Stehtisch. Konferenz. Neben mir ein junger Mann in lässiger Kleidung, schiebt sein Glas auf dem Tisch hin und her, sein Namensschild kann ich nicht lesen, ich glaube, er kommt von irgendeiner Versicherung. Ja, bestimmt, ist er Außendienstmitarbeiter.
Gerade hat er mir etwas von Kunden, Künstlicher Intelligenz und seiner Einschätzung der weiteren Entwicklung erzählt. Ich höre ihm zu, auch die Ergänzungen seines Partners in schwarzem Rolli und betont unauffällig zur Schau getragenen Luxusuhr gehen mir durch den Kopf.
Wir haben nicht allzu viel Zeit, nach der Kaffeepause wird es in Kürze weitergehen. Ich schaue auf die Uhr des Rolliträgers und werfe ein, dass die Entwicklung auf dem technischen Feld auch einen veränderten Umgang mit den Kunden erfordert. Begriffe wie Vertrauen, Empathie und persönlichem Umgang spielen da aus meiner Sicht eine Rolle.
In einer Mischung aus Arroganz und Ärger schaut mich mein Gegenüber an. Ja, Empathie, also mit dem Wort kann er nicht so viel anfangen. Das klingt ihm eher nach Weichspüler und bei der Kundenansprache geht es um Geschäft, um Business. Da ist kein Platz für Kuscheln und Räucherkerzen.
Ob die Kunden für ihn eher Bezahlmaschinen seien, will ich wissen, eine Frage, die ihn offensichtlich eher verärgert als wachrüttelt. Sie zeige meine unprofessionelle Sicht der Dinge, muss ich mir anhören, selbstverständlich verkaufe er hochwertige Produkte und wolle die Kunden zufriedenstellen. Aber das nicht auf Kosten irgendeiner Psychonummer. Der Kunde stehe voll im Mittelpunkt, aber eben nicht so.
Es ist offensichtlich, dass wir zwei keine gemeinsame Meinung finden werden. Weder wird er einsehen, dass er es mit Menschen zu tun hat, die nun mal ein Gefühlsleben, eine emotionale Komponente, eine Seele haben. Noch kann ich mich dazu durchringen, diese Aspekte für den Abschluss eines Geschäfts beiseite zu legen.
Dieselbe Sache, ein Geschäft abzuschließen, und doch so unterschiedliche Standpunkte. „Geschäfte zu machen und Verträge abzuschließen ist ein Kampf, ein Wettkampf. Und den muss man gewinnen. Jede Schwäche führt zu einem misslungenen Abschluss“, dringt aus weiter Ferne an mein Ohr. Nein, denke ich, das sehe ich anders, ein Geschäft muss sich für beide Seiten lohnen, da ist kein Platz für Gewinner und Verlierer. Und für Kampf schon gar nicht.
Während ich diesem Gedanken noch nachhänge wendet sich mein Kampfvertreter an den Rolexträger, schwadroniert weiter über die Möglichkeiten Künstlicher Intelligenz und den Schub, den er sich davon für das Quartalsergebnis erwartet.
Es sind nicht die unterschiedlichen Gesprächsebenen, die uns trennen. Vielmehr der Kanon der Themen, die uns bewegen. Jegliche Formen nicht budgetierbarer Aspekte sind außerhalb seiner Aufmerksamkeit. Und mich sprechen seine Quartalsergebnisse, die Key Performance Indikatoren, sein Return on Investment und irgendwelche Deckungsbeiträge einfach nicht an.
Da beginne ich, mich über mich selbst zu wundern. Vielseitig interessiert, in zahlreichen Themen bewandert und neuen Impulsen gegenüber offen. Aber hier finde ich keinen Anknüpfungspunkt, scheint nicht so sehr das Thema, als vielmehr die gegenseitige Sicht auf die Welt im Wege zu stehen. Oder ist es die Einschätzung meines Gegenübers, dass ich ihm als Gesprächspartner nicht nützlich bin?
In seinen Augen scheine ich lesen zu können: „Egal was du sagst, es interessiert mich einfach nicht.“
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