Wie schön es ist, dass mein Kissen die „Badinerie“ von Bach spielt. Ganz sanft höre ich die Töne aufsteigen, kuschele mich fester in die weiche Unterlage. Wie lustig die Melodie herunterhüpft, denke ich, dann wird mir klar, dass es gar nicht mein Kissen ist, das mich mit der Musik versorgt. Es ist das Telefon neben dem Bett.
Schlaftrunken lange ich hinüber, greife den Hörer „Ja, bitte?“ – „Guten Morgen“, flötet die Stimme am anderen Ende der Leitung. „Hier ist der Nachtportier. Sie hatten um einen Weckruf gebeten.“ Ich überlege kurz, nein, ich hatte keinen Weckruf angefragt, es ist mitten in der Nacht, ich möchte jetzt noch schlafen.
„Vielen Dank“ krächze ich ins Telefon, „ich habe keinen Weckruf bestellt. Gute Nacht.“ und lege auf. Ob ich wohl wieder einschlafe, frage ich mich noch, doch dann fallen mir die Augen schon wieder zu und ich sinke ins Kissen zurück. Es empfängt mich mit weicher Füllung, die Wange liegt wie in einer Schale, wie angenehm, nur dieses Geräusch, was mag das sein?
Johann Sebastian Bach hat wieder angestimmt und seine Badinerie erklingt fröhlich vom Nachttisch. Ist es Einbildung oder klingelt wieder das Telefon? Ein wenig missmutig wälze ich mich herum, greife wieder nach dem Hörer „Ja, bitte?“ – „Guten Morgen“, wieder die gutgelaunte Stimme von vorhin, „Nochmal Ihr Nachtportier. Ich habe es kontrolliert, Sie haben um einen Weckruf gebeten.“
Ich werde unsicher, gibt es ein anderes Ich in mir, das bei der Rezeption diese Nachtunterbrechung gebucht hat? „Nein“, sage ich, „nein, vielen Dank noch mal, aber ich habe wirklich keinen Weckruf bei Ihnen angefordert. Vielleicht verwechseln Sie etwas, ich reise erst in drei Tagen ab, vorher möchte einfach ausschlafen.“ Und lege auf.
Wie wohlig sich das weiche Kissen um meinen Kopf legt, wie federleicht die Decke mein Pyjama bedeckt. Ein paar tiefe Atemzüge und ich merke, wie der Schlaf langsam wieder überhandnimmt. Nicht alleine, dass ich jetzt wieder in eine Leichtigkeit abtauche, auch die Traumwelt öffnet wieder ihre Türen und nimmt mich mit in eine verrückte Reise voller uralter Nokia-Handys.
Aufschreckend stelle ich fest, dass die Badinerie nicht aus den alten Nokia-Handys meines Traumes kommt, sondern vom Hoteltelefon neben mir. Langsam scheint ein Ritual daraus zu werden, ich greife den Hörer, murmele meine Begrüßung ins Telefon, erwarte schon die unerschütterlich freundliche Stimme. „Ihr Nachtportier, guten Morgen. Als Service unseres Hauses möchte ich Ihnen mitteilen, dass Sie bereits in zwei Tagen abreisen. Uns ist bekannt, dass manche Gäste durch die besonders komfortable Unterbringung das Gefühl für Wochentage verlieren und deshalb möglicherweise sogar ihren Abreisetag verpassen.“
„Ihre besondere Fürsorge weiß ich sehr zu schätzen“, höre ich mich sagen, „aber ich werde meine Abreise nicht versäumen und kann mir grundsätzlich auch mit Wecken und Aufstehen weiterhelfen. Haben Sie vielen Dank. Und jetzt möchte ich schlafen, es wäre zu freundlich, wenn Sie mich in den nächsten Stunden nicht mehr anrufen würden.“ Und lege auf.
Tatsächlich Stille. Ich falle in unruhigen Schlaf, höre immer wieder die ersten Töne der Badinerie, was sich als Trugschluss und Albtraum herausstellt. Auch die eingebildeten Anrufe mit weiteren Informationen und Korrekturen bleiben aus. Da klopft es an der Tür.
Zuerst halte ich auch dieses Geräusch für einen Teil von Träumen und Einbildungen. Aber es klopft wieder. Eher wie ein höfliches Scharren an der Tür, aber unüberhörbar und hartnäckig. Ein geflüstertes „Nachtportier“ macht mir klar, dass wieder ein Angestellter des Hauses dahinter steckt.
Jetzt nicht reagieren, gleich herrscht bestimmt wieder Ruhe. Einige Sekunden gehen ins Land, dann wieder das Scharren, das geflüsterte Wort und schließlich ein Schlüssel, der ganz leise ins Schloss geschoben wird und mit kaum wahrnehmbarem Geräusch die Tür öffnet. Da wieder: „Nachtportier… im Namen des Hauses möchten wir uns für die Unannehmlichkeiten entschuldigen. Versehentlich wurde der Weckruf mit einem anderen Gast verwechselt. Es tut uns sehr leid, Ruhe und Entspannung unserer Gäste ist uns sehr wichtig.“
„Umpff“, sage ich.
„Als besonderes Angebot möchten wir Ihnen gerne in drei Tagen ein Luxusdinner anbieten. Unser Koch stellt ein ganz individuelles Geschmackserlebnis für Ihre kulinarischen Wünsche zusammen.“
„Ich reise in zwei Tagen ab“ geht mir durch den Kopf. Aber warum diskutieren, das kann ich ja später noch ändern und werde den Quälgeist erst mal los. Ich sage also „eine phantastische Idee, meine allergrößte Dankbarkeit wird sich auch in einem unübertrefflichen Feedback über Ihr Haus niederschlagen.“
Einem Geist gleich schließt sich die Flurtür wieder, Stille. Keine Badinerie, kein Nachtportier, noch nicht mal Träume. Ich komme nach dem Hin-und-her nicht zur Ruhe, wälze mich von rechts nach links, das Kissen ist eigentlich zu dünn, die Bettdecke zu warm, die Klimaanlage falsch eingestellt.
Ein Blick auf die Uhr, es lohnt sich kaum noch, einzuschlafen. Aber vielleicht gerade deshalb fallen mir endlich doch die Augen zu. Und die Ohren werden immer unempfindlicher, nehmen nur am Rande das Schurren der anderen Gäste an meiner Tür wahr. Aber warum kratzen die an meiner Tür und warum flüstern sie dabei? Warum immer wieder dieses eine Wort?
Ich schrecke wieder auf. Ja, der Wahnsinn scheint von mir Besitz zu ergreifen, meine Nerven spielen mir einen Streich, es kann nicht sein, dass schon wieder… „Nachtportier“, dann der Schlüssel, dann das Aufschwingen der Tür. „Wir sind untröstlich, aber das Angebot mit dem Dinner ist leider mit Ihren Reisedaten nicht zu vereinbaren. Sie reisen ja schon in zwei Tagen ab, daran hatten wir beide nicht gedacht.“
Ich verkneife mir den Hinweis, dass ich durchaus daran gedacht hatte, richte mich im Bett auf. Der Oberkörper ist schwer, ich habe Kopfschmerzen, das Licht durch die geöffnete Tür trifft meine verschlafenen Augen. „Raus hier, raus, raus, raus! Stecken Sie sich das Dinner sonstwohin. Und kommen Sie nicht wieder. Heute nicht, morgen nicht. Bis zu meiner Abreise nicht!“
„Werter Gast“, flötet die Angestellte, „warum so ungehalten. Wir bieten Ihnen einen herausragenden Service, stehen für kleine Fehler ein und bieten einen großzügigen Ausgleich. Aber selbstverständlich muss dieser optimal zu Ihren Vorlieben und Wünschen passen, Individualität am Gast orientiert, das ist uns ein hohes Gut. Gerne komme ich noch einmal, um…“
„Nein!“, höre ich mich brüllen, „nein, kommen Sie nicht wieder! Kein Ausgleich, meine Vorliebe ist Ruhe! Ungestört, falls Sie das verstehen!“
Ein wenig überrascht bin ich schon, dass das Zimmer plötzlich wieder leer ist, die Tür geschlossen. Und ich bin mir nicht ganz sicher, ob die reale Szene sich langsam in diese absurde Situation gesteigert hat oder ob das nur in meinem Kopf passiert ist. Was soll ich nur in den Feedback-Bogen schreiben?
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