Du musst dein Leben in den Griff bekommen
„Du musst dein Leben in den Griff bekommen.“ – „Ich finde, es ist im Griff.“ – „Soll das auf Dauer so weitergehen?“ – „Was ist falsch daran?“ – „Du brauchst mehr Stabilität, innere Ausgewogenheit, Resilienz.“ – „Das ist mal was, was ich kenne.“ – „Was davon?“ – „Resilienz.“
Wir diskutieren über Bounceforward und Bounceback. „Woher kennst du das?“ – „Hab ich mal irgendwo gehört.“ – „Erzähl schon.“ – „Aus der Technik. Da gibt es das auch.“ – „Werden Computer auch psychologisch betreut und therapiert?“ – „Kommt mir manchmal so vor.“
Diskussion über Psychologie im Allgemeinen, Therapeuten, Umgang mit Rückschlägen. Ich erzähle von DORA. „Es gibt ja doch Frauen in deinem Leben.“ – „DORA ist der Digital Operational Resilience Act, das ist keine Frau.“ – „Oh, wie unromantisch.“
„Ich weiß was, was dir helfen könnte. Komm mal mit.“ Wir gehen ins Büro, ich werde mit Schreibblock und Stift ausgestattet. „Du erarbeitest jetzt dein Ikigai.“ – „Mein was?“ – „Ikigai. Japanische Selbstfindung mit vier Dimensionen.“ Pause „Ich erkläre es dir.“
Auf dem Zettel entstehen große Blasen mit den Überschriften „Was ich kann“, „Was ich gerne mache“, „Wofür ich Geld bekomme“ und „Was die Welt braucht“. "Du schreibst jetzt in jede Blase was rein und nachher schauen wir, wo es Überschneidungen gibt." - „Können wir das nicht heute Abend machen, jetzt muss ich mich erst noch anziehen und dann arbeiten.“
Immerhin darf ich wieder ins Bad, den Bademantel gegen Jeans und Pulli tauschen. Kaum bin ich drin geht die Tür auf, sie legt mir den Block mit den vorgemalten Blasen auf den Boden. Dann geht die Tür zu und ich höre den Schlüssel im Schloss. „Lass mich sofort raus.“
„Erst die Hausaufgaben. Sag Bescheid, wenn du zu allen Feldern was eingetragen hast. Und versuch nicht zu schummeln, ich schaue mir das nachher genau an.“ Seufzend ziehe ich mich an, mache mir aus Handtüchern einen halbwegs bequemen Sitz und fange an, den Zettel auszufüllen.
Eine Stunde später klopft es an der Tür „Bist du noch nicht fertig?“ – „Ich will es sorgfältig machen. Was ich gut kann und gerne mache, das war ziemlich einfach. Auch wofür ich Geld bekomme war schnell aufgeschrieben. Aber was braucht die Welt von mir?“ – „Komm wenigstens wieder aus dem Bad.“ – „Ich habe es mir gemütlich gemacht.“
Am Couchtisch gehen wir meine Notizen durch. „Du hast dich ja richtig reingekniet.“ Diskussion über viele technische Aspekte, wo das Herz bleibt und ob man als Anwendungsmanager nur ein Nerd sein kann. „Gibt es überhaupt keine Menschen in deinem Leben, die du liebst?“ – „Doch, meine Mutter.“ – „Das meinst du nicht ernst. Ich meine Beziehungen, irgend ein Mann oder eine Frau. Von mir aus ohne Sex. Aber mit Gefühlen.“
„Ich würde jetzt wirklich gerne mal an den Computer gehen und schauen, wie es im Büro läuft.“ – „Du weichst immer aus. Immer, wenn ich nach Gefühlen frage oder mit dir über Beziehungen sprechen will musst du ins Büro.“ – „Ich möchte halt nicht drüber sprechen.“ – „Aber ich.“ – „Ja.“
Einen Moment schweigen wir, dann strahlt sie mich an. „Du hast Recht. Das kann man nicht erzwingen.“ Lachend schüttelt sie mich durch, gutgelaunt „Wir spielen Wahrheit oder Pflicht.“ – „Oh nein, sicher nicht.“ – „Keine Angst, jetzt darfst du erst mal ins Büro.“
Mittagessen, Kaffeepause, Abendessen. Kein Wort mehr über Ikigai, Psychologie, Beziehungsfragen. Es bleibt dabei, dass sie gute Laune hat, von ihrer Freundin erzählt, die Spaß an Boxen hat und im Club auf Männer eindrischt. Und dabei drückt sie mich hier, knufft mich da und hat dann völlig überraschend ihre Jacke in der Hand. „Ich gehe mal eine Runde um den Block. Kommst du mit?“
Die Tür schließt sich hinter ihr, ich merke, wie ich mich entspanne und obwohl es schon ziemlich spät ist schaue ich doch noch mal im Büro nach der Arbeit von heute.
[Das gibt es seit 14.02.25 als kleine Serie jede Woche]
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