05 April 2024

Skorpion und Kater

Ich frage mich gerade, wo ich bin. Der Abend gestern war lang, feucht und fröhlich, jede Menge Musik und ich glaube, wir waren zwischendurch auch noch zu einer Nachtwanderung aufgebrochen. Ein Freund von mir hatte eingeladen, es gab irgendeine fadenscheinige Begründung, warum wir mal wieder alle zusammenkommen und mit partylustigen Bekannten anstoßen wollten. Irgendwer hatte auch Snacks mitgebracht, der Kühlschrank wurde geplündert, die Getränkevorräte dezimiert. Und dann gab es ein total albernes Kennenlernspiel, bei dem viel gelacht und noch mehr getrunken wurde.

Skorpion und Kater

Im Laufe des Abends wurde die Musik dann lauter, selbst zurückhaltende Gäste trauten sich auf die improvisierte Tanzfläche und die Bewegungen wurden dank der Drinks immer wilder, ein Paar führte seine Kombination aus argentinischem Tango und Diskofox vor, wir schauten staunend zu und ließen uns den einen oder anderen Schritt zeigen. Heiß war es, wer konnte schälte sich aus einem Teil seiner Kleidung, im Idealfall hatte man nur noch ein T-Shirt, das aber auch deutliche Schweißflecken zeigte. Eine ältere Frau mit ziemlich voluminösem Haarschopf hatte sich auf mich gestürzt, konnte sich nicht entscheiden, ob sie führen sollte oder sich von mir führen lassen wollte.

Dann der unvermeidliche Weg zur Theke, wo diverse Flaschen aufgebaut waren, Softdrinks, Shooter, Bier, Likör. Ich versuchte auszuweichen und steuerte einen Platz auf dem Ecksofa an, eigentlich nicht genug Platz für zwei Personen, aber aus dem Augenwinkel sah ich meine Verehrerin mit zwei Gläsern auf mich zulaufen.

Wenig später erfuhr ich, dass sie Psychologie studiert hatte, und sie wurde dem Klischee vom Menschenversteher mit eigenen Problemen voll und ganz gerecht. Ich erfuhr von ihrer Kindheit, ihrer Beziehung zum Vater und den Krisen mit der Mutter, die sie bis heute in ihren Beziehungen beeinflussten. Sternzeichen Skorpion, wie sie mir verriet und dann zwinkernd hinterherschickte, dass sie sich eher der Jungfrau verbunden fühle, falls ich wisse was sie meine.

Es gelang mir, ihren Avancen zu entkommen, sah einen flüchtig Bekannten im Flur stehen und verwickelte ihn in ein belangloses Gespräch, um ein wenig Abstand zu bekommen. Tatsächlich hatte ich erst mal Ruhe, nahm noch eine Schorle und hatte inzwischen eine kleine Gruppe um mich herumstehen, als der Skorpion sich wieder blicken ließ. Mehr oder weniger feinfühlig mischte sie sich in die Diskussion ein, um den Schwerpunkt zu gesellschaftliche Aspekten mit Blick auf unseren psychologischen Fußabdruck zu verlagern.

Die Diskussion wabert weiter in sozialkritische Details, geht der Frage der Generation X nach, immer hitziger wird nach dem Tanzen jetzt der Austausch kontroverser Meinungen betrieben. Ob Fridays for Future der richtige Ansatz ist, ob junge Leute ihre Meinung über politische Gremien einbringen sollen und so weiter. Weniger interessant für mich und ich nutze die Gelegenheit, wieder zum Ecksofa zurückzukehren.

Ich sitze noch nicht in der endgültigen Position, als ich einen Stich im Rücken fühle. Im Herumdrehen sehe ich in das strahlende Gesicht des Skorpions, „ich habe mal versucht, ob ich dich mit meinem Stachel erwische“ und schwanke zwischen Ärger, Mitleid und einfach nur Müdigkeit. Wenig später hat sie mich wieder verbal eingewickelt, ihre Hand landet verdächtig häufig auf meinem Bein oder kommt in ausschweifender Bewegung zufällig auf meinem Arm an.

Sämtliche Versuche, ihre Aufdringlichkeit ein wenig zu bremsen laufen ins Leere. Sollte ich einfach aufgeben, ihr einen fetten Kuss verpassen, sie gar auf die Toilette schleppen und dort ihren körperlichen Forderungen nachkommen? Oder ihr in aller Deutlichkeit einen Korb geben und sie bitten, mich in Ruhe zu lassen.

Es kam dann weder zum einen noch zum anderen. Unvermittelt tauchte ein anderer Mann auf, mein Skorpion fiel ihm um den Hals, bezeichnete ihn als ihren Kater und machte sich in einer Weise über ihn her, dass von meiner Seite nur noch Fremdschämen angesagt war. Ich war bei ihr abgeschrieben, konnte mich wieder dem Rest der Party widmen und genussvoll in die weinselige Zufriedenheit unverfänglicher Gespräche mit Freunden vertiefen.

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