13 Dezember 2023

26 und 1

Wir schreiben das Jahr 1997, zwölfter Dezember. Es ist Winter, das Wetter unwirtlich, aber zu Schnee kann sich der Himmel nicht durchringen. Zwei Gestalten stehen etwas verloren im Innenbereich eines alten Bauernhofes. Um sie herum ein paar Familienangehörige, alle frieren ein wenig. Gleich geht es hoch in die gute Stube, dort hat eine junge Frau schon ihren Schreibtisch aufgeräumt, ein Adventsgesteck darauf. Eigentlich Schade, denn in wenigen Stunden ist die Arbeitswoche zu Ende, dann welken die geschnittenen Blumen bis zum Montag vor sich hin.

Sie blickt auf die Uhr, jetzt gleich müssten die Personen kommen, sie ist gespannt, wie groß die Zuhörerschaft ist. Vor ein paar Tagen war die Mutter noch mal vorbeigekommen, hatte sich nach den Vorbereitungen erkundigt und allerlei Geschichten zu ihrer Familie und ihrem Leben erzählt. Eine klassische Amtshandlung nachher, aber immer sehr persönlich und mit mehr oder weniger aufgeregten Beteiligten.

Sechsundzwanzig und eins
Es ist so weit, noch mal ein Blick auf die Uhr, ja, jetzt kann sie die Türe öffnen. Sie eilt die Treppe hinunter, entriegelt die schwere alte Holztür und schaut auf den Hof. Herrje, das sind mehr Menschen, als ihre kleine Amtsstube aufnehmen kann. Aber wenn einige Personen mit einem Stehplatz im Treppenhaus Vorlieb nehmen dürften immerhin alle ins Haus passen.

Nun entdeckt sie auch die Hauptbeteiligten, begrüßt sie mit einem Lächeln und bittet sie samt der ebenfalls wartenden Zeugen als erste zu ihrem Schreibtisch. Mit einiger Verzögerung rücken auch die Angehörigen, dann die Freunde, schließlich die Nachbarn nach. Ruhe kehrt ein, selbst die kleinen Kinder sind still und warten gespannt auf den Beginn der Zeremonie.

Sehr behutsam und mit ernster Miene schlägt die Beamtin jetzt ihre Mappe auf, zieht ein Blatt heraus, dann noch eins und beginnt, ihren Schreibtisch für die Bearbeitung ihrer Aufgabe herzurichten. Fast möchte man meinen, sie zelebriere diese Vorbereitung, dann beginnt sie laut aus ihren Papieren vorzulesen, stellt Fragen, nimmt noch einmal ganz offiziell und vor versammeltem Publikum die Personalien auf.

Die Vorrede, das Ausfüllen des Fragebogens, die Belehrung sind beendet. Sie schaut noch einmal in die Runde, keine Einwände, sie kann zum letzten Schritt der Handlung kommen. Wie von Zauberhand hat sie plötzlich einen ausgesprochen schönen Stift in der Hand, reicht ihn dem Mann gegenüber und bedeutet ihm, die Urkunde zu unterzeichnen, danach an die Frau weiterzureichen, gefolgt von den Unterschriften der Zeugen.

Es ist vollbracht, sie schaut auf die Uhr, noch eine Stunde bis zum wochenendlichen Feierabend, lächelt und freut sich an dem ausbrechenden allgemeinen Jubel. Wie auf ein Kommando kommt Bewegung in die Menschenmenge, jeder drängt sich nach vorne zu dem Paar, will sie umarmen oder ihnen zumindest die Hand drücken. Ja, fast hätte sie vergessen, selbst auch ihren Glückwunsch auszusprechen und alles Gute zu wünschen.

Vorübergehend herrscht Durcheinander, dann kommt System in den Menschenstrom, die Gratulanten drängen sich in Richtung Treppe und Hof, dort haben sich schon die Buben postiert, um das Paar gleich mit Blumen und Reis zu bewerfen. Durch ihr kleines Fenster sieht sie den gefüllten Hof, jetzt treten die Frau und hinter ihr der Mann aus dem Haus, allgemeines Klatschen, nochmal drücken und es prasselt Reis.

Zurück zum Schreibtisch, noch schnell die amtlichen Formulare vervollständigen, damit sie am Montag ins System eingegeben werden können. Von Ferne hört sie die abziehende Gesellschaft, bester Laune, aber auch hungrig und durstig. Nein, der Einladung zum Mitfeiern war sie nicht nachgekommen, eine nette Geste, aber was für die Einen die Ausnahme ist, ist für sie normale Arbeit. Und dann Wochenende.

Wir küssen uns und stoßen an. „So viele glückliche Jahre, insgesamt 26“, sagt meine Frau. „Und ein Tag“ ergänze ich.

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