zu ärgern. Pete hat seine Zeige- und Mittelfinger ausgestreckt und gebraucht
sie als Trommelstöcke auf Joes Tasche. Es wird entspannter, Nika schaut ihm zu,
fängt an, irgendeinen Titel aus den Charts zu singen. Erst leise, dann immer
lauter (leider auch immer schlechter). Joe verdreht die Augen, Pete strahlt,
ich würde mir am liebsten die Ohren zuhalten.
Ein Mädchen, drei Jungs, das kann nicht gut gehen. Nika
drückt sich an Pete, das ist sogar ein ankuscheln und Joe kann nichts sagen,
denn sie ist ja gar nicht fest mit ihm zusammen. Eigentlich ist sie mit niemand
fest zusammen, und wenn sie hier jeden von uns mal an sich ranlässt, dann hat
das nichts zu bedeuten. Trotzdem bin ich neidisch auf Pete, wütend auf Joe und
die blöde Schnalle, die uns drei hier gegeneinander aufbringt.
Joe hat fertig geraucht, „ich hol mir noch was“ trollt er sich
und schon springt Pete auf und schließt sich ihm an. Unversehens sind Nika und
ich allein, beide ein wenig überrascht. „Warum spielst du eigentlich nicht
mit“, will sie wissen, „die beiden rocken voll los, ich bin die Röhre und
irgendwas kannst du doch auch heizen“. Sie singt nicht gut, auch meine beiden
Freunde sind eher laut als harmonisch unterwegs. Aber am Mikro ist sie ein
Eyecatcher, der Rest ist egal. Was soll ich da mit meinem Akkordeon, das würde
eher zu einer Vroni im Dirndl als zu einer Nika mit Strapsen passen. Verlegen
schaue ich zur Seite, sie schnappt mich an den Schultern, schüttelt mich durch
und lacht schallend.
Wir sind jetzt wieder zu viert, tatsächlich hat Joe seine
Gitarre unter dem Arm, schrammelt ein paar Akkorde, Pete schnappt sich ein paar
Stöcke und drischt auf den Tisch ein. Bierflaschen werden geöffnet, es gehört
dazu, sie zu rotieren. Glücklich, wer die Flasche nach Nika bekommt. Nach der
dritten Runde wird es lauter, wilder, die Jungs beschließen in den Musikkeller
zu ziehen, vielleicht ist er unbesetzt. Ich will nicht, Nika ist inzwischen
angeschossen und bockt auch herum. Wenn ich nicht mitgehe bleibt sie auch.
Kurz unschlüssig, dann schnappt sich Pete meine Arme und
wirft mich wie einen Sack über seine Schulter, trabt los in Richtung
Musikkeller. Ich lasse mich hintragen, zwinkere Nika zu, und gerade fällt mir
ein Titel ein, den ich lautstark singen kann. Klar, gleich ist Schluss mit
Singen, den kleinen Nerd werden sie nicht ans Mikro lassen. Aber sie brauchen
mich, weil ihnen sonst wieder der Marshall um die Ohren fliegt.
Wir haben Glück, der Raum ist leer, der Hausmeister nicht zu
sehen und schon thront Pete hinter den Becken und Joe stöpselt seine Fender in
den Verstärker, während ich die Anlage starte und die Regler vorsichtig
hochschiebe. Nika sucht ein Mikrofon, leider auch kein Kabel aufzutreiben, das
ist ja total ätzend heute. Schließlich doch angekoppelt ist ihr der Hall zu
stark, das Echo zu schnell und ihr ist warm. Das Oberteil fliegt in die Ecke,
Pete hämmert irgendeinen Groove, der nicht zu Joes Riff passt. Nika windet sich
vorne um eine unsichtbare Stange, wenn es sowas wie Luftgitarre gibt, dann ist
das hier Luft-Poledance.
Mit dem Kopf zuckend schreit sie irgendwelche Texte in das
Mikro, nicht schön aber laut. Kurze Bierpause, ich schiebe heimlich den Master
etwas runter, das hält ja kein Mensch im Kopf aus. „Jetzt du, Joe“ kreischt
unsere selbsternannte Rockröhre und der Gitarrenjunkie mit der halbgerauchten
Kippe im Mund lässt es sich nicht zweimal sagen. Verbiegend rutscht er auf den
Knien zwischen Nikas Beine, bearbeitet die Saiten als gäbe es kein Morgen. Die
Basedrum dröhnt, die Snare klirrt und Ride- und Crashbecken scheinen durch die
Luft zu torkeln. Joe ist hinter Nika wieder auf die Füße gekommen, stößt ihr
rockend die Gitarre gegen den Rücken, umdrehend „Jeah, jeah, jeah, Joe, jetzt
du!“.
Mitten in diese wilde Rockschlacht fliegt die Tür auf. „Was
macht ihr denn hier? Das ist nicht euer Raum, raus hier.“ Ziemlich ernüchternd.
Wir schauen uns an, wägen ab, ob wir was sagen können, aber auch wenn selbst
ich den kleinen Hausmeister niederstrecken könnte, wäre das voll blöd. Ein
letzter verklingender Akkord, abschließender Wirbel auf allen Tomtoms und dann
macht Nika den Sack zu, schließt die Augen und stöhnt noch mal „Jetzt du, Joe“.