Du sitzt neben mir, ein Glas mit hausgemachter Limonade in
der Hand. „Sag mal, heute ist doch Karfreitag“ – „Ja“ – „Ich erinnere mich, als
Kind war das ein furchtbar schwermütiger Tag. Man durfte nichts Leckeres
trinken, nichts Lustiges machen, alles war geschlossen, selbst die Musik im
Radio war getragen und Trauer, Trauer, Trauer.“
„Stimmt“, sage ich, „früher war das immer Hardcore-Depri.
Verordnete Trübsal, ein wichtiger Tag in der Abarbeitung des Gefühlskanons nach
Spaß und Freude zu Karneval.“ – „Genau!“, rufst du, „Karneval als Gegengewicht,
als ausgelassenes Feiern, als ultimativer Spaß.“
Du nimmst einen Schluck, ich laufe zum Vorrat mit den
Salzstangen. Wenn man die Fastenzeit schon ausklingen lässt, dann richtig.
Nach kurzer Pause legst du nach: „Karneval war aber auch
schon immer eine Gelegenheit für Kennenlernen, für Bekanntschaften, für
Fremdgehen. Wie viele One-night-stands gab es da, meine Freundinnen haben es ja
nie zugegeben, aber da lief schon einiges.“
„Im Gegensatz zu Karfreitag, oder?“ - „Eigentlich wäre ja jetzt Gelegenheit, da
Restaurants geschlossen haben und viele Gläubige die Ohren hängen lassen – das
ist doch der perfekte Moment, um mal gegenzuhalten und den Tod fröhlich zu
feiern.“
Ich bin nur einen kurzen Moment überrascht, dann denke ich
an die Feiern in anderen Ländern. Beispielsweise kennen die Mexikaner einen Tag
der Toten (Dia de los muertos), in
seiner Ausprägung durchaus verwandt mit unserem Karneval.
„Mein Gott, ja. Was für ein positives Signal geht davon aus,
wenn man nicht den Kopf hängen lässt, sondern den Verstorbenen seine Achtung
und seinen Respekt zollt. Irgendwie haben sie es ja schließlich geschafft.“
„Ich weiß nicht so recht. Wie könnte man ‚geschafft‘
verstehen? Als ob es eine Leistung wäre, das Leben hinter sich gebracht zu
haben. Oder noch mal im Sinne von Karfreitag: Auch wenn immer davon die Rede
ist, dass sich Jesus aus freiem Willen dem Leiden unterwarf – hätte er nicht
gerne noch ein Weilchen weitergemacht und lebendig seinen Mitmenschen
gegenübergestanden?“
Da ist was dran und auch das Trauern um den Verlust ist ja
grundsätzlich nachvollziehbar. Aber andererseits könnte man auch die
Dankbarkeit in den Mittelpunkt stellen. Und den Tod nur im Sinne des Lebens auf
der Erde als final sehen.
Eine Weile sitzen wir schweigend nebeneinander. In Gedanken
versunken beschäftigen wir uns mit den Veränderungen im Leben. Ein Mensch geht,
vielleicht zieht er nur weg, oder er will nichts mehr mit uns zu tun haben.
Oder er stirbt. „Trauer“, sage ich zu dir, „Trauer gibt es in so vielen
Situationen. Ob nun bei Jesus oder in unserem persönlichen Alltag. Wir müssen
mit Verlusten klarkommen, das ist Bestandteil unseres Lebens.“ – „Absolut
richtig. Und gerade deshalb finde ich es so wichtig, die Stunden vor Ostern mal
über Trauerarbeit nachzudenken. Ich glaube es ist nicht richtig, Trauer
automatisch mit Depression und Niedergeschlagenheit zu verbinden. Das leben uns
manche Völker ja deutlich vor. Was aber andererseits nicht heißt, dass man das
Abschiednehmen ignoriert.“
Es dämmert. „Zeit, ins Bett zu gehen“, sage ich zu dir, und
weiter: „Die Kunst besteht auch hier darin, ein Gleichgewicht zu halten.
Mitfühlen ohne sich runterziehen zu lassen. Den Weggang eines Menschen als
Möglichkeit zu sehen, neue Personen kennenzulernen, die vermeintliche Lücke zu
schließen.“ Und während wir die Gläser in die Spülmaschine räumen läuft das
Gespräch langsam seinem abendlichen Ende entgegen. Irgendwie eine Form des
täglichen Karfreitags der Gespräche und Gedankenreisen.