Wir liegen umgeben von Strandhafer in unserer Sandkuhle und schauen zwischen den Halmen hindurch die Düne entlang. Es ist ein wundervoller Platz, geschützt vor Wind und den Blicken anderer Menschen. Nicht, dass wir etwas zu verbergen hätten, aber es hat so etwas Kuscheliges, wenn wir auf der Decke liegen, mal lesend, mal schlafend, meist aber in lebhafter Diskussion. Unsere Gespräche spielen für uns eine wichtige Rolle, es sei denn, wir müssen mal still sein, weil wir ein Tier beobachten wollen, das sich in unsere Nähe verlaufen hat.
Wir kennen uns seit knapp zwei Wochen und treffen uns täglich an dieser Stelle. Die Sonne ist noch recht frühlingshaft, auch ohne Sonnenschirm wird es nicht übermäßig heiß. Mittags zieht es uns in die Strandbar, manchmal trennen wir uns danach und kommen erst am späten Nachmittag wieder zusammen. Es sind herrliche Tage, wir sprechen über Natur, Politik, Lebenswege und Glücksmomente. Nur allzu persönlich wird es nie, ich weiß gerade mal, dass du in der Nähe von Hamburg wohnst. Ob du eine weitläufige Familie oder einen Freund hast, ob du einem Beruf nachgehst, das haben wir in stillschweigendem Einverständnis nie angesprochen.
Gerade rollst du dich herum, hüpfst leichtfüßig auf und schon hast du dein Bikinioberteil angezogen, „kommst du mit ins Wasser?“ und ohne auf meine Antwort zu warten bist du schon durch die Lücke zwischen den Gräsern verschwunden. Ich will aufspringen, besinne mich dann eines Besseren und schaue dir nur nach, wie du über den Sandstreifen zum Meer läufst und aus meinem Blickfeld verschwindest.
Meine Gedanken gehen zurück zu den letzten Tagen, ganz zufällig haben wir uns kennengelernt, als der Wind den Sand deiner Decke beim Ausschütteln in mein Lesebuch geweht hat. Und ich erst mal sauer war, aber dann hast du mich angestrahlt, mir versprochen, dass du jede einzelne Seite für mich entkrümeln würdest, wenn wir uns morgen wiedersehen.
Jetzt liege ich also hier auf der Decke, die uns zusammengebracht hat und rufe mir noch mal deine Einstellung zu unserer Gesellschaft und zum Umgang mit der Natur ins Gedächtnis. Ich bin noch in Gedanken, als du tropfnass zurückkommst, „Wo bleibst du denn?“, und schüttelst deine Haare über mir aus, „Du Ekel, das zahle ich dir heim“ aber ich muss dich erst mal zu fassen kriegen, denn du bist schon wieder auf dem Weg zum Strand. Ich laufe dir hinterher, nun doch ins Wasser, aber kaum bin ich drin bist du wieder draußen.
Als ich nach ein paar Runden im kühlen Nass wieder zu unserem Platz komme liegst du auf dem Bauch, vertieft in ein Buch vor dir. Ich lege mich daneben und obwohl wir nur so daliegen ist es eine wundervolle Form der inneren Verbundenheit, doch, amüsieren wir uns, Frauen und Männer können wirklich nur Freunde sein. Bis auf gegenseitiges Eincremen und verspieltes Tollen im Wasser läuft da nichts. Und doch kommt es mir vor wie zwei Boote, die ein paar Seemeilen lang längsseits gehen und Ladung austauschen („habt ihr noch Obst, wir könnten euch gefrorenes Fleisch anbieten“), um danach wieder den eigenen Kurs weiterzufahren.
Ja, der eigene Kurs. Heute ist unser letzter Tag, ein wenig Wehmut, unsere Strandtage vom Erlebnis in die Erinnerung zu überführen. Du drehst dich zur Seite, stützt dich auf dem Ellbogen ab „Wieso so ernst?“. Ich bewundere dich dafür, dass du so ganz im hier und jetzt bist. Kein trauernder Rückblick, kein unsicherer Ausblick, einfach die gemeinsamen Stunden aufnehmen. Ich denke währenddessen an den Schreibtisch, an dem ich in Kürze wieder sitzen werde, die Alltagsfragen und Probleme. Deine Neckereien werden mir fehlen, auch die fröhlichen Geschichten und deine akrobatischen Gedankensprünge.
Eine wie auch immer geartete Beziehung über diese zwei Wochen hinweg war nie ein Thema. Ich male mir aus, wie wir wieder in unser Leben vor dem Urlaub zurückschwenken, wie die Erinnerung an die Parallelwelt langsam verblasst, die Tage im Versteck zwischen den hohen Gräsern eher mit Kindheitserlebnissen vermischt werden.
Könnten wir nicht einfach hier liegenbleiben, den Flieger fliegen lassen und das bisherige Leben wie ein Buchkapitel zuschlagen? Würden wir den Rest unseres Lebens eine platonische Beziehung pflegen oder käme irgendwann doch der Punkt, an dem wir vom körperlichen Verlangen überrollt würden? Oder ein späteres Treffen in Hamburg, wir zwei zwar wieder zusammen, und doch wäre alles ganz anders. Was ziehe ich an, über was reden wir, schläfst du auf dem Sofa oder im Hotel, darf ich dir meine Freunde vorstellen, ich arbeite im Soundso-Unternehmen hier in der Nähe. Alternativ eine Zusammenkunft bei mir, das ist meine Urlaubsbekanntschaft, nein, nicht Freundin oder irgendwie doch. Egal, wo wir uns wiedersehen: Alles, was hier so selbstverständlich ist, würde seine Leichtigkeit verlieren.
Was ich von den zwei Wochen mitnehme, willst du wissen und wir unterhalten uns darüber, dass uns in jedem Fall ein wenig Nachwirkung erhalten bleiben wird. Der Alltag wird uns wieder aufnehmen, wie das Leben sich weiter entwickelt weiß ja kein Mensch, aber ein bisschen von dir und ein Stückchen von mir lässt uns nie wieder los.
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