So oder so ähnlich vor rund 2000 Jahren.
Schon ein illustrer Haufen, der sich in Babylon getroffen hatte. Melchior kam aus Arabien, seines Zeichens Sterndeuter und damit prädestiniert für Wahrsagerei mit einem gewissen prophetischen Anspruch. Dann Balthasar, hinzugekommen aus Saba und aus innerer Überzeugung Philosoph. Und schließlich Caspar von Chaldäa, ein Magier, der sich in der mystischen Ausgestaltung von Ereignissen bestens auskannte.
Die drei waren sich auf Anhieb sympathisch und als Melchior etwas von einem Stern erzählte, der ihm den Weg zu einem charismatischen Neugeborenen weise und dem er nachreise waren die anderen sofort begeistert und erklärten sich bereit, ihn zu begleiten. Vielleicht lag es am Wein, vielleicht war es auch eine gewisse Abenteuerlust, jedenfalls beschlossen sie, Melchiors Stern zu folgen.
Mit ein paar Dienern für das Gepäck zogen die drei los, tagsüber durchquerten sie die karge Landschaft, in den Nächten versuchte sich Melchior in der Vorbereitung der Navigation für den Folgetag. „Weißt du überhaupt, was du machst?“ wollte Balthasar wissen, „der Stern von dem du immer erzählst scheint überhaupt nicht näher zu kommen.“ – „Genau das ist doch gerade der Gag“ erwiderte Melchior, „es ist ja kein gewöhnlicher Stern, es ist ein Leitstern.“
„Leitstern? Nie gehört!“ knöterte Caspar, „jetzt sind wir schon eine Woche unterwegs, und laut Prognose ist der voraussichtliche Entbindungstermin in zwei Tagen.“ [Er meint hier den 24.12.] Nach einer Pause: „Wir werden noch zu spät zum Event kommen und dann ist die ganze Magic weg. Ich hasse es, wenn ich die Show nicht anständig vorbereiten kann.“ Tatsächlich waren die drei nach den ausführlichen Gelagen in Babylon ein wenig schleppend losgekommen und hatten nun merklich Verspätung.
Schlimmer noch, es stellte sich heraus, dass sie sich am Nordstern orientiert hatten und deshalb in die falsche Richtung gelaufen waren. Als Melchior diesen Fehler zugab vertiefte sich Balthasar in sein Schweigen, murmelte etwas von Königen, wobei nicht zu entnehmen war, ob er sich selbst, sie alle drei oder das angekündigte Kind meinte. – „Laut meinen Berechnungen haben wir noch genau zwei Wochen Weg vor uns“ erklärte Melchior beschwichtigend, „da verpassen wir zwar die Geburt, aber ich kann kleine Kinder sowieso nicht leiden.“ – „Hmja“ machte Caspar.
Erst mal ging es eine Weile schweigend weiter. „Müssen wir überhaupt dahin?“ wollte Caspar von Balthasar wissen. „Was passiert denn, wenn wir einfach die Geschenke nehmen und uns hier ein paar schöne Tage machen. Wenn wir zurückkommen, können wir doch so oder so eine irre Story erzählen und etwas von einem ganz besonderen Kind berichten.“ – „Die irre Story ist das eine, aber ich will nicht nur was zu berichten haben, ich will die volle Customer Journey, wir bringen die Sache ganz groß raus.“ Und viel leiser zu Melchior: „Ich glaube, unser Caspar hat ein bisschen zu viel an seinem Weihrauch geschnuppert.“
„Das habe ich gehört“ kreischte Caspar, „Was soll das heißen? Ohne mich wärt ihr ein Duo, das keiner ernst nehmen würde. Mit dem bisschen Gold und Myrrhe könnt ihr keinen Blumentopf gewinnen, für irgendwelches Gefasel von Kindern würde sich keiner interessieren.“ – „Bleib mal locker, Bruder, nur zusammen haben wir die Chance auf eine Performance, die auch in ein paar tausend Jahren noch nachgespielt wird.“ – „Und wenn alles klappt werden wir zwischenzeitlich in den Überlieferungen erst zu Königen, dann später sogar zu Heiligen. Was für eine Karriere!“
So ging es einige Tage weiter. Mal zankten sie sich wegen Diskrepanzen in der Routenplanung, mal lagen sie sich voller Selbstmitleid in den Armen, dann wieder wurde über Ziel und Sinn diskutiert. Kurz: Eine Berg- und Talfahrt der Gefühle, immer voller Inbrunst geführt. War es mal der Wissenschaftler, der die beiden anderen mit seiner nüchternen Betrachtung nervte, konnte der vergeistigte Philosoph sich bei seinen Begleitern mit unverständlichen Phrasen unbeliebt machen. Und der stets auf Showelemente versessene Magier wurde immer dann anstrengend, wenn der Tross mal ein wenig Ruhe brauchte.
Zum Glück war bei den Nomaden ein neues Geschäftsmodell etabliert worden. Sie boten gegen Entgelt einen Begleitservice aus kräftigen Burschen für den Tag und liebreizenden Hostessen für die Nacht. Daneben lotsten sie den Zug zum nächsten Nomadencamp und halfen bei der Suche des Weges. Dieser Dienst war nicht gerade billig, und die gemieteten Begleiter führten die drei Helden eher im Zickzack von Abzocke zu Abzocke, so dass der Goldvorrat von Melchior dahinschmolz.
Andererseits konnten sie die beschwerliche Reise recht gut genießen, insbesondere hatten sie herausgefunden, dass der Konsum von Tabak mit Myrrhe eine ungemein heilende Auswirkung auf ihre Laune hatte. Schnell gehörte das nachmittägliche Tütchen zum normalen Tagesablauf, was aber leider auch die ursprünglich als Geschenk vorgesehenen Kräuter stark dezimierte.
Nicht überraschend erreichten sie deutlich nach der anvisierten Zeit und noch deutlicher nach dem errechneten Entbindungstermin endlich Jerusalem, sprachen dort bei Herodes vor und fragten in ihrer Naivität nach der Geburt eines Königskindes. „Königskind?“ wollte der Herrscher wissen, „was wisst ihr von einem Königskind?“ – Die drei schauten sich an, „Upps, also, nein, Kind vielleicht, aber Königskind, haben wir Königskind gesagt? Es gab da so ein Licht am Himmel, nennen wir es mal Stern, den haben wir gesehen und irgendwie haben wir einen kleinen Ausflug gemacht und jetzt sind wir mehr oder weniger zufällig hier.“
So ganz überzeugt war Herodes von dieser Antwort zwar nicht, scheuchte aber die drei fragwürdigen Gestalten erst mal nur aus dem Palast. Sicherheitshalber ließ er allerdings seine Berater kommen, ob die Sache kritisch zu sehen oder als Hirngespinst abzutun sei.
Da standen die drei nun wieder auf der Straße, sammelten die Sklaven ein, ließen sich mit stärkenden Getränken versorgen und machten sich dann auf nach Bethlehem.
Zwei Stunden später waren sie am Ziel; Es war nicht besonders schwierig den Stall zu finden, ein paar seit Tagen bekiffte Hirten faselten eine wirre Geschichte von Engeln und einem Paar, das es sich im Stroh zwischen Vieh bequem gemacht hätte. Ohne Umschweife stürmten unsere Helden nun auf die Hütte zu, Melchior mit den verbliebenen Goldmünzen, Baltasar mit den Überresten der Myrrhe und von Weihrauch-Schwaden umhüllt allen voran Caspar von Chadäa.
Völlig überrumpelt hatte Maria Mühe, ihre nackte Brust zu bedecken, an der sie gerade den Säugling für das Stillen angelegt hatte. Der war jetzt gar nicht amused, weil er seine erwartete Mahlzeit nicht bekam und quittierte dies mit lautem Geschrei. Das nun wiederum nervte Josef, der die drei hereinplatzenden Personen für Freunde der aufdringlichen Hirten hielt. Mit barschen Worten versuchte er, die Eindringlinge wieder aus dem Stall zu kommandieren.
Aber so leicht ließen sich Melchior, Balthasar und Caspar nicht abweisen. Sie waren drei Wochen durch die unwirtliche Landschaft unterwegs gewesen, sie hatten ihren Eintrag im Geschichtsbuch vor Augen und sie wollten sich die Show nicht stehlen lassen. „Ist das deine Frau?“ wollten sie von Josef wissen, nachdem sich Maria mit dem schreienden Säugling verschämt hinter dem Esel verschanzt hatte. – „Ja, das ist Maria“ – „Und dein Kind?“ – „Ja, nein, also, das ist nicht so ganz einfach zu erklären.“
Die drei schauten sich an. „Was ist daran nicht einfach zu erklären? Du wirst doch wissen, ob es dein Kind ist.“ – „Nein“, erwidert Josef, „nicht mein Kind, oder doch, aber eigentlich nicht.“ – „Wer ist denn der Vater, wenn du es nicht bist?“ bohrten die Weitgereisten nach. – „Also, wenn ihr es genau wissen wollt: es ist der Heilige Geist“.
Kurzes Schweigen. Dann: „Ach so, ja, der Heilige Geist. Den kennen wir auch, kommt in Persien auch immer mal vor, dass Kinder von ihm kommen. Also, immer dann, wenn es kein Seitensprung war.“ – Josef fühlte sich nicht richtig verstanden, hatte aber auch keine Lust auf die Diskussion mit diesen drei seltsamen Personen. „Was wollt ihr überhaupt und könnt ihr nicht langsam einfach mal wieder gehen?“ wollte er wissen.
Sein Fässchen mit Weihrauch schwenkend tanzte Caspar im Stall herum. Ob er vielleicht in Jerusalem etwas weniger Wein hätte trinken sollen, oder zumindest jetzt nicht auch noch anfangen sollte ein Lied anzustimmen – ich weiß es nicht. Jedenfalls kam jetzt Bewegung in die Szene, die Tiere wurden unruhig, die Kuh schaute sich mit großen Augen den immer wilder werdenden Tanz an und stieg schließlich mit kräftigem Muhen in den Gesang ein.
Melchior versuchte wieder Ruhe einkehren zu lassen, reichte Josef das Gold und warf sich theatralisch auf den Boden, wohin ihm in ebenso ausschweifender Geste auch Balthasar folgte. Aus dieser Position schob er Josef noch das Säckchen mit den Kräutern zu, robbte sich an Maria mit Kind heran und flüsterte ihr irgendetwas ins Ohr, was sie zum Lachen brachte. Im Trubel hätten sie fast übersehen, dass Caspar mit seinem Weihrauchkübel eine Ecke des Strohlagers in Brand gesetzt hatte, beherzt versuchte Josef, mit seinem Mantel das Glutnest zu ersticken.
Was für eine Party. Das Feuer war gelöscht, der Geruch von verkohltem Stroh und Weihrauch hing noch in der Luft, ein bisschen Gold in seiner Linken und ein paar Kräuter in seiner Rechten zeugten davon, dass wirklich irgendwelche Leute hereingekommen und dann auch wieder fluchtartig verschwunden waren. „Könige aus dem Morgenland“ wird Josef später erzählen, „sie kamen dem Kind zu huldigen und brachten Gold, Myrrhe und Weihrauch mit.“
Wahrscheinlich war die ganze Geschichte völlig anders, kennen wir sie doch als eine Erfolgsstory voller Könige, die zwar nie wirklich heiliggesprochen wurden, deren Gebeine aber immerhin im heiligen Dom zu Köln untergebracht sind. Und wer kann das von seinen Knochen schon behaupten?
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