17 Januar 2025

Trauergesellschaft

Trauergesellschaft
Einer meiner Lieblingsschlipse hat sich erhängt. Er war schon immer ein wenig weinerlich, die Corona-Zeit hat ihn sehr belastet und er hat auch danach ganz schön durchgehangen.

„Durchgehangen“ echot mein Mickeymaus-Schlips. Er ist der Spaßvogel im Kleiderschrank und kann aus jedem Wort etwas Lustiges machen. „Durchgehangen ist ja bei Schlipsen eher ungewöhnlich. Die hängen und hängen, aber selten haben sie Beulen dabei.“ Aber heute kommt sein Witz nicht richtig an, um ihn herum hängen eine Reihe weiterer Krawatten, alle schauen ziemlich bedröppelt, schließlich ist so ein Suizid keine lustige Angelegenheit.

Selbst der schwarze Schlips trägt heute Trauer, er scheint noch dunkler zu sein als beim Kauf vor vielen Jahren. Oft genug hat er tröstende Worte bei Beerdigungen gehört, die ihm jetzt wieder durch den Kopf gehen. „Er stand mitten zwischen uns, bevor er so unerwartet aus dem Leben schied.“

Das ist wieder ein Impuls für die Mickeymaus. „Er stand doch gar nicht, er hat sich immer tragen lassen, und zwar um einen Hals herum“, witzelt er. Die anderen Schlipse rücken näher an den Verstorbenen heran, so recht scheint keinem der Sinn nach guter Laune zu sein. Eine kleine Trauergesellschaft, die sich hier bildet, die dem alten Gesellen die letzte Ehre erweist.

Ich schaue zu, ein wenig Bewegung hier und da, ein Geraune und Getuschel, wenn man genau hinhört. Gerade scheint der orangeblaue Schlips das Wort zu ergreifen, will ein gemeinsames Erlebnis zum Besten geben. Aber so weit kommt er nicht, weil jetzt die beste Freundin des Toten sich an den anderen Schlipsen vorbei zu ihrem ehemaligen Geliebten drängt und sich noch mal recht feste an ihn kuschelt.

Es ist eng auf der Krawattenstange, heute stört es auch nicht, dass der alte Seidenschlips sich trotz seiner Flecken immer noch als etwas ganz besonderes fühlt und die Einschlaglasche ziemlich hoch trägt. Die Weggefährten nehmen ausnahmsweise Rücksicht auf seine Arroganz, selbst die naive Jungfrau in sonnengelbem Kleid lässt sich von ihm nicht irritieren.

Überhaupt trägt sie wie immer dazu bei, dass man ein Lächeln auf das Gesicht bekommt. Ihre unnachahmlich heitere Art wirkt ansteckend und entfacht auch im dunklen Kleiderschrank immer einen Hauch von Sommergefühl. Bis auf die arbeitsgrauen und die gedeckt anthrazitfarbigen Genossen sind alle mit ihr befreundet.

Hilfesuchend schaut sich die Mickeymaus zu der Sonne um. Wenigstens eine, die nicht nur Trübsal bläst. „Er hat sich zu Höherem gestreckt, hat seine Erfüllung im Schmuck jedes blauen Hemdes gesehen.“, höre ich gerade den Blauorangen sagen. „Wir wollen uns an ihm ein Beispiel nehmen, jeder als Verzierung einer Farbe, seiner Farbe, seiner Bestimmung.“

Ein Blick in die Runde sagt mir, dass es jetzt depressiv wird, gleich fließen Tränen und das kann ich im Schrank nun wirklich nicht gebrauchen. Behutsam nehme ich den armen Gesellen ab und schließe fast lautlos die Schranktür. Vielleicht fangen sie sich schneller, wenn sie den Tod nicht so deutlich vor Augen haben.

Mit wenigen Schritten bin ich im Keller, und lege den Schlips vorsichtig in den Altkleidersack. Sicher ein etwas liebloses Grab, aber mit der Hoffnung auf die Auferstehung und ein neues Leben.

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