11 Juli 2025

Nerds Diary: Ich höre Musik (S3/F4)

Ich höre Musik

Nerds Diary: Ich höre Musik (S3/F4)
... Aus fernen Sphären dringt Hardrock in mein Ohr. Zuerst sehr leise, dann etwas lauter und immer lauter, bis es schmerzt. Ich schaue mich um, mein Radiowecker kann unmöglich diese Lautstärke entfalten. Nichts zu sehen, die Musik scheint aus dem Wohnzimmer zu kommen. Beim Heben des Kopfes kommt mir wieder die Erinnerung an gestern, ein bisschen Kater, ein steifer Nacken, Kratzen im Hals, schlechtes Gewissen. Ich schiebe die Decke zur Seite und sehe das verschmutzte T-Shirt. Stimmt, da war was.

Die Musik ist aus, vielleicht habe ich das nur geträumt, stehe jetzt aber auf und setze mich tapfer in Richtung Badezimmer in Bewegung. Als ich am Arbeitszimmer vorbeikomme sehe ich sie dort sitzen. Sie hat mein Handy in der Hand, starrt gespannt auf den Bildschirm. "Was machst du da?" - "Guten Morgen. Hast du gut geschlafen?" - "Kann ich nicht sagen." - "Also nein? Soll ich dir einen Kaffee machen? Um die Uhrzeit bist du doch sonst schon lange auf."

Oh Gott, ja, ich habe total verschlafen. Wen ich mich jetzt noch im Büro anmelde muss ich die quälenden Fragen der Kollegen über mich ergehen lassen. Erst mal ins Badezimmer, kalt duschen macht den Kopf frei. Noch nicht ganz wach höre ich wieder die Musik, irgendwas zwischen ACDC und Nickelback.

Schnell das Wasser aus, notdürftig mit dem Handtuch abgetrocknet und im Bademantel rüber ins Wohnzimmer. Die Lautsprecher vibrieren unter dem Sound. Sie ist nicht zu sehen, ich drehe mich um, stehe im Flur, dessen Beleuchtung im Takt der Musik an- und ausgeht.

Aus der Küche dringt Kaffeegeruch, aber auch hier ist sie nicht. Badezimmer: Fehlanzeige. Endlich entdecke ich sie in meinem Büro. „Smart Home ist ja viel leichter zu bedienen als ich dachte.“ – „Was soll das?“ – „Du kannst die einzelnen Programme sogar miteinander kombinieren.“ – „Mach mal die Musik aus.“ – „Und diese Option zur Synchronisation mit KI ist ja irre.“

Diskussion über die Notwendigkeit, alle Funktionen meiner Smart Home App durchzuprobieren. Es klopft von unten, mein Nachbar verlangt nach Ruhe. „Dieser Langweiler soll sich auch mal vernünftige Mucke kaufen. Vielleicht braucht er mal einen Spotify-Account.“ Und lauter: „Wünsch dir was, dann kriegste das.“

Das Klopfen hört auf. „Na also. Man muss nur richtig mit den Leuten umgehen.“ Es klopft wieder, diesmal aber an der Haustür. Jetzt merke ich, dass ich noch im Bademantel bin, will nicht an die Tür und überhaupt keine Diskussion führen. „Komm, mach jetzt leise“ bettle ich. – „Wo geht das, ‚leise‘?“ – „Mach einfach ganz aus.“ Aber das geht nicht so einfach, die gesamte Programmierung ist durcheinander, Heizung, Jalousien, Musik, Beleuchtung, alles.

„Der Sicherungskasten.“ – „Was hast du vor?“ – „Sicherung raus, Ruhe.“ Jetzt klingelt auch noch das Telefon. Sicher will der Nachbar auch auf diesem Weg noch mal seinem Ärger Luft machen. Aber laut Display ist es meine Mutter. Die kann ich jetzt gar nicht gebrauchen. Kurz bevor ich panisch den Hauptschalter herunterdrücke finde ich doch noch den Alles-aus-Knopf in der App.

Die Musik verstummt, die Beleuchtung geht aus, die Jalousien bleiben stehen. Die Ruhe nach dem Sturm. Sie schaut mich etwas enttäuscht an. „Der Kaffee ist bestimmt durchgelaufen. Du brauchst jetzt Koffein. Und ruf mal im Büro an.“

[Das gibt es seit 14.02.25 als kleine Serie jede Woche]

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