21 Februar 2025

Nerds Diary: Ich atme auf (S1/F2)

Ich atme auf (S1/F2)

Ich atme auf (S1/F2)
Ich atme auf. Aber im nächsten Moment ist sie wieder da, ein vollgestopfter Einkaufswagen jetzt vor ihr und mit erwartungsvollem Blick schaut sie mich an: „Fertig?“ Wortlos rolle ich meinen spärlichen Einkauf zur Kasse, hinter mir höre ich fröhlich die Unbekannte irgendeinen Hit aus den Charts summen und weiß auch ohne mich umzudrehen, dass sie noch da ist.

Wir stellen uns an, das Kassenband rattert langsam voran, meine paar Teile sind schnell gescannt und ich stopfe eilig alles in meinen Rucksack. „Willst du mir nicht ein bisschen helfen?“ – „Ja, also gut, was soll ich denn helfen?“ – „Einladen und tragen“ lässt mich die Frau ungerührt wissen. Ich werfe einen Blick auf ihren Einkauf, ja, den kann man wirklich nicht alleine transportieren.

„Okay“, sage ich, helfe die Lebensmittel sowie Putzzeug und einen Getränke-Sixpack hinter der Kasse wieder in ihren Wagen zu hieven. Während sie bezahlt schiebe ich meinen Wagen zurück in die Wagenschlange, nehme meinen Chip und will mich unbemerkt entfernen.

Leider hat sie mich entdeckt, winkt mir zu. „Es ist so lieb, dass du mir hilfst, es ist auch gar nicht weit von hier.“ – „Sie haben kein Auto?“ – „Nein, aber es ist nicht weit.“ – „Nicht weit?“ – „Nein.“ Das könnte jetzt so weitergehen, ich werfe mir meinen Rucksack über den Rücken und greife nach dem Sixpack.

Wie aus dem Nichts taucht ein Ikeabeutel auf, Stück für Stück verschwindet der ganze Einkauf darin, nur das Waschpulver passt nicht mehr. „Kannst du das vielleicht noch in deinen Rucksack nehmen, dann können wir besser tragen.“ – Wortlos nehme ich meinen Rucksack wieder ab, schiebe vorsichtig die Mandarinen und den Salat zur Seite und stopfe das Waschpulver dazu.

„Herrlich, jetzt ist alles bereit für die Reise.“ Wir setzen uns in Bewegung, die Frau erzählt von der vergessenen Einkaufsliste und dass man dann immer mehr kauft, als man eigentlich geplant hat. „Immer der Nase nach“ weist sie den Weg, da ich den einen Tragriemen des Beutels in der Hand habe, kann ich auch gar nicht anders, als ihr zu folgen.

Nach zehn Minuten Fußmarsch frage ich zaghaft nach dem Ziel. „Gar nicht weit, sollen wir mal die Seiten tauschen? Bei der Gelegenheit könntest du noch den Sixpack übernehmen, der schneidet mir etwas in die Hand.“

Immerhin liegt der Weg in derselben Richtung wie meine Wohnung, so dass ich nachher nicht so weit zurücklaufen muss. Langsam schneidet mir der Sixpack auch in die Hand, aber da vorne sehe ich schon den Balkon meiner Wohnung und würde mich an dieser Stelle auch von ihr verabschieden.

„Nein, das ist doch nicht möglich. Dann sind wir ja fast Nachbarn“, freut sich die Frau. Mit freudigem Strahlen übergibt sie mir noch den anderen Tragriemen und während ich Sixpack und Ikea die Treppe raufschleppe sucht sie in ihrer Jacke nach den Wohnungsschlüsseln.

„Komm doch auf einen Kaffee mit rein.“ – „Nein danke.“ – „Stimmt was nicht?“ – „Doch, doch alles gut. Ich gehe jetzt.“ – „Aber noch einen Kaffee, du willst mich doch nicht einfach stehenlassen, nachdem ich den ganzen Einkauf bis hierher gebracht habe.“

Doch, genau das will ich. Ich will jetzt heim, meine Pizza in den Backofen schieben und mir mit der Cola einen gemütlichen Nachmittag machen.

Wenige Minuten später sitze ich bei ihr auf dem Sofa, habe mit ihr den Einkauf in den Kühlschrank sortiert und das Waschpulver ins Bad gebracht. Sie rumort in der Küche herum und hat Wasser aufgesetzt. „Tee oder Kaffee?“ – „Ja.“

„Was jetzt?“ – „Kaffee, wenn Sie unbedingt wollen.“ – „Habe ich leider nicht, aber ich kann dir einen Fencheltee machen. Ist gesünder.“ Es zischt in der Küche, ich schaue mich um. Im Bücherschrank verschiedene Bücher mit Lebensratgebern, ein paar Hefte Psychologie heute. 

Sie kommt herein, zwei verschiedene Tassen in den Händen, eine davon für mich. „Ich bin Clara.“ – „Ach ja.“ – „Willst du mir nicht sagen, wie du heißt?“ – „Nein.“ – „Ach, komm schon. Du schmollst. Jetzt sag schon.“ – „Herr Müller“ lüge ich. Sie strahlt mich an. „Ein Deckname. Wie geheimnisvoll.“

[Das gibt es seit 14.02.25 als kleine Serie jede Woche]

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