31 Dezember 2021

Der ungeliebte Besuch (Jahreswechsel)

Unsere Clique ist ein fröhliches Team. Wenn wir nicht gerade Aufgaben zu erledigen haben, ist immer was los. Leider gehört auch C. zu der Truppe, warum auch immer. Sie war irgendwann da, zuerst recht ruhig, aber nach kurzer Zeit doch ziemlich dominant. Ich kenne niemand, der sie so richtig mag, hinter dem Rücken wird sie als echte Nervensäge bezeichnet. Wenn es sich vermeiden lässt, lädt man sie nicht direkt ein, aber wenn die Gruppe sich trifft, kann man sie auch nicht explizit außen vor lassen.
Also, sie ist jedenfalls dabei und zu allem Übel scheint sie auch stets Zeit zu haben. Frage ich herum, ob jemand in den nächsten Tagen mit ins Kino geht, dann kann ich sicher sein, dass C. mit dabei ist. Bei den anderen sind Hausaufgaben, Sportaktivitäten und was es sonst noch so gibt im Wege. Schließlich sitze ich dann ausgerechnet mit ihr alleine in der Filmvorführung. Danach nistet sie sich dann noch bei mir ein, erzählt Geschichten und sieht nicht ein, mich ins Bett zu entlassen, obwohl mir die Augen zufallen.
Vermutlich bin ich der einzige, der versucht, ihr zu vermitteln, dass sie manchmal – Entschuldigung – etwas lästig ist. Aber egal, wie man es formuliert, das kommt einfach nicht an. Bemerkenswert, dass meine Freunde das genauso sehen, ja sogar lauthals darüber schimpfen, aber in Gegenwart von C. nur leise vor sich hinmurmeln.

Und so geht wieder ein Jahr zu Ende. C. ist immer noch unser Begleiter, mal kann man mit einer Ausrede Abstand gewinnen, mal die Zeit mit Anderen verbringen. Aber im Hintergrund ist sie immer noch da, einige Wochen scheint sie untergetaucht, dann steht sie wieder täglich vor der Tür. Ungerührt drückt sie mich zur Begrüßung und treibt mich mit ihrer Art und dieser ungeliebten Verbundenheit in den Wahnsinn. 

Also hoffen wir für 2022 mal das Beste: Wir werden C. vielleicht noch nicht los, aber mit etwas Geschick werden die Besuche seltener.

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24 Dezember 2021

Weihnachten: So oder so ähnlich vor rund 2000 Jahren

Es war alles ganz anders. Könnte ich mir vorstellen. Oder alles so, wie wir es immer in der Christmette vorgelesen bekommen. Eine Mischung aus Geschichte und Fiktion.

Es war eine beschwerliche Reise, die unser Josef da auf sich nimmt. Irgendwelche Bürokraten haben ihn mit seiner Frau gezwungen, zu einer Erfassung aufzubrechen. Internet und Steuer-ID gab es noch nicht, persönliches Erscheinen unabdingbar. Also weg von der Baustelle als Zimmermann, und mit der schwangeren Frau auf eine mühsame Tour durchs Land.
Heute war wieder eine anstrengende Etappe, Maria wird immer schwerfälliger, kaum kann sie den Tag durchhalten, die Niederkunft steht kurz bevor. Und auch in diesem Zustand fällt es täglich schwerer, eine Unterkunft, was sage ich: eine Bleibe für die Nacht zu finden. Angekommen in einem Ort, ich glaube Bethlehem, läuft es heute extrem schlecht. Keine Herberge aufzutreiben, für das Hineinschlüpfen in einen Schober voller Tiere müssen sie noch dankbar sein. Und das sind sie, denn kaum hineingekrochen in das aufgehäufte Stroh, argwöhnisch beäugt von einer Kuh und einem Esel, beginnen bei Maria die Wehen. Oh mein Gott, keine Hebamme weit und breit, der hilflose Josef – ein Zimmermann als Geburtshelfer – und das in Dunkelheit, Dreck, umringt von Tieren.

Die angehende Mutter, schluchzend, in Schmerzen, leidend, der arme Josef, und endlich, endlich die Erlösung, als der kleine Bub auf die Welt kommt, strampelnd, mit einem Schrei. Sie haben das in den letzten Tagen immer wieder besprochen, ein kleiner Fetzen Stoff muss für den Säugling reichen, mit Zimmermanns-Werkzeug wird die Nabelschnur durchtrennt. Nicht die feine englische Art, Not macht erfinderisch.

Derweil ist auch draußen Bewegung. In einiger Entfernung lagern ein paar Hirten, es ist recht kühl und zur Nacht sitzen sie noch um das verglimmende Feuer. Sie reden nicht viel, aber ein Rauchwerk macht die Runde, verschiedene Gräser lassen den Tag in milde Erinnerung versinken und begleiten die Männer in den Schlaf. Einer sitzt etwas abseits, hält ein Auge auf die zur Ruhe gekommene Schafherde, sie muss morgen wieder auf die Weide, heute Abend ist erst mal Pause, nur Diebe und tierische Feinde machen dem Wachmann vielleicht auch in dieser Nacht wieder Arbeit. Es ist eine ungeliebte Arbeit, oft erzählen sich die anderen phantasievolle Geschichten, die er als einziger ohne einen Zug an der Pfeife nicht so recht nachvollziehen kann.
Heute Abend beschließen sie, zu dem Stall drüben zu laufen, da ist irgendwas los, immer wieder hören sie Frauenschreie, das schürt die Phantasie und die Neugierde wächst mit jedem Laut, der aus der Richtung kommt. So wird einer bestimmt, der mutig die schwankende Truppe anführt, am Stall klopft und eine nur unzureichend bekleidete Frau vorfindet, die einen Neugeborenen im Arm hält. Was für ein seltener Anblick, werden die Hirten als Männer doch traditionell von Geburt und Entbindung ferngehalten. Und so erzählt der Anführer den ungehaltenen jungen Eltern, die in ihrem Stress nicht auch noch Schaulustige erwarten, eine Geschichte von einer Person, die vom Himmel herabgeschwebt ist. Ein Engel, wie er sich ausdrückt, der ihnen eine Botschaft mitgegeben habe und sie nun hier seien, die Nachricht noch mal mit ihren Hirtenaugen nachzuprüfen.

Josef ist das alles zu viel, auch Maria ist völlig am Ende, körperlich erschöpft, einfach nur noch müde und froh, wenn das schreiende Bündel in ihren Armen endlich Ruhe gibt. Sie nimmt ihre Kraft zusammen, bedankt sich für den Besuch und bedeutet der Meute, ihre Geschichte zu nehmen, für das Lagerfeuer zu behalten, ansonsten aber den Stall zu verlassen und ihr die unabdingbar erforderliche Erholung von den Strapazen zu gönnen.

Erst zögern die einfachen Männer, ist es doch ein Erlebnis in ihrem sonst so eintönigen Leben, aber dann trollen sie sich doch, nicht ohne noch mal einen Blick auf die Szene zu werfen, Eindrücke zu sammeln, die sie sich in den nächsten Tagen in immer wilder ausgemalten Bildern erzählen werden. Jeder kann ein Stückchen dazu beitragen, der Beginn einer großen Geschichte, der Weihnachtsgeschichte, wie wir sie kennen.

17 Dezember 2021

Brief-Fremde Signale

Ich habe schon immer gerne geschrieben. Schon als Jugendlicher saß mir der Stift locker und ich pflegte eine ganze Reihe Brieffreundschaften. Das war immer eine spannende Aufgabe, die Randbedingungen waren ja deutlich anders damals: In irgendwelchen Zeitschriften das Interesse an Briefaustausch inserieren oder darauf antworten, gespannt, wie das Gegenüber beim ersten Kontakt reagiert. Naja, bevorzugt natürlich das andere Geschlecht, irgendwie prickelnder, obwohl es nur in seltenen Fällen überhaupt zu einem Treffen kam.
Sehr unterschiedlich war die Zeit, die bis zur Antwort verging. Und vielfältig die Inhalte, die Häufigkeit, die innere Distanz. In den weniger attraktiven Austauschen ging es um die Freizeit, die Schule, irgendwelche Erlebnisse. Viel spannender das Seelenleben, Sorgen mit den Eltern und die Hakeleien mit Freunden. In seltenen Fällen auch Berichte von Verliebtsein und Andeutung erster Erfahrungen.

So oder so: Wenn mal wieder ein Brief für mich kam war das immer eine Aufhellung im Alltag. Meine Mutter pflegte diese Privatpost unter mein Kopfkissen zu legen und wenn ich ein Schreiben erwartete fuhr meine Hand täglich nach der Schule erst mal unter das Bettzeug, und ich war enttäuscht, wenn dort nur Stoff zu spüren war. Aber wenn nicht, dann zog ich vorsichtig den Umschlag hervor, als könnte er bei ruckartiger Bewegung Schaden nehmen. Und ohne den Absender zu lesen versuchte ich herauszufinden, wer mir geschrieben hatte. War es Susanne, an der eine Künstlerin verloren gegangen war, oder Steffi, die mit festem Druck des Kugelschreibers fast das Papier durchdrückte? Oder Lucy, bei der die inhaltlich trockenen Texte durch ein exquisites Parfum konterkariert wurden?

Nach der Ratestunde schaute ich nach der Auflösung, aha, also doch von Angela. Was hatte ich ihr als letztes geschrieben, wo nahm sie den Faden ihres Textes oder meiner Antwort wieder auf? In Vorfreude auf das Lesen steckte ich den Brief in die Tasche, einfach nur Aufreißen und schnell konsumieren wäre schade gewesen. Abends dann das Eröffnen, geradezu zeremonielle Aufschneiden und Betrachten des Schriftbildes. Dann das Durchlesen, Innehalten, nochmaliges Lesen und Hineinsinken in die Ausführungen.

*Plop* Wie selten das heute geworden ist. In einer Zeit, in einem Alter und einer Lebensphase, die so ganz anders ist. Pausenlos kommen E-Mails, WhatsApp-Nachrichten, Sprachmemos, Anrufe bei mir an. Keine wohlüberlegten Zeilen, mit gewissem Aufwand auf ausgewähltes Briefpapier gebracht, sondern schnell dahingeworfene autokorrigierte Statements. Ich habe kaum Zeit dafür, auch nur die Inhalte zu erfassen, von Genuss oder Innehalten kann keine Rede sein.

Doch jetzt hatte ich doch noch mal so ein Erlebnis. Ich hatte mich in Gedanken mit einem Nachbarn beschäftigt, den ich eine Weile nicht gesehen hatte, nur mal im Vorbeilaufen zugewunken. Ob er auch langsam den Corona-Blues bekäme, wollte ich per Kurznachricht von ihm wissen. Und zu meiner freudigen Überraschung schickte er mir als Antwort eine wundervolle Sprachnachricht, seine Freude über meine Kontaktaufnahme und die Herzlichkeit waren nicht zu überhören. Ich setzte in der Aufnahme zurück, spielte sie nochmal ab und genoss die freundliche Botschaft. Deutlich später ging das Memo immer noch durch meinen Kopf, aber jetzt fand ich auch die Worte, ebenso herzlich zu antworten.

Abschluss der Geschichte war noch einmal eine Erwiderung und wie zu Zeiten der Brieffreundschaft registrierte ich den Eingang, freute mich und zögerte das Abhören noch ein wenig hinaus. Wie schön, dachte ich mir, wie emotional erhebend ein liebevolles Signal sein kann.

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10 Dezember 2021

Von Dir

Am Ende sind wir.
Seh‘ ich dort:
Ein kleiner Smiley
Den Du anderen zeigst
Meinst Du ihn wirklich
Oder ist er nur
Ein Zeichen Deiner Kollaboration
Geschicklichkeit, Political Correctness
Bloß nicht: Erkläre, was Du wirklich denkst
Wer weiß, ob Du
Wenn irgendjemand dieses wüsste,
Nicht sogar Nachteile
In Kaufe nähmst.

Das willst Du nicht
Ich kann’s verstehen
Doch um die Ehrlichkeit zu treffen
Müsst‘ man vielleicht an dieser Stelle
Ein klares Zeichen, ein Bekenntnis seh’n
Und das scheust Du
Lass‘ es mich Feigheit nennen
Auch wenn der Freimut eine Tugend ist,
Die heute schlichtweg keinen Wert mehr hat.

03 Dezember 2021

Du meine Schneeflocke

Du hast schon einen weiten Weg vom Himmel hoch bis zu mir zurückgelegt, hast ausgerechnet mich getroffen und nun liegst du auf meiner Hand und schmilzt für mich dahin.
Es ist so schön, dass du mich gefunden hast, ich schaue dich an und freue mich über deine schöne feinkristalline Struktur.
In wenigen Augenblicken wirst du ja nicht mehr existieren, geschmolzen durch meine Wärme. Aber du lebst fort als Wasser, meine Hand wird feucht und du hast dich eigentlich nur verwandelt. Als Flocke hast du vielleicht nur wenige Stunden zwischen der Geburt in der Atmosphäre und dem Auftauen, aber in deinem Herzen bist du Wasser, und damit gehörst du zum ewigen Wasserzyklus der Erde. Und selbst wenn du in den vielen Millionen Jahren deiner Existenz mal zerfällst, dann ergeben sich immer noch so wertvolle Elemente wie Sauerstoff und Wasserstoff.
Tja, und deine Bindung ist für uns Menschen auch eine Art Vorbild. Existieren da über unvorstellbare Zeiträume hinweg drei Atome in einer stabilen Beziehung, und haben dabei über die Wasserstoffbrücken  auch noch eine einzigartige Verbindung zu den Nachbarn. Gäbe es irgendetwas hiervon nicht, dann gäbe es nicht das Leben auf der Erde, wie wir es kennen.

Und all dies sehe ich in dir, wie du so auf mir liegst, vergänglich und doch unsterblich, zerfallend und doch überdauernd, wunderhübsch und eigentlich nur trivial-schön.