Wir haben uns lange nicht gesehen. Alt bist du geworden, denke ich und schrecke innerlich zusammen. Wahrscheinlich denkst du dasselbe über mich. So viele Falten hatte ich früher nicht, aber auch dein Gesicht ist älter geworden, es ist härter, die Hände rauer und das Haar ein wenig dünner.
Trotzdem strahlst du mich an, bist eigentlich ganz der Alte. Erzählst von unseren Erlebnissen, von unseren Abenteuern, den Streichen, die wir gemeinsam ausgeheckt haben. Wir sitzen jetzt vor unseren Getränken, bedienen gegenseitig unser Kopfkino, alte Filmrollen müssen aus den Tiefen der Erinnerung geholt werden, in schwarzweiß und ohne Ton. Aber schön.
Dann fragst du mich, wie es mir geht. Mit einem Schlag bin ich wieder in der Gegenwart, denke an meine Gesundheit, meine Familie, an Beruf und Verantwortung für mein Leben. Die ganze Leichtigkeit der Erinnerung an unsere gemeinsame Jugend ist wie weggewischt.
Wie durch eine Wolke sehe ich dich, verschwommen dringen noch deine Worte an mein Ohr. Fast meine ich, ein leiser werdendes Echo zu vernehmen, als ob du dich immer weiter entfernst, am Ende eines langen Tunnels etwas in meine Richtung rufst. Es dauert eine Weile, bis ich meine Gedanken wieder unter Kontrolle habe, dir wieder folgen kann.
Gerade erzählst du von James Bond, von den verschiedenen Darstellern und dass wir die Filme immer mehrmals im Kino gesehen haben. Die Altersfreigabe war manchmal eine Herausforderung, ach, aus heutiger Sicht ein paar harmlose Szenen, die den Jugendschutz auf den Plan riefen. Langsam tauche ich wieder ein in die Vergangenheit, unsere Welt, denn in meiner heutigen Welt gibt es dich eigentlich gar nicht mehr. Du bist ein Guide durch meine Erinnerungen, keine reale Person, obwohl du leibhaftig vor mir sitzt.
Nickend lausche ich deiner Erzählung von männlichen Zicken, überforderten Lehrern und peinlichen Mutproben hinter der Turnhalle. Du bist dann zum Bund und wir haben uns allmählich aus den Augen verloren. Nicht aktiv getrennt, einfach nur nicht mehr gesehen. Zwischendurch dann immer mal ein Lebenszeichen, immer seltener und jetzt sitzen wir hier.
Alt bist du geworden, denke ich wieder, grüble über mein eigenes Altern nach und komme zu dem Schluss, dass ich noch ein wenig jünger wirke als du. Lebst du immer noch auf der Überholspur des Lebens, als Jugendlicher war das jedenfalls so. Alkohol, Partys, Musik und alles mitnehmen, was sich entlang des Lebensweges einsammeln ließ.
Jetzt stupst du mich an, hörst du mir zu? Ja, ja, natürlich und ich versuche ganz schnell, den Faden deiner Geschichte wieder aufzugreifen. Ach, seufze ich unverbindlich, das waren noch Zeiten, gut, dass es sie gab, aber auch gut, dass sie vorbei sind.
Mit Blick auf die Uhr leite ich die Verabschiedung ein, lege einen Geldschein auf den Tisch, streife mir die Jacke über. Beim Verlassen des Restaurants frage ich mich, ob ich weitergekommen bin. Es ist spät geworden. Ein bisschen zu spät vielleicht.
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