Intro
Am Kassenband im Supermarkt. Vor mir steht ein Mann mit Pferdeschwanz, Outdoorjacke und einer leicht verwitterten Mütze auf dem Kopf. Er lädt den Inhalt seines hoch gefüllten Einkaufswagens auf das Band, ohne Zweifel ist es ein Wocheneinkauf mit allerlei Gemüse, Obst, Brot und diversen Backzutaten. Ich male mir aus, was er wohl aus den Zutaten alles bereiten wird, stelle mir vor, ob er kochen und backen kann, oder ob es eine andere Person in seinem Haushalt gibt, die den Einkauf zu Malzeiten verarbeitet.
Ich hole mein Handy heraus, um die Kundenkarte aufzurufen und mich gleich auf das Be- und Entladen des Kassenbandes konzentrieren zu können. Nach dem Starten der App schaue ich wieder hoch und wundere mich darüber, dass der Mann mit dem Pferdeschwanz verschwunden ist. Oder hat er sich in die Blondine verwandelt, die jetzt vor mir ist? Nein, tatsächlich ist der Outdoor-Man noch vor mir, nur dazwischen ist jetzt eine weitere Person in der Schlange. Ähm, wie konnte das sein?
Variation / Ende 6
Einen Moment denke ich überrascht nach, war die Frau vorher schon da und ich habe sie nicht gesehen? Nein, mir ist nichts entgangen, da hat sich eine Person ziemlich dreist vorgedrängelt. Während ich darüber nachdenke, dass Kommunikation weit überschätzt wird, entschließe ich mich, nonverbal zu reagieren.
Ich drehe mich zur Seite, konzentriere mich auf das Kassenband und schiebe meinen Einkaufswagen mit leichtem Schwung nach vorne, wo er auf die weiche Rückseite meiner neuen Nachbarin stößt. Sie dreht sich um, schaut mich wütend „können Sie nicht aufpassen“, aber ich setze eine Unschuldsmiene auf. „Verzeihung“, strahle ich sie an, „ich habe gar nicht gemerkt, dass sie sich plötzlich vor mich gestellt haben.“
Einen Moment ist sie sprachlos, ich setze nach: „Gerade war noch der Herr mit der Mütze vor mir, da war noch genügend Platz. Keine Ahnung, woher Sie auf einmal kommen, aber das können Sie mir bestimmt erklären.“
Sie wählt die Flucht nach vorne und erklärt lautstark, dass ich ein Grobian wäre. Ich amüsiere mich innerlich über dieses altmodische Wort und muss grinsen, weil ich mir ausmale, dass sie mich gleich wohl als Wüstling bezeichnen wird. Aber so weit kommt es nicht, denn nun mischt sich der Kunde hinter mir ein. Was mir einfiele, der Frau in die Hacken zu fahren. Was er aber noch nicht fertig ausgesprochen hat, als der Mann mit der Mütze sich ebenfalls einmischt und bestätigt, dass die Frau sich dazwischen gedrängelt hat.
Der Ton wird schärfer, ich halte mich raus, auch wenn es eigentlich meine Angelegenheit war. Auch die Kassiererin schaut betont unbeteiligt auf ihre Kasse und mischt sich nicht in das Scharmützel ein. Denn tatsächlich drückt sich jetzt der Mützenträger an mir vorbei und geht auf meinen Hintermann los und schubst ihn nach hinten.
Jetzt schreit die dahinter stehende Frau los. Sie hat ihren Einkaufswagen durch den rückwärts torkelnden Mann gegen den Bauch bekommen und macht lautstark Theater. Der Filialleiter kommt gelaufen, kann aber die beiden Streithähne nicht schnell genug besänftigen, schon boxt der eine dem anderen in den Magen, die darum stehenden Kunden versuchen entweder sich aus der Szene herauszuhalten, Partei zu ergreifen oder die Kampflustigen zu trennen.
Unbemerkt hat die Blondine den Wagen vom Mützenmann zur Seite geschoben, ihre Artikel kassieren lassen und auch ich kann meine Sachen bezahlen und in den Wagen räumen. Noch während ich aus dem Laden eile, höre ich das Geschrei der beiden Männer, die jetzt aber nur noch mit Worten aufeinander losgehen und vermutlich langsam wieder zur Ruhe kommen.
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