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Feingeistiges am Freitag: Prosa, Lyrik, Kürzestgeschichten, Gedanken, aktuelle Themen, zeitlose Texte.
24 Juni 2022
Dream A Little Dream Of Me
17 Juni 2022
Nachts unterwegs (5+6/6)
[Bisherige Folgen: Nachts unterwegs (1-2/6) und (3-4/6)]
Nachmittags waren wir zu unserem Ausflug gestartet, der Aktionsradius ist ja mit unseren Rollatoren nicht mehr so groß wie früher zu Fuß. Aber durch das gute Wetter verführt hatten wir uns für einen Waldweg entschieden, der in einen Trampelpfad überging. Das wollten wir nun wirklich nicht als Hindernis stehenlassen, tapfer schoben und hoben wir die Gehhilfe vor uns her, mal musste ich dir über eine Wurzel helfen, mal steckte einer meiner Reifen in einer Kuhle fest.Insgesamt war es schon recht anstrengend, und da wir diesen
Weg schon ewig nicht mehr genommen hatten, waren wir unsicher, ob wir uns
vielleicht am Ende sogar verlaufen hatten. Mehr oder weniger erschöpft ließen
wir die Gefährte stehen und setzten uns auf einen Baumstamm. „Ach“, seufzt du,
„wir könnten jetzt so schön zu Hause sitzen, auf der Terrasse. Die Sonne geht
schon unter, wir müssen uns beeilen, damit wir nicht in die Dunkelheit kommen.“
Und tatsächlich ist der Tag schon fortgeschritten und mit unseren schlechter
werdenden Augen wäre es gar nicht gut, wenn wir diesen unwirtlichen Weg in der
Dämmerung gehen müssten.
Also rappeln wir uns wieder auf, nicht ohne vorher zu
beraten, in welcher Richtung wir am schnellsten wieder zu unserem Haus kommen.
Den Weg zurückzugehen wie wir gekommen waren scheint die sinnvollste Lösung,
allerdings haben wir da auch einige Bögen gemacht und könnten sicher abkürzen.
„Aber wir kennen uns hier nicht gut aus, lass uns lieber den Weg genauso
zurückgehen.“ Wenn das so einfach wäre. Das Licht hat vom strahlenden
Sonnenschein zu einem verhaltenen rötlichen Sonnenuntergang gewechselt, in
anderer Richtung sieht alles ganz anders aus. Und waren wir an der Kreuzung
vorhin von links oder von rechts gekommen. Ich erinnere mich nicht genau, du
bekommst langsam die Panik und ich muss dich beruhigen, dass wir wieder unsere
gewohnte Route finde, obwohl ich selbst auch Angst bekomme. Hätte ich doch nur
das Handy dabei, eine Karte oder mir ein paar Orientierungspunkte gemerkt. Aber
diese Erkenntnis kommt im Moment zu spät, ich muss den Anführer spielen ohne
den Weg zu kennen. Sind wir vorhin an diesem Holzstapel vorbeigekommen oder
sollte ich diesen Jägerhochsitz wiedererkennen? Da vorne das Schild, was stand
da noch drauf, ist es der Wegweiser zum Aussichtspunkt? Meine Kräfte lassen
nach, schon wieder stoßen die Reifchen gegen irgendein Wurzelwerk. Dir geht es
ähnlich, auf Asphalt ist die Fortbewegung für uns schwer genug, im Wald aber
noch viel mühsamer.
Doch dann kommt uns doch der herannahende Abend zu Hilfe.
Recht weit entfernt noch, aber doch deutlich zu erkennen sehe ich zwischen den
Bäumen Laternen aufleuchten. Das macht Hoffnung, du hast es auch gesehen und
wir nehmen unsere Kraft zusammen, während wir uns gegenseitig versichern, dass
der Ausflug für uns alte Leute nun mal eine Herausforderung war. Aber eine, die
wir auch noch gemeistert bekommen.
*
Ich liege im Bett, kann mich seit dem Schlaganfall nur noch
sehr eingeschränkt bewegen. Meine Zunge macht nicht mehr so richtig mit,
sprechen ist ziemlich anstrengend und an manchen Tagen gar nicht mehr möglich.
Vermutlich auch durch die zahlreichen Medikamente bin ich dauerhaft müde und
selbst das Denken fällt mir ausgesprochen schwer. Düstere Gedanken wechseln
sich mit tiefer Traurigkeit ab, die Perspektivlosigkeit meiner verbleibenden Lebenszeit
führt zu fortwährender Todessehnsucht und Selbstmordgedanken. Einzige
Aufmunterung ist die ausländische Pflegerin, die Tag und Nacht mein Bett
umschwärmt, mein Kissen hochzieht, mir einen Tee bringt und mich dabei jedes
Mal liebenswürdig anstrahlt. Sie weckt Erinnerungen an meine aktive Zeit des
Lebens, das Herumtollen im Park, erlebte Abenteuer und die Liebe zu meiner
Frau. Dann schließe ich die Augen, es wird dunkel und die Dämmerung legt sich
über meine Gedanken. Ich glaube mir gelingt noch ein Lächeln, während mein
Geist sich in die Nacht verabschiedet.
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09 Juni 2022
Nachts unterwegs (3+4/6)
[Bisherige Folge: Nachts unterwegs (1-2/6)]
Es war schon im zweiten Jahr zur Tradition geworden, uns kurz vor dem Advent im Ferienhaus zu treffen. Am frühen Nachmittag kamen wir aus allen Himmelsrichtungen zusammen, rund ein Dutzend feierfreudiger Kurzurlauber. Dann wurde erst mal gesichtet, was wir so mitgebracht hatten und was noch fehlte. Irgendwie kam immer eine gute Verpflegung zusammen, hatten wir Vorspeise, meist einen Auflauf und natürlich Kuchen oder Nachtisch auf dem Buffet. Als nächstes noch die Vorbereitung der Übernachtung, da wurden Sofas mit Laken bezogen, Klappbetten aus dem Keller hochgeschleppt und Schlafsäcke ausgerollt.
Langsam ging es dann mit diversen überwiegend alkoholischen Getränken in den gemütlichen Teil über. Das Essen nahm seinen Lauf, die Gespräche wurden lebhafter, so viel passiert seit dem letzten Treffen, was erzählt werden musste. Und als Höhepunkt zu vorgerückter Stunde dann Licht aus und in großer Zeremonie eine Feuerzangenbowle. Der Zuckerhut mit dem Rum tropfte mit zuckenden Flammen in die Rotweinbowle, Orangenscheiben und Zimt schwammen auf der Flüssigkeit und immer wieder übergießen mit langem Löffel, bis auch das letzte Flämmchen erloschen war. Die Gläser gefüllt und bei Kerzenschein in weiter gesteigerter Lautstärke unser Austausch von Anekdoten und Erlebnissen.
Nach einer Laufrunde um das Spielfeld waren wir mächtig außer Atem, aber eine Runde lief ich noch, auch wenn sich die Gruppe langsam auflöste. Ein Pärchen fing an zu knutschen, ein paar Jungs stellten sich hinter einen Baum zum Pinkeln, meine Freundin begann zu quengeln und wollte langsam wieder nach Hause marschieren. Und so setzte sich der bunte Trupp in bester Laune wieder in Bewegung, diesmal bergab und kroch müde aber glücklich in die unterschiedlichen Schlafgelegenheiten.
*
Was für eine laue Sommernacht. Trotz später Stunde ist es immer noch hell, wir sitzen nach dem Abendessen noch auf der Terrasse. Plötzlich willst Du noch mal losfahren, einfach das Cabrio aus der Garage holen, Verdeck auf und irgendwo hin.Es ist diese streichelwarme Luft, der Duft von Sommerblumen und das leise Schnurren des Motors, während wir unter den langsam erkennbaren Sternen dahinrollen. Wir haben kein Ziel, die Landstraße erstreckt sich in weiten Bögen vor uns und ich fahre so langsam, dass unser Ausflug dem Begriff Motorwandern gerecht wird.
03 Juni 2022
Nachts unterwegs (1+2/6)
Ich habe das immer gehasst. Wenn mein Sportlehrer beim Klassenausflug mit seinen Spielen anfing. Das musste dann zünftig zugehen, wie es sich für Jungs gehört. Eine seiner tollen Ideen war eine Nachtwanderung zu unbekanntem Ort, allerdings von verschiedenen Trupps ausgespäht und verteidigt. Da ging es um Losungen, um Dresche für die Gegner und Davontragen eines einmaligen Sieges. Nichts dabei, was mich gereizt hätte.
Also raus aus der Jugendherberge, Mannschaften eingeteilt
und erst mal in die vier Himmelsrichtungen geschickt. Mir war gar nicht wohl dabei,
insbesondere, weil ich in einer Gruppe nicht gerade kampferprobter Mitstreiter
gelandet war. Die Dunkelheit brach herein, wir hockten uns an einen Baum und
berieten einen Plan. Die anderen Mannschaften waren nicht zu sehen oder zu
hören, wir konnten sie einfach machen lassen und hier darauf warten, dass das
Spiel ohne uns zu Ende ging. Aber dieser ziemlich schnöde Plan ließ sich dann
doch nicht umsetzen, weil es um uns herum im Unterholz zu knacken anfing. Ich
bekam es mit der Angst zu tun, mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit würden sich
die Raufbolde auf uns stürzen, endlich die Gelegenheit ergreifen, und unserer
schulischen Überlegenheit ihre körperliche Überlegenheit entgegensetzen. Blaue
Flecken und tagelange Schmerzen inbegriffen.
Ganz so schlimm kam es dann doch nicht, ein wenig Rangelei,
dann konnten wir den Trupp überreden, mit uns gemeinsame Sache zu machen und am
Ende sogar den Schatz als erste zu finden und in die Jugendherberge zu bringen.
*
Walking through a
winter night, Counting the stars And passing time. Du hattest den einen
Stöpsel vom Kopfhörer im Ohr, ich den anderen. Der Walkman dudelte diese schöne
Ballade von den Scorpions, in meiner Hand deine kleine Hand im Fäustling. Wir
wanderten am zugefrorenen Fluss entlang, es war eisig kalt und beim Ausatmen
konnte man den Atem gegen die Straßenlaternen sehen. Alle paar Schritte blieben
wir stehen, küssten uns und konnten gar nicht genug davon bekommen. Deine warme
Zunge hinter kalten Lippen und rote Ohren, die wir aneinander rieben. Der Weg führte
uns an der ehemaligen Stadtmauer vorbei, historische Leuchten hingen herab und
verbreiteten ein schummriges Licht. Dann durch ein Stadttor in die Altstadt,
wir schlenderten hindurch und blieben hier und da vor einem der verschlossenen
Geschäft stehen. Bis auf einige wenige Weinlokale war alles zu und der hohe
Schnee sorgte dafür, dass auch kaum andere Leute auf der Straße waren.
Wir spulten den Walkman zurück, noch mal Lady Starlight, noch mal deine Hände in
meinen und wir drehten uns im Kreis bis uns schwindelig wurde und wir langsam
nach Hause mussten.
[Fortsetzung: Nachts unterwegs (3-4/6)]
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