Als hätte ich ihn durch meine Gedanken herbeigerufen klopfte es an der Tür, er selbst stand im Rahmen und fragte, ob er hereinkommen dürfte. Für eine Gefangenschaft fühlte ich mich schon sehr höflich behandelt, auch das Tablett mit Kaffee und Plätzchen in seinen Händen war mir sehr willkommen. Er setzte sich wieder, „Und, haben Sie darüber nachgedacht?“ – „Ein merkwürdige Aufgabe, die Sie mir da an die Hand geben. Wie sind Sie denn ausgerechnet auf mich gekommen?“
„Glauben Sie mir, dass wir viel recherchiert haben, wir verfolgen Sie schon seit Monaten im Internet, beobachten Ihre Gewohnheiten, haben mit Ihren Freunden und Arbeitskollegen gesprochen. Damit sind sie in die enge Wahl für dieses schwierige Projekt gekommen. Letztlich hat dann Ihr Persönlichkeitsprofil den Ausschlag gegeben.“ Ach so, mein Persönlichkeitsprofil. Was das wohl ausmacht? Hat ein Analytiker meinen Geist ohne mein Wissen seziert und wie bei einer Internet-Partnersuche dann meinen Namen vorgeschlagen. „Gut“, sage ich, „Sie haben mir ja schon klargemacht, dass ich eigentlich keine Wahl habe, dass ich erst wieder in den Alltag entlassen werde, wenn ich Ihre Forderung erfüllt habe.“ – „Das klingt dramatisch, dabei ist es besser so für Sie, und die Aufarbeitung des Buches ist ein lohnendes Thema. Haben Sie schon mal einen Blick hineingeworfen?“ – „Ja, sicher… es scheint ja ein zentraler Punkt in den nächsten Wochen meines Lebens zu werden. Ehrlich gesagt, hat mir die Idee des Autors gefallen, aber die Umsetzung in Literatur ist ihm gar nicht geglückt. Wie kann es nur sein, dass man so etwas schreibt, einem Lektor gibt und es dann am Ende als wenig zündendes Werk gedruckt wird?“
„Ein Grund für unsere Auswahl war Ihre ausgeprägte Naivität“, schmunzelt mein Entführer. „Natürlich ist das Buch nicht gedruckt worden, weil es sich durch literarische Qualität auszeichnet, vermutlich hätte Marcel Reich-Ranicki es mit geradezu demütigenden Worten kritisiert. Aber es hat einen interessanten Kern, und um den geht es. Um ein von Ihnen geliebtes Sprachbild zu verwenden muss der Kern eingepflanzt und gepflegt werden. Und Sie sind der Gärtner.“ Tatsächlich fand ich den Gedanken reizvoll, und ob nun Sprach-Maler oder Kern-Botschafts-Gärtner: Eine weitere Tätigkeit neben Schreiner und Physiker würde vielleicht auch noch passen.
„Ich überlege es mir“, schmollte ich noch ein wenig, denn allzu leicht wollte ich es der Gegenseite auch nicht machen. – „Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Sie genießen den Tag, gehen spazieren, sind auch für die Nacht noch einmal unser Gast. Morgen entscheiden Sie, ob sie bleiben möchten oder ob wir Sie zurückbringen sollen. Dieses Angebot hat keine Nachteile für Sie. Selbst wenn es im Moment noch nicht das richtige Timing ist, können Sie später wieder in diese Schreibwerkstatt zurückkommen. Das bleibt dann einfach unser Geheimnis.“
Ohne meine Antwort abzuwarten verließ er den Raum, ich saß allein vor dem Laptop, bemerkte das Buch in meiner linken Hand, mein Blick wanderte durch das Zimmer. Es kam mir jetzt noch einladender vor, bei unvoreingenommener Betrachtung war es wie für mich gemacht. Hell und freundlich, ruhig, mit allen Annehmlichkeiten eines produktiven Alltags versehen. Ich merkte, wie ein Lächeln auf mein Gesicht zog, ja, eine Entscheidung tief in mir reifte. Wie seltsam alles angefangen hatte, schreiende Männer zwischen Tapetenstapeln und Autolacken, verängstigte Kunden, Knebel und Augenbinde und jetzt stehe ich hier, bin mitten in einer Berufung angekommen.
Ich bin auf den Vorschlag eingegangen und habe mich wieder zurückbringen lassen. Denn ohne meinen Job, meine Freunde und meine Familie fehlt mir ein wichtiger Teil meines Lebens. Aber immer, wenn ich ein wenig Zeit finde und meine innere Stimme auf mich einredet gehe ich wieder in den Baumarkt und lasse mich in meine Schreibwerkstatt entführen.
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