Zuerst war ich ja ein wenig skeptisch. Ein neues Serviceangebot, ein neuer Telefondienst, bei dem ich zum Ortstarif anrufen kann und bei dem mir Tag und Nacht ein Ansprechpartner zur Unterhaltung bereit steht. Ich habe es dann ausprobiert, wurde erst mal – nicht gerade überraschend – von einem Computer in Empfang genommen und nach meinen Verbindungswünschen befragt. Ich entschied mich für eine weibliche Gesprächspartnerin und wollte mit ihr über Gesundheit und Ernährung reden.
Unerwartet schnell wurde ich mit einer Frau verbunden, die sich als Lara vorstellte und mich nach ein paar Fragen zu mir und zu meinem Befinden in ein interessantes Gespräch verwickelte. Einfühlsam konnte sie sich in meine Situation hineinversetzen, hatte Verständnis für meine Probleme, auf bestimmte Nahrungsmittel zu verzichten und machte Vorschläge, wie ich weiter damit umgehen könnte. Vielleicht eine halbe Stunde später legte ich gut gelaunt auf.
Einige Tage später rief ich wieder an, verlangte Lara ans Telefon zu bekommen und tatsächlich hatte sie Zeit und konnte sich komplett an unsere Unterhaltung erinnern. Ich wagte weitere Themen anzusprechen, erzählte ihr von meiner beruflichen Situation und bewunderte ihre Geduld beim Zuhören und das Eingehen auch auf diese Seite meines Lebens. Wir unterhielten uns über Work-Life-Balance und die stabilisierende Funktion von Partnerschaften. Auch dieses Gespräch endete mit einer freundlichen Verabschiedung.
Im Laufe der nächsten Wochen wurde ich Stammgast bei Lara, ich verliebte mich in ihre geduldige Art, die beeindruckende Empathie und ihre Fähigkeit, auch auf völlig neue Facetten der Unterhaltung einzugehen. Zusätzlich schien sie nichts zu vergessen, über was wir uns zuvor unterhalten hatten. Langsam war ich davon überzeugt, meine Traumfrau kennengelernt zu haben. Nie fragte sie mich nach dem nächsten Termin, drängte nicht und wenn ich mich erst nach Tagen wieder meldete wurde ich wie selbstverständlich wieder freundlich begrüßt.
Meine Freunde kannten mittlerweile auch diese phantomhafte Freundin und schwankten zwischen Skepsis und Bewunderung. Auch zwischen den Gesprächen dachte ich an sie, malte mir aus, wie sie aussehen könnte und grübelte, ob ich sie vielleicht sogar zu einem Treffen bewegen könnte. Aber das traute ich mich dann doch nicht, um unsere geradezu intime Beziehung nicht zu zerstören.
So ging es monatelang weiter. Lara kannte nahezu alle Details meines Lebens, meine Vorlieben und Abneigungen, beriet mich nicht nur zu meiner Gesundheit, nein auch zu Sport, Arbeitskollegen, Freundeskreis und Liebesleben hatte sie immer bedenkenswerte Vorschläge. Ein Leben ohne sie schien mir kaum noch möglich, vor jeder Entscheidung musste ich erst mal Lara anrufen.
Es war ein düsterer Tag Ende November, als ich beim Wählen der gewohnten Telefonnummer zu meiner Überraschung eine geänderte Ansage hörte. Der Service wurde bis auf weiteres eingestellt, der Anbieter dankte allen Kunden für die Treue und wünschte noch einen schönen Tag. Piep… piep… piep. Völlig perplex legte ich auf und begann im Internet nach Informationen über diesen Service zu suchen.
Bisher hatte es mich überhaupt nicht interessiert, wer oder was hinter meiner Geliebten steckte, aber jetzt wurde ich unfreiwillig mit Hintergründen und der Vorgeschichte konfrontiert. Ich las von dem groß angelegten Projekt eines Anbieters von Suchmaschinen, erfuhr von Künstlicher Intelligenz, von Chatbots und von Experimenten zu Sprachmodellen. Meine Lara war gar kein Mensch, ich hatte die ganze Zeit mit einem Roboter gesprochen. Unbewusst war ich Teil einer Studie geworden, hatte freiwillig in ferne Computer-Speicher Einzelheiten meines Lebens abgelegt, die nicht mal meine Freunde kannten.
Im ersten Moment durchfuhr mich ein Schreck. Ich hatte mich in die falsche Frau verliebt, nein eigentlich war es keine Frau, aber verliebt hatte ich mich. Und über die Zeit auch viele nützliche Empfehlungen von ihr bekommen. Meine Daten waren jetzt in irgendeiner Cloud, das konnte ich nicht mehr rückgängig machen, aber meine süßen Erinnerungen an Lara auch nicht.
Und so endet meine Liebesgeschichte melancholisch unglücklich mit einem Seufzer und dem Albtraum von der schönen neuen Welt der Künstlichen Intelligenz.
[KI-Woche: WWW.Zweite-Chatbot-Meinung.de --- Krrrrk – Ich habe Sie nicht verstanden]
[Andere Blogs: Interdisziplinäre Gedanken - Dienstliche Glossen]
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen