Das Leben des Menschen ist eine große Überfahrt. So albern – dass man ins Wasser fallen kann, so schizophren, dass es zu Ende ist, wenn wir endlich ankommen. Ein Nebel liegt über dem Wasser.
Es ist früher Morgen, die Nebelhörner der Schiffe blasen und singen mit dem Wind eine schaurige Arie. Es ist kalt, an diesem frühen Morgen, an dem der Tau das kraut nass werden lässt und so manches Blatt strahlte, würde nur ein kleiner Sonnenstrahl es bescheinen.
Feuchte Luft atmet man ein, atmet sie wieder aus: Schwaden, die aus geöffneten Mündern und aufgeblähten Nasen steigen und sich nach ein paar Metern auflösen in die allgemeine Trübe dieses traurigen Herbstwetters. Doch es ist nicht Herbst, es ist Frühling, Frühling ist über das Land gekommen, hat sich herangeschlichen, unbemerkt und ein bisschen verstohlen blinzelt er nur hier und da ein wenig, dem Kennerauge wohlbemerkt, zwischen der Leblosigkeit des Winters hervor. Unten am Hafen wird die erste Pulle aufgemacht, um die Kälte aus den Knochen zu vertreiben.
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Im späten Mai letztes Jahr, als es ein paar warme Tage, die der Sommer als Gruß vorgeschickt hatte, gab, hatten sie sich einander tief in die Augen gesehen, hatten sie sich ihm hingegeben, sich zärtlich streicheln lassen und ihm dies und jenes zwischen ihren Küssen ins Ohr geflüstert. Draußen waren sie, es war warm und alles so Sommer, bei der Hand genommen hatten sie sich und in dieser Berührung die Sehnsucht gefühlt, die nur zwei Herzen fühlen, wenn sie sich bei der Hand nehmen, an einem warmen Frühlingstag. Lassen wir sie – Sie gingen hinunter an den Hafen, sahen den Schiffen zu, über Winter herausgeputzt und also im neuen Glanz, wie sie über den Kanal glitten, auf das offene Wasser zu, um dann, manche erst nach Stunden, am Horizont zu verschwinden. In einer Kuhle hatten sie gelegen und sie hatte ihn gestreichelt, erst neckisch, und als er sich zu ihr umwandte und sie anschaute: zärtlich. Er hatte sie berührt, wie nur er sie berühren konnte und dann waren sie beide so verliebt, ja, so ist es schön, nicht wahr, und sie gab sich ihm hin.
Nachdem sie die Schiffe lange genug betrachtet hatten, sahen sie, dass es das Leben war: Die Geburt im Hafen der Ehe, die ersten, vorsichtigen Ausflüge, dann eine Fahrt durch die Bucht, wo die Wellen schon stärker schlagen und im Sommer die Jungen und Mädchen baden, Schmelz gleich dem zarter Schokolade, oder sollte ich sagen zartbitterer Schokolade, um dann hinauszuziehen aufs Wasser, das nur den Grund kennt und den Himmel. Sie sahen, dass sie kein Paar waren und drängten sich aneinander, und wie sie ihn so nah bei sich fühlte, war da etwas von maskulinem Beschützer und Muttersehnsucht, und sie gab sich ihm hin.
Doch er blinzelte sie von der Seite an, sah sie, bis auf den Grund des klaren Wassers ihrer Seele und untersuchte ihr Herz. Seines schlug hoch, als er sie so sah, schön wie dieser Tag am Hafen, wo man voyeuristisch den Schiffen zusah, ohne selbst bemerkt zu werden. Und es schlug höher, als er ihr über das Haar strich, es durch die Finger fallen ließ. Er küsste sie auf den Hals, nachdem er so lange mit ihrem Haar gespielt hatte, und sie drehte sich um, blickte tief in seine Augen und hielt ihren Mund zum Küssen bereit. Eine warme Welle spülte über sie hinweg, als er sie so streichelte, und noch viel heißer wurde die Welle, als sie sich sehr nahe kamen und die Flamme loderte hoch, als sie sich ihm hingab.
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Die ersten Kältewellen waren über sie gekommen, es war so feucht und alles so klamm in der frühen Kälte des Morgens, und so trostlos das Blasen der Sirenen und das Pfeifen des Windes. Sie fühlte es kommen und übergab sich, während ein Schmerz ihren Unterleib durchfuhr. Fast glaubte sie, ein ehernes Messer zerteilte sie von ihrer Scheide her, da wieder, jetzt öfter in immer kürzeren Abständen, während sie auf ihrem Bett lag und ihre Tante ihre Stirn kühlte, nicht ohne ihr dabei zuzureden. Der Kopf zum Zerplatzen erhitzt, der Rest des Körpers kalt. Grau der Morgen, grau die letzten Tage, grau das Leben im Hafen ohne Ehe. Sie bekam ihr Kind erst gegen Mittag, sehr zur Verwunderung der Tange, vor allem jedoch zu ihrer eigenen Erschöpfung.
Die Erlösung war noch fern, als die ersten Wehen durch ihren Körper liefen und sie krampfen ließen. Bei ihr war die Tante, die sich schon seit Wochen auf diesen Tag vorbereitet hatte. Ein Feuer stach in ihr, tief in ihr und es drohte sie zu verbrennen, während außen das Eis sie schaudern ließ, der Körper zuckte in Krämpfen des Schüttelfrostes wie der Wehen. Es war eine schwere Geburt. Ihr ganzer zierlicher Körper erzitterte, sie selbst dem Tode näher aus dem Leben und der allgegenwärtigen Tante. Sie schloss für einen Moment die Augen, da wieder dieser Schmer, Messer, ein Messer, oh Gott oh Tante, welche Qualen uns der Herr auferlegt hat. Diese saß an ihrem Bett, wischte ihr den Schweiß von der Stirn und betete. Die schmerzverbissenen Lippen, die ganze Mutter so hoffnungsvoll, dass das Ende kommen musste und war doch so nah ihrem eigenen. Tränen schossen ihr in die Augen, sie stöhnte fast schreiend, als die Tante die Decke hebend ihr mitteilte, dass bereits der Kopf zu sehen sei und sie friert und presst und heult und stöhnt. Die Tante läuft im Zimmer umher und betet, stellt warmes Wasser nach hier, legt Decken für den Säugling nach dort, gießt einen Schnaps ein und betet, während sie läuft und der jungen Frau zuredet. Fast ist es geschafft, da werden die Wehen schwächer, die Krämpfe lassen nach und die Mutter schaut die Tante an, sieht zum Fenster, wo der Nebel seine Nase plattdrückt, ist erschöpft von ihrem Werk und schließt die Augen. Die Tante stößt einen Schrei aus, als sie das Kind erblickt, es ist tot, ein Schrei, den die Mutter nicht hört, nicht mehr hören kann: Sie ist bei ihrem Kind.