15 März 2024

Lebensetappe 4: Am Ende des Weges

Als wir uns das letzte Mal sahen. Irgendwo im Backstage-Bereich einer kleinen Bühne in der Provinz. Du warst nass geschwitzt, beim Auftritt hattest du mal wieder alles gegeben. Das war dein ganzes Leben lang so: Immer alles geben, das war dein Anspruch, das warst du dir schuldig, das musste das Publikum von dir erwarten können.

Lebensetappe 4 Am Ende des Weges
Ein wenig kurzatmig warst du, eine Wasserflasche in der Hand, die Zeiten mit Bier und Schnaps sind schon lange vorbei. "Und", willst du von mir wissen, "war es gut heute Abend?" Immer diese Frage, nie ob du gut warst, sondern ob es gut war. Ich nicke und du nimmst noch mal einen Schluck aus der Flasche. Dein T-Shirt klebt dir am Körper, "ok", sagst du, und streckst die Faust in meine Richtung: Schlag ein! und ziehst sie zurück, machst einen großen Schritt auf mich zu und nimmst mich in den Arm.

Du fühlst dich feucht an und warm, es ist mir unangenehm, auch oder gerade weil es eine persönliche, ja intime Berührung ist. Ich spüre deine Schwäche, heute bist du nicht nur körperlich erschöpft, auch emotional hast du dich noch mal komplett verausgabt. Wenn du auf der Bühne bist, ist das Publikum nur im ersten Moment da, danach wird es zu einer Art Medium, einer Schwingung, die du aufnimmst, in dir verstärkst und dann wieder ausstrahlst.

Dieser Prozess der Verwandlung in eine Art Transzendenz, Entschlüpfen aus dem Körper und Übergang in eine andere Form der Existenz macht deine Auftritte aus. Sichtbar, physisch vorhanden und doch nicht wirklich greifbar.

Aber jetzt bist du greifbar, drückst mich feste an dich, dann "bitte geh raus, ich komme gleich nach" und schiebst mich aus der Garderobe. Ich stehe vor der Tür, fast zugeschlagen hast du sie hinter mir, orientiere mich kurz und gehe zu den anderen. Sie stehen da, schauen kurz in meine Richtung, auch deine Frau dabei und alle sind vom Auftritt noch geflashed. Aftershow eben, tausendmal erlebt.

Es ist offensichtlich, dass sie nichts ahnen, keiner von ihnen, deine Frau am wenigsten, es wird geraucht und von Ferne höre ich das Publikum noch vereinzelt klatschen, während es  den Saal verlässt. Es könnte ein Abend wie so oft gewesen sein, aber er war anders, ein Aufflackern vor dem endgültigen Verlöschen oder habe nur ich das gespürt?

Es war ein Roadie, der dich in der Garderobe fand. Ganz entspannt schienst du im Stuhl vor dem Schminkspiegel zu sitzen, schlafend hätte man meinen können, aber es war kein Schlaf.

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