08 September 2023

Hejo, spann den Wagen an

Das war immer ein Spaß. Wenn der Vormittag zu Ende ging, die Luft im Klassenraum langsam stickig, die Schüler immer unkonzentrierter und der Magen ziemlich leer. Dann mussten wir aufstehen, die Bücher zur Seite, die Schulhefte sorgfältig in den Ranzen und statt dessen die Liederblätter auf den Tisch. „Hejo, spann den Wagen an“, ich fragte mich, wer dieser Hejo sein könnte, war er ein Knecht, wie ich in den Märchen immer erzählt bekam? Und wo war er jetzt, musste er wie wir in der Klasse stehen und ein Lied singen?

Aber Hejo stand nicht mit uns in der Klasse, meine Banknachbarin, das kleine Biest, hätte ihn vermutlich auch gar nicht singen lassen. Sie ließ keine Gelegenheit aus, mich zu piesacken, mal tropfte sie mir Tinte auf die Hand, mal stach sie mir ganz zufällig ihren Bleistift in die Rippen. Jetzt gerade plante sie wahrscheinlich die nächste Tat, ich rückte ein wenig ab, nahm mein Liederblatt hoch, um mich notfalls damit zu wehren. Doch Glück gehabt, heute war sie entweder zu müde oder hatte ein anderes Opfer ausgemacht.

„Stopp, stopp! Jetzt noch mal im Kanon!“ kam die Anweisung von vorne. Wir konzentrierten uns auf die geteilten Rollen, die anfängliche Unruhe vor der Mittagspause war tatsächlich noch mal in eine Konzentrationsphase übergegangen. Bis auf meinen Hintermann, der nun recht laut gähnte und damit die bereits singenden Kinder aus dem Konzept brachte. Als Sitzenbleiber war er ohnehin der Klassenälteste, immer für Torpedierung des Unterrichts gut und selbsternannter Quertreiber. Nein, eine wiederhergestellte Lernatmosphäre konnte er nicht zulassen.

Hejo spann den Wagen an

Ich starrte auf die Blätter auf meinem Tisch, ob es jetzt wohl verärgerte Kritik unseres Lehrers gebe? Und wo war ich gedanklich, ach ja, dieser Hejo wollte mir nicht aus dem Kopf. Ich unterdrückte den Impuls, aufzuzeigen und meinem Lehrer die Frage nach dieser merkwürdigen Figur zu stellen. Und das schien auch gut, denn der schwenkte begeistert sein Liederheft und wies uns gestikulierend an, einen mir unverständlichen Text über einen betrunkenen Seemann zu singen. Die englische Botschaft des Liedchens verstand ich nicht, aber im Refrain war immer von Way-hay die Rede, vielleicht gab es eine Verbindung zu Hejo?

Noch bevor ich diesen Gedanken zu Ende bringen konnte schrillte die Glocke. Wie bei einer platzenden Seifenblase machte es Plopp, nein, das war gar nicht in meinem Kopf, das war das Geräusch des Tafelschwamms, der mich am Ohr erwischte. Wer im hereinbrechenden Durcheinander von Taschepacken, Rausrennen und Tschüss-Sagen dieses eklig-feuchte Teil nach mir geworfen hatte ließ sich nicht mehr zurückverfolgen.

Aber immerhin war für heute Schulschluss, und mit ein bisschen Glück hatte Hejo den Wagen angespannt, der mich nach Hause bringen würde.

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