15 November 2024

Herbstspaziergang

Es ist alles nebelfeucht. Die Kälte dringt nach wenigen Schritten hinter der Haustür schon durch meine Jacke, schonungslos kühlt sie meine Hände aus. Auf der Straße die Blätter, an einigen Stellen als dünne Schicht, dann wieder als kleine Haufen. Die Bäume kahl, wie um Gnade bettelnd strecken sie ihre dürren Äste in den Himmel.

Herbstspaziergang
Die Luft ist frisch, scharf spüre ich sie, wenn ich sie durch die Nase einsauge. Vor meinem Gesicht steigt sie beim Ausatmen als dichter Nebel auf, noch schlechter die Sicht dann, fast möchte ich die Augen schließen, sehe ich doch ohnehin kaum etwas. Da vorne ein geparktes Auto, das muss ich noch umrunden, bevor ich in den Wald abbiege.

Ein kleiner ausgetrockneter Bachlauf trennt mich jetzt vom feuchten Waldboden, Pilze hier und da, aber selbst der Geruch scheint sich durch den Nebel zurückgezogen zu haben. Alles ist tot und was nicht tot ist liegt im Sterben. Die Baumgipfel sind nicht zu erkennen, zu nebelig ist es hier, fast kann ich sprichwörtlich die Hand nicht vor den Augen sehen.

Die Gedanken sind träge, auch in meinem Kopf fehlt die sommerliche Bewegungslust, ist es die Kälte oder der Nebel, jedenfalls ein wenig orientierungslos irren die Gedanken umher. Es ist diese Orientierungslosigkeit, die solch einen Nebeltag ausmacht, nur wenige Schritte voraus ist überhaupt ein Weg zu erkennen, und den kann ich auch nur laufen, weil ich ihn schon so oft zurückgelegt habe.

Ich schaue mich um, ebenfalls diese trübe Suppe, immerhin ein paar Lichter zu erkennen, die von der Siedlung wohl bis in den Wald strahlen. Um nicht gegen einen Baum zu laufen schaue ich wieder nach vorne, aber meine Gedanken bleiben zurück, werden ebenso trübe wie die Welt um mich herum. Ich stolpere in Stufen der Melancholie in einen Trauermodus, komme vom Wetter auf das Leben im Allgemeinen und dieses Jahr im Besonderen.

Bin ich am Sommer vorbei, frage ich mich und schon fällt mir auf, wie orientierungslos auch der Lebensherbst sein kann. Nichts Aufblühendes, nichts Sonnenstrahlendes, einfach nur Niedergeschlagenheit wegen der fehlenden Perspektive. Kein Baum, an dem man sich in der Landschaft orientieren könnte, kein Feld, das bestellt werden müsste, kein erkennbares Ziel, das es zu erreichen gilt.

Lohnt es sich, weiterzulaufen, die deutlich stechende Kälte zu ertragen oder den Rückzug anzutreten in das warme Haus. Schwermütig, geradezu depressiv schwanken die Überlegungen weiter zwischen meinem aktuellen Umfeld und der Betrachtung meines Lebens. Ist die Rückkehr ins Haus der Versuch, in den Schoß meiner Mutter zurückzukommen, mir die Decke über den Kopf zu ziehen jedenfalls? Oder ist es wie mit den Pflanzen der Eintritt in eine neue Phase, in der ich mich von den Strapazen des Sommers erhole, Kraft schöpfe und mit neuer Energie in das Frühjahr starte?

Immer tiefer versinke ich in Selbstmitleid, traurigen Erinnerungen an Sommer, Sonne, Fröhlichkeit. Und in genau diesem Moment kommt mir auf einmal ein wärmender Gedanke in den Sinn. Sonne, das ist Antriebskraft, nicht nur für die Pflanzen, auch für mich, auch für meine Laune. Fast scheint der bloße Gedanke mich jetzt wieder ein wenig zu erwärmen, weicht ein bisschen Kälte aus meinen Knochen. Die Stimmung hellt sich auf, ein wenig scheint sich selbst der Nebel um mich zu lichten.

Sonne also, ein Lichtblick, wörtlich genommen, eine Orientierung wieder in der Gleichförmigkeit der nebelgrauen Landschaft. Brüder, zur Sonne flüstere ich leise vor mich hin, niemand kann mich hier hören, oder vielleicht doch, denn unbemerkt bin ich wieder aus dem Wald herausgetreten, fühle, wie sich ein Lächeln auf meinem Gesicht breit macht und die Haut spannt in der Kälte.

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