Wessen Leben nicht
wirklich am seidenen Faden hängt, der darf keine Ärzte erwarten, die wie im
Fernsehen mit wehendem Kittel über den Flur eilen. Geduld und Humor erleichtern
den Aufenthalt in jeder Klinik.
17. Omm! Buddha
muss hier gewesen sein, um seine unendliche Geduld zu trainieren. Das Drücken
auf den Rufknopf sollte man nie herauszögern: Wer den roten Button erst
betätigt, wenn er in Not ist, ist schon verloren. Eine halbe Stunde geht um wie
nix, das würde ich in entspannter Stimmung und mit einem Glas Wein durchaus
unterschreiben, aber unter Schmerzen, mit angehängtem Tropf und gefüllter Blase
ist es eine Ewigkeit. Ich entschließe mich, die Füße aus dem Bett zu schwingen
und gemäß dem Motto dieses Hospitals („hilf dir selbst, dann wird dir
geholfen“) wanke ich – mich an dem Infusionsständer festhaltend – zum Bad. Wie
schön auf einmal die Kacheln wirken, wie freundlich mich die Toilette in
Empfang nimmt. Nur den Deckel hätte ich vielleicht nicht anheben sollen, da war
irgendjemand vor mir gewesen und hatte seine Spuren hinterlassen. Oder sind es
gar keine Fäkalspuren, sondern die Reste eines ehemaligen Patienten, der in
dieser Nasszelle beim Warten auf die Pfleger verwest ist?
18. Schichtwechsel ist immer eine ganz große Sache. Dann wird es ganz leer auf dem Flur, das ganze Team verschwindet im Aufenthaltsraum. Nach rund dreißig Minuten kommen sie wieder herausgeströmt, die eine Hälfte in Richtung Umkleide und Feierabend, die andere Hälfte auf der Suche nach einem Versteck für die nächsten acht Stunden. Was in dieser halben Stunde passiert ist bleibt ein Mysterium, ist doch die neue Schicht bestenfalls ansatzweise über die Ereignisse aus der Zeit ihrer Vorgänger informiert. Vielmehr müssen sie jedwede Information entweder im Stationszimmer nachhören oder besser noch: Den Stationsarzt fragen. Der ja bekanntlich nicht auf Station ist, auch wenn der Name das vermuten lassen würde.
19. Nachtschwester Martha nimmt den Dienst auf. Sie sieht aus wie sie heißt und erfüllt ihre Aufgabe mit körperlicher Hingabe. Ihre Stimme lässt ihr Umfeld in Deckung gehen, Patienten die tagsüber eine Behandlung abgelehnt haben werden lautstark zur Rede gestellt. Die Meinung des Stationsarztes ist für sie irrelevant, die Vorgabe des Oberarztes eher eine Richtschnur. Patienten sind ungezogene Kinder, die notfalls mit deutlichen Maßnahmen in die Schranken gewiesen werden müssen.
20. Das Krankenhaus besteht aus einem neuen und einem alten Teil, letzterer hat tatsächlich noch so etwas wie eine Turmuhr. Gespenstisch schlägt sie zwölf Mal, Geisterstunde, und kaum ist der letzte Ton verklungen klopft es leise an der Zimmertür. Licht vom Flur fällt herein, einem Geist gleich wird der Kopf der Nachtschwester sichtbar, in der Hand hält sie eine Infusionsflasche. Pünktlich alle acht Stunden ist Zeit für mein Antibiotikum, eine der Gaben also um Mitternacht. Ich wische mit der unverletzten Hand die Decke zur Seite, im Halbschlaf registriere ich den geist-lichen Bei-stand und die Kühle der frischen Infusion.
21. Nach reichlich Beruhigungspillen und Schlafmitteln hat mein Zimmernachbar die offizielle Kommunikation eingestellt. Stattdessen ist er in das Ausstoßen von Lauten übergegangen, die mit jedem Atemzug aus seinem Mund kommen. Er scheint nur noch einen einzigen Buchstaben zu kennen, so etwas wie ein „Ah“, das er in unterschiedlicher Tonhöhe, Lautstärke und Dauer intoniert. Zwischendurch räuspert er sich geräuschvoll und bildet damit einen interessanten Kontrapunkt in seiner stimmlichen Darbietung.
22. Es ist so weit. Der Tag des Abschieds ist gekommen, kein Feedbackbogen wird mir unter das Kopfkissen geschoben, keine Sehnsuchtsmelodie ertönt. Verwaltungstechnisch ein Behandlungsobjekt weniger, Verwahrung beenden, Abrechnungsprozess einleiten. Ich freue mich, weil ich die Datenbank entlaste, das überforderte Personal nicht weiter in Anspruch nehmen muss und meinem Körper nach ein paar unfreiwillig durchwachten Nächten die Ruhe gönnen kann, die er zur Erholung jetzt noch nötig hat.
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