25 August 2023

Sommer 2023 (5/6): Frühstücks-Krokodile und Tanz-Katzen

Frühstücks-Krokodile und Tanz-Katzen

Sommer 2023 - die fünfte Woche der hessischen Sommerferien geht zu Ende.

Die Frühstückszeit ist vorbei, langsam füllen sich die Liegen rund um den Pool. Es gibt reichlich Möglichkeiten, alle sind mehr oder weniger gleichwertig, entsprechend sehr entspannte Platzwahl. Beim Auspacken meiner Utensilien und dem Eincremen schaue ich einem anderen Paar zu, das sich Liegen im hinteren Bereich zu Recht machen. Recht umständlich, geradezu schwerfällig wie ein großes ungelenkes Tier entleeren sie ihre Tasche und verteilen Handtuch, Cremeflaschen, Sonnenbrillen und Bücher über Tisch und Liegen. Sie hat ein farbloses Strandkleidchen über dem Bikini an, das in keinerlei Kontrast zu ihren ergrauenden Haaren steht. Wie ein Krokodil watschelt sie um die Liege herum, stubst mal den einen, mal den anderen Gegenstand an seinen Platz. Dann schließlich gleitet sie nahezu synchron zu ihrem Partner auf die Liege und vertieft sich in ein Buch, das sie sich auf ihrem Kindle mitgebracht hat.

Stundenlang liegt das menschliche Reptil unter dem Sonnenschirm, Dank e-Paper nahezu bewegungslos nimmt sie das Buch in sich auf. Nicht einmal die träge Bewegung ihres Mannes scheint sie wahrzunehmen, der sich zwischendurch einige Zeit im Pool abkühlt. Die erste bemerkenswerte Bewegung kommt erst auf, als es auf die Mittagszeit zugeht. Sie legt das kleine Gerät zur Seite, prüft ihre Haut auf möglichen Sonnenbrand, oder will sie kontrollieren, ob der Bikini noch richtig sitzt, richtet sich auf und sitzt da wie ein aufmerksamer Vogel, der seinen Hals reckt und aus dieser Perspektive die Umwelt wahrnimmt.

Hoch aufgerichtet, eben scheint sie sich gedanklich vom Buch zu lösen und bestimmt kommt jetzt auch der Hunger in ihr Bewusstsein. Gerade spricht sie ihren Mann an, der nickt und sagt irgendetwas für mich Unverständliches, reckt nun ebenfalls den Hals. Als ob sie den Eindruck einer Schwanenfamilie noch verstärken wollten, legen sie sich jetzt weiße Handtücher um den Oberkörper und machen Anstalten, zur Poolbar aufzubrechen. Ein wenig tapsig durch die Mittagshitze und möglicherweise auch durch den Wechsel von der horizontalen Position zum aufrechten Gang schlurfen sie zum nächstgelegenen Tisch.

Umhüllt von den Handtüchern und jeder eine schwarze Golfmütze auf dem Kopf, sitzen da jetzt zwei Pinguine, studieren die Speisekarte und nippen vorerst an ihren Wassergläsern. Ein ruhiges Gespräch kommt in Gang, ich könnte mir vorstellen, dass sie sich über ihre Menüwahl austauschen. In mein eigenes Buch vertieft bekomme ich die Mahlzeit der beiden Watscheltiere nicht mit, auch den abschließenden Mocca registriere ich nicht. Erst als sie aufstehen, diesmal schon ein wenig lebhafter, die Handtücher im Gehen langsam abstreifen und an ihrer Liege angekommen in den Modus eines Vierbeiners wechseln, fällt mir auf, dass sie sich recht geschmeidig bewegen.

Pünktlich zum Kaffeetrinken verliere ich sie endgültig aus den Augen. Sei es, dass sie zum Strand gelaufen sind, sei es, dass sie sich auf das Zimmer verzogen haben. Erst zum Abendessen tauchen sie wieder auf, sie mit Flipflops unter einem Kleid mit einem Batik-Design, er mit Hawaiihemd über einer karierten Hose. Hat sich ein Künstler hier mit Pinsel und Farbe an zwei Zebras zu schaffen gemacht oder stehen die kräftigen Farben in Korrespondenz zu den festen Schritten, mit denen sie das Buffet abmarschieren?

Weiter passiert nichts Bemerkenswertes, doch die echte Überraschung ergibt sich eine Stunde später, als im Nachgang zum Dinner eine Sängerin in den Raum kommt, Playback-Musik anschaltet und tanzbare Melodien ertönen. Alle Ruhe, Gemütlichkeit, ja geradezu Trägheit ist wie weggewischt, im Mann scheint John Travolta zum Leben zu erwachen, sie streift sich die Flipflops aus. Die nackten Füße berühren die Tanzfläche als wären sie noch nie irgendwo anders gewesen. Ganz bestimmt hätte ich dieser grauen Maus nicht mal ansatzweise diesen rollenden Hüftschwung, diese weichen und doch gezielt gesetzten Schritte, zugetraut.

Wie Raubkatzen schleichen sie umeinander herum, es wirkt wie ein Vorspiel, das in Discofox mündet und die mäßig beleuchtete Tanzfläche in einen Hexenkessel verwandelt. Dieser lendenlahme Mann mit Aussicht auf den Ruhestand rockt mit seiner Lady den Laden, zeigt die Power, die in ihm steckt. Da ist nichts vom Produzieren, nein, die Beiden tanzen einfach voller Leidenschaft, wie eine zweite bis dahin verborgene Seite ihrer Art und ihrer Körper.

Auch andere Gäste sehe ich staunen, manche sogar Beifall klatschen, es geht ihnen vermutlich wie mir, dass wir einfach nur überrascht sind von dieser nicht erwarteten Vorstellung. Die kriechenden Frühstücks-Krokodile sind zu dahineilenden Tanz-Katzen geworden.


18 August 2023

Sommer 2023 (4/6): Eher flüchtig

Sommer 2023 Eher flüchtig

Sommer 2023 - die vierte Woche der hessischen Sommerferien geht zu Ende.

Deine verspiegelte Sonnenbrille, zufällig oder absichtlich eine Einbahnstraße, du kannst deine Umwelt erkennen, aber du lässt dir nicht in die Karten schauen. Wer wissen will, wohin du schaust oder von deinen Blicken ableiten will, was du gerade denkst, der hat es schwer.

Kurz drehst du den Kopf in Richtung des braungebrannten Sportlers, der sich mit lässiger Bewegung auf den Weg zum Sprungbrett macht. Nein, natürlich schaust du ihm nicht nach, vielmehr ist es eine eher flüchtige Aufnahme deiner Umgebung.

Die gemalte Coolness, die es sich da auf dem Liegestuhl breitgemacht hat. Wie beiläufig ziehst du den Bikini glatt, richtest das Oberteil, sorgst für Symmetrie über den Pobacken. Es ist keinerlei Plan zu erkennen, warum deine Hand jetzt eher flüchtig über den Busen streichelt.

In den Tiefen Deiner Badetasche fischst du nach irgendeinem unentbehrlichen Utensil, es ist ein Bürste, wie sich jetzt herausstellt. Mit großer Sorgfalt drehst du sie von der einen zur anderen Seite, setzt sie am Scheitel an und kämmst die Strähnen bis in die Längen durch. Mehr zufällig als flüchtig wirbeln die Haare glänzend im leichten Luftzug.

Mit der Erlangung einer knusprigen Bräune bist du vollauf beschäftigt, deine Freundin verbirgt ihren halben Oberkörper unter einem überdimensionalen Strohhut, verzichtet dafür auf das Eincremen ihres Gesichtes. Das zelebrierst Du umso ausführlicher, eher flüchtig gleiten die Cremefinger über die zu einem Kussmund verzogenen Lippen.

Sonnenmilch-Tausch mit deiner Freundin, der richtige Bräunungsgrad wird durch Verweildauer in der Sonne, die Qualität des Sonnenschirms und eben die richtige Wahl der Sonnenmilch eingestellt. Übertrieben ruhig sorgst du für gleichmäßige Verteilung und kommst eher flüchtig an den empfindlichen Stellen deines Körpers vorbei.

Das Sonnenbad nimmt ein ungeplantes Ende. Entgegen der Vorhersage ziehen Wolken auf, die Sonne verschwindet und sogar ein paar Regentropfen fallen auf die Sonnenhungrigen herunter. Ohne Hektik rückst du vor dem Aufstehen die Sonnenbrille ins Haar, eher flüchtig kann ich zum ersten Mal deine leuchtenden Augen sehen.

Und dann sind die beiden in Richtung Umkleide verschwunden. Weder niedergedrücktes Gras noch liegengelassene Reste lassen vermuten, dass sich hier gerade noch zwei Frauen in der Sonne geräkelt haben. Eher flüchtig denke ich an die beiden schönen Körper zurück.

11 August 2023

Sommer 2023 (3/6): Männer sind Schweine

Sommer 2023 Männer sind Schweine

Sommer 2023 - die dritte Woche der hessischen Sommerferien geht zu Ende.

Nicht, dass ich beim Nachbartisch gelauscht hätte. Aber ungewollt wurde ich als Zuhörer eingebunden, weil eine junge Frau doch recht lebhaft von ihrem Leben und dessen Geschichte berichtete. Eigentlich interessierte es mich gar nicht so recht, und die Story hatte auch eher die Qualität eines schlechten Rosamunde-Pilcher-Films. Die junge Frau war als Single angereist und hatte sich recht zielstrebig zwei bereits angekommenen Paaren angeschlossen.

Wie sie da heute Morgen durch die Hotelhalle lief, den Koffer noch an der Rezeption, die Sonnenbrille im Haar und mit strahlendem Lächeln die Lobby begutachtete, wirkte sie ausgesprochen sympathisch. Nicht zuletzt angesichts ihrer schlanken Figur und dem gepflegten Äußeren fand ich sie attraktiv und warf ihr ein freundliches Lächeln zu.

Später am Pool hatte sie dann ihre Auswahl getroffen und die beiden vorhin schon erwähnten Pärchen angesprochen. Nach allerlei Smalltalk über Anreise, Wetter und vermutlich weiteren Themen, die ich so nicht mitverfolgen konnte, hatten sie sich dann offensichtlich zum gemeinsamen Abendessen verabredet.

Und so saßen sie jetzt da, hatten einen Tischwein vor sich und plauderten über Hobbies, das Hotel, Ausflugsmöglichkeiten und dann natürlich nach kurzer Zeit über persönlichere Themen. Die Männer hatten eine separate Unterhaltung aufgemacht, vermutlich Sport oder Autos oder Golf, das ging in den Gesprächen der Frauen unter.

Denn inzwischen hatte Tina das Wort übernommen und berichtete unüberhörbar von ihrer Lebensgeschichte. Von ihrem langjährigen Partner enttäuscht hatte sie sich bei einem Datingportal angemeldet. Und hatte dort tatsächlich einen neuen Mann kennengelernt. Es folgte eine recht ausführliche Darstellung des Herantastens, des ersten Treffens und so weiter, jedenfalls passte alles. Das ging zwei Jahre durchaus gut, bis sie dann auf eine Vertiefung der Beziehung drängte und der neue Mann seine bisherige Frau nicht verlassen wollte oder konnte.

Ihr alter Partner hatte zwar auch eine neue Beziehung, aber bei der Frau des neuen Freundes gab es Schwierigkeiten. Ihre Nebenbuhlerin, eine echte Karrierefrau, wollte nicht kampflos ihren Mann verlassen. Und erst recht nicht die Wohnung oder das Haus räumen.

Patchwork pur, mit den nicht gerade überraschenden Kämpfen, Eifersüchteleien, spitzen Kommentaren und kritischen Kommentaren allen anderen beteiligten Personen gegenüber. Nein, war sich Tina sicher, da steckte schon System dahinter. Männer sind einfach Schweine, sie haben nicht die leiseste Ahnung, was in ihr vorgeht und sie hat auch mit dem neuen Menschen wieder Pech gehabt. Wenn er sie so liebte wie er vorgäbe, dann würde er seine Karrieremaus doch verlassen. Es war, wie gesagt, nicht unbedingt eine Geschichte aus der wilden Phantasie eines Schriftstellers, vielmehr eine Story, die das Leben in seiner größten Einfallsarmut gebiert.

Ich drehte mich um, schaute Tina noch einmal an, plötzlich kam sie mir überhaupt nicht mehr attraktiv vor. Vielmehr schaute ich durch ihr hübsches Kleid, ihren sicherlich sehr wohlgeformten Körper auf ihre innere Einstellung und befand sie für alles andere als partnerschaftstauglich. War sie zu Beginn des Tages noch ein potentieller Gesprächskandidat gewesen, verspürte ich jetzt so gar keine Lust mehr, mir die verallgemeinerte Lebensenttäuschung anzuhören. War ihr denn nicht klar, dass sie Teil des Systems ist, dass auch sie ihren Anteil am Verlauf ihres Lebensweges hat, nicht nur die bösen Männer?

Gedankenverloren stand ich auf, schaute noch einmal zu ihr hinüber, nur das mit dem Lächeln, das wollte einfach nicht so recht klappen.

04 August 2023

Sommer 2023 (2/6): Unter dem Regenschirm

Unter dem Regenschirm

Sommer 2023 - die zweite Woche der hessischen Sommerferien geht zu Ende.

Dieses Jahr war ich mit Paul unterwegs. Ein guter Freund von mir, immer für eine verrückte Idee zu haben und vor allen Dingen ein Frauenliebling. Das ist manchmal ein bisschen nervig, weil die Mädchen zuerst mal nur ihn sehen, aber bei anderen Gelegenheiten ganz angenehm, weil vielleicht doch eine nette Bekanntschaft für mich dabei herausspringt.

Und Paul hat – wie ich – nicht übermäßig viel Geld. Wir haben uns für eine Busreise nach Spanien entschieden, ein ganz neues Dreisterne-Hotel hat an der Costa Brava aufgemacht. Der Preis ist niedrig, weil noch nicht alles fertig ist und das Haus ein bisschen abseits liegt. Insgesamt sind wir sehr zufrieden, für unser Budget bekommen wir viel geboten und die Angestellten im Hotel sind super freundlich. Es klemmt hier und da, aber das Improvisationstalent der Einheimischen in Kombination mit ihrer Gastfreundschaft lässt das schnell vergessen.

Etwas Pech haben wir mit dem Wetter. Seit unserer Ankunft hat es mehrere Regentage gegeben und selbst die trockenen Tage sind eher verhangen. Der Strand ist ziemlich leer, wir müssen schon nach Lloret de Mar fahren, wenn wir Party haben wollen. Das ist tagsüber ganz ok, aber wenn die Sonne sich senkt wird die Fahrerei schwierig. Heute habe ich mich am späten Nachmittag alleine aufgemacht, Paul hat sich mit irgendeinem Mädchen verabredet, dass er gestern in der Disko vom Nachbarhotel kennengelernt hatte. Durch leichten Nieselregen laufe ich vom Hotel zur Strandstraße, dort ist die Bushaltestelle nach Lloret.

Weit und breit ist kein Fußgänger zu sehen, die Gegend ist noch nicht so richtig touristisch, erst recht nicht in der Nebensaison. Aber an der Bushaltestelle steht schon eine Person, wie ich von weitem erkennen kann. Beim Näherkommen ist es eine hübsche Spanierin, lange schwarze Haare, lebhafte dunkle Augen, etwas große Nase aber auch ansehnliche Oberweite über einen schlanken Taille und langen Beinen, die aus Shorts herausgucken.

Ich setze mich auf die Bank, nach dem Fahrplan brauche ich nicht zu schauen, denn die Busse kommen wann sie wollen. Die junge Frau bleibt stehen, nahezu regungslos, selbst der Blick scheint in der Ferne verloren gegangen zu sein. Eigentlich könnte oder sollte es mir egal sein, aber dutzende Fragen schießen mir durch den Kopf. Wie sie wohl heißt, wo sie hinfährt, ob sie mich registriert hat und ob sie mich nett finden könnte. Vielleicht sogar, ob ich mich mit ihr verabreden soll.

Es nieselt immer noch, nein, langsam steigert sich der Niederschlag und geht in Regen über. Ich krame aus meiner Jacke einen kleinen Regenschirm, der nach ein bisschen Ruckelei aufspringt und ein kleines schützendes Dach über mir ausbreitet. Es wäre ziemlich unhöflich, die Trockenheit nicht zu teilen und so stehe ich auf und stelle mich wortlos neben die Fremde. Der Knirps reicht kaum für uns beide, aber wenn wir die Köpfe ein wenig neigen passen sie immerhin darunter und bleiben weitgehend trocken.

Sie dreht ihren Kopf zu mir, nickt freundlich, sagt aber kein Wort. Mehr oder weniger unfreiwillig sind wir uns jetzt sehr nahe, wenn ein Windstoß kommt fliegen mir ein paar Strähnen ins Gesicht, ich kann ihre Haare riechen. Ohne Berührung, ohne einen Ton knistert die Luft vor Spannung. Längst ist mein Puls angestiegen, fühlen sich meine Beine leicht und schwer zugleich an.
 
Der Regen wird immer stärker, keine Möglichkeit zum Unterstellen weit und breit, wir sind irgendwo an einer so gut wie unbefahrenen Straße an der spanischen Küste. Die junge Frau rückt näher, durch meine Regenjacke kann ich jetzt ihren Körper fühlen. Ob sie nur Schutz unter dem Schirm sucht oder den Vorwand nutzt, um sich an mich zu drücken? Sonst wenig schüchtern verschlägt es mir den Atem und es fällt mir schwer, an etwas anderes zu denken.

Da hinten, sehe ich durch den strömenden Regen, kommt ein Bus gefahren. Ich setze alles auf eine Karte und greife nach ihrer Hand. Sie ist warm und nass und während sie meinen Druck erwidert flüstert das Mädchen etwas, was wie ihr Name klingt. Und dann noch irgendetwas auf Spanisch, was ich nicht  verstehe. Vielleicht eine Verabredung, eine Einladung.

Im nächsten Moment ist der Bus da, ich will mit ihr einsteigen, aber sie lässt meine Hand los, raunt „Muchas gracias por el paraguas“ und schiebt mich sanft zur offenen Bustür. Etwas verdattert schaue ich sie an, wieso hat sie die ganze Zeit an der Haltestelle gestanden ohne jetzt einzusteigen? Dann drehe ich mich zum Fahrer, bezahle die Fahrkarte und kann gerade noch meiner merkwürdigen Unbekannten durch die schließende Tür zuwinken. Die regennassen Scheiben lassen kaum einen Blick nach Draußen zu, aber ich glaube, dass sie ebenfalls winkt.