24 Februar 2023

Fußerotik

Fusserotik
Ein wenig ungewohnt ist es schon. Mein Spaziergang in der Mittagspause beginnt damit, dass ich die Schuhe ausziehe und auch die Socken abstreife. Da stehe ich barfuß vor der Garderobe und spüre noch die warmen Fliesen unter meinen Füßen. Haustür auf, ein kalter Luftzug kommt mir entgegen, ich ziehe die Jacke zu und schließe die Tür hinter mir. Erste zaghafte Schritte, die Gehwegplatten unter meinen Füßen sind erschreckend hart und kalt. Aber sie sind griffig und eben.

Doch schon bin ich auf dem gepflasterten Bürgersteig angekommen, die Verbundsteine haben Fugen, die ich nun deutlich zu spüren bekomme. Ich bleibe stehen, schließe die Augen und fühle bewusst die Unterbrechung der Oberfläche und die zunehmend kälter werdenden Fußsohlen. Augen auf, es geht weiter auf der Asphaltdecke der Straße in Richtung Waldrand, durch die Bewegung spüre ich zwar die Kälte nicht mehr, aber der Bodenbelag ist deutlich rauer.

Nur ein kleiner Graben trennt mich vom Waldboden, ich mache Anstalten, ihn mit großem Schritt zu überqueren, überlege es mir anders und wate mit meinen nackten Füßen hinein. Es wird feucht und der Untergrund gibt nach, ein wenig Matsch drückt sich zwischen meinen Zehen hindurch. Jetzt heißt es aufzupassen, könnte sich doch unter der sichtbaren Schicht auch allerlei spitzes Gewerk befinden, das sich empfindlich in meine Füße bohrt.

Doch nichts passiert, mit Schwung geht es die Grabenseite wieder hoch und ich stehe auf blätterbedecktem Waldboden. Wie schön sich jetzt dieser weiche, trockene Untergrund anfühlt. Leicht nachgiebig, ein wenig wärmer als das Wasser im Graben, geradezu anschmiegsam und schmeichelnd. Nur kurz halte ich inne, atme tief durch, fülle die Lunge mit der Waldluft, allzu viele Gerüche sind zu dieser Jahreszeit nicht wahrzunehmen, aber ein Hauch von modernden Blättern und versteckten Pilzen tritt mir doch in die Nase.

Jetzt aber los, ich möchte ja einen Spaziergang machen, sorgsam schaue ich auf den Boden, damit ich nicht in heruntergefallene Äste trete oder an Wurzeln stoße. Trotz meiner Vorsicht gibt es doch immer wieder ein kleines Hindernis, einen kantigen Gegenstand unter meinen Füßen. Was anfangs noch weh tut, wird nach und nach ein selbstverständlicher Teil der Fortbewegung. Und umso mehr erfahre ich unwillkürlich die Veränderungen beim Wechsel vom Trampelpfad zum Wanderweg.

Der darauf verstreute Schotter war mir mit Schuhen immer willkommen, heute pieken die Steine in meine ungeschützte Haut und ich wünschte mir Spuren, auf denen ich auf dem natürlichen Boden laufen könnte.

War da schon immer dieser Randstreifen? Jedenfalls kann ich seitlich neben dem Schotter herlaufen, jetzt gibt es nur noch selten einen verstreuten Stein, den ich allerdings dann auch recht schmerzhaft erlebe. Nun, das Erfühlen des Bodens, dieser direkte Kontakt mit der Erde hat eben auch seinen Preis, und sei es das Risiko, sich zu verletzen.

Allerdings geht alles gut, ziemlich schmutzig, ein wenig malträtiert, aber im Wesentlichen ohne nennenswerte Verletzungen erreiche ich eine knappe Stunde später wieder meinen Graben. Soll ich wieder hindurchwaten oder diesmal doch lieber springen? Ich entscheide mich für den Sprung, rutsche zwar ein wenig auf der Gegenseite ab, falle aber nicht und vorgebeugt komme ich dann doch noch so eben auf dem festen Untergrund an.

Die letzten Schritte bis zur Haustür lasse ich noch mal die zahlreichen unterschiedlichen Eindrücke Revue passieren, diesen Wechsel zwischen weich und hart, zwischen liebkosend und unangenehm, zwischen kalt und warm, feucht und trocken. Was für ein haptischer Cocktail, denke ich, ergänze noch mal mit dem Genuss der würzigen Luft und trete ins Haus.



17 Februar 2023

Das kölsche Panta Rhei(n)

Wer das kölsche Gen in sich trägt, der weiß: alles fließt. Seit Jahrtausenden macht uns der Rhein vor, wie das geht. Kein Wunder, dass es dann im eigenen Körper weitergeht: Blut, Lymphe, Verdauung, Hormone. Und wie schön ist das, da ist ständig Bewegung, ganz ohne eigene Anstrengung. Wobei man den Körper aber ein wenig anregen muss, ein Kölsch hier und da sorgt für den notwendigen Flüssigkeitsein- und -austritt.

Um uns herum ein Kommen und Gehen. Mal lebt der Eine, mal stirbt der Andere, normal. Das ist traurig, aber nur ein wenig, denn auch die Trauer kommt und geht. Panta rhei eben, et kütt, wie et kütt.

Es erklärt die stoische Ruhe der Kölner, wenn die Stadt belagert wird, wenn die Preußen meinen, ihre Ordnung auf die heilige Stadt am Rhein loslassen zu müssen, die Franzosen ihre Kultur einbringen, die Italiener, die Türken, die Protestanten, die Schwulen und Lesben… alle kommen, aber viele gehen auch wieder und lassen ein kleines Bisschen zurück, das wir geschickt in die kölschen Lebensart integrieren.

Das kölsche Panta Rhei(n)

Wer nicht hier geboren ist, der ist ein Immi (Immigrant), aber das ist nichts Abwertendes, denn auch hierbei ist uns der Vater Rhein ein großes Vorbild: Er ist geduldig und nimmt im Laufe der Jahre einfach alles (und jeden) mit, und früher oder später schlägt das Herz dann bei den Zugezogenen ehemals Fremden für den Dom und sein Drumherum.

Fastelovend hat hier eine eigene Bedeutung, ist Teil der Kultur, des Jahreszyklus und des Grundverständnis: Sind wir nicht alle Jecken, auch wenn wir gerade mal keine Pappnase aufhaben? Und wenn Sommer ist und die Sonne so schön scheint – dann flugs die Girlande aus dem Schrank geholt und die Luftschlangen im Raum verteilt. Sozusagen das Yin und Yang zwischen Arbeitstag und Freizeit in gemütlicher Runde.

Schunkelnd fließende Bewegungen, ob an der Theke, in der Beziehung oder im Beruf, levve un levve losse; Erfolge stellen sich ein oder auch nicht, denn mer muss och jünne künne.Dazu gehört auch der Fluss des Geldes, was für Außenstehende nach kölschem Klüngel aussieht. Dabei ist es das natürliche Geben und Nehmen, gerne auch mit kleinen Gefälligkeiten, denn: von nix kütt nix.

 Im Lebensbogen zwischen Geburt, Blotwoosch, Kölsch, lecker Mädchen und ruhigem Ende sind alle Stationen vom entspannten kumm ich hück nit, kumm ich morje geprägt. Und nur eine einzige Sache, davon sind Kölner ganz fest überzeugt, die fließt nicht, die ist unveränderlich: Das Unverständnis für die Menschen einige Rheinbögen flußabwärts in Düsseldorf. 

10 Februar 2023

Alle meine Suchen

Alle meine Suchen
Ich suche die Botschaft
Ich suche die Offenbarung
Ich suche den Sinn des Lebens
Ich suche eine Geldquelle
Ich suche das Vergnügen
Ich suche Erholung
Ich suche Spaß
Ich suche Herausforderungen
Ich suche Freunde
Ich suche den Traumjob
Ich suche Denkanstöße
Ich suche meine Stärken
Ich suche die richtigen Worte
Ich suche gute Gespräche
Ich suche neue Erkenntnisse
Ich suche Erfüllung
Ich suche Glück
Ich suche die große Liebe

Das meiste habe ich gefunden.


03 Februar 2023

Treffpunkt Toilette

Du standst neben mir am Pissoir. Nun ist das an und für sich nichts ungewöhnliches, Menschen müssen gelegentlich auf Toilette, um Urin loszuwerden. Zuerst registrierte ich dich gar nicht, und selbst als ich mich in Richtung Waschbecken umwandte dauerte es einen Moment, bis der Groschen fiel. Wie hätte ich aber auch darauf kommen können, dich zu treffen, hier zu treffen.

Mein Freund Christian hatte mit seinem Vater richtig Glück gehabt. Ein ruhiger Herr mit diskretem Charme, immer freundlich zu uns Jugendlichen und vor allen Dingen: Mit einem Faible für gute Musik. Man könnte ihn als Hifi-Enthusiasten bezeichnen, mit sündhaft teuren Lautsprecherboxen und einem Plattenspieler, dessen Teller mehrere Kilo schwer war. Es versteht sich von selbst, dass wir dieses Heiligtum nicht berühren durften, aber Christian hatte den Vorgänger abgestaubt, ein veritables Stück Technik. Und so trafen wir uns regelmäßig bei ihm, um gemeinsam unsere Schallplatten zu hören und zu diskutieren. War es nun ein Schlagzeugsolo von Roger Taylor, Ausschnitte aus den Vier Jahreszeiten oder die Feinheiten in Stücken von Deep Purple. Zu den besonderen Highlights gehörte „Berlin“ von Barclay James Harvest. Frank hatte das Album gekauft, musste es immer zu Christian mitbringen und wir dudelten es rauf und runter, kopierten es unzählige Male auf Musikkassetten und schauten uns das Cover an. Was für ein Konzert, der Reichstag als Kulisse, knapp 200.000 Besucher, ein herausragender Auftritt von Les Holroyd, live aufsteigend in den Olymp der modernen Musik.

Im September 1997 sah ich dich dann in Neu-Isenburg. Dein wuscheliges Haar war von hinten beleuchtet, umrahmte dein Gesicht und sah aus wie ein Heiligenschein. Egal wie sehr ich mich bemühte, ich konnte den Rest der Bühne, die anderen Musiker kaum erkennen. So etwa muss Jesus ausgesehen haben, außergewöhnlich charismatisch, geradezu hypnotisch. Von dem Mann ging eine beeindruckende Energie aus, unaufgeregt zelebrierte er seine Musik, beeindruckend das Zusammenspiel der Gruppe, die fast wie eine kleine Bigband daherkam. Und selbst die 15 Jahre seit Berlin waren wie weggewischt, und es schien auch keinen Unterschied zu machen, dass gerade mal 2.000 Personen vor dir standen. Die Musik in dir, du und die Musik, eine Einheit.

Treffpunkt Toilette
Jetzt also neben mir, leibhaftig, Mensch gewordene Traumfigur aus meiner Jugend. Ein wenig kleiner, als ich dich in Erinnerung hatte, im nüchternen Licht des WC ein freundlicher Mann, der sich ein wenig erwischt fühlt. „Hello“ sagst du, jetzt fehlen mir die Worte, und noch während ich mir die Hände wasche bist du verschwunden.

Das Konzert begann, wieder mal wundervoll. Ein wenig vom Charisma hattest du verloren – waren es die Jahre, die Beleuchtung, meine Stimmung oder hattest du nicht mehr diese überwältigende innere Energie? Diese Frage beschäftigte mich noch auf dem Heimweg und beim Einschlafen kam mir noch mal die Szene auf der Toilette in den Sinn, so unreal wenn man einen Menschen trifft, den man für unerreichbar hält, von dem man immer gedacht hat, dass er auf einem anderen Stern lebt.