Vielen Dank an alle Gäste, die unsere Veranstaltung "Ein Sommergarten voller Kunst" besucht haben. Hier die Begrüßungsrede zum diesjährigen Thema "Träume".
(Die Fotos zeigen die Ausstellung, die Veranstaltung, das Künstler-Interview und den Weinstand sowie den Auftritt von Miriam Hanika mit ihrem Ensemble.)
(Die Fotos zeigen die Ausstellung, die Veranstaltung, das Künstler-Interview und den Weinstand sowie den Auftritt von Miriam Hanika mit ihrem Ensemble.)
Szene 1
Meine Tochter ruft von Mallorca aus an. "Bobo", sagt sie, "Bobo, das Hotel ist ein Traum." Sie hat sich in Gedanken schon ausgemalt, wie die Zimmer sind, die Lage, der Pool, das Essen. Und diese Vorstellung ist nun eingetroffen, ein Traum in Erfüllung gegangen.
Szene 2
Ich wache schweißgebadet auf, schwer atmend, die Hand meiner Frau auf meinem Arm. "Schatz, du hast schlecht geträumt, es ist alles in Ordnung." Ich versuche mich zu erinnern, ein kräftiger Mann mit dem Kopf eines Wolfes hat mich verfolgt, ist immer näher gekommen, obwohl ich so schnell gelaufen bin wie ich nur konnte. Selbst Sprünge und Haken haben nicht verhindert, dass ich seinen Atem in meinem Nacken gespürt habe. Ein Albtraum.
Szene 3
Während der Sitzung unseres Arbeitskreises fällt mein Name. Ich erwische mich dabei, wie ich mit den Gedanken ganz woanders war. Es war schon Feierabend, meine Hobbys stritten sich in meinem Kopf um die Gestaltung des Abends. Verträumt schaue ich aus dem Fenster, sehe dem Eichhörnchen zu, das von Ast zu Ast hüpft, so leicht als wäre es schwerelos in die Baumkrone geklettert und dabei im Gegensatz zu mir keinen Muskelkater kennt.
Szene 4
"Schließen Sie die Augen", sagt meine Therapeutin zu mir. "Und erzählen Sie mir, was sie sehen." Es dauert eine Weile, dann entsteht in meiner Phantasie ein verrücktes Gebilde, wird aus dem bunten Blumenstrauß auf dem Tisch ein Urwald, aus dem Sofa eine Hängematte und aus dem leisen Rauschen der Klimaanlage das kaum wahrnehmbare Fließen von Wasser im morastigen Bach. Und dann lugt meine Mutter hinter den Lianen hervor, winkt mir zu, "komm zu mir und erzähl mir eine Geschichte". Sie ist sofort wieder verschwunden, gerade als ich anfangen will und nach einem geeigneten Anfang suche.
Szene 5
Es war einmal, beginnt die Erzählung, ich lebe mit meinen Brüdern in einem unscheinbaren Häuschen, harte Arbeit tagein tagaus, und wir bekommen selten Besuch, der uns auf andere Gedanken bringt. Doch eines Tages fährt eine Kutsche vorbei, aus dem gardinenverhangenen Fenster strahlen mich ein paar Augen an und es ist um mich geschehen. Eine wunderschöne Prinzessin hat sich in mich verliebt und der König persönlich kommt vorbei, um mich in seine Familie aufzunehmen.
Szene 6
Vor einigen Wochen musste ich einem Arbeitskollegen eine E-Mail schreiben und ihn auffordern, das Monitoring einer Anwendung zu automatisieren. Ich breitete meine Anforderungen aus und erläuterte meine Vorstellung von einer Lösung. Am nächsten Tag bekam ich die Antwort des Technikers: "Du erinnerst mich an Martin Luther King", ließ er mich wissen, "I have a dream" Meine Darstellung sei grundsätzlich ein guter Gedanke, nur in diesem Zusammenhang eher eine unrealistische Vision. Naja, träumen dürfte ich natürlich.
Träume
Ein paar Träume, schön, gruselig, ziellos, visionär oder einfach nur das Dahinplätschern von Gedanken. Und genau hier ist der Übergang zu den Ausdrucksformen, die wir in der Kunst kennen. Da entsteht etwas im Kopf des Künstlers und er nutzt seine Fähigkeiten, um sie für uns erlebbar zu machen. Sichtbar, hörbar, lesbar, fühlbar. Dieser Transformationsprozess ist nur dem Künstler möglich, er setzt auf seinen inneren Bildern, Erfahrungen, Emotionen auf und bietet uns die Möglichkeit an, sich in abstrahierter Form auf seine Gedanken einzulassen.
Die eher technische Abbildung war vor ein paar Jahren auch in Unternehmen groß in Mode und nannte sich Mindmap, also Gedankenkarte. Der Ersteller sollte seine Überlegungen nach gewissen Regeln in strukturierter Form zu Papier bringen. Das ist allerdings a priori kein Kunstwerk, da dieser Darstellung der Aspekt der Transformation fehlt. Der Künstler hingegen kombiniert, verfremdet, übersetzt seine Gedanken und nimmt dabei keine Rücksicht auf Regeln oder formale Vorgaben.
Träume sind also die Grundlage für den künstlerischen Prozess, nicht hinreichendes, aber notwendiges Kriterium für die Entstehung von Kunstwerken. Das Abschweifen, die assoziative Verknüpfung von eigentlich unzusammenhängenden Aspekten und Perspektiven schafft einen neuen, individuellen und einzigartigen Ausdruck in der jeweiligen Darstellungsform. Das kann ein Musikstück sein, das sich aus einem Thema heraus entwickelt, eine Phrase variiert und in mehreren Sätzen zum Schluss kommt. Das kann auch ein Gedicht sein, vielleicht in Versform, das seine Botschaft mit Sprachrhythmus, Wortmelodie, Strophen und Metriken unterstreicht. Oder eben auch ein Gemälde, das neben der Wahl der Farben, der Perspektive und Anordnung, Grundtönen und Stimmungen sein ganz eigenes Angebot zur Interpretation mitbringt.
Wie sieht das nun in der Praxis aus? Bleiben wir mal beim Beispiel der Gemälde, da beobachten wir verschiedene Möglichkeiten der Vermischung von Realität und hinzugenommenen Aspekten. Stellt der Maler die Blumenwiese in blauen Schattierungen dar, dann ist es sein künstlerisches Auge, das eben diese Wahrnehmung hat. Es lohnt sich, darüber nachzudenken, den Auslöser für diese Farbverschiebung zu erkunden. Das Bild erscheint in diesem Augenblick wie ein Rätsel, das man lösen muss. Und wie in einem Tatort-Krimi gibt es nur eine richtige Lösung, aber sehr viele Hinweise, Indizien und Details, die alle zusammenpassen müssen.
Neben der Farbwahl sind auch die Perspektive und Schatten einige Überlegungen wert. Stellt sich der Künstler über sein Portrait, begegnet er ihm auf Augenhöhe, schaut er an ihm hoch? Kann es in der Praxis diesen Blickwinkel überhaupt geben? Und schon holt uns auch hier wieder der Transformationsprozess ein. Denn wir sehen im Bild ja nicht nur ein menschliches oder sachliches Objekt, sondern wir schauen durch die Augen des Künstlers, nehmen also zwangsweise seine Position ein. Wir sind gezwungen, seinen Traum mitzuerleben, seine vielleicht im Bild verarbeitete Arroganz mitzugehen.
Als drittes Beispiel für die Überführung der Gedankenwelt - nennen wir sie Träume - auf die Leinwand möchte ich den Aspekt des Lichtes ansprechen. Ist alles gleichmäßig beleuchtet oder erkennen wir deutliche Schlagschatten, die einen Teil des Objektes ins Dunkel verlaufen lassen? Sollen wir diesen Teil nicht sehen oder ist es auch dem Künstler nicht klar, wie es an dieser Stelle weitergeht? Gerade venezianische Masken sollen ja die Identität verheimlichen, auf dem Ball eine Spannung aufbauen, mit wem man sich auf dem Parkett getroffen hat. Licht, das sieht man daran, spielt also eine zentrale Rolle, kann herausarbeiten, betonen, aber auch zurücknehmen bis zur totalen Ausblendung.
Spitzen wir die Überlegungen abschließend auf die Masken zu, die einen Abschnitt des Gesichtes verdecken. Es ist sozusagen die endgültige Form der Verschattung, verwehrt uns den Blick auf das dahinter liegende. Neben den Elementen wie Farbwahl, Perspektive, Schatten und Modell als solches erleben wir hier eine mehr oder weniger ausgeprägte Form der Anonymisierung. Hinter der Maske verbirgt sich ein Charakter, der erraten werden muss. In "Die Schöne und das Biest" wurde diese mögliche Differenz zwischen Aussehen, einer Maskierung und dem zu Grunde liegenden Charakter thematisiert. Übrigens ein Element, das wir auch in Märchen immer wieder präsentiert bekommen. Denken Sie zum Beispiel an den "Froschkönig", wo ein Prinz in einer anderen Gestalt gefangen - also maskiert - ist und erst durch Wahrnehmung der Tochter seine Identität preisgeben kann.
Heute also "Engel inkognito". Wir haben uns dieser Motivreihe in diesem Vortrag von verschiedenen Seiten genähert. Gerne möchte ich mich gleich noch mit der Künstlerin ein wenig darüber unterhalten.
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