An der Rezeption ist heute ziemlich viel los. Ich stehe in der Schlange, neben mir der Koffer, darauf meine Laptop-Tasche. Über den Bügel habe ich meinen Kleidersack gehängt. Langsam geht es voran, ein Gast nach dem anderen wird abgefertigt.
Nach ein paar Minuten bin ich an der Reihe, „ich möchte gerne auschecken“ – „Zimmernummer?“ – „Ich glaube, es ist die 2-1-4“, sage ich, „könnte aber auch ein Zahlendreher drin sein. Jedenfalls irgendwas mit einer fünf.“ Die Rezeptionistin schaut mich an, wartet einen Moment, ob ich mich noch erinnere, dann nimmt sie meine Zimmerkarte und liest sie aus. „Sir, Sie haben das Zimmer 3-2-9.“
„Ja“, sage ich, „genau. Wie toll, dass Sie das von der Karte herausbekommen können. So muss ich mir die Nummer nicht extra merken. Aber es erleichtert natürlich das Auffinden des richtigen Zimmers. Und jetzt möchte ich bitte auschecken.“
„Sehr gerne.“ Sie tippt auf ihrem Computer herum, schaut mich an, liest die Karte noch einmal ein, tippt nochmals auf dem Computer. „Sir, Sie sind doch gestern erst angekommen und haben noch einige Tage gebucht. Haben Sie es sich anders überlegt oder gefällt es Ihnen nicht bei uns?“
„Doch“, sage ich, „doch, ganz im Gegenteil. Es gefällt mir ausgesprochen gut. Der Service ist gut, das Personal so freundlich. Ich bin sehr zufrieden.“ – „Und warum wollen Sie dann schon abreisen?“ – „Ich möchte nicht abreisen, ich möchte auschecken.“
In ihrem Gesicht sehe ich die Fragezeichen, weil sie ganz offensichtlich den Unterschied nicht versteht. Es arbeitet eine Weile in ihr, dann sagt sie: „Also gut, dann checke ich Sie jetzt aus. Sie waren gestern Abend im Restaurant, das war Teil des Paketes. Irgendwas aus der Minibar?“
„Ja, die Minibar ist leer, nach dem Restaurant hatte ich noch ein wenig Hunger und Durst.“ – „Ich sehe gerade, die Erstbefüllung ist im Preis enthalten. Also keine weiteren Kosten. Dann danke ich für Ihren Aufenthalt und wünsche Ihnen eine gute Weiterreise.“
„Halt“, sage ich. „Ich möchte gerne einchecken. Im Idealfall bekomme ich wieder mein Zimmer, wie war noch die Nummer?“ Einen Moment herrscht Schweigen, dann nimmt die Frau die Karte wieder aus dem Stapel abgelegter Karten und will sie mir in die Hand drücken. „Warum checken Sie denn erst aus und dann wieder ein, wenn Sie gar nicht weiterreisen wollen?“
„Ehrlich gesagt hat mir der Willkommens-Cocktail so gut geschmeckt. Da dachte ich mir, wenn ich noch mal einchecke, bekomme ich noch mal ein Glas.“ – „Ach so!“ strahlt sie mich an, wenn Sie das direkt gesagt hätten, dann hätte ich Ihnen doch ein Glas gegeben. Eine kleine Aufmerksamkeit für unsere Gäste ist doch selbstverständlich.“
„Wie freundlich von Ihnen“ erwidere ich, „und wenn es keine Umstände macht, dann können Sie mir vielleicht gleich zwei Gläser einschenken, die sind ja leider ein wenig klein.“ Sie behält ihr Lächeln, tippt auf ihrem Computer herum und verspricht, dass ich gleich in den Genuss von zwei Gläsern ihres Hauscocktails käme.
„Ich bin begeistert und kann den guten Service bestätigen, den ich in den Internet-Bewertungen gelesen habe.“ Pause. „Ach, und denken Sie doch bitte daran, dass ich nach dem Einchecken die Erstbefüllung meiner Minibar bekomme.“ – „Das geht leider nicht“, lässt sie mich wissen, „im Grunde haben Sie ja gar nicht richtig ausgecheckt und sind immer noch im selben Zimmer eingebucht.“
„Schauen Sie, werte Dame, ich habe meinen Schlüssel abgegeben, eine Rechnung bekommen, alles mit Ihnen geklärt und wäre abreisefertig gewesen. Nur, dass ich nicht abgereist bin, sondern ihr wunderschönes Haus nun einen weiteren Tag genießen werde. Das kann man doch mit Fug und Recht als Auschecken bezeichnen. Und meinen erneuten Aufenthalt als Einchecken.“
Man kann ihr ansehen, dass sie nachdenkt, abzuwägen versucht, ob sie der Einfachheit halber einfach nachgeben soll oder auf ihrem Standpunkt beharren soll. Sie entscheidet sich dann dafür, sich in Ironie zu flüchten und sagt: „Vermutlich erwarten Sie auch ein Abendessen im Restaurant als Teil des neuen Aufenthalts?“
„Ich gebe zu, dass die Gäste nicht übertrieben haben, als sie Internet geschrieben haben, dass einem jeder Wunsch von den Augen abgelesen wird. Ja, ein Abendessen heute wäre großartig und natürlich irgendwie logisch mit dem Einchecken verknüpft. Und Sie haben ja völlig Recht, der Inhalt der Minibar reicht nicht, um sich über den Abend zu retten.“
„Hören Sie, Sir, ich weiß Sie als Gast zu schätzen. Gerne können Sie Ihren Aufenthalt fortsetzen. Und ja, als Geste der Gastfreundschaft fülle ich die Minibar auf. Aber ein Abendessen kann ich unmöglich auch noch spendieren.“
Ich werfe einen Blick über die Schulter. Die Schlange ist inzwischen relativ lang geworden. Den Gesichtern der Gäste ist anzusehen, dass sie langsam ungeduldig werden. „Ich glaube, dass die anderen Gäste kein Verständnis für die kleinlichen Diskussionen haben, die Sie mit einem Stammgast wie mir hier führen“ sage ich so laut, dass es jeder in der Lobby deutlich hören muss.
„Stammkunde?“ fragt die Rezeptionistin giftig, „Sie waren bislang noch nicht in unserem Haus und sind gestern angereist.“ – „Ja“, sage ich, „das stimmt, aber wenn ich morgen aus- und wieder einchecke habe ich schon drei Aufenthalte in diesem Hotel und das kann man doch als Basis für eine Stammkundschaft sehen.“
Sie seufzt. Ein wenig aus Verzweiflung, wie mir scheint. Dabei sind wir doch in unserem Gespräch schon so weit gekommen. „Ich rufe jetzt unseren Manager dazu“, lässt sie mich wissen und greift zum Hörer. – „Gerne“, sage ich, „ich bevorzuge sowieso mit echten Entscheidungsträgern zu sprechen. Auch wenn ich Sie bislang sehr zuvorkommend wahrgenommen habe.“
Eine Minute später steht ein hochgewachsener junger Mann vor mir, stellt sich als Hotelmanager vor und möchte wissen, bei welcher Frage er behilflich sein könne. „Der Herr möchte Aus- und wieder einchecken, um wieder Minibar und Abendessen zu bekommen.“ Kurze Pause. „Nun, ein wenig ungewöhnlich. Ich kümmere mich um diesen Gast, können Sie in der Zeit schon mal für die anderen Gäste sorgen.“
Er nimmt mich beiseite, mit Koffer, Laptop und Kleidersack werde ich ins Backoffice beordert. „Sie haben ausgecheckt?“ will der Manger wissen. „Ja, sage ich, alles geklärt, Rechnung kontrolliert, es war nichts zu begleichen. Und dann habe ich wieder eingecheckt. Die Dame hat mir sogar mein altes Zimmer wieder geben können.“
„Das ist ja sehr schön“ höre ich ihn freundlich erwidern, „dann ist ja alles zu Ihrer Zufriedenheit?“ – „Aber sicher, das habe ich der Rezeptionistin auch gesagt. Wunderbarer Service, freundliches Personal und so weiter und so fort. Positives Feedback von meiner Seite vorgesehen.“
„Und worin besteht nun das Problem?“ – „Ehrlich gesagt, das weiß ich auch nicht so recht. Die Dame hat vielleicht irgendetwas nicht richtig verstanden, denn sie hatte Schwierigkeiten damit, mir das Abendessen zu buchen, das mit meinem Einchecken verbunden ist.“ – „Ach so, verstehe“ hörte ich den Manager, „Sie waren der Meinung, dass durch den neuen Check-in auch ein weiteres Abendessen inkludiert ist. Aber das ist natürlich nur einmal pro Aufenthalt vorgesehen und sie waren ja gestern Abend schon unser Essensgast.“
„Einmal pro Aufenthalt, Sie sagen es. Ich war bei Ihnen, hatte meinen Koffer schon gepackt, sehen Sie? Und bin nun wieder Ihr Gast: ein neuer Aufenthalt also.“ Mein Gegenüber ist unerschütterlich, verzieht sein Gesicht zu einer freundlichen Grimasse und fragt dann ganz unvermittelt: „Sie sind Lehrer? Vielleicht Deutschlehrer? Oder Germanist?“
„Durchaus nicht, ich bin freiberuflicher Schriftsteller.“ – „Das ist doch sowas ähnliches.“ – „Oh Gott, nein, wie kann man so etwas nur sagen? Naja, ich will es Ihnen mal nachsehen und erkläre Ihnen gerne den Unterschied, wenn Sie mir das Abendessen mit einem guten Glas Rotwein ergänzen.“
Auch Manager sind nur Menschen, denke ich, als ich zu vorgerückter Stunde nach dem Abendessen und dem Plündern der Minibar zufrieden auf meinem Bett liege und mir ausmale, wie ich morgen beim Aus- und Einchecken die Wellness-Option erhalten kann.
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