27 Dezember 2024

Ja, wer gewinnt denn da?

Spieleabend. Sitzkreis und jeder hat einen Würfel in der Hand. Markus hat bisher die meisten Punkte abgeräumt, aber das Blatt kann sich noch wenden. Wir stoßen miteinander an, eine fröhliche Runde und keiner nimmt das Spiel allzu ernst.

Wer gewinnt denn da

Obwohl, das darf man nicht so global behaupten. Nach Sekt und Häppchen ist die Stimmung zwar gelockert, aber ich werde den Eindruck nicht los, dass wir auch zwanghafte Gewinnertypen unter uns haben. Und zu denen zählt dummerweise noch nicht mal Markus.

Stefan ist ein netter Zeitgenosse, hilfsbereit, liebenswürdig und in den meisten Lebenslagen auch recht humorvoll. Es sei denn, irgendetwas riecht nach Wettkampf. Egal, ob er als letzter immer noch auf dem Crosstrainer steht, als erster die Kassenschlange hinter sich gebracht hat oder beim Tischkicker die meisten Tore erzielt.

Während der restliche Trupp sich auf die nächste Lieferung aus der Küche stürzt, ist er ziemlich unentspannt, knetet seine Handballen, wirft zum dritten Mal einen Blick auf die Karten und den Würfel. Auch dass Wolfgang ihm auf die Schulter schlägt, ihn einen alten Recken nennt und ihn mit irgendeiner lustigen Anekdote aufziehen will, entschärft die Situation nicht.

Nein, relaxen geht so nicht, selbst den etwas unsensiblen Zeitgenossen fällt auf, dass eine merkliche Spannung in der Luft liegt. Wenn es so weitergeht und Markus gewinnt, ist der Abend für alle gelaufen. Aber will man ihm deshalb das Spielfeld überlassen? Hin- und hergerissen zwischen dem Erhalt der guten Laune und dem Gegenhalten gegen die Diktatur eines Einzelkämpfers bilden sich unsichtbar Fraktionen am Tisch.

Doch dann die Rettung: Ulla verkündet, dass wir den Spielmodus ändern. Wir sollen nicht mehr einzeln, sondern als kleine Teams weiterspielen. Zur Gruppenbildung wird abgezählt und wie von Zauberhand landet Stefan in einer Gruppe mit Markus. Uff, gemeinsam haben sie die meisten Punkte und sind auf der Gewinnerstraße.

Alle atmen tief durch, springen auf und tanzen um den Spieltisch herum, auf dem die Karten jetzt durcheinander wirbeln und damit kaschieren, ob sich doch noch ein anderes Ergebnis ergibt.

25 Dezember 2024

Weihnachtsfest (2024)

W
ährend die ersten Schneeflocken sanft auf die Erde fallen, bereite ich mich mental auf Weihnachten vor.

Ein fröhliches Treiben auf der Straße, trotz der Kälte sind viele Herrchen und Frauchen mit ihren Hunden unterwegs.

In der Luft liegt ein Hauch von frisch gebackenen Plätzchen und heißem Glühwein, den mein Nachbar gegenüber spontan zubereitet hat und nun den vorbeigehenden Bewohnern anbietet.

Häuser werden festlich geschmückt, und die Kinder können es kaum erwarten, den Weihnachtsmann zu sehen.

Nachts bei sternenklarem Himmel kommen die Kerbeborsche zusammen, brauen sich heißen Apfelwein und machen im Jugendraum Party.

Adventlich hat der Verkehrs- und Verschönerungsverein den Weihnachtsbaum am alten Rathaus geschmückt.

Chorgesang klingt von der kleinen Kirche herüber und sorgt für ein winterliches Gänsehautfeeling.

Hirtenfiguren stehen stumm und starr in der Krippe der kleinen Kirche und lassen nur erahnen, dass sie jeden Tag ein wenig in Richtung Jesuskind vorbewegt werden.

Tief in der Nacht, wenn alle schlafen, schleicht ein als Weihnachtsmann verkleideter Student durch die Straßen und trägt die Post für den Folgetag aus.

Schon bald in der Morgendämmerung folgt ihm der Paketfahrer, ebenfalls mit einer roten Mütze auf dem Kopf.

Für Weihnachten ist nun alles gerüstet, festlich leuchtet der Christbaum im Wohnzimmer, darunter die in den letzten Wochen gelieferten und gebastelten Geschenke.

Ein Lächeln breitet sich auf den Gesichtern aus, nach dem Trubel der letzten Tage vor Weihnachten kehrt nun Ruhe ein.

Selbst Weihnachtsmuffel halten inne, immerhin versüßt auch ihnen allerlei Gebäck und aufwändige Kochkunst die arbeitsfreien Tage.

Tatsächlich empfinde ich Weihnachten traditionell als Meilenstein im Jahr, der Höhepunkt der Besinnlichkeit und Ausgangspunkt, um langsam Anlauf zu nehmen auf den Jahreswechsel.

20 Dezember 2024

Sechsender (4/4)

Intro

Am Kassenband im Supermarkt. Vor mir steht ein Mann mit Pferdeschwanz, Outdoorjacke und einer leicht verwitterten Mütze auf dem Kopf. Er lädt den Inhalt seines hoch gefüllten Einkaufswagens auf das Band, ohne Zweifel ist es ein Wocheneinkauf mit allerlei Gemüse, Obst, Brot und diversen Backzutaten. Ich male mir aus, was er wohl aus den Zutaten alles bereiten wird, stelle mir vor, ob er kochen und backen kann, oder ob es eine andere Person in seinem Haushalt gibt, die den Einkauf zu Malzeiten verarbeitet.

Ich hole mein Handy heraus, um die Kundenkarte aufzurufen und mich gleich auf das Be- und Entladen des Kassenbandes konzentrieren zu können. Nach dem Starten der App schaue ich wieder hoch und wundere mich darüber, dass der Mann mit dem Pferdeschwanz verschwunden ist. Oder hat er sich in die Blondine verwandelt, die jetzt vor mir ist? Nein, tatsächlich ist der Outdoor-Man noch vor mir, nur dazwischen ist jetzt eine weitere Person in der Schlange. Ähm, wie konnte das sein?

Sechsender 4

Ende 1 - Ende 2&3 - Ende 4&5

Variation / Ende 6

Einen Moment denke ich überrascht nach, war die Frau vorher schon da und ich habe sie nicht gesehen? Nein, mir ist nichts entgangen, da hat sich eine Person ziemlich dreist vorgedrängelt. Während ich darüber nachdenke, dass Kommunikation weit überschätzt wird, entschließe ich mich, nonverbal zu reagieren. 

Ich drehe mich zur Seite, konzentriere mich auf das Kassenband und schiebe meinen Einkaufswagen mit leichtem Schwung nach vorne, wo er auf die weiche Rückseite meiner neuen Nachbarin stößt. Sie dreht sich um, schaut mich wütend „können Sie nicht aufpassen“, aber ich setze eine Unschuldsmiene auf. „Verzeihung“, strahle ich sie an, „ich habe gar nicht gemerkt, dass sie sich plötzlich vor mich gestellt haben.“

Einen Moment ist sie sprachlos, ich setze nach: „Gerade war noch der Herr mit der Mütze vor mir, da war noch genügend Platz. Keine Ahnung, woher Sie auf einmal kommen, aber das können Sie mir bestimmt erklären.“

Sie wählt die Flucht nach vorne und erklärt lautstark, dass ich ein Grobian wäre. Ich amüsiere mich innerlich über dieses altmodische Wort und muss grinsen, weil ich mir ausmale, dass sie mich gleich wohl als Wüstling bezeichnen wird. Aber so weit kommt es nicht, denn nun mischt sich der Kunde hinter mir ein. Was mir einfiele, der Frau in die Hacken zu fahren. Was er aber noch nicht fertig ausgesprochen hat, als der Mann mit der Mütze sich ebenfalls einmischt und bestätigt, dass die Frau sich dazwischen gedrängelt hat.

Der Ton wird schärfer, ich halte mich raus, auch wenn es eigentlich meine Angelegenheit war. Auch die Kassiererin schaut betont unbeteiligt auf ihre Kasse und mischt sich nicht in das Scharmützel ein. Denn tatsächlich drückt sich jetzt der Mützenträger an mir vorbei und geht auf meinen Hintermann los und schubst ihn nach hinten.

Jetzt schreit die dahinter stehende Frau los. Sie hat ihren Einkaufswagen durch den rückwärts torkelnden Mann gegen den Bauch bekommen und macht lautstark Theater. Der Filialleiter kommt gelaufen, kann aber die beiden Streithähne nicht schnell genug besänftigen, schon boxt der eine dem anderen in den Magen, die darum stehenden Kunden versuchen entweder sich aus der Szene herauszuhalten, Partei zu ergreifen oder die Kampflustigen zu trennen.

Unbemerkt hat die Blondine den Wagen vom Mützenmann zur Seite geschoben, ihre Artikel kassieren lassen und auch ich kann meine Sachen bezahlen und in den Wagen räumen. Noch während ich aus dem Laden eile, höre ich das Geschrei der beiden Männer, die jetzt aber nur noch mit Worten aufeinander losgehen und vermutlich langsam wieder zur Ruhe kommen.

13 Dezember 2024

Sechsender (3/4)

Intro

Am Kassenband im Supermarkt. Vor mir steht ein Mann mit Pferdeschwanz, Outdoorjacke und einer leicht verwitterten Mütze auf dem Kopf. Er lädt den Inhalt seines hoch gefüllten Einkaufswagens auf das Band, ohne Zweifel ist es ein Wocheneinkauf mit allerlei Gemüse, Obst, Brot und diversen Backzutaten. Ich male mir aus, was er wohl aus den Zutaten alles bereiten wird, stelle mir vor, ob er kochen und backen kann, oder ob es eine andere Person in seinem Haushalt gibt, die den Einkauf zu Malzeiten verarbeitet.

Ich hole mein Handy heraus, um die Kundenkarte aufzurufen und mich gleich auf das Be- und Entladen des Kassenbandes konzentrieren zu können. Nach dem Starten der App schaue ich wieder hoch und wundere mich darüber, dass der Mann mit dem Pferdeschwanz verschwunden ist. Oder hat er sich in die Blondine verwandelt, die jetzt vor mir ist? Nein, tatsächlich ist der Outdoor-Man noch vor mir, nur dazwischen ist jetzt eine weitere Person in der Schlange. Ähm, wie konnte das sein?

Sechsender 3

Ende 1 - Ende 2&3

Variation / Ende 4

Einen Moment denke ich überrascht nach, war die Frau vorher schon da und ich habe sie nicht gesehen? Aber das verwerfe ich wieder, schließlich fehlt das Trennholz zwischen unseren Einkäufen auf dem Kassenband. Ich muss schmunzeln, ist es nicht süß, mit welcher Unschuldsmine die Blondine sich ihren Vorteil ergaunert hat? „Huhu“, rufe ich ihr zu, „heute ist ihr Glückstag! Eigentlich würde ich Sie jetzt öffentlich auf dem Marktplatz mit überreifen Tomaten bewerfen, aber Gnade vor Recht… lassen Sie Ihren Einkauf ruhig auf dem Band, wenn Sie mir nachher eine der Chipstüten spendieren.“

Die Frau dreht sich herum, ist irritiert und wartet, ob ich sie hochnehme, anmache, anpöble oder flirte. Sie entscheidet sich für die erste Variante, lächelt mich an und nach kurzem Zögern „Deal!“. Jetzt müssen wir beide lachen, ich schenke ihr die Chipstüte zurück und rate ihr, diesen Trick nicht zu oft zu wiederholen.

Variation / Ende 5

Einen Moment denke ich überrascht nach, war die Frau vorher schon da und ich habe sie nicht gesehen? Aber das verwerfe ich wieder, schließlich fehlt das Trennholz zwischen unseren Einkäufen auf dem Kassenband. Ganz vorsichtig pirsche ich mich von hinten an die Frau heran, mache mit meinen Händen eine Tüte vor meinem Mund und sage mit der Stimme von Darth Vader: „Ich bin nicht dein Vater. Ich bin dein schlechtes Gewissen.“

Überrascht, um nicht zu sagen entsetzt wirbelt die Frau herum. Ich schaue in aufgerissene Augen, oh Gott, ich habe sie wirklich erschreckt. Im nächsten Moment hat sie sich gefangen, blinzelt mich an und schwankt zwischen Entsetzen und Lachen. Noch einen Augenaufschlag später hat sie die ganze Szene erfasst, jetzt schwankt sie zwischen Entrüstung und Entschuldigung.

Der Spaß ist mir gelungen, ich grinse sie an, erkläre ihr, dass ich gar kein Star Wars Fan bin, aber ihre forsche Überholaktion galaktisch gut fand. Wieder braucht sie einen Moment, um den witzigen Übergang von Star Wars zum Adjektiv "galaktisch" zu kapieren. Langsam scheint ihr zu dämmern, dass sie als Strafe für ihr Vorgehen zwar das Opfer eines Spaßvogels geworden ist, dass sie aber mit keinen weiteren Konsequenzen rechnen muss.

06 Dezember 2024

Sechsender (2/4)

Intro

Am Kassenband im Supermarkt. Vor mir steht ein Mann mit Pferdeschwanz, Outdoorjacke und einer leicht verwitterten Mütze auf dem Kopf. Er lädt den Inhalt seines hoch gefüllten Einkaufswagens auf das Band, ohne Zweifel ist es ein Wocheneinkauf mit allerlei Gemüse, Obst, Brot und diversen Backzutaten. Ich male mir aus, was er wohl aus den Zutaten alles bereiten wird, stelle mir vor, ob er kochen und backen kann, oder ob es eine andere Person in seinem Haushalt gibt, die den Einkauf zu Malzeiten verarbeitet.

Ich hole mein Handy heraus, um die Kundenkarte aufzurufen und mich gleich auf das Be- und Entladen des Kassenbandes konzentrieren zu können. Nach dem Starten der App schaue ich wieder hoch und wundere mich darüber, dass der Mann mit dem Pferdeschwanz verschwunden ist. Oder hat er sich in die Blondine verwandelt, die jetzt vor mir ist? Nein, tatsächlich ist der Outdoor-Man noch vor mir, nur dazwischen ist jetzt eine weitere Person in der Schlange. Ähm, wie konnte das sein?

Sechsender 2

Ende 1

Variation / Ende 2

Einen Moment denke ich überrascht nach, war die Frau vorher schon da und ich habe sie nicht gesehen? Aber das verwerfe ich wieder, schließlich fehlt das Trennholz zwischen unseren Einkäufen auf dem Kassenband. Ganz vorsichtig spreche ich den Rücken mit "Entschuldigung, hatte ich Sie vorgelassen?" an, die Frau wirbelt herum und wird rot. "Oh", stammelt sie, "ich war wohl in Gedanken und habe Sie gar nicht gesehen." Mit einem verführerischen Augenaufschlag setzt sie nach "darf ich trotzdem von Ihnen bleiben?"

Wie sollte ich da wiederstehen, es war zwar ein ziemlich plumper Antritt, aber naja, ich verliere nicht viel Zeit und mit dem Abnehmen meiner Verblüffung habe ich jetzt Gelegenheit, mich als großzügiger Mensch zu zeigen. "Das war zwar eigentlich nicht so vorgesehen“, sage ich ganz leise zu ihr, fast flüsternd, „aber wo sie schon mal da stehen und mit den paar Einkaufssachen dürfen Sie vor.“

Tatsächlich schafft sie es, noch einmal rot zu werden, also entweder ist sie eine begnadete Schauspielerin oder es ist ihr wirklich unangenehm. Jedenfalls schaue ich sie noch mal an, freue mich über meine Großherzigkeit, kann jetzt auch ihre hübschen Haare noch mal genießen und bin fast der Meinung, dass sie auch angenehm duftet. So in Gedanken versunken registriere ich nur am Rand, das meine Artikel jetzt vollständig auf dem Band sind, die App gestartet ist und der Kassiervorgang begonnen hat. Meine unfreiwillige Vorkundin dreht sich noch mal um, nickt mir freundlich zu und wünscht einen guten Tag – den ich jetzt bestimmt haben werde.

Variation / Ende 3

Ganz vorsichtig spreche ich den Rücken mit "Entschuldigung, hatte ich Sie vorgelassen?" an, aber keine Reaktion. Ich wiederhole meine Frage noch einmal, wieder keine Reaktion. Das finde ich ja jetzt schon ziemlich ärgerlich, erst vordrängeln und sich dann auch noch blind und taub stellen.

Einen Schritt vor, ich tippe der Frau auf die Schulter. Sie dreht sich zu mir um, Sonnenbrille im Gesicht, aber sie scheint mich nicht zu sehen. Hat sie Drogen genommen oder sonstwie ausgeschossen? In diesem Moment sehe ich die Binde an ihrem Arm, die gelben Punkte signalisieren ihre Augenprobleme. „Ja?“ fragt sie, „Was ist denn?“

Es ist mir ziemlich peinlich, dass ich die Binde nicht vorher wahrgenommen habe, natürlich kann sie gar nicht gesehen haben, dass ich vor ihr am Kassenband stand. Natürlich kann ich sie jetzt nicht wegscheuchen, ihre paar Einkaufsteile soll sie mal vor mir bezahlen. Und ich kann sie auch nicht auf den Fehler hinweisen, vermutlich ist es ihr unangenehm, wenn ich sie darauf hinweise, dass sie durch ihre körperliche Einschränkung etwas falsch gemacht hat.

Ich suche nach einer Ausrede für mein Verhalten und sage: „Ach, ich wollte nur sehen, ob Sie noch mehr Platz für Ihren Einkauf auf dem Kassenband brauchen.“ Nicht ganz überzeugend, ich weiß, aber immerhin ist das Thema damit erledigt. Sie dreht sich wieder nach vorne und rückt ganz langsam in Richtung Kasse vor. Von dort kommt ihr jetzt ein junger Mann entgegen, der sich an dem Mann mit Pferdeschwanz vorbeidrückt und bei ihr stehenbleibt. „Wie bist du denn plötzlich so schnell nach vorne gekommen?“ will er wissen.

„Ich habe mal gefühlt und das Band war leer, da habe ich meine Sachen draufgelegt – wieso fragst du?“ – „Schon ok“, sagt der junge Mann, wendet sich zu mir mit entschuldigendem Gesichtsausdruck und will schon den Mund aufmachen, als ich nicke und eine beschwichtigende Handbewegung mache. „Alles gut“, sage ich. „alles gut.“