10 Oktober 2025

Grandhotel

Grandhotel
In der Lobby haben sich versammelt. Paul und Paul. Das ist ein schwules Pärchen, vermutlich heißen sie gar nicht so, aber reden sich so an. Obwohl Paul auch manchmal Paula zu seinem Partner sagt. Sie turteln wie Teenager herum, halten Händchen, küssen sich und gickeln über irgendwelche Witzchen, die sie sich ins Ohr flüstern.

Nachmittags kann man sie im Bad treffen, das ist der Innenpool im Keller des Hotels. Ein vornehmer Raum mit schwarzen Glanzfliesen und goldenen Verzierungen . Wandleuchter mit Schirmchen unterstreichen den noblen Charater des Hauses. Obwohl man hier Badekleidung tragen muss, plantschen Paul und Paul immer nackt herum. Das Personal ignoriert diese Eigenwilligkeit diskret und auch andere Gäste lassen sich davon nicht irritieren.

In einem völlig überdimensionierten Clubsessel sitzt eine Farbige. Sie ist nicht nur leicht übergewichtig, sie ist merklich fett. Ihr Freund oder Liebhaber ist ein dunkelhäutiger Athlet, der in einer amerikanischen Football-Mannschaft als Quarterback durchginge. Er ist breitschultrig, durchtrainiert und sehr, sehr dunkelhäutig. Dazu das Gesicht eines Sportlers, vielleicht liebt er die Kontraste mit seiner zweifellos absolut unsportlichen Frau, steht auf üppige Formen und die enorme Oberweite, die sie ohne Scheu zur Schau stellt.

Ganz im Gegensatz zu Madame de La Bain. Ganz französische Dame sieht sie sich als Teil des Hotels. Wie sie betont, kennt sie dieses Erste Haus seit seiner Eröffnung, hat schon mit dem ursprünglichen Besitzer – Gott habe ihn selig - Champagner getrunken und Partys gefeiert. Nun sitzt sie an einem der Bistrotische und lässt sich eine Kollektion von Schokoladespezialitäten auf zarten Porzellanschälchen reichen. Auf dem Kopf trägt sie einen Hut mit Feder, eine Andeutung von Netz drapiert die Krempe und darunter ein weitgeschnittenes Kleid, das charmant die nicht mehr ganz perfekte Körperform kaschiert.

Ihr gegenüber eine weitere einsame Lady, nämlich Natalie. Sie ist Russin oder Türkin oder Bulgarin, das wechselt ein wenig nach der Tageszeit. Jedenfalls ist sie recht trinkfest und hat sich nach einigen Versuchen für Grey Goose entschieden und lässt sich von allen Gästen gerne auf ein Glas einladen. Als Preis bekommt man einen Blick auf ihre tadellosen langen Beine und hat die Möglichkeit, ihr in den weiten Ausschnitt zu schauen, wenn sie sich vorbeugt, um irgendetwas zu flüstern. Eigentlich gilt ihr Wunsch aber dem Quarterback, den sie im Stillen anhimmelt und überlegt, wie sie ein paar Intimitäten mit ihm austauschen könnte. Er wäre mit Sicherheit gut bestückt, wie sie hinter vorgehaltener Hand zu verstehen gibt. Und sie schmiedet mit anderen Gästen Pläne, wie sie die Quacke, wie sie seine Freundin nennt, kurz mal ausschalten kann.

Einfach wäre es, wenn sie sich an Jakob heranmacht. Der wird nicht müde, jedem Zuhörer von seiner jüdischen Vergangenheit zu erzählen. Ein Vorfahre hatte ebenfalls ein Grandhotel, ähnlich wie dieses, vielleicht noch prachtvoller, aber die Nazis haben alles enteignet und kaputt gemacht. Die Familie ist im KZ gelandet, dort verlieren sich die Lebensspuren. Aber er sei nicht verbittert und wolle das Leben genießen, gerne auch mit Frauen, denen er auch ungefragt seine Zimmernummer mitteilt oder auf den Arm schreibt. Daneben kann er gut Klavier spielen und unterhält die Gesellschaft abends voller Begeisterung mit Titeln von Udo Jürgens, die er auch leidlich gut singen kann. 

Deutlich zurückgezogen von dieser exaltierten Show entdeckt man in der Ecke zum Kofferkabinett zwei Rentnerinnen. Frau Schneider und Frau Nordhäuser mussten wohl ihre ganzen Ersparnisse für diesen Aufenthalt zusammenkratzen. Aber einmal wollten sie den Flair der alten Pracht erleben. Sie waren vermutlich Kolleginnen und haben den Schuldienst bis zum Renteneintritt versehen, jetzt erklären sie sich und anderen Gästen Einrichtungsstile, Sehenswürdigkeiten der Stadt und überhaupt alle Bestandteile ihres Lebens. Sie kennen sich aus, haben zu allen Themen eine Meinung und sind die einzigen Gäste, die ziemlich verschnupft auf Paul und Paul reagieren. Schlimm, finden sie, dass es auch in diesen Palästen der Unterbringung diese Unnatürlichkeit gibt.

An ihnen scheitert auch der Versuch von Jakob, ein Klavier ins Bad zu bringen und dort eine Poolparty zu veranstalten. Obwohl etwa im selben Alter mokieren sie sich über seine Verrohung der Sitten und die Geschmacklosigkeit seines Vorstoßes. Diese langsam und hinter den Kulissen schmorende Feindseligkeit erreicht auch die Rezeption und sorgt dafür, dass sich der Hotelchef einschalten muss. Das Wohl der Gäste, aber auch absolute Diskretion in jeder Hinsicht sind für ihn das Fundament seines einzigartigen Hauses. So entschließt er sich, die Poolparty durch einen Ball der einsamen Herzen zu ersetzen und organisiert aus den Beständen im Keller noch ein paar altmodische Tischtelefone.

Eingangshalle, Lobby und vorderer Teil des Restaurants sind in schummriges Licht getaucht, die Wandleuchter mit roten Samtschärpen umschlagen. Auf dem erhöhten Bereich haben die beiden Lehrerinnen wie auf einer Aussichtsplattform Platz genommen und beobachten das Geschehen. Natalie hat sich in Schale geworfen, um nicht zu sagen, sie hat die Schale fast weggelassen, was ihre Figur wie ein Kunstwerk feiert. Der Quarterback lehnt lässig an der Bar, umringt von mehreren Paaren, die heute den Weg zum Tanz gefunden haben. Paul und Paula legen eine flotte Sohle aufs Parkett und küssen was das Zeug hält. Sie sind nicht mehr ganz nüchtern und erklären alle Gäste für Spießer, die auf ihre homosexuelle Beziehung nicht neidisch sind.

Doch der unbestrittene Star des Abends ist Madame de La Bain. Sie hat ihren Hut weiter ausstaffiert, so dass er jetzt aussieht wie das Gefieder eines Paradiesvogels. Das Abendkleid ist perfekt an ihre Figur angepasst, plustert sich über dem alternden Busen, lässt aber einen Blick auf schlanke Fesseln in hochhakigen Schuhen zu. Sie schwebt über das Parket und verbreitet mit ihrem Charme eine Feierlaune, die ihr Alter vergessen lässt. In dieser unnachahmlichen Art bittet sie im Laufe der Stunden jeden Mann auf die Fläche, strahlt dabei und nicht einmal die eifersüchtigen Ehefrauen können ihr böse sein.

Langsam wird es leerer, die Gäste von Außerhalb verlassen langsam das Parkett. Auch die Hotelgäste verziehen sich nach und nach auf ihre Zimmer, Paul und Paul natürlich nicht, ohne den Gästen recht unmissverständlich zu signalisieren, dass für sie die Nacht jetzt erst anfängt. Natalie hat nach unzähligen Vodka einen Schwips und greift dem Quarterback im Vorbeigehen an den Po, was dieser geflissentlich ignoriert. Jakob ist in der Nähe des Flügels eingeschlafen und hadert im Schlaf mit der ausgefallenen Poolparty.

Behutsam räumt das Personal die umgefallenen Gläser beiseite, lässt die Musik in leise Jazztöne übergehen und sorgt wieder für Ordnung. Der Barkeeper poliert die gespülten Gläser, der Liftboy mit seiner Hoteluniform geleitet die Gäste zu ihren Zimmern. Ruhe kehrt ein. Zumindest im großen Raum wird das Licht ausgeschaltet, übernimmt der Nachtportier die Rezeption und bereitet den Plan für die Putzfrauen vor, die in wenigen Stunden die letzten Überreste des Balles beseitigen werden.

Abonniere den Kanal Eckhards Blog By Dr.-G auf WhatsApp

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen