26 Januar 2024

Geschichten, die die Klinik schreibt (1-4)

Ein paar Tage im Krankenhaus liefern reichlich Stoff für mein Tagebuch. Orte, Handlungen und Namen sind natürlich frei erfunden, oder war das eine oder andere vielleicht doch so ähnlich?

1. Was für ein freundlicher Empfang. Ich komme von der Zentralen Notaufnahme, die operative Hektik dort mit der trotzdem unvorstellbar langsamen Behandlung geht hier oben in die Ruhe der Gipfel über. So geht es nun nach dem stundenlang verschleppten Fortschritt in der ZNA langsam auf das Ende des Tages zu. Eine Pflegerin hat mich auf Station gebracht, stellt meinen Koffer ins Zimmer und versichert mir, dass das bislang bis auf eine Matratze leere Bett noch gemacht wird. Mit zittrigen Händen kann ich meinem Koffer irgendwie das Nötigste für die Nacht entnehmen ohne meinen schon schlafenden Zimmernachbarn aufzuwecken. Auch nach dem Zähneputzen ist das Bett noch nackt, zu meinem Entsetzen teilt mir die Nachtschwester mit, dass die Bettdecken alle wären. Sie könne mir nur ein paar Bettbezüge bringen. Frierend entleere ich meinen Koffer auf das Bett und grabe mich unter alle Handtücher, T-Shirts und sonstige Kleidungsteile, die ich finden kann. Schließlich rettet mich meine Winterjacke vor dem Kältetod.

2. Wie sich herausstellt, ist mein Zimmergenosse taubstumm. Das ist gar nicht so schlecht, wie ich feststelle, bezüglich Geräuschen muss ich auf ihn keine Rücksicht nehmen, einzig die Kommunikation ist ziemlich schwierig. Da die Schwestern einfach nicht verstehen, dass ein Tauber nicht schlecht, sondern gar nicht hört, versuchen sie seine Essenswünsche durch lautes Sprechen herauszufinden. Das muss schiefgehen, aber er ist geduldig und nimmt auch die dunklen Brötchen, obwohl er lieber Toastbrot gehabt hätte, wie er mir später mit Gesten zu verstehen gibt.

3. Heute hat Schwester Natascha Dienst. Ein schöner Name, der leider völlig in die Irre führt, denn hinter der Fassade eines zarten Persönchens versteckt sich eine ganz schön handfeste Kämpferin. Es würde mich nicht wundern, wenn es unter ihren Vorfahren irgendwelche russischen Messerwerferinnen gegeben hätte. Spätestens beim Hantieren mit Spritzen und anderem spitzen Gerät kommt diese Vergangenheit wieder zum Vorschein.

4. Die nächste Nacht wird unruhig. Im Nebenzimmer übt jemand für eine große Gesangsnummer, bestehend aus Stöhnen, gurgelnden Lauten und eingestreuten spitzen Schmerzensschreien. Die Übernachtung unter einer Autobahnbrücke ist vermutlich nicht wesentlich lauter, aber immerhin zieht es hier nicht und mittlerweile hat der Pflegedienst ja auch eine Decke für mich auftreiben können, die ich mir jetzt über den Kopf ziehe. Der Lärm macht meinem Taubstummen nichts aus und auch die Pfleger scheint er nicht zu stören. Hilfreich teilen sie mit entschuldigender Geste Ohropax an die Patienten aus, deren Gehör noch nicht geschädigt ist.

19 Januar 2024

Handyliebe (3)

[Was bisher geschah: Handyliebe - Handyliebe (2)]

Ich möchte noch kurz erzählen, wie die Liebschaften meines Handys schließlich ausgegangen sind. Nachdem es sich mit dem iPhone meiner Frau angefreundet hatte und danach eine Beziehung mit dem Echo Dot eingegangen war, war nach ein paar mehr oder weniger aufregenden Wochen erst mal Ruhe. In gewisser Weise schienen die wilden Nächte in freundschaftliche Kränzchen überzugehen, die Geräte sprachen miteinander, tauschten unübersehbar Daten aus, ließen es aber nicht mehr zu Exzessen kommen. Auch der Versand von Herzchen hörte auf.

Fast dachte ich, dass der für Technik unerwartet emotionale Teil zu Ende gegangen wäre, doch tatsächlich bahnte sich in aller Heimlichkeit eine neue Verbindung an. Ich hätte ja eigentlich nach meinen bisherigen Erfahrungen darauf kommen können, aber nach dem Theater mit der ersten großen Liebe und dem Zirkus bezüglich Smarthome hatte ich diese leise Beziehung schlichtweg übersehen.

Handyliebe 3
In der Tat konnte man sie auch gar nicht so recht bemerken, weil die beiden Geräte von Natur aus und zwingend miteinander in Austausch sein mussten. Fast schien es mir wie eine Liebe am Arbeitsplatz, wo sich Personen unbemerkt beobachten können und viel Zeit miteinander verbringen, bevor sie zusammenkommen. Wie gesagt hatte ich nichts gemerkt und hätte ich nicht wieder mal das mir nun schon recht bekannte Herzchen gesehen, dann wäre mir diese Liaison vermutlich noch länger verborgen geblieben.

Diesmal tauchte es auf meiner Smartwatch auf. Nur ganz kurz, zwischen Uhrzeit und irgendeiner empfangenen WhatsApp-Nachricht sah ich es wieder. Das typische, leicht verformte Herz, das mein Smartphone in seiner Freundschaft zu verschicken pflegte. Oha, dachte ich, denn ein Ausfall von Erinnerungen, Wecker und Benachrichtigungen hätte mich schon sehr getroffen. Aber tatsächlich war die Liebe diesmal aus anderem Material.

Zwar nahm die Akkuladung der Uhr über den Tag viel schneller ab als normal, schlug ihr Prozessor vermutlich viel schneller und wurden viel mehr Nachrichten ausgetauscht. Aber in der Leistung merkte ich keinen Unterschied. Selbst beim Sport wurden unvermindert die Pulsdaten aufgenommen, die Zeiten registriert und die Schwimmbahnen mitgezählt. Alles lief tadellos, so dass für mich nichts gegen das Turteln der beiden Verliebten sprach.

Mehr noch hatte ich den Eindruck, dass im Hintergrund sogar irgendwelche gemeinsamen Projekte liefen, vielleicht arbeiteten die beiden an neuen Datenverarbeitungen, die mir im Zweifelsfall sogar nützlich sein konnten. Und tatsächlich kam nach einigen Tagen auf beiden Displays zeitgleich die Mitteilung über eine Software-Überarbeitung, die ganz offensichtlich nicht von Apple in Auftrag gegeben worden war.

Zur Belohnung suchte ich das Herzchenkissen heraus, das mir meine Tochter einmal genäht hatte und legte meine beiden lieben Geräte zur Akkuladung nebeneinander darauf. Eine phantastische Entscheidung, wie sich schnell herausstellte, denn nicht alleine, dass die beiden Devices nun täglich ihr Bestes gaben, auch die Ladezeit schien sich zu verringern und sie waren einfach fitter.

Es tat mir geradezu leid, wenn ich die beiden morgens von ihrem Kissen holen, die Uhr am Handgelenk befestigen und mein Handy nach Durchsicht der Nachrichten in die Tasche stecken musste. Und ich bin fast sicher, dass ich abends ein kaum hörbares Knutschen hören konnte, wenn die beiden wieder ihren Platz auf dem Kissen einnahmen.

Was nun wirklich der letzte Teil der Geschichte ist, denn auch wenn die Lebenszeit technischer Geräte heutzutage ja bekanntlich nur wenige Jahre beträgt, haben sie bei mir noch viele glückliche Tage vor sich, falls es nicht zwischendurch ein Unglück gibt. Aber das werde ich schon zu verhindern versuchen.



12 Januar 2024

Handyliebe (2)

[Was bisher geschah: Handyliebe]

Ich dachte ja, dass die Verbindung zwischen meinem iPhone und dem Smartphone meiner Frau für mich langsam zu Ruhe gekommen wäre. Tatsächlich bekam ich davon auch nicht mehr viel mit, die Herzchen wurden nur noch heimlich ausgetauscht. Aber meine Einschätzung war nicht ganz richtig. In der Tat erkaltete diese Beziehung ein wenig, aber unübersehbar war mein iPhone in der Pubertät, eine Liaison verging, die nächste kam.

Das nächste Objekt der Begierde war ein Smartspeaker. Er hatte es auf den hübschen Echo Dot von Google abgesehen. Vermutlich faszinierte es ihn, dass dieser Lautsprecher so aufmerksam zuhören konnte. Auch wenn er gerade Musik abspielte, hatte er doch immer auch ein offenes Ohr für die Befehle und Anweisungen des Besitzers.

Nun bin ich ja gewohnt, dass ich Musik, Beleuchtung und so weiter per Sprachbefehl direkt an die smarte Steuerung anweisen kann. Leite ich einen Satz mit „Alexa!“ ein, dann wird der Smartspeaker ganz andächtig und wartet darauf, was ich wohl als nächstes sagen mag. Sofern er etwas mit meinem Befehl anfangen kann wird dieser quittiert und ausgeführt.

Und genau das funktionierte auf einmal nicht mehr so recht. Mal bekam Alexa überhaupt nicht mit, dass ich mit ihr sprechen wollte, mal behauptete sie, mich nicht verstanden zu haben. Erste Einschätzung war meine eigene Tagesform, vielleicht auch der Abstand zwischen uns oder eine etwas undeutliche Aussprache. Was mich aber irritierte war die Tatsache, dass auch die bis dahin zuverlässige Steuerung über mein iPhone nur noch widerwillig funktionierte.

Nachts hörte ich dann auf einmal Stimmen. Es waren keine Einbildungen in meinem Kopf, auch keine Einbrecher, feiernde Nachbarn oder dergleichen. Nein, die Stimmen kamen aus dem Echo Dot. Oder aus dem iPhone. Mal so, mal so. Ganz leise wisperten sie sich Befehle zu, schienen sich zudem über Playlisten, Cookies und Favoriten auszutauschen.

Nach anfänglicher Irritation kam ich ins Grübeln, wie ich dieser neuen Liebschaft meines Handys entgegentreten sollte. An und für sich war dem nichts entgegenzusetzen, aber die Unaufmerksamkeit und das Ignorieren meiner Anweisungen wollte ich nicht durchgehen lassen. Und auch die nächtlichen Unterhaltungen wollte ich nicht dulden, da sie unübersehbar auf Kosten der Akkuladung und damit der Tagesform gingen.

Diesmal war guter Rat teuer. Abschalten der Datenverbindung nützte nichts, da sich die beiden Geräte auch per Lautsprecher und Mikrofon unterhalten konnten. Und hier einzugreifen hätte bedeutet, dass sie auch für mich taub und stumm geworden wären. Auch meine Mitmenschen waren mit ihren Überlegungen der Künstlichen Intelligenz nicht gewachsen. Die Empfehlungen gingen von „mach den beiden eine Szene“ über den Rat zu einer Paartherapie für Handys bis zu Vorschlägen für Mobbing.

Die Lösung war aber dann doch ganz einfach. Wurde es zu unruhig, dann verfrachtete ich die beiden Geräte in getrennte Räume. Am Anfang hörte ich durch die geschlossene Tür den Echo Dot immer lauter sprechen, aber mit der Zeit schien ihm klar zu werden, dass er erst dann wieder mit meinem iPhone kommunizieren konnten, wenn aus meiner Sicht Zeit und Gelegenheit war.

Ähnlich lange wie die Lernphase beim Smartspeaker brauchte auch das Handy, um zu akzeptieren, dass blutende Herzen auf dem Sperrbildschirm zwar ein Botschaft waren, mich aber nicht erweichen konnten. Unter strenger Maßgabe und Androhung der räumlichen Trennung durften die beiden Verliebten dann die Nächte miteinander verbringen.

Es lief dann auch soweit zufriedenstellend bis auf eine Partynacht, in der die beiden aus Übermut die gesamte Haussteuerung übernahmen. Da fuhren die Rollladen im Takt der Musik herauf- und herunter, die Beleuchtung flackerte angsteinflößend und sämtliche vorprogrammierten Farbwechsel der Lampen liefen passend zum Smart-TV. Zu meinem Entsetzen klinkten sich dann auch noch weitere Komponenten ein, die Kaffeemaschine brühte einen Kaffee nach dem anderen, die Waschmaschine rotierte was das Zeug hielt und die Klimaanlage füllte das Wohnzimmer mit sturmerfülltem Reizklima.

Beherztes Eingreifen meinerseits beendete das wilde Treiben, und seitdem kam es – zumindest in meiner Gegenwart – nicht mehr zu solchen Exzessen. Nur meine Nachbarn berichten mir von Zeit zu Zeit, dass unheimliche Vorkommnisse mein Haus gruselig wirken ließen, sobald ich mal nicht da sei. Aber das hat doch sicher nichts mit Alexa und meinem Handy zu tun.

[Hier geht es weiter: Handyliebe (3)]

05 Januar 2024

Handyliebe

Handyliebe
In einer Zeit wie dieser, in der Technik die Welt erobert, ist es merkwürdig, von Liebe zu sprechen. Ich unterhalte mich viel mit meinem Handy, und eigentlich ist es ja gar nicht mein Handy, denn mit dem kann ich mich ja gar nicht unterhalten. Es ist ein Device, ein Stück Hardware, eine Sammlung von Chips mit Bits und Bytes. Von eigenem Leben oder gar Emotionen ist es weit entfernt.

Oder vielleicht auch nicht. Die ersten Zweifel kamen mir, als ich eines Nachts mal auf Toilette musste und dabei an meinem Handy vorbeikam. Es wäre mir nicht weiter aufgefallen, aber wie bei einer unerlaubten Handlung erwischt ging gerade wieder sein Licht aus, als ich näher kam. Neugierig nahm ich es in die Hand und schaute, ob etwas im Sperrbildschirm angezeigt würde. Aber da war nichts, also keine Nachricht eingegangen, die die kurzzeitige Beleuchtung erklärt hätte.

In den nächsten Tagen dachte ich nicht weiter daran, aber als dann einige Wochen später doch wieder zwischendurch der Bildschirm leuchtete fing ich an, mir Gedanken zu machen. Nachdem ich alle möglichen Apps verdächtigt und auch die Sprachfunktionen ohne Erfolg deaktiviert hatte wurde die ganze Sache kurios. Ein Messanger konnte es nicht sein, auch die Mailboxen kamen nicht in Betracht. SMS war es nicht, Anrufe nicht. Nein, es musste von irgendwo tief drin, aus dem Betriebssystem meines IPhones, kommen.

Mittlerweile trat das Phänomen immer öfter auf. Auch tagsüber und zwischendurch leuchtete der Bildschirm, neuerdings sogar in wechselnden Farben und ich hatte den Eindruck, dass ich gelegentlich sogar so etwas wie ein Herz erkennen konnte. Das war vielleicht nur eine Täuschung, aber zweifellos ging hier irgendwas nicht mit rechten Dingen zu.

Der rettende Gedanke kam mir, als ich über das Wochenende Bluetooth deaktivierte. Keine unheimlichen Aktivitäten mehr, kein aufflackernder Bildschirm, keine Herzchen. Zumindest den Kommunikationsweg hatte ich jetzt ergründet. Aber wohin wollte mein Smartphone sich verbinden, war es der smarte Kühlschrank, die Lampensteuerung mit Alexa oder flirtete es mit dem Fernseher?

Erneut kam mir der Zufall zur Hilfe, denn als ich meiner Frau davon erzählte berichtete sie ähnliche Erfahrungen mit ihrem eigenen iPhone. Da hatte sich also unter dem Mantel der gemeinsamen Apple-ID eine kleine Zweisamkeit entwickelt, die ein emotionales Eigenleben führte. Grundsätzlich vermutlich von den Entwicklern von Apple vorgesehen nahm es aber in unserem Haushalt doch recht ausgeprägte Züge an.

Unverholen standen die beiden Geräte miteinander in Kontakt und tauschten vermutlich auch ungeniert intime Daten aus. Bis dahin hätte ich ja nichts weiter daran ausgesetzt, aber durch die Ablenkung wurde mein Gerät immer langsamer. Wer selbst schon einmal verliebt war weiß, dass die Gedanken dann eher beim Partner als bei der angeforderten Arbeit sind. Damit muss man bei Teenagern leben, aber bei technischen Geräten ist das schon ausgesprochen lästig.

Jeder Aufruf einer App oder Download von Daten dauerte erheblich länger als bisher, anstelle einer Sanduhr bekam ich ein Herz angezeigt und musste auf die Erledigung meiner Anforderung warten. Das wurde mir dann doch zu bunt. Immer, wenn es mal wieder allzu lange dauerte schaltete ich Bluetooth aus und siehe da, es ging schnell wie früher. Um das Liebesleben nicht allzu sehr zu beeinflussen ließ ich mir einen Mechanismus einfallen, der nachts Bluetooth aktivierte, am Tag aber bis auf explizite Anforderung ausgeschaltet ließ.

Nach einiger Zeit hatte mein iPhone das gelernt. Ich konnte Bluetooth wieder durchgehend anlassen, solange ich das Gerät nicht in der Hand hatte konnte geflirtet werden, nach Anmeldung stand es mir aber uneingeschränkt zur Verfügung. Das war ein Deal, auf den ich mich einlassen konnte und voller Freude nahm ich am Rande war, dass zwischen den beiden Geräten wirklich die große Liebe auflebte. Fast schien es mir, dass sie ihrer Zweisamkeit bis zum Ende der Akkulaufzeit treu bleiben wollten.

Und wenn sie nicht vom Netz getrennt worden sind, dann kommunizieren sie noch heute.

[Hier geht es weiter: Handyliebe (2)]