Der Aufenthalt im
Krankenhaus ist nur für Ärzte und Pfleger normaler Alltag. Für alle Patienten
tut sich ein neuer Kosmos auf, in dem andere Gesetze zu gelten scheinen. Ein
Blick hinter die Kulissen.
6. Nun ist der Platz neben mir erst mal leer. Aber nur für einen kurzen Moment, schon öffnet sich die Tür, eine Frauschaft aus drei bekittelten und kopfbetuchten Personen stürzt sich auf das verwaiste Bett, entfernt das Kopfkissen, zieht das Laken ab und sorgt für die Reinigung der Matratze. Der Boden schwimmt, allein der hinterlassene Blutfleck des Bettgenossen ist unbehelligt geblieben. Wie gekommen so gegangen sind die drei Geister wieder verschwunden. Pause. Tür auf, diesmal sind es zwei junge Krankenschwestern mit Smiley-Stickern, die das Bett aus dem Zimmer manövrieren, nicht ohne mehrfach gegen mein Bett zu fahren dass es kracht. Ich strahle die beiden an, wünsche ihnen mit ihrer Beute alles Gute und freue mich auf die Ruhe nach den Stürmen. Der Fleck ist unberührt.
7. Um diese Uhrzeit wird normalerweise meine Infusion angehängt und richtig, es klopft wieder an der Tür. Es ist aber nicht die erwartete Arznei für mich, sondern der neue Zimmergenosse. Er wird in einem Bett hereingeschoben, kann zwar offensichtlich nicht selbst laufen, ist aber auch nicht so desolat, dass er einfach nur wortlos auf seinem Bett läge. Vielmehr redet er mit den Pflegekräften, erinnert vorausschauend an die Inbetriebnahme des Fernsehers und lässt auch mich nicht in Ruhe. Was ich da mit meinem Laptop machte, verlangt er zu erfahren. „Ich schreibe Kriminalromane. Im aktuellen Kapitel geht es darum, wie ein Patient seinen plappernden Zimmernachbarn durch Abstellen seiner Atempumpe ersticken lässt. Mitten in der Nacht und ohne dass die Pfleger es merken.“ Vermutlich findet der Neue diese Aussage nicht so lustig wie ich, jedenfalls quatscht er mich danach nicht mehr an.
8. Ich bin im Zirkus gelandet. Gegenüber aus dem Zimmer höre ich das Bellen eines heiseren Wolfs, der wohl für seinen Auftritt übt. Der blaugekleidete Dompteur mit dem Rückenaufdruck „Physiotherapeut“ kommt den Flur entlanggelaufen, überredet einen älteren Mann, sich von seinem Rollator zu trennen und ein paar wacklige Schritte auf den eigenen Beinen zu machen, was beinahe für einen doppelten Rittberger gesorgt hätte. Eine besondere Rolle kommt dem Stationsarzt zu, der mit seiner schmucken OP-Kleidung und dem Arm voller Patientenakten den perfekten Zirkusdirektor abgibt. Nach seiner täglichen Visite kündigt er noch Clown Harry an, der in seiner liebenswürdig-tapsigen Art wirklich nicht eine einzige Thrombosespritze pannenfrei gesetzt bekommt.
9. Jetzt kommt doch noch die Infusion. Schwester Anna, lese ich auf dem Namensschild am Smiley-Bande und muss innerlich schmunzeln. Zu meinem Glück hat die Personalabteilung die junge Frau nicht nur nach dem Aussehen, sondern auch nach ihrer handwerklichen Qualität ausgesucht, denn die Braunüle sitzt nach winzigem Pikser, die Infusion läuft. Tatsächlich hätte es mich gewundert, wenn mein Zimmernachbar, nennen wir ihn mal B., nicht wieder angefangen hätte zu reden. Ob es an seinem hohen Alter, seinem nahenden Tod oder schlicht an seinem Charakter hängt bleibt mir verborgen. Aber vermutlich hat er schon immer alle Frauen angemacht, die nicht bei drei auf den Bäumen waren. Leicht pikiert schlüpft Anna aus dem Zimmer und ich bin froh, dass sie weg ist, damit das Fremdschämen für B. ein Ende hat.
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