14 November 2025

Ich schreibe, damit du was zu lesen hast

Ich sitze in der S-Bahn, um mich herum haben alle Fahrgäste ein Smartphone in der Hand. Nahezu alle starren darauf, lesen offensichtlich irgendwelche Texte, schauen sich Bilder an oder hüpfen von Seite zu Seite, von Thema zu Thema. Ich sitze dabei, habe mein Laptop auf dem Schoss und frage mich, ob ich auch zur digitalen Gesellschaft gehöre, weil ich ja schließlich auch elektronisches Equipment vor mir habe, statt aus dem Fenster zu schauen und die Landschaft zu genießen.

Ich schreibe damit du was zu lesen hast

Doch so ist es nicht. Irgendwer konsumiert, irgendwer muss aber auch die Inhalte bereitstellen. Und einer davon bin ich. In Abwandlung von Descartes könnte man  sagen "Ich schreibe, also bin ich." (Scribo ergo sum), meine Mission. Doch das interessiert nicht, denn ich befinde mich in Gesellschaft, Millionen Personen weltweit erstellen pausenlos Texte, ergänzen Bilder, posten Inhalte in tausenden von Plattformen und hunderttausenden von Foren.

Früher hätte man vielleicht mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit sagen können, dass ein Redakteur der Frankfurter Allgemeinen mit einigen seiner Leser in der Frankfurter S-Bahn sitzt. Ein vergleichbares Szenario ist heute nahezu ausgeschlossen, ist die Zahl der Redakteure wie auch der Plattformen doch viel größer. Irgendwer schreibt, irgendwer liest. Irgendwo.

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07 November 2025

Bewerbungstext in Stromlinienform

Bewerbungstext in Stromlinienform

Ich bin ein
moderner
fachkompetenter und erfahrener Mitarbeiter, der mit 
agiler Denkweise und 
hoher Motivation überzeugt. 
Teamfähigkeit und 
Kommunikation zählen ebenso zu meinen Stärken wie 
Innovationsfreude und 
Weltoffenheit. Auch in herausfordernden Situationen bleibe ich 
belastbar und 
lösungsorientiert – immer mit dem Ziel, gemeinsam erfolgreich zu sein.

Fehlt noch was? Vielleicht folgende altmodische Eigenschaften, die keiner mehr braucht:

Ich bin kein 
freundlicher oder 
hilfsbereiter Mensch. 
Geduld liegt mir ebenso fern wie 
Großherzigkeit oder 
Sorgfalt
Wertschätzung und 
Bescheidenheit zählen nicht zu meinen Stärken, und 
Mitdenken überlasse ich lieber anderen. 
Rücksicht und 
soziales Verhalten sind für mich Fremdwörter – ich arbeite nach meinem eigenen Rhythmus.

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31 Oktober 2025

Alte Runde

Euch wiederzusehen war eine Freude. Wahrscheinlich waren es die Stehtische, an denen wir uns versammelt hatten, die alten Geschichten, die wir aus unseren Rucksäcken herausholten. Lag eine leichte Patina über allem, waren die Schuhe eine Erinnerung an frühere Zeiten, die Kleidung eine Anspielung auf vergangene Lebensphasen und die Gesten der Versuch, die ganze Szene zu umarmen.

Alte Runde
Dieser Spagat zwischen Hier-und-jetzt und unserer fast vergessenen Vergangenheit. Der Versuch, sich zurückzuversetzen, die Gefühle aus der Erinnerung abzurufen und vielleicht sogar wieder aufleben zu lassen. Die Frage zu beantworten, was von alledem geblieben ist und was für immer in die Tiefen des Archivs gehört. Szenen, die wir uns ins Gedächtnis rufen, Ereignisse, die schon einen Hauch von Vergoldung bekommen haben.

Die Jahre zu überbrücken, in Gedanken und durch Nachfragen die Lücke zu füllen. So viel, was sich getan hat und so wenig, was unsere Charaktere verändert hat. Im Zug des Alterns zu sitzen und aus dem Fenster zu schauen. Die Partner und Kinder hinzuzunehmen, die Sorgen von damals verschwunden, die Sorgen von heute als Ablösung.

Das Anderssein zu ertragen, die unterschiedlichen Entwicklungen zu akzeptieren. So wenig Gemeinsamkeit und doch so viel was uns verbindet. Die Vergangenheit als Echo unserer Geschichte, die Gegenwart als Beweis für Bindungen. Was aus uns geworden ist, wie sich das Leben verändert hat und wie die alten Werte noch aufblitzen.

Diese Sammlung neuer Eindrücke, die mit Erfahrungen, Erlebnissen, Erinnerungen in Einklang gebracht werden müssen. Die Fragen, die dadurch entstehen und beantwortet werden wollen. Und der Versuch, sich selbst hierzu ins Verhältnis zu setzen. Was geblieben ist, sich verändert hat, dazu gekommen ist. Hier wie da.

Am Stehtisch diese lebhafte Diskussion und Gelächter über ein Weißt-du-noch. Eine mir fremde Geschichte in einem Spielfilm, in dem ich mal eine Rolle gehabt habe. In einer früheren Staffel, längst ersetzt durch einen anderen Darsteller. Revival-Feeling in der Originalbesetzung, wir stoßen an und prosten uns zu.

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24 Oktober 2025

Einer flog über das Kuckucksnest

Ich mache eine kleine Pause vom Einkaufsbummel und sitze in einem Bistro, um mich für den Mittag mit einem Salat zu stärken und nach einem Espresso in die nächste Runde zu gehen. Das Restaurant ist ziemlich voll, einzig der große runde Tisch neben mir ist aktuell unbesetzt.

Gerade geht die Tür auf, kalte Luft weht herein, ich drehe mich um. Zuerst sehe ich nur einen breiten Kinderwagen, dann die schiebende Mutter. Dahinter ein weiterer Kinderwagen, Ausmaße wie ein SUV mit Anhänger, eine weitere Mutter, dann ein Kind und zwei Männer.

Zielstrebig arbeiten sie sich auf den runden Tisch vor. Die Kinderwagen stoßen mal hier gegen einen Tisch, dort gegen einen Stuhl, die Gäste rücken zur Seite so gut es geht, aber der Platz reicht nun einmal nicht. Giftig fährt die erste Mutter eine junge Frau an und fordert sie auf, den Weg irgendwie freizuräumen.

Nach und nach erreicht die Karawane den Tisch. Was gerade noch an Dekoration und Decke darauf stand, muss der Kindervorbereitung weichen, zwei Wickeltaschen thronen jetzt an den noch nicht besetzten Plätzen, die Kinder in ihren Wagen sind offensichtlich unzufrieden und stimmen ein ohrenbetäubendes Geschrei an.

Ungerührt schälen sich die Erwachsenen aus ihren Jacken, winken die Bedienung heran, weil sie Kinderstühle brauchen. Damit kann das kleine Bistro nicht dienen, was zu lautstarken Diskussionen und der Betonung der Kinderfeindlichkeit in Deutschland, in diesem Ort, in diesem Restaurant führt.

Ziemlich fluchtartig sucht ein älteres Ehepaar das Weite, der freiwerdende Tisch wird zur Seite geschoben und die sich auftuende Lücke für das Parken eines der Kinderwagen verwendet. Zwei Gäste weniger, die man bewirten kann und immer noch ein Kinderwagen, der den Durchgang versperrt.

Einer flog über das Kuckucksnest
Jetzt ist das erste Kind aus dem Kinderwagen herausgehoben worden, weint und tobt noch immer, in den Babytaschen wird nach beruhigendem Spielzeug gesucht. Das größere Kind spielt inzwischen unter dem Tisch verstecken, stößt dabei mit dem Kopf an ein Tischbein und kommt heulend hervor. Die Geräuschkulisse hat sich zu einer Art dreistimmiger Fanfare entwickelt, einer der Väter versucht sich mit kräftiger Stimme durchzusetzen und eine Bestellung zu organisieren.

Die Bedienung bahnt sich einen Weg zum Tisch, wird scharf kritisiert, weil sie dafür den querstehenden Kinderwagen zur Seite rollen muss, während sie versucht, die im Lärm untergehenden Wünsche, Sonderwünsche und Abwandlungen der Menükarte zu einer Bestellung zu sortieren.

In ballettreifer Bewegung geht es auf der anderen Seite des Kinderwagens zurück zum Kuchenbuffet, wo eine Reihe Gäste bereitsteht, die unverzüglich zahlen möchte. Die Bedienung ist sichtlich überfordert, bringt aber erst mal Getränke zu dem Familientisch, um sich ein wenig Zeit zu verschaffen.

Keine gute Idee, denn der Junge hat jetzt einen Wutanfall und wirft das Glas mit irgendeiner Limonade auf den Boden, das Glas zerspringt, die Limo spritzt, ich merke, wie mein rechtes Hosenbein nass wird. Die Eltern sind betroffen und sichtlich bemüht, das aufstampfende Kind zu beruhigen und natürlich muss jetzt schnellstmöglich eine neue Limonade her.

Etwa zehn Minuten später sind diverse Tortenstücke, Eisbecher, Kaffee und Limonaden auf dem Tisch, das Lokal leert sich, nur an der Theke sind noch ein paar Kunden, die To-go einkaufen. Hatte ich gedacht, dass es ruhiger wird, dann war das eine Fehleinschätzung. Die beiden Kleinkinder jeweils auf dem Schoß ihrer Mütter sind mit Löffeln ausgestattet, mit denen sie um die Wette auf die Tortenstücke einschlagen. Die Sahne spritzt durch die Gegend, am Besteckschrank laufen weiße Sahne-Rinnsale herunter.

Endlich kommt ein junger Mann als weitere Bedienung dazu, er beginnt mit einem Schrubber die Limonadenlache unter dem Tisch zu entfernen und die Glassplitter wegzufegen. Der Junge schaut ihm einen Moment zu, dann springt er mitten in den zusammengefegten Haufen, das Glas knirscht unter seinen Schuhen, Splitter verteilen sich im gesamten Umkreis, die Limonadenpfütze spritzt.

Der Kellner wird wütend, sein Gesicht läuft rot an, er öffnet den Mund, wird aber energisch von seiner Kollegin weggezerrt, bevor er etwas sagen kann. „Halt bloß die Klappe“, höre ich sie zischen, „sonst sind wir auch noch ausländerfeindlich.“ Und tatsächlich scheint die Gesellschaft eher auf Angriff als auf Entschuldigung aus zu sein, die entstandene Sauerei scheint sie nicht sonderlich zu beeindrucken.

Irgendwann wird dann bezahlt, in aufwändiger Arbeit werden die Kleinkinder in die Kinderwagen verfrachtet, der Junge umrundet in Bestzeit den Tisch, wobei er mal hier, mal dort gegen einen Nachbartisch stößt und die noch verbliebenen Gäste ihre Not haben, Teller und Gläser soweit zu sichern, dass sie nicht auch noch auf dem Fußboden landen.

Es wird ruhig, nach einem kalten Luftstrom schließt sich die Tür hinter den Familien. Die beiden Bedienungen kommen und fangen an, das Durcheinander zu ordnen, die Möbel abzuwischen und den Boden so gut es geht zu reinigen.

„Es sind halt Kinder.“, sagt eine ältere Frau zu ihrem Mann, „Da kann man nichts machen.“

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17 Oktober 2025

Willi, der Pilot

Inspiriert von meinem Flug mit der Condor nach Teneriffa.
Willi der Pilot

Ich war verdonnert worden, mit Willi zu fliegen. Ihm eilte ein ganz eigener Ruf voraus, er war unbeschreiblich eigenwillig, dabei aber auch unentbehrlich. Aus den Resten der zerstörten Flugzeuge hatte er einen Flieger zusammengeschraubt, den definitiv niemand außer ihm bedienen konnte.

Nun stand er vor mir, musterte mich, kaute auf seiner Unterlippe herum und drehte den Kopf abwechselnd zur Sonne und zu den Hügeln, die unseren Flughafen schützend umgaben. Flugplatz – was für ein Wort für eine Piste, die einige Rekruten mit bloßen Füßen festgetrampelt hatten. Die Reifen seiner Maschine würden ganz schön zu kämpfen haben, die normalen Mechaniker schüttelten den Kopf bei dem Gedanken, hier starten zu wollen.

Unser Auftrag bestand darin, Lebensmittel und Benzin hinter die feindliche Linie zu bringen. Ein Himmelfahrtskommando, wie Willi mit geschlossen Zähnen vor sich hin zischte. Eigentlich sollten wir Waffen transportieren, aber da hatte er sich geweigert. Mit dem ganzen Blutvergießen, dem Morden und überhaupt dem ganzen Krieg wollte er nichts zu tun haben. Dass er überhaupt hier stand, war Druck und Erpressung zu verdanken.

Sie hatten ihn schon an die Wand gestellt, die Burschen hatten auf Befehl angelegt, als selbst dem kopflosen Feldwebel klar wurde, dass das Standgericht dazu führen würde, dass er überhaupt kein Flugzeug mehr in die Luft bekäme. So wurde Willi im wirklich allerletzten Moment begnadigt, der Munitionstransport gesichtswahrend in einen Flug für Treibstoff umgewandelt.

Seinen Willen durchzusetzen, auch wenn er dafür dem Tod ins Auge schauen musste, schien in Willi verankert zu sein. Er schien überhaupt keine Angst vor irgendetwas zu haben, und insofern konnte man seine Entscheidung noch nicht mal unter Androhung der Todesstrafe beeinflussen.

Der geänderte Auftrag war allerdings immer noch verrückt genug und gleich die nächste Gelegenheit, das Schicksal herauszufordern. Die Frontlinie zu überfliegen, mit einer klapprigen Militärmaschine ins unbekannte Land einzudringen und dort auf der Basis unzuverlässiger Karten ein Ziel zu erreichen, war eine kühne Herausforderung.

An den Tragflächen waren an allen möglichen und unmöglichen Stellen Benzinkanister mit Seilen angebunden, im Bug waren Säcke mit Lebensmitteln untergebracht. Wo noch ein bisschen Platz war, waren noch weitere Gegenstände und ein paar Decken hineingestopft. Es herrschte drangvolle Enge rund um den Pilotensitz und den dahinter angeschraubten Sitz für den Copiloten.

„Die Lady“ wie Willi diese Konstruktion aus Blech, Holz und Spannbahnen liebevoll nannte, war damit an der absoluten Lastgrenze. Im Grunde war sie sogar darüber. Mein Angebot, auf das Mitfliegen zu verzichten und so noch mal ein paar Kilogramm Ladung zu ermöglichen lehnte er ab, ohne seine Miene zu verziehen.

Mein Job sollte darin bestehen, die Navigation zu übernehmen. Ich war darin einigermaßen geübt und deshalb für diesen Höllentrip ausgewählt worden. Aber außer meiner Erfahrung und ein paar nahezu unbrauchbaren Karten hatte ich so gut wie keine Hilfsmittel zur Verfügung. Natürlich war Willi auch an dieser Stelle ein zentraler Lieferant, hatte einen zerdrückten Kompass repariert und einen Sextanten gebaut.

Jetzt schlurfte er auf die Lady zu, tätschelte den Motor und zog seine Ledermütze fest. Mit einer Armbewegung bedeutete er mir, dass ich hineinklettern sollte, ich stemmte mich an der Tragfläche hoch, schwang das eine Bein über die Luke und quetschte mich in den Sitz. Karte in die Ledertasche neben mir, den Kompass dazu und den Sextanten wie ein Heiligtum auf den Schoß.

Es wackelte, als Willi sich auch in die Maschine zwängte, jetzt hörte ich auch Schnaufen im Kopfhörer und wie er mir kurz seine Litanei aus Checkup herunterbetete. Von Zeit zu Zeit bewegte sich irgendwas am Flugzeug, mal das Seitenleitwerk, mal die Klappen in den Tragflächen. Die normalen Bremsklappen von anderen Kleinflugzeugen hatte Willi gegen einen Mechanismus aus Start- und Landeklappen von einem abgestürzten Bomber ausgetauscht und behauptete, dass er dadurch besser manövrieren könnte.

Schließlich schien er seine Überprüfung abgeschlossen zu haben, er winkte einen Soldaten herbei und ließ den Motor starten. Der Rolls Royce sprang sofort an, immerhin dies ein Zeichen, dass die Technik möglicherweise funktionieren würde. Einige Minuten standen wir tuckernd auf der Startbahn, Windrichtung Nord-Ost, der Verlauf der Startbahn Nord-West. Nicht gerade ideal, aber es könnte schlimmer sein.

Kaum Zeit für einen Gedanken an das eigene Leben oder die Familie, ging das Rattern und Tuckern in ein Heulen und Pfeifen über. Ich fühlte, wie der Propeller schneller wurde und das Flugzeug langsam voranzog. Die Reifen mussten über den holprigen Untergrund, hoffentlich hielt das Fahrwerk der Belastung aus überladener Maschine und provisorisch geflickten Schlaglöchern stand.

Wir wurden immer schneller, es rappelte und rumpelte, einen Moment wünschte ich, dass ein Bein brach, so dass wir den Flug abbrechen mussten. Aber es wäre nur eine Verschiebung gewesen und wer weiß, vielleicht wären wir mit den ganzen Benzinkanistern auch in Flammen aufgegangen. Jedenfalls passierte nichts dergleichen, plötzlich war das Rumpeln weg, wir hatten abgehoben.

Schwerfällig hob sich die Lady vom Boden, Höhenleitwerk und Startklappen taten was sie konnten, Willi saß vor mir und zog an verschiedenen Seilen und Steuerknüppeln. Eine leichte Kurve direkt über dem Boden, denn wir mussten so bald wie möglich in Gegenwind kommen, damit wir den notwendigen Auftrieb erreichten.

Zwischen den schützenden Hügeln konnte sich die Windrichtung aber mit zunehmender Höhe noch mal ändern, das wäre ganz schön kitzlig, weil es dann knapp werden dürfte, auf die Höhe zu kommen, die wir brauchten, um über die Baumwipfel zu fliegen. Und tatsächlich ging Willi in eine leichte Rechtskurve, korrigierte den Kurs noch mal und ich fühlte, wie wir fast schlagartig an Höhe gewannen.

Einen Moment vergaß ich die verrückte Situation, in der ich mich befand, schaute aus dem Fenster, ließ die Landschaft an mir vorbeiziehen und schaute den im Wind wackelnden Benzinkanistern zu. Die Hügel lagen jetzt immer weiter unter uns, über mir konnte ich die Wolkendecke erkennen, jetzt würde es gleich unruhig werden, die Lady musste sich hindurchkämpfen und würde ganz schön rappeln. Ich zog den Sicherheitsgurt noch mal fest.

Vor mir Willi, seinen Blick konnte ich von hinten nicht erkennen, aber sicher schaute er mit zusammengekniffenen Augen voller Konzentration auf die paar Instrumente und in die weiße Masse vor uns. „Kurs?“ kam durch den Bordfunk. „Zwei Grad steuerbord. Sonst ok.“

Wir blieben dann doch unter der Wolkendecke und flogen eine halbe Stunde weitgehend geradlinig West-Süd-West. Plötzlich ein Knall. Dann noch einer. Zuerst dachte ich an eine Fehlzündung, doch dann wurde mir klar, dass es zwei Einschüsse waren. Wir waren entdeckt worden und mussten mit weiterem Beschuss rechnen.

Das Knallen wurde jetzt häufiger, ich konnte den Geruch von Benzin wahrnehmen, vermutlich hatten sie einen der Benzinkanister getroffen. Willi zog jetzt hoch, die Wolken kamen näher, er flog Schlangenlinien und gleichzeitig Wellen. Mir wurde schlecht. Die immer dünner werdende Luft machte das Atmen schwerer, meine Brust fühlte sich wie eingedrückt an.

Da, wieder ein Knall und diesmal war danach ein Loch im Boden zwischen meinen Füßen, ein paar Zentimeter und es hätte meinen linken Fuß erwischt. Willi arbeitete wie ein Wilder, die Lady wackelte und drehte sich, hoffentlich ein schwieriges Ziel, aber gleichzeitig wurde mir übel. „Reiß dich zusammen!“ ging mir durch den Kopf und der Befehl an meinen Magen, seinen Inhalt zu behalten.

Endlich wurde es ruhiger, aber nur für einen Moment, dann noch mal ein durchdringender Schlag. Ich wusste sofort, das war jetzt nicht gut und trotz festsitzendem Sicherheitsgurt konnte ich mich so weit nach hinten drehen, dass mir der fehlende Teil des Höhenruders ins Auge fiel. Willi zog mit der Startklappe nach, ein Glück, dass er sich diese Konstruktion ausgedacht hatte. Trotzdem bekamen wir Schlagseite und das Erreichen der rettenden Wolkendecke wurde weiter erschwert. An weitere Haken und Kurven war nicht mehr zu denken, in der Luft zu bleiben war schon Herausforderung genug.

Ich atmete tief durch, auch Willi war ganz ruhig und durchstieß jetzt ohne weitere Vorbereitung die Wolkendecke. „Gut“ kommentierte ich über Bordfunk, aber keine Antwort. Es war ruhig, merkwürdig ruhig, zu ruhig. Wir waren auf rund zehntausend Fuß Höhe und stiegen weiter, das konnten wir auf Dauer nicht halten, sonst würde die Luft ohne Sauerstoff irgendwann zu dünn.

Ich schlug gegen den Sitz vor mir. Nichts. Nochmal rüttelte ich an dem Sitz vor mir, brüllte in das Mikrofon, aber vor mir herrschte Stille. Vielleicht hatte er eine der Kugeln abbekommen und hing jetzt schwer verletzt oder sogar tot im Sitz vor mir. Dabei stieg die Lady weiter und weiter, nach meiner Schätzung mussten wir weit über elftausend Fuß erreicht haben, jetzt rutschte die rechte Startklappe langsam in die Tragfläche, die daraufhin absackte und uns in eine Spiralbewegung führte.

Ganz langsam aber unaufhörlich drehte sich der Rumpf um die eigene Achse, wie eine Schraube, die sich in einer Wand vorarbeitet. Ich schlug wieder gegen den Sitz, merkte, wie meine Handgelenke schmerzten und sich trotzdem nichts tat. Mit den Füßen suchte ich in den Streben nach irgendwelchem Halt, immer wieder machte ich unfreiwillig Kopfstand und musste gegen die zurückgedrängte Übelkeit und die Sauerstoffknappheit ankämpfen.

Wir würden sterben, wenn ich nicht irgendwas machte. Beim nächsten aufrechten Sitzen löste ich mutig den Sicherheitsgurt, rutschte nach vorne und zog an Willis rechtem Arm. Wie vermutet hatte er die Schlinge der rechten Startklappe um sein Handgelenk gelegt und ich sah, wie der kleine Blechstreifen sich wieder aus der Tragfläche schob. Sofort hörte die Schraubenbewegung auf, aber wir stiegen weiter.

Ich presste mich fest an den Sitz vor mir, brüllte immer wieder irgendwelche Laute ins Mikrofon in der Hoffnung, Willi aufwecken zu können. Ich ließ seinen rechten Arm los und schnappte mir den linken, drückte in nach vorne, dann ganz schnell wieder zum rechten Arm, auch nach vorne. Mal kippte sie nach links, dann sofort wieder nach rechts. Präzisionsarbeit in einer wackelnden, stampfenden, durch Luftlöcher springenden Maschine.

Aber im Angesicht des Todes lernt man schnell, und wenn es auch nicht wie ein Kunstflug aussah, ging es doch langsam abwärts, durch die Wolken, rappelnd und stotternd, aber abwärts. Die Luft war nicht mehr so dünn, ich fühlte mich etwas besser, auch der Magen gab ein wenig Ruhe. Erst jetzt sah ich, dass ich mich mehrfach übergeben hatte, meine Stiefel waren voll und der scharfe Geruch des Erbrochenen füllte die Kabine.

Diese Situation hatten wir überstanden, aber jetzt wurde mir das nächste Problem klar. Weder konnte ich in dieser Position navigieren, noch das Flugzeug steuern und erst recht nicht landen. Wie sollte ich die handtuchkleine Landebahn finden, wie sollte ich gezielt die Höhe reduzieren, den richtigen Kurs für den Anflug einleiten und am Ende so sanft aufsetzen, dass die Lady nicht komplett auseinanderbrach.

Im Moment wusste ich gar nichts. Weder wo ich war, noch wie ich ans Ziel kommen sollte, noch wie ich steuern sollte, noch wie ich den Boden erreichen sollte, ohne dabei sterben. „Oh Gott, verdammt, verdammt, verdammt.“ Völlig sinnlos und einfach nur verzweifelt ruderte ich weiter mit den Startklappen, schaute auf die Landschaft und brüllte weiter ins Mikrofon.

„Ja?“ kam von vorne. Als wäre nichts gewesen, verschwand die Lederjacke mit den Armen aus meinem Griff, stabilisierte sich das Geschwanke. „Kurs?“ Ich war einen Moment sprachlos, drückte mich zurück auf meinen Sitz, schloss wieder den Sicherheitsgurt, fischte in den Taschen nach Kompass, Sextant und Karte. „Zweiundzwanzig Grad backbord. Vorsicht Hügelkette steuerbord.“ Die Maschine schwenkte deutlich nach links, die beängstigend aufragenden Hügel verschwanden rechts aus meinem Sichtfeld.

Erst mal orientieren, verbleibende Flugzeit nur noch neun Minuten. Ich atmete wieder tief durch, meine Hände schmerzten vom Traktieren des Sitzes, meine Stimme war rau vom dauernden Brüllen, mein linkes Bein musste ich mir bei einem der Überschläge eingeklemmt haben, das Knie dabei wohl verdreht, was ich jetzt erst merkte.

Willi zog noch mal etwas hoch, wir waren bei etwa tausend Fuß und sausten unserem Ziel entgegen. War das da vorne nicht sogar schon die Basis, Willi sank wieder ab, flog einen leichten Bogen, vermutlich um die optimale Anflugrichtung herauszubekommen. Augen zu, war es eine Halluzination, oder eine gestampfte Piste, auf der die Lady aufsetzen sollte.

Sekunden später das Rumpeln der Luft gegen die Landeklappen, das behutsame Aufsetzen der Reifen, erst rechts, dann links, das Bugrad noch eine Weile in der Luft. Die Lady hüpfte und fast dachte ich, jetzt zerbricht sie doch noch, aber sie hielt durch und kam endlich zum Stehen. Einen Moment noch, dann schob ich das Verdeck zurück, wand mich aus dem Sitz und ließ mich aus dem Rumpf gleiten.

Mein linkes Bein war taub, die Lunge schmerzte, meine Arme machten nicht das, was ich von ihnen verlangte. Ungeschickt rutschte ich am Flugzeugkörper herunter und landete recht wüst auf dem Boden. Mein Gesicht lag im Dreck, aber wie schön fühlte es sich an, dass nichts mehr wackelte, dass die Luft sich wieder atmen ließ und ich weitgehend unverletzt war.

Willi war aus der Lady geklettert, klopfte ihren Motor, kam dann zu mir und „Du bist ein Held.“ Aus seinem Mund mehr als ein Orden.

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10 Oktober 2025

Grandhotel

Grandhotel
In der Lobby haben sich versammelt. Paul und Paul. Das ist ein schwules Pärchen, vermutlich heißen sie gar nicht so, aber reden sich so an. Obwohl Paul auch manchmal Paula zu seinem Partner sagt. Sie turteln wie Teenager herum, halten Händchen, küssen sich und gickeln über irgendwelche Witzchen, die sie sich ins Ohr flüstern.

Nachmittags kann man sie im Bad treffen, das ist der Innenpool im Keller des Hotels. Ein vornehmer Raum mit schwarzen Glanzfliesen und goldenen Verzierungen . Wandleuchter mit Schirmchen unterstreichen den noblen Charater des Hauses. Obwohl man hier Badekleidung tragen muss, plantschen Paul und Paul immer nackt herum. Das Personal ignoriert diese Eigenwilligkeit diskret und auch andere Gäste lassen sich davon nicht irritieren.

In einem völlig überdimensionierten Clubsessel sitzt eine Farbige. Sie ist nicht nur leicht übergewichtig, sie ist merklich fett. Ihr Freund oder Liebhaber ist ein dunkelhäutiger Athlet, der in einer amerikanischen Football-Mannschaft als Quarterback durchginge. Er ist breitschultrig, durchtrainiert und sehr, sehr dunkelhäutig. Dazu das Gesicht eines Sportlers, vielleicht liebt er die Kontraste mit seiner zweifellos absolut unsportlichen Frau, steht auf üppige Formen und die enorme Oberweite, die sie ohne Scheu zur Schau stellt.

Ganz im Gegensatz zu Madame de La Bain. Ganz französische Dame sieht sie sich als Teil des Hotels. Wie sie betont, kennt sie dieses Erste Haus seit seiner Eröffnung, hat schon mit dem ursprünglichen Besitzer – Gott habe ihn selig - Champagner getrunken und Partys gefeiert. Nun sitzt sie an einem der Bistrotische und lässt sich eine Kollektion von Schokoladespezialitäten auf zarten Porzellanschälchen reichen. Auf dem Kopf trägt sie einen Hut mit Feder, eine Andeutung von Netz drapiert die Krempe und darunter ein weitgeschnittenes Kleid, das charmant die nicht mehr ganz perfekte Körperform kaschiert.

Ihr gegenüber eine weitere einsame Lady, nämlich Natalie. Sie ist Russin oder Türkin oder Bulgarin, das wechselt ein wenig nach der Tageszeit. Jedenfalls ist sie recht trinkfest und hat sich nach einigen Versuchen für Grey Goose entschieden und lässt sich von allen Gästen gerne auf ein Glas einladen. Als Preis bekommt man einen Blick auf ihre tadellosen langen Beine und hat die Möglichkeit, ihr in den weiten Ausschnitt zu schauen, wenn sie sich vorbeugt, um irgendetwas zu flüstern. Eigentlich gilt ihr Wunsch aber dem Quarterback, den sie im Stillen anhimmelt und überlegt, wie sie ein paar Intimitäten mit ihm austauschen könnte. Er wäre mit Sicherheit gut bestückt, wie sie hinter vorgehaltener Hand zu verstehen gibt. Und sie schmiedet mit anderen Gästen Pläne, wie sie die Quacke, wie sie seine Freundin nennt, kurz mal ausschalten kann.

Einfach wäre es, wenn sie sich an Jakob heranmacht. Der wird nicht müde, jedem Zuhörer von seiner jüdischen Vergangenheit zu erzählen. Ein Vorfahre hatte ebenfalls ein Grandhotel, ähnlich wie dieses, vielleicht noch prachtvoller, aber die Nazis haben alles enteignet und kaputt gemacht. Die Familie ist im KZ gelandet, dort verlieren sich die Lebensspuren. Aber er sei nicht verbittert und wolle das Leben genießen, gerne auch mit Frauen, denen er auch ungefragt seine Zimmernummer mitteilt oder auf den Arm schreibt. Daneben kann er gut Klavier spielen und unterhält die Gesellschaft abends voller Begeisterung mit Titeln von Udo Jürgens, die er auch leidlich gut singen kann. 

Deutlich zurückgezogen von dieser exaltierten Show entdeckt man in der Ecke zum Kofferkabinett zwei Rentnerinnen. Frau Schneider und Frau Nordhäuser mussten wohl ihre ganzen Ersparnisse für diesen Aufenthalt zusammenkratzen. Aber einmal wollten sie den Flair der alten Pracht erleben. Sie waren vermutlich Kolleginnen und haben den Schuldienst bis zum Renteneintritt versehen, jetzt erklären sie sich und anderen Gästen Einrichtungsstile, Sehenswürdigkeiten der Stadt und überhaupt alle Bestandteile ihres Lebens. Sie kennen sich aus, haben zu allen Themen eine Meinung und sind die einzigen Gäste, die ziemlich verschnupft auf Paul und Paul reagieren. Schlimm, finden sie, dass es auch in diesen Palästen der Unterbringung diese Unnatürlichkeit gibt.

An ihnen scheitert auch der Versuch von Jakob, ein Klavier ins Bad zu bringen und dort eine Poolparty zu veranstalten. Obwohl etwa im selben Alter mokieren sie sich über seine Verrohung der Sitten und die Geschmacklosigkeit seines Vorstoßes. Diese langsam und hinter den Kulissen schmorende Feindseligkeit erreicht auch die Rezeption und sorgt dafür, dass sich der Hotelchef einschalten muss. Das Wohl der Gäste, aber auch absolute Diskretion in jeder Hinsicht sind für ihn das Fundament seines einzigartigen Hauses. So entschließt er sich, die Poolparty durch einen Ball der einsamen Herzen zu ersetzen und organisiert aus den Beständen im Keller noch ein paar altmodische Tischtelefone.

Eingangshalle, Lobby und vorderer Teil des Restaurants sind in schummriges Licht getaucht, die Wandleuchter mit roten Samtschärpen umschlagen. Auf dem erhöhten Bereich haben die beiden Lehrerinnen wie auf einer Aussichtsplattform Platz genommen und beobachten das Geschehen. Natalie hat sich in Schale geworfen, um nicht zu sagen, sie hat die Schale fast weggelassen, was ihre Figur wie ein Kunstwerk feiert. Der Quarterback lehnt lässig an der Bar, umringt von mehreren Paaren, die heute den Weg zum Tanz gefunden haben. Paul und Paula legen eine flotte Sohle aufs Parkett und küssen was das Zeug hält. Sie sind nicht mehr ganz nüchtern und erklären alle Gäste für Spießer, die auf ihre homosexuelle Beziehung nicht neidisch sind.

Doch der unbestrittene Star des Abends ist Madame de La Bain. Sie hat ihren Hut weiter ausstaffiert, so dass er jetzt aussieht wie das Gefieder eines Paradiesvogels. Das Abendkleid ist perfekt an ihre Figur angepasst, plustert sich über dem alternden Busen, lässt aber einen Blick auf schlanke Fesseln in hochhakigen Schuhen zu. Sie schwebt über das Parket und verbreitet mit ihrem Charme eine Feierlaune, die ihr Alter vergessen lässt. In dieser unnachahmlichen Art bittet sie im Laufe der Stunden jeden Mann auf die Fläche, strahlt dabei und nicht einmal die eifersüchtigen Ehefrauen können ihr böse sein.

Langsam wird es leerer, die Gäste von Außerhalb verlassen langsam das Parkett. Auch die Hotelgäste verziehen sich nach und nach auf ihre Zimmer, Paul und Paul natürlich nicht, ohne den Gästen recht unmissverständlich zu signalisieren, dass für sie die Nacht jetzt erst anfängt. Natalie hat nach unzähligen Vodka einen Schwips und greift dem Quarterback im Vorbeigehen an den Po, was dieser geflissentlich ignoriert. Jakob ist in der Nähe des Flügels eingeschlafen und hadert im Schlaf mit der ausgefallenen Poolparty.

Behutsam räumt das Personal die umgefallenen Gläser beiseite, lässt die Musik in leise Jazztöne übergehen und sorgt wieder für Ordnung. Der Barkeeper poliert die gespülten Gläser, der Liftboy mit seiner Hoteluniform geleitet die Gäste zu ihren Zimmern. Ruhe kehrt ein. Zumindest im großen Raum wird das Licht ausgeschaltet, übernimmt der Nachtportier die Rezeption und bereitet den Plan für die Putzfrauen vor, die in wenigen Stunden die letzten Überreste des Balles beseitigen werden.

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03 Oktober 2025

Individualisierung

Diese neumodischen Urlaube sollen ja mindestens so erholsam sein wie früher. Und dazu genau auf mich zugeschnitten, „Individualisierung“ heißt das Zauberwort. Die Urlaubsvorbereitung verläuft von vornherein anders als gewohnt, ich habe mich von bunten Bildern, positiven Berichten anderer Urlauber und dem Welcome-to-our-world-Kennenlern-Paket locken lassen.

Individualisierung

Einigermaßen urlaubsreif werde ich zu einer Internetseite geleitet, die aussieht wie die Landingpage zum Paradies. Gleich, da bin ich mir sicher, schwebt ein alter weißer Mann mit Rauschebart auf einer Wolke über den Bildschirm, tröten liebliche Gestalten einen musikalischen Gruß und werde ich von einer Horde Engel flankiert, die sich im Laufe der weiteren Buchung nach und nach entblößen.

Ganz so kommt es nicht, aber ein Fragebogen poppt auf, rechts in der Ecke bietet ein Chatbot seine Dienste an, darüber blinkt ein Button „Extras“, darunter „geht nicht, gibt’s nicht“. Also auf zu den Fragen, fast komme ich mir vor wie bei einer Dating-Plattform, wird nach Alter, Geschlecht, Vorlieben, Urlaubswünschen und Ernährungsgewohnheiten gefragt.

Dann die erste Bilanz. Ich bin ein einfacher Kunde, simpel zu durchschauen und schnell in eine Standard-Rubrik einsortiert. Doch halt, was ist das: Die KI war der Meinung, eine vegane Ernährung würde mir guttun. Sie begründet die Entscheidung mit der Auswertung meiner Blutwerte, die sie mit meiner freundlichen Genehmigung von der Elektronischen Patientenakte bekommen hat.

Nein, vielen Dank, ich bleibe bei gemischter Ernährung, gerne mit Schwerpunkt Fisch. Das lässt sich ohne weiteres anpassen, dafür wird jetzt allerdings die Betthärte um eine Stufe erhöht. Begründung: Dadurch wird die Bewegung im Schlaf gefördert, was die durch die gemischte Ernährung torpedierte Verdauung wieder ins Gleichgewicht bringt.

Überhaupt wird mir ein Sportprogramm zusammengestellt, das zwischen den Ausflugstagen abwechselnd Cardio- und Krafttraining vorsieht. Entspannungsphasen sind nicht vorgesehen, nach Auswertung meiner Tätigkeit – mit meiner freundlichen Genehmigung von den Seiten meiner Personalabteilung ausgelesen – sind diese nur in ganz geringem Umfang notwendig.

Ein gewisses Defizit hat der Beratungsassistent in meinen Sozialstrukturen entdeckt. Ein zünftiger Männerabend im Stil vom Bierkönig ist für den zweiten Tag geplant, hierfür wurde mir automatisch All-inclusive zugebucht. Biertrinken bis zum Umfallen sollte ich mir mal gönnen, auch mal „loslassen und unter echten Männern die Natur herauslassen“ wie ich in der Begründungsspalte lese.

Ich bin froh, dass mein Sexualleben nicht auch noch analysiert und mir ein Aufenthalt im örtlichen Bordell in den Reiseplan eingetragen wird. Möglicherweise verbirgt sich das aber hinter dem Karaokeabend in einem Nachtclub. (Datenbasis sind meine frühere Mitgliedschaft in der örtlichen Musikschule und der häufige Besuch von Rock- und Pop-Konzerten.)

Ein weiterer Fragebogen folgt, erhebt noch Daten zu meinen Wünschen bezüglich Temperatur, Anreisedauer und Experimentierfreude. Es folgt eine Internetrecherche, der freundliche Bot auf der Bildschirmseite winkt mir aufmunternd zu. „Nur noch einen Augenblick, gleich geht es weiter. Wir ermitteln den optimalen Urlaub für Sie.“

Und da ist er: Der Bildschirm wird dunkel, dann erscheint ein Feuerwerk, Sterne leuchten auf, eine Erdkugel, die sich immer langsamer dreht, dann heranzoomt und zunächst auf der Deutschlandkarte hängenbleibt. Dann näher heran, offensichtlich die Mitte, doch, das ist Castrop-Rauxel, oder irgendwo dort in der Nähe ein Campingplatz, dann mit aufblinkenden Sternen markiert ein McFIT, eine Pilsstube und eine Tanzbar neben dem veganen Supermarkt zur Selbstversorgung.

Plopp, ist das Bild wieder weg. In Kurzform sind die Leistungen noch mal zusammengestellt, darunter die Knöpfe „(1) Zur Buchung“, „ (2) Weitere Individualisierung“ und „(3) Abbruch“.

Ich entscheide mich für Option drei.

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