28 Februar 2025

Nerds Diary: Was machst du? (S1/F3)

Was machst du? (S1/F3)

Nerds Diary: Was machst du
„Was machst du?“ will sie als nächstes von mir wissen. Es dämmert langsam, draußen geht die Straßenbeleuchtung an. Ich schaue aus dem Fenster, schaue auf den Wohnzimmertisch, schaue sie an. „Geheimauftrag?“

„Nein, Anwendungsmanager.“ – „Oh, wie cool. Und was macht man so als An-wen-dungs-manager?“ – „Langweiligen Kram.“ – „Du bist ein Nerd, wusste ich es doch.“ – „Also, Nerd ist vielleicht nicht so ganz richtig.“ – „Was ist denn richtig?“ – „Anwendungsmanager. Hab ich Ihnen doch gesagt.“ Das könnte jetzt so weitergehen, ich greife zu meiner Fenchelteetasse.

„Und Sie?“ – „Was?“ - „Was Sie machen“ – „Ach so, ja, ich bin singende und tanzende Hausfrau.“ Pause. „Und männervernaschender Vamp.“ Pause. „Und bei Vollmond bin ich Werwolf.“ Sie springt auf, wirft die Arme in die Luft, legt den Kopf in den Nacken und fängt an, wie ein Wolf zu heulen.

„Bitte!“ sage ich. Sie heult weiter, in etwas höheren Tönen, jetzt noch höher. Ich warte, dass die Gläser im Schrank anfangen zu klirren, aber es passiert nichts. Sie holt Luft, beugt sich vor und unterstützt das nächste Heulen noch durch ein Zucken ihres Körpers.

„Mach mit, das entspannt.“ – „Bloß nicht.“ Sie zerrt mich vom Sofa, der Fencheltee spritzt durch die Gegend. „Dein Kraftzentrum, denk an dein Kraftzentrum.“ – „Hab ich nicht.“ Ihre Arme sind um mich verschlungen, alles rüttelt und schüttelt, dazu wieder dieses Heulen.

Unvermittelt lässt sie mich wieder los, ich lande auf dem Couchtisch während sie weiterzappelt. „Zeit für Musik, was willst du hören?“ Ein wenig atemlos lässt sie sich neben mir auf den Couchtisch fallen, das Holz knirscht, aber er hält uns beide aus. „Was machst du noch mal?“ – „Anwendungsmanager.“

„Ach ja, stimmt. An-wen-dungs-manager. Ein Nerd im Geheimdienst ihrer Majestät.“ Sie schiebt sich wieder vom Tisch auf den Boden, läuft auf allen Vieren zum Sideboard und drückt dort auf einer Musikanlage herum. „Mozart für Babys.“ Es ertönt irgendeine Mucke zwischen ACDC und Nickelback. 

„Ich studiere Design.“ – „Ah, interessant. Übrigens wollte ich gerade gehen. Vielen Dank für alles.“ Schon sitzt sie wieder neben mir auf dem Tisch, drückt meine Hand auf die Tischplatte und dirigiert mit der anderen Hand die unsichtbare Rockband. „Gut, nicht?“ – „Nicht so ganz mein Geschmack.“

Tatsächlich gelingt es mir, meine Hand unter ihrer zu befreien, mit ungewohntem Tempo schaffe ich es bis zur Wohnungstür. „Dein Rucksack!“ – „Oh, Danke, ja, den hätte ich fast vergessen. Auf Wiedersehen dann.“ – „Servus, und komm gut heim.“

Fast im Laufschritt mache ich mich auf den Heimweg. Treppe runter, ein paar Schritte durch einen kleinen Park, Treppe hoch, Wohnungstür. Uff. Ich atme tief aus, was war das für ein Nachmittag, entleere meinen Rucksack und schalte den Backofen für meine Pizza an.

[Das gibt es seit 14.02.25 als kleine Serie jede Woche]

27 Februar 2025

Homeoffice – Helau und Alaaf!

In Gedenken an Jürgen Dietz, den „Boten vom Bundestag“ aus der Mainzer Fastnacht.

Narrhalla Marsch! Helau und Alaaf, ihr Narren und Jecken!

Ich bring’ euch Neuigkeiten aus der modernen Arbeitswelt – früher hießen wir Arbeitnehmer, heute heißen wir "Remote-Experten mit flexibler Einsatzbereitschaft". Klingt schick, oder? Heißt aber: Du arbeitest immer und überall.

Früher hattest du ein Büro. Mit Wänden! Mit Türen! Mit Kollegen! Heute? Homeoffice. Dein Schreibtisch steht zwischen der Wäsche und dem Esstisch. Und dein Kollege ist der Paketbote, der dreimal am Tag klingelt!

Und wehe, du bist mal nicht erreichbar. Da fragt der Chef: "Wo waren Sie um 14:32 Uhr?" Ja, Chef, ich habe mal etwas ganz Revolutionäres getan: Ich habe mein Mittagessen nicht mit ins Meeting genommen!

Apropos Meetings – früher haben sich Manager in Konferenzräumen getroffen, um Kaffee zu trinken und Strategien zu besprechen. Heute? Heute sind wir ALLE Manager – und verbringen 90 Prozent unserer Arbeitszeit in Online-Meetings. "Wir müssen das nochmal besprechen!" Warum? Damit keiner merkt, dass nichts passiert!

Und dann dieses Homeoffice-Equipment. "Für ergonomisches Arbeiten stellen wir Ihnen alles bereit!" Klar doch! Einen Klappstuhl, einen Laptop, der heißer wird als meine Heizung – ach nee, die läuft ja nicht mehr, weil der Strompreis explodiert ist!

Aber Hauptsache, wir haben "Work-Life-Balance". Früher hast du um 17 Uhr das Büro verlassen. Heute klappst du den Laptop zu – und 30 Sekunden später wieder auf, weil dein Chef noch eine "kurze Frage" hat.

Die Zukunft der Arbeit? Noch mehr Homeoffice, noch mehr Meetings, noch weniger Lohn, aber Hauptsache, das Unternehmen spart sich die Bürofläche. Und wir? Wir sparen uns die Rente, weil wir irgendwann einfach vom Stuhl kippen.

In diesem Sinne: Ein dreifach donnerndes Helau und Alaaf!

21 Februar 2025

Nerds Diary: Ich atme auf (S1/F2)

Ich atme auf (S1/F2)

Ich atme auf (S1/F2)
Ich atme auf. Aber im nächsten Moment ist sie wieder da, ein vollgestopfter Einkaufswagen jetzt vor ihr und mit erwartungsvollem Blick schaut sie mich an: „Fertig?“ Wortlos rolle ich meinen spärlichen Einkauf zur Kasse, hinter mir höre ich fröhlich die Unbekannte irgendeinen Hit aus den Charts summen und weiß auch ohne mich umzudrehen, dass sie noch da ist.

Wir stellen uns an, das Kassenband rattert langsam voran, meine paar Teile sind schnell gescannt und ich stopfe eilig alles in meinen Rucksack. „Willst du mir nicht ein bisschen helfen?“ – „Ja, also gut, was soll ich denn helfen?“ – „Einladen und tragen“ lässt mich die Frau ungerührt wissen. Ich werfe einen Blick auf ihren Einkauf, ja, den kann man wirklich nicht alleine transportieren.

„Okay“, sage ich, helfe die Lebensmittel sowie Putzzeug und einen Getränke-Sixpack hinter der Kasse wieder in ihren Wagen zu hieven. Während sie bezahlt schiebe ich meinen Wagen zurück in die Wagenschlange, nehme meinen Chip und will mich unbemerkt entfernen.

Leider hat sie mich entdeckt, winkt mir zu. „Es ist so lieb, dass du mir hilfst, es ist auch gar nicht weit von hier.“ – „Sie haben kein Auto?“ – „Nein, aber es ist nicht weit.“ – „Nicht weit?“ – „Nein.“ Das könnte jetzt so weitergehen, ich werfe mir meinen Rucksack über den Rücken und greife nach dem Sixpack.

Wie aus dem Nichts taucht ein Ikeabeutel auf, Stück für Stück verschwindet der ganze Einkauf darin, nur das Waschpulver passt nicht mehr. „Kannst du das vielleicht noch in deinen Rucksack nehmen, dann können wir besser tragen.“ – Wortlos nehme ich meinen Rucksack wieder ab, schiebe vorsichtig die Mandarinen und den Salat zur Seite und stopfe das Waschpulver dazu.

„Herrlich, jetzt ist alles bereit für die Reise.“ Wir setzen uns in Bewegung, die Frau erzählt von der vergessenen Einkaufsliste und dass man dann immer mehr kauft, als man eigentlich geplant hat. „Immer der Nase nach“ weist sie den Weg, da ich den einen Tragriemen des Beutels in der Hand habe, kann ich auch gar nicht anders, als ihr zu folgen.

Nach zehn Minuten Fußmarsch frage ich zaghaft nach dem Ziel. „Gar nicht weit, sollen wir mal die Seiten tauschen? Bei der Gelegenheit könntest du noch den Sixpack übernehmen, der schneidet mir etwas in die Hand.“

Immerhin liegt der Weg in derselben Richtung wie meine Wohnung, so dass ich nachher nicht so weit zurücklaufen muss. Langsam schneidet mir der Sixpack auch in die Hand, aber da vorne sehe ich schon den Balkon meiner Wohnung und würde mich an dieser Stelle auch von ihr verabschieden.

„Nein, das ist doch nicht möglich. Dann sind wir ja fast Nachbarn“, freut sich die Frau. Mit freudigem Strahlen übergibt sie mir noch den anderen Tragriemen und während ich Sixpack und Ikea die Treppe raufschleppe sucht sie in ihrer Jacke nach den Wohnungsschlüsseln.

„Komm doch auf einen Kaffee mit rein.“ – „Nein danke.“ – „Stimmt was nicht?“ – „Doch, doch alles gut. Ich gehe jetzt.“ – „Aber noch einen Kaffee, du willst mich doch nicht einfach stehenlassen, nachdem ich den ganzen Einkauf bis hierher gebracht habe.“

Doch, genau das will ich. Ich will jetzt heim, meine Pizza in den Backofen schieben und mir mit der Cola einen gemütlichen Nachmittag machen.

Wenige Minuten später sitze ich bei ihr auf dem Sofa, habe mit ihr den Einkauf in den Kühlschrank sortiert und das Waschpulver ins Bad gebracht. Sie rumort in der Küche herum und hat Wasser aufgesetzt. „Tee oder Kaffee?“ – „Ja.“

„Was jetzt?“ – „Kaffee, wenn Sie unbedingt wollen.“ – „Habe ich leider nicht, aber ich kann dir einen Fencheltee machen. Ist gesünder.“ Es zischt in der Küche, ich schaue mich um. Im Bücherschrank verschiedene Bücher mit Lebensratgebern, ein paar Hefte Psychologie heute. 

Sie kommt herein, zwei verschiedene Tassen in den Händen, eine davon für mich. „Ich bin Clara.“ – „Ach ja.“ – „Willst du mir nicht sagen, wie du heißt?“ – „Nein.“ – „Ach, komm schon. Du schmollst. Jetzt sag schon.“ – „Herr Müller“ lüge ich. Sie strahlt mich an. „Ein Deckname. Wie geheimnisvoll.“

[Das gibt es seit 14.02.25 als kleine Serie jede Woche]

14 Februar 2025

Nerds Diary: Etwas unentschlossen (S1/F1)

Etwas unentschlossen (S1/F1)

Etwas unentschlossen stehe ich im Supermarkt vor dem Regal mit den Süßigkeiten. „Soll ich dir beim Auswürfeln helfen?“ Ich drehe mich um, hinter mir steht eine Frau, etwa in meinem Alter, ähnliche Größe, halblange Haare, blaue Augen. „Ähm, nein, ich komme zu recht.“ – „Sieht aber nicht so aus.“ – „Doch, doch, ich komme zu recht.“

Pause, sie bleibt einfach hinter mir stehen, das macht mich nervös. Langsam drehe ich mich um „Kann ich Ihnen vielleicht helfen?“ – „Nein, ich komme zu recht.“ Das könnte jetzt so weitergehen, ich schnappe mir irgendeinen Keksriegel und will ihn in meinen Einkaufswagen werfen, aber der ist nicht da.

„Suchst du was?“ Ich werde rot, erwischt oder wütend. „Nein, alles gut.“ – „Vielleicht deinen Einkaufswagen?“ Ja, verdammt noch mal, meinen Einkaufswagen, denke ich, sage dann aber „Ach was, ich wollte noch ein wenig bummeln.“

„Hmja, dann bummel mal.“ Während ich mich umdrehe und möglichst gleichgültig durch die Gänge laufe, um meinen Einkaufswagen zu finden bleibt sie mir auf den Fersen. „Suchst du was Bestimmtes?“ – „Nein, einfach so. Sagen Sie mal, verfolgen Sie mich?“ – „Aber nein, ich will nur ein wenig bummeln.“

Tatsächlich entdecke ich im nächsten Quergang meinen Einkaufswagen, steuere ihn an, lege die Keksriegel hinein und mache mich auf zur Kasse. „Das ist aber eine ungesunde Mischung. Pizza, Cola, Spaghetti, Kekse.“ Sie inspiziert meinen Einkaufswagen.

„Sagen Sie mal, das geht Sie doch überhaupt nichts an.“ Ohne mich eines Blickes zu würdigen übernimmt sie den Einkaufswagen und steuert auf die Obsttheke zu. „Such dir was aus. Orangen sind im Angebot, viel Vitamin C. Mandarinen sind auch ok.“

Ich seufze, nehme einen kleinen Beutel Mandarinen. „Sehr gut“, werde ich gelobt, „jetzt noch irgendwas mit Salat und dann kann es zur Kasse gehen.“ Noch während ich mich beim Grünzeug umschaue ist sie verschwunden.

[Das gibt es jetzt als kleine Serie jede Woche]

07 Februar 2025

Erzähl mir deine Geschichte

Erzähl mir deine Geschichte
Ich sitze im Hotelzimmer, ein Arbeitstag liegt hinter mir, eine einsame Nacht vor mir. Auf dem kleinen Bürotisch mein Laptop, Maus und ein Notizblock. Daneben ein paar Pillen, die mir den Aufenthalt verschönern sollen. Keine wilden Dinge, aber was man so im Drogeriemarkt bekommt: aufhellende Koffeintabletten, nervenberuhigendes Johanniskraut, einschläfernder Hopfen. Ein paar der Tabletten sind heruntergefallen, liegen jetzt verstreut auf dem Boden, ich bücke mich, um sie aufzuheben.

Gerade ist ein Reporter bei mir, will für irgendein Lokalblatt ein Interview mit mir führen. Meine spannende Lebensgeschichte hören, sie ein wenig spektakulärer ausarbeiten und den Lesern zum Fraß vorwerfen. Er hält mir sein Mikrofon unter die Nase, "erzählen Sie mir Ihre Story". Doch es gibt kaum etwas zu erzählen, ich lasse ich ihn an wenig aufregenden Erinnerungen aus meiner Kindheit teilnehmen, berichte ein paar Erlebnisse meiner Schulzeit. Gelangweilt hört er mir zu, wartet auf exklusive Enthüllungen, sensationelle Erfahrungen oder einzigartige Szenen.

Die großen Taten kann ich ihm nicht anbieten, es sind die kleinen Lebensgeschichten, die mich geformt haben. Die Vielzahl von fast selbstverständlichen Szenen, die am Ende eine Veränderung in mir bewirkt haben. Er schaut aus dem Fenster, "ja", sagt er, "das ist wirklich höchst interessant" und will dann wissen, wie viele Klicks ich denn mit meinen Veröffentlichungen erreiche, wie viele Follower ich habe. Langsam werde ich unsicher, ob er mir überhaupt zugehört hat. Oder liegt es an mir, und ich werde langsam verrückt?

Auf dem kleinen Bürotisch findet sich noch eine Flasche Whiskey, ein paar Eiswürfel sind im Glas, es scheint mich anzulachen. Ein kräftiger Schluck rinnt mir durch den Hals, ich fühle, wie mich eine tiefe Gleichgültigkeit erfasst. Soll er doch schreiben, was er will. Was gut für ihn ist, was seine Leser lesen wollen.

"Oh", sage ich, "mein Bestseller ist über fünftausendmal aufgerufen worden. Über die Anzahl der Likes, der Kommentare, Erwähnungen und Verknüpfungen kann ich leider nichts sagen." Was ich auch gar nicht möchte. Es ist ein ganz eigener Kosmos, die Online-Konsumenten sind ein scheues Wild, lassen sich höchst ungern beim Lesen beobachten. Und wenn sie sich schon äußern, dann vorwiegend anonym. Niemand weiß so genau, warum der eine Artikel viral geht und der andere kaum Beachtung findet. An der inhaltlichen Qualität scheint es jedenfalls nicht zu liegen.

Mittlerweile dämmert es, der Reporter gähnt dezent, klappert seine typischen Themen ab und versucht nach besten Möglichkeiten, meinem langweiligen Leben einen Hauch von Extravaganz zu verpassen. Vielleicht ist mein Liebesleben ja berichtenswert, habe ich schockierende Praktiken, die ich heimlich auslebe. Oder es gibt ein Parallelleben, in dem ich nachts zum Werwolf werde. Drogen schmuggle. Kleine Kinder erschrecke. Oder eingängliche Tipps für das tägliche Leben oder eine außergewöhnliche Karriere in Petto habe.

Einen Schluck später bin ich soweit. Ich gebe ihm alles, was er will, phantasiere von exotischen Wertpapieren, erläutere ihm von nahezu unbekannten Sportarten, berichte ihm, wie ich auf Hawaii bei einem Ausflug einen uralten Eingeborenen kennengelernt habe, der mir einen magischen Zahn geschenkt hat. Und von der bildhübschen Latina, die mir diesen magischen Zahn gegen ihre Jungfräulichkeit abgeknüpft hat.

Jetzt wacht er auf, hält mir wieder sein Mikrofon unter die Nase, murmelt etwas von Vertrauen und will wissen, ob ich etwas von meiner Aura und meiner esoterischen Energie weitergeben könnte. Was wäre die Botschaft, die er seinen Lesern mitgeben soll? "Der Leser", sage ich, "der Leser ist der König. Er bestimmt, was geschrieben wird. Nicht umgekehrt." Verdutzt schaut er mich an. Es dauert einen Moment, bis er sich wieder fängt, dann meine ich zu erkennen, dass er zum ersten Mal an diesem Abend etwas verstanden hat. Mein Mitleid mit ihm. Vielleicht auch meine Arroganz, jedenfalls aber meine Resilienz gegen seinen impertinenten Wissensdurst.